Verwandelt ein Abzug der IDF das Westjordanland in einen sicheren Hafen für Extremisten?

 
Verwandelt ein Abzug der IDF das Westjordanland in einen sicheren Hafen für Extremisten?
 
Col. Richard Kemp
 
 
·          Um eine realistische Aussicht auf Erfolg zu haben, bedarf jede aufständische Bewegung oder Terrorgruppe eines sicheren Hafens, von dem aus sie operieren kann. Israel hat in der Vergangenheit in Libanon und Gaza zu spüren bekommen, was es bedeutet, wenn man feindlichen Gruppen ein unmittelbar an die eigenen Grenzen anschließendes Territorium überlässt. Entsprechend birgt ein ähnlicher Schritt, den Palästinensern die Kontrolle des Westjordanlandes oder eines Teils Jerusalems zu überlassen, enorme Risiken.
 
·          Nun könnte man einwenden, dass ein moderner High-Tech-Staat in der Lage wäre, feindliche Aktivitäten jenseits seiner Grenzen zu überwachen. Doch nachrichtendienstliche Datensammlung und Überwachung von tief eingebetteten, klandestinen und extremistischen Netzwerken, die aus hoher ziviler Bevölkerungsdichte heraus operieren, ist ein höchst schwieriges Unterfangen, so dass kein nationaler Geheimdienst zuversichtlich sein kann, erfolgreich gegen ein solches Ziel vorzugehen.
 
·          Man hat vorgeschlagen, dass internationale Truppen, z.B. von der NATO, die IDF im Westjordanland ersetzen sollten, doch diese Idee wirft eine ganze Reihe schwerwiegender Fragen auf. Wer soll diese NATO-Truppen stellen und wie lange sollten sie stationiert bleiben? Einige Länder sind einfach nicht bereit, ihre Soldaten unnötigen Risiken auszusetzen.
 
·          Und was würde mit jenen geschehen, die bereit wären, Teil einer solchen Truppe zu sein, wenn die Verhältnisse sich verschärfen sollten, was ganz unvermeidbar ist? Man erinnere sich an den Libanon, als eine Selbstmordanschlag 300 Soldaten tötete und zum Abzug der französischen und amerikanischen Friedenstruppen führte, oder an den Anschlag von al-Qaida in Madrid, der den Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak bedingte. Wie sicher könnten wir sein, dass die Wählerschaft der an einer solchen Truppe beteiligten Nationen es ihrem Militär erlauben würde, unter dieser Art von Druck in der Westbank stationiert zu bleiben.
 
·        Und auf welche Art und Weise könnte eine solche NATO-Mission dem lebenswichtigen Bemühen Israels, seine Bevölkerung zu schützen, in die Quere kommen? Durch eine scheiternde NATO-Mission und ein Westjordanland unter extremistischer Kontrolle, die im dortigen Sicherheitsvakuum gedeiht, würden gewalttätig dschihadistische Kräfte in der ganzen Welt erstarken.
 
 
Die Folgen für den asymmetrischen Kampf der Extremisten
 
Um eine realistische Aussicht auf Erfolg zu haben, bedarf jede aufständische Bewegung oder Terrorgruppe eines „sicheren Hafens“, von dem aus sie operieren kann – einen Ort, der sich außerhalb der Kontrolle des angegriffenen Staates befindet, vorzugsweise in einem Land, das vor einer Einmischung des Zielstaates oder seiner Alliierten geschützt ist, sei es dank seiner Geografie oder dem Schutz durch ein freundliches Regime, oder sei es, weil sie aus dem Gebiet eines „failed State“ heraus operieren. Der Vietnam-Krieg gilt als klassisches Beispiel für eine solche Art eines „sicheren Hafens.“ In jüngerer Zeit verfügten z.B. die sunnitischen Extremisten während des Irak-Krieges über ein sicheres Rückzugsgebiet in Syrien, wo sich ihre hauptsächliche logistische Basis sowie für Selbstmordattentäter das Einfallstor in den Irak befanden. Sie konnten auch auf die Nachschublinien des Iran zurückgreifen, der ebenso den Schiitenextremisten einen sicheren Hafen für ihre Angriffe auf die Koalitionsstreitkräfte bot, u.a. durch die iranischen Revolutionsgarden und die Hisbollah, die Ausbildung, Organisation, Munition und Richtungsanweisungen zur Verfügung stellten.
 
Die Taliban verfügen gegenwärtig in Pakistan über einen sicheren Hafen und Operationsbasis, während die zweitgrößte in Afghanistan operierende Extremistengruppe, die Hizb-i-Islami, ihre Hauptbasis im Iran selbst hat. Im März bezeugte General Petraeus, Kommandeur des US-Zentralkommando vor dem Außenpolitischen Ausschuss des US-Senats, dass Teheran al-Qaida-Führern Bewegungsfreiheit zwischen Pakistan und Afghanistan gestattet, womit iranisches Territorium de facto als sicherer Hafen fungiert, zumal ihnen erlaubt ist, Planungstreffen auf iranischem Boden zur Vorbereitung terroristischer Anschläge gegen die Vereinigten Staaten und andere westliche Ziele abzuhalten.
 
Israel hat in der Vergangenheit in Libanon und Gaza zu spüren bekommen, was es bedeutet, wenn man feindlichen Gruppen ein unmittelbar an die eigenen Grenzen anschließendes Territorium überlässt. Ein ähnlicher Schritt, den Palästinensern die Kontrolle des Westjordanlandes oder eines Teils Jerusalems zu überlassen, mag eine gewisse Attraktivität für den Friedensprozess aufweisen, v.a. in der Wahrnehmung eines Großteils der internationalen Gemeinschaft. Doch beide Vorschläge bergen im Hinblick auf den asymmetrischen Kampf, in dem sich Israel befindet, enorme Risiken.
 
Nun könnte man einwenden, dass ein moderner High-Tech-Staat in der Lage wäre, feindliche Aktivitäten jenseits seiner Grenzen zu überwachen. Doch wir haben häufig ein Versagen von Nachrichtendiensten gegenüber aggressiven Akten konventioneller Streitkräfte und Kriegsplänen von Nationalstaaten erlebt, die weit leichter zu identifizieren und zu beobachten sind. Die nachrichtendienstliche Datensammlung und Überwachung von tief eingebetteten, klandestinen und extremistischen Netzwerken, die aus hoher ziviler Bevölkerungsdichte heraus operieren, ist jedoch ein höchst schwieriges Unterfangen, so dass kein nationaler Geheimdienst zuversichtlich sein kann, erfolgreich gegen ein solches Ziel vorzugehen.
 
Trotz vieler aufsehenerregender Erfolge wie z.B. die Tötung von al-Qaidas Nummer Drei Mustafa Abu al-Yazid in Pakistan ist es der technologischen Überlegenheit des amerikanischen Militärs nicht gelungen, die Fähigkeit der Taliban, Waffen und große Gruppen bewaffneter Kämpfer über die afghanische Grenze zu schmuggeln, nennenswert einzuschränken. Ich möchte die Schwierigkeiten, die das nach sich zieht, für keinen Moment unterschätzen. Man sollte sich nicht auf Jordaniens Unterstützung oder Effizienz, Feindaktivitäten vom Westjordanland gegen Israel zu unterbinden, verlassen. Die Extremisten würden auch versuchen, Jordanien zu destabilisieren, als wichtigen Zwischenschritt für eine Zerstörung Israels.
 
Erneut verhilft der Blick auf Pakistan und Afghanistan zu einiger Einsicht. Die NATO bemüht sich mit gewissem Nachdruck darum, zusammen mit der pakistanischen Regierung Sicherheitsmaßnahmen auf beiden Seiten der Grenzen zu koordinieren. Einiges davon war für eine Weile mit Erfolg gesegnet. Doch es gibt Elemente in der pakistanischen Regierung, die andere Pläne verfolgen, die Taliban unterstützen, wenn es ihren Zielen passt, oder ein Auge zudrücken. Doch Pakistan leidet selbst unter einer ernsten, gefährlichen und sich zunehmend verschlimmernden Erhebung seiner eigenen Taliban. Trotz einiger Gegenmeinungen ist es das Ziel dieser eng mit den afghanischen zusammen operierenden Taliban, die pakistanische Regierung zu stürzen, eine Absicht, die von den al-Qaida-Führern in Pakistan geteilt wird. Und trotz des Bemühens auf beiden Seiten der Grenzen können die Aufständischen mit relativer Freiheit operieren. Die Bedeutung solch sicherer Häfen für Extremisten ist dem pakistanischen Militär wohl bewusst. Eines seiner größten Befürchtungen ist daher, dass ein überstürzter Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan ein Vakuum hinterlassen könnte, von dem aus der pakistanische Aufstand unterstützt und gestärkt werden könnte. Und damit bestünde Aussicht auf einen nuklear bewaffneten Staat in der Hand von Extremisten.
 
Fragen zu einem friedenserhaltenden Einsatz der NATO
 
Man hat vorgeschlagen, dass internationale Truppen, z.B. von der NATO, die IDF im Westjordanland ersetzen sollten. Ich möchte das nicht ausschließen, doch diese Idee wirft eine ganze Reihe schwerwiegender Fragen auf. Zum ersten: Wer soll diese NATO-Truppen stellen und wie lange sollten sie stationiert bleiben? Man darf die Schwierigkeiten nicht vergessen, die die NATO seit Jahren hat, Truppen für den Einsatz in Afghanistan zusammenzubringen – und dies für einen Einsatz, den die NATO zu ihrer Priorität erklärt hat und der gegenwärtig ihre einzige echte laufende Operation ist. Viele Truppenkontingente sind durch entscheidende nationale Einschränkungen, wie z.B. Einsatzbeschränkungen nur in sicheren Gebieten, in ihrem Handeln begrenzt. Einige Länder sind einfach nicht bereit, ihre Soldaten unnötigen Risiken auszusetzen. Leider lässt sich kein Krieg – und auch keine ernsthaften friedenserhaltenden Einsätze – ohne unnötige Risiken denken und das Westjordanland würde ganz sicher in diese Kategorie fallen. Einige NATO-Mitglieder können nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr operieren und würden so Extremisten die Kontrolle der Nacht überlassen, mit all dem, was daraus erwächst.
 
Ebenso besteht das Risiko, dass im Bemühen um ein gutes Einvernehmen mit allen Seiten, Friedenstruppen zum Gegner aller Seiten werden würden. Auch dies ist den Teilnehmern einer solchen internationalen Truppe bewusst. Und was würde mit jenen geschehen, die bereit wären, Teil einer solchen Truppe zu sein, wenn die Verhältnisse sich verschärfen sollten, was ganz unvermeidbar ist? Man erinnere sich an den Libanon als ein Selbstmordanschlag 300 Soldaten tötete und zum Abzug der französischen und amerikanischen Friedenstruppen führte.  Ein weltweit operierender Extremist hat auch den Anschlag von al-Qaida in Madrid zwanzig Jahre später nicht vergessen, der den Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak bedingte. Und man darf auch nicht für einen Moment annehmen, dass gewisse im Verborgenen operierende und einflussreiche Mächte ihr Augenmerk nicht auf die NATO-Friedenstruppen im Westjordanland richten würden, v.a. wenn jene Anzeichen einer erfolgreichen Mission zeigen würden. Der Iran ist berüchtigt dafür, dass er den Durchhaltewillen von Aufstandsbewegungen gestärkt hat, wenn deren Aggressivität gegen Israel nachzulassen schien und er hat ebenso eine Geschichte von Angriffen auf westliche Truppen durch Stellvertreter.
 
Wie sicher könnten wir sein, dass die Wählerschaft der an einer solchen Truppe beteiligten Nationen, es ihrem Militär erlauben würde, unter dieser Art von Druck in der Westbank stationiert zu bleiben und wie effizient könnte die NATO als friedensbewahrenden Kraft unter derart anspruchsvollen Bedingungen sein? Den einzigen Erfolg auf diesem Gebiet konnte die NATO im Kosovo erzielen, und auch das ist keineswegs unumstritten. Zudem war dies auch eine weit weniger komplexe Situation.
 
Die NATO ist in Afghanistan zwar nicht in friedenserhaltender Mission, doch wir können einige Erfahrungen aus ihrem Einsatz dort ziehen. Die nationalen Beschränkungen wurden bereits erwähnt. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich bei länderspezifischen Einsatzregeln und taktischem Vorgehen, einschließlich einer ganzen Reihe von Einschränkungen bei der Luftunterstützung. Wäre eine NATO-Mission wirklich in der Lage, Extremisten entgegenzutreten, und – falls nicht – auf welche Art und Weise könnte eine solche Mission dem lebenswichtigen Bemühen Israels, seine Bevölkerung zu schützen, in die Quere kommen?
 
Nach sieben Jahren Afghanistan stellt sich die Frage, wie effizient die NATO dort in der Lage ist, den Aufstand zu kontrollieren. In den sechs Monaten vor dem März 2010 hat sich die Zahl der Angriffe auf NATO-Truppen um über 80 Prozent erhöht im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres. Ebenso sind die Angriffe auf die Zivilbevölkerung um über 70 Prozent gestiegen. Und wie gewissenhaft hat die NATO sich um den Wiederaufbau der Zivilgesellschaft und um Regierungsaufgaben bemüht, ein kritisches Element ihrer Rolle in Afghanistan? Der Wiederaufbau zeichnet sich durch das relative Unvermögen aus, an Fahrt zu gewinnen und dem militärischen Element der Aufstandsbekämpfung die nötige Tiefe zu verleihen.
 
Friedensbewahrung ist in vielerlei Hinsicht schwieriger und eine größerer Herausforderung als gegen feindliche Truppen zu kämpfen. Es ist das eine, gegen jene robust vorzugehen, die einen selbst oder die eigenen Kameraden angreifen. Es ist etwas anderes, Truppen in die Schusslinie zu schicken, wenn nicht sie es sind, sondern andere, die in Gefahr schweben. Die holländischen Truppen haben tapfer und effizient in Afghanistan gekämpft und viele Opfer gebracht, doch Srebrenica darf nicht vergessen werden, wo 1995 8,000 Zivilisten unter den Augen von niederländischen UN-Friedenstruppen massakriert wurden.
 
Um dies zusammenzufassen, ich möchte weder die Möglichkeit eines IDF-Abzugs aus dem Westjordanland noch ihr Ersetzen durch eine NATO-Truppe ausschließen, nur müssen einige fundamentale Fragen geklärt werden, bevor diese Optionen ernsthaft erwogen werden können. Dies ist von kritischer Bedeutung für die NATO sowie für den ganzen Westen und Nahen Osten, denn durch eine scheiternde NATO-Mission und ein Westjordanland unter extremistischer Kontrolle, die im dortigen Sicherheitsvakuum gedeiht, würden gewalttätig dschihadistische Kräfte in der ganzen Welt erstarken.
 
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Col. Richard Kemp ist der ehemalige Kommandeur der britischen Truppen in Afghanistan. Dieser Aufsatz basiert auf seiner Präsentation bei der Konferenz „Israel’s Critical Security Needs for a Viable Peace“ vom 2. Juni 2010 in Jerusalem.