Der Islamische Staat als heimliches Vorbild

Der Islamische Staat stellt die regionalen Akteure vor eine gewaltige Herausforderung. Nicht nur wird eine islamische Vision im Irak und Syrien realisiert, der in der Tradition eine besondere Bedeutung zukommt. Dem Islamischen Staat gelingt es zudem, seine Herrschaft auszubauen, den Vereinigten Staaten und dem Westen furchtlos die Stirn zu bieten, tausende Muslime aus aller Welt anzuziehen und Millionen mehr zu inspirieren. Die führenden islamischen Organisationen – die von Scheich Yusuf al-Qaradawi geführte Internationale Union Muslimischer Gelehrter, die Muslimbruderschaft und Hizb ut-Tahrir – haben den Aufuf des "Kalifen" Baghdadi zur Gefolgschaft aller Muslime abgelehnt. Ihrer Meinung nach stimmen die Bedingungen, unter denen das Kalifat errichtet wurde, nicht mit den vom Islam geforderten überein, so dass es als unwirksam zu gelten habe. Gleichzeitig lehnen es diese Gruppen vehement ab, dass die Vereinigten Staaten sowie die internationale und arabische Koalition militärisch gegen den IS vorgehen. Die ambivalente Haltung dieser Organisationen zum IS liegt in der deutlichen Herausforderung begründet, die das Kalifat für sie darstellt. Einerseits können sie dem Kalifen keine Gefolgschaft schwören, da es eine vollständige Unterwerfung unter die Herrschaft des IS bedeuten würde mit allem, was dazu gehört. Andererseits wollen sie natürlich das Kalifat gegen die internationale und arabische Koalition verteidigen, selbst wenn sie sich darüber im Klaren sind, dass ein Erstarken des IS den Sturz existierender arabischer Regime und eine Annexion zusätzlicher Staaten durch Baghdadis Truppen bedeuten könnte. Die Hamas ist gegenwärtig dem temporären Waffenstillstand in Gaza verpflichtet. Diese Zeit reduzierter Terrorgefahr aus Gaza hat, auch wenn sie nur eine Vorbereitung für die nächste Runde sein dürfte, ein Vakuum hinterlassen. Der IS hat dieses Vakuum mit dschihadistischen Erfolgsmeldungen vom Schlachtfeld gefüllt, indem er den Westen ohne Unterlass bekämpft, islamisches Recht durchsetzt und verspricht, Palästina zu befreien, sobald die arabische "Verräterregime" in Saudi Arabien und Jordanien gestürzt sind.

Angesichts dieser Herausforderung, die die Unterstützung der Hamas zu untergraben droht und bereits jetzt dazu geführt hat, das Hamas-Aktivisten die Organisation verlassen haben, um sich dem IS anzuschließen, versucht die Hamas eine neue Front gegen Israel im Westjordanland und Jerusalem zu eröffnen oder doch zumindest die Welle des "privaten Dschihad" auszunutzen, die so viele bereits mitgerissen hat. Dieser Ansatz deckt sich mit dem strategischen Ziel der Hamas, die Herrschaft der Autonomiebehörde im Westjordanland zu überwinden, die palästinensische Regierungsgewalt an sich zu reißen und das Westjordanland zur Ausgangsbasis für den nächsten Terrorkrieg gegen Israel zu nutzen – dann von einer weit besseren Position als gegenwärtig in Gaza.

Auf diese Weise hat die Hamas die Terrormethoden des IS übernommen, ohne die Quelle zu nennen. Je mehr sich der stillschweigende Konkurrenzkampf mit dem IS an der palästinensischen Basis verschärft, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Hamas auf diese Methoden zurückgreifen wird. Auf diese Weise – und dadurch, dass sie wiederholt eine "dritte Intifada" beschwört – will die Hamas als ausdauernde dschihadistische Widerstandskraft gegen Israel gesehen werden.