Eine neue Strategie für den israelisch-palästinensischen Konflikt

Eine neue Strategie für den israelisch-palästinensischen Konflikt
 
Gen.Lt. a.D. Moshe Ya‘alon
Ehemaliger Generalstabschef IDF
 
 
Dieser Text basiert auf einem Vortrag vom 24. Juni 2008, gehalten im Institute for Contemporary Affairs (ICA) des Jerusalem Center for Public Affairs in Jerusalem.
 
 
·          Der landläufigen Meinung zufolge müsse man nur den Nahostkonflikt lösen und alle andere Problem würden sich dann von alleine klären. Doch der israelisch-palästinensische Konflikt ist nur eine von zahlreichen Sorgen, welche den Nahen Osten plagen, und keineswegs die dominierende.
 
·          Die palästinensische Führung scheut nach wie vor, ihrer Verantwortung nachzukommen. Die aktuelle Parole heißt „Schwäche.“ Dieses Bild politischer Impotenz ist zum kostbaren Aktivposten der palästinensischen Strategie geworden. Dabei liegt das Problem nicht bei den tatsächlichen Möglichkeiten von Abbas, sondern bei seinem Unwillen und dem Mangel an Entschlossenheit, einen lebensfähigen und verantwortungsbewussten Staat zu schaffen.
 
·          Der ehemalige britische Premier Tony Blair und andere haben für vermehrte ausländische Hilfe für die Palästinenser geworben. Diese Strategie ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie nicht an Reformen geknüpft ist. Solange die Palästinenser nicht durch Bildung dazu gebracht werden, den Extremismus aufzugeben, welcher ihre nationalen wie religiösen Ambitionen durchdringt, ist nicht zu erwarten, dass sie vollwertige Partner beim Aufbau einer lebendigen palästinensischen Ökonomie sein können.
 
·          Der Hauptkonflikt des Nahen Ostens ist nicht territorial sondern ideologisch. Es geht dabei nicht um Grenzen, sondern um den islamischen Dschihadismus und westliches Freiheitsverständnis. Keine Ideologie, schon gar nicht radikaler Islam, kann durch Konzessionen besiegt werden, durch welche Dschihadisten nur ermutigt, beflügelt und inspiriert werden.
 
·          Von Oslo bis Annapolis haben wir eine Von-Oben-Strategie verfolgt. Wir haben uns bemüht, einen politischen Horizont oder eine finale Vereinbarung mit der palästinensischen Führung zu erreichen, und gehofft, politische Reformen würden bei den Palästinensern folgen. Ich schlage vor, dass dieser Ansatz nun durch eine Von-Unten-Strategie ersetzt wird: Die palästinensische Autonomiebehörde muss zuerst beweisen, dass sie des Regierens willens und fähig ist.
 
 
Die gegenwärtigen Bemühungen, eine finale Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes zu erzielen, beruhen auf einer Reihe von massiven Fehleinschätzungen. Diese haben wiederum zu einem falschen Paradigma sowie einer offensichtlich gescheiterten Strategie bei der Suche nach Frieden und Sicherheit geführt, und verhindern ein Vorankommen.
 
Der israelisch-palästinensische Konflikt als nur einer von vielen in Nahost
 
Der landläufigen Meinung zufolge müsse man nur den Nahostkonflikt lösen und alle andere Problem würden sich dann von alleine klären. Seit dem Annapolis-Gipfel im November 2007 wurde diese Ansicht auch von der gegenwärtigen US-Regierung als Politik übernommen.
 
Ich habe ein großes persönliches Interesse daran, diesen Konflikt gelöst zu sehen – für die Israelis und Palästinenser wie für alle Menschen in der ganzen Region. Nichtsdestotrotz bin ich mir aber darüber im Klaren, dass er nicht das Epizentrum der Probleme der Region ist. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist nur eine von zahlreichen Sorgen, welche den Nahen Osten plagen, und keineswegs die dominierende.
 
Die wesentlichsten Verwerfungslinien im heutigen Nahen Osten finden sich eher in nicht-lokalisierten Konflikten: der pan-nationale islamische Dschihadismus gegen den Westen, die Spaltung von Schiiten und Sunniten sowie das persisch-arabische Ringen um Macht und Einfluss. Innerhalb der muslimischen Gesellschaft der gesamten Region findet man einen Kampf zwischen Nationalisten und Dschihadisten. Viele, wenn nicht sogar die meisten muslimischen Nationen im Nahen Ostensind intern zerrissen zwischen jenen Kräften, welche an das Glücksversprechen in dieser Welt glauben und jenen, welche stattdessen Märtyrertum (istish‘had) und das Töten von „Ungläubigen“ für ein Glück in der „nächsten Welt“ glauben.
 
Es findet sich also eine ganze Reihe von Konflikten im Nahen Osten über den israelisch-palästinensischen hinaus. Keiner von jenen ging daraus hervor und keiner ist davon abhängig. Zugegebenermaßen wurde er aber von jenen dafür genutzt, um die Leidenschaft auf anderen Schauplätzen anzuheizen, oft auch zynisch und mit Blick auf eine Beeinflussung westlicher Einschätzungen. Es ist daher wesentlich für uns, dass wir uns aus existentiellen Gründen einen klaren Blick bewahren angesichts von Falschinformationen und vergeblichen Optimismus.
 
Unerbittliche Ablehnung Israels unter Palästinensern
 
Ein weiterer Mythos ist die Behauptung, dass es im israelisch-palästinensischen Konflikt um die „Besatzung“ ginge. Dieser Begriff wird für die Gebiete verwendet, welche Israel im Sechstagekrieg von 1967 erobert hat. Unter Palästinensern aller Bereiche und Fraktionen (Fatah, Hamas, PIJ, PFLP, DFLP etc.) finden sich jedoch jene, welche den Begriff „Besatzung“ als Euphemismus für Israel („vom Mittelmeer bis zum Jordan“) verwenden. Diese Ansicht findet sich sogar unter israelischen Arabern. Israelis werden als ausländische Kolonialisten verstanden und die ganze Fläche Israels mit seinen Städten, Dörfern und Kibbutz-Farmen als „besetztes Gebiet“ begriffen.
 
Die Palästinenser haben eine Haltung von unerbittlicher Feindschaft gegen die fundamentalsten und unveräußerlichen Rechte Israels bewahrt. Die PLO z.B. existierte und terrorisierte Israel, bevor 1967 das Westjordanland und Gaza von Israel besetzt wurden. Der Daseinsgrund der PLO aus jener Zeit ist nicht durch Zauberhand verschwunden. Sowohl Fatah als auch Hamas haben nach wie vor Chartas, welche Israels Recht, als unabhängiger jüdischer Staat zu existieren, verneinen. Wir finden diese Ablehnung Israel als integralen Bestandteil des palästinensischen Ethos, wie er in den Gründungsdokumenten und dem Handeln der größten und wichtigsten Palästinenserfraktionen zum Ausdruck kommt.
 
Diese intransigente Haltung, welche sich nicht lediglich auf eine „offizielle Position“ oder Pose reduzieren lässt, findet sich in der Rhetorik der nationalen Führung der Palästinenser (einschließlich bei Abbas), in ihren Lehrplänen und in palästinensischen Medien. Während der Vorbereitung zur Annapolis-Konferenz zeigte sich diese Verweigerungshaltung darin, dass die Palästinenser es ablehnten, ihren Glauben an „zwei Staaten für zwei Völker“ zu erklären, und stattdessen immer nur von „zwei Staaten“ sprechen wollten, um die Anerkennung eines Rechts des jüdischen Volkes auf einen eigenen Staat zu vermeiden. Diese Wortklauberei ist nur die Spitze des Eisberges.
 
Würde es sich bei der Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes allein um die Frage eines territorialen Kompromisses in dem einstigen palästinensischen Mandatsgebiet handeln, wäre sie zweifelsohne schon vor langer Zeit gelöst worden. Stattdessen hat die palästinensische Führung seit Beginn der zionistischen Bewegung bis heute alle Teilungsvorschläge abgelehnt und mit Gewalt gegen alle politischen Initiativen auf dieser Grundlage reagiert. So geschah es 1937 in Antwort auf die Vorschläge der Peel-Kommission, 1947 beim UN-Teilungsplan sowie im Jahr 2000 als die Palästinenser die Vorschläge des damaligen israelischen Premiers Barak in Camp David zurückwiesen.
 
Die Versuche Israels, Frieden durch territoriale Konzessionen zu erhalten, wurden wiederholt mit Gewalt beantwortet. Der Kern des israelisch-palästinensischen Konfliktes ist nicht die „Besatzung“, wie sie im westlichen Diskurs verstanden wird. Es ist die „Besatzung“ im palästinensischen Sinn. Daher die unablässige Weigerung der Palästinenserführer, Israels Recht, als unabhängiger jüdischer Staat zu existieren, anzuerkennen. Professor Bernard Lewis brachte es im Wall Street Journal am 28. November 2007, einen Tag vor der Annapolis Konferenz, kurz und bündig auf den Punkt: „Worum geht es in diesem Konflikt? Grundsätzlich finden sich da zwei Möglichkeiten: entweder geht es um die Größe Israels oder um seine Existenz … Geht es aber um die Existenz Israels, dann ist dies nicht durch Verhandlungen zu lösen. Es gibt keinen Kompromiss zwischen Existenz und Nichtexistenz, denn keine denkbare Regierung Israels würde darüber verhandeln, ob das Land existieren sollte oder nicht.“
 
 
Besteht ein palästinensischer Wunsch nach einem eigenen Staat?
Es wird oft behauptet, dass die Palästinenser sowohl fähig sind, einen Staat zu errichten, der im Frieden mit Israel lebt als auch, dass sie einen solchen wünschen. Diejenigen, die daran glauben, müssen allerdings erklären, wieso die palästinensische Führung seit dem Inkrafttreten des Osloer Abkommens im Mai 1994 bis zum heutigen Tage es nicht geschafft hat, auch nur die ersten Schritte in Richtung Staatlichkeit zu bewältigen – und dies trotz überwältigender und präzedenzloser internationaler Unterstützung.
 
Die Fakten sprechen eher dafür, dass die palästinensische Führung von anderem motiviert wurde, als von dem Wunsch, einen blühenden Staat zu schaffen. Obwohl die palästinensische Nationalbewegung in der jüngeren Geschichte innerhalb der internationalen Gemeinschaft als wichtige Frage hervorsticht, und trotz der massiven politischen wie ökonomischen Hilfe haben es die Palästinenser nicht geschafft, stabile, effiziente und verantwortliche politische Institutionen zu schaffen. Sogar das wenige an Zivilgesellschaft, das vorhanden war, wurde zerstört. Ich glaube nicht, dass dieses Scheitern unvermeidlich war, eher, dass dies Yassir Arafats bewusster Entscheidung geschuldet ist, eine Gesellschaft basierend auf „Gang-Logik“ zu schaffen.
 
Arafat und seine Genossen brachen dreist jedes Abkommen, das sie mit Israel unterzeichnet hatten. Indem er das Prinzip „eine Autorität, ein Gesetz, eine Waffe“ vermied, gelang es ihm mit Geschick die Verantwortung für das Geschehen abzustreifen. Er nutzte die Hamas, den Palästinensischen Islamischen Dschihad und andere Terrororganisationen als Handlanger, obwohl er die Macht und Legitimität hatte, sie zu konfrontieren und zu entwaffnen. Während diese Handlanger Israel bekämpften, konnte Arafat distanziert bleiben und damit unschuldig erscheinen. Um seine Einfluss in dem selbstgeschaffenen Chaos aufrechtzuerhalten, schuf er seine eigenen direkten Terrorgruppen: Fatah Tanzim oder die al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden, wie sich nach dem September 2000 herausstellte. Arafats Stellvertreterkrieg bedurfte der permanenten Instabilität palästinensischer Institutionen. Dies verlangtedie  besagte „Gang-Logik“, die wir nun anhand der innerpalästinensischen Gewalt beobachten können.           
 
Arafat wurde in der Zwischenzeit von Mahmoud Abbas ersetzt, doch die Palästinenserführung setzt weiterhin darauf, mittels einer modifizierten Version von Arafats Strategie ihrer Verantwortung nicht nachzukommen. Die aktuelle Parole heißt „Schwäche.“ Dieses Bild politischer Impotenz ist zum kostbaren Aktivposten der palästinensischen Strategie geworden. Westliche Politiker und auch viele Israelis sehen in Abbas die einzige Alternative zur weitaus extremeren Hamas. Deswegen glauben sie, dass er wirtschaftlich gestärkt und mit zusätzlichen Waffen und Munition ausgestattet werden sollte. Dieser Ansatz hat sich bis jetzt nicht ausgezahlt und wird es auch zukünftig nicht tun, den das Problem liegt nicht bei den tatsächlichen Möglichkeiten von Abbas, sondern bei seinem Unwillen und dem Mangel an Entschlossenheit, einen lebensfähigen und verantwortungsbewussten Staat zu schaffen.
 
Mahmoud Abbas ist nicht schwach. Er besaß bei seiner Wahl am 9. Januar 2005 mehr als genügend Macht, um Reformen einzuleiten. Stattdessen hat er den Versuch vermieden, die Palästinenser effektiv zu regieren oder eine politische Kultur der „Staatslogik“ zu schaffen. Er wählte „Schwäche“ als seine Methode, um die vielen Köpfe der von Arafat geerbten Autonomiebehörde zu bewahren und teilweise zu kontrollieren. Wenig unterscheidet diese „Strategie der Schwäche“ von Arafats „Gang-Logik“ – beide dienten der Vermeidung der einschüchternden Aufgabe eines palästinensischen „Nation-Building“, und gestatteten die Fortsetzung eines blutigen Kampfes gegen Israel.
 
Kein ökonomischer Ausweg aus dem Konflikt
 
Eine dritte Fehlinterpretation in der westlichen Wahrnehmung des israelisch-palästinensischen Konfliktes bezieht sich auf die Wirtschaft. In diesem Zusammenhang wird geglaubt, es gäbe einen wirtschaftlichen Ausweg aus dem Konflikt. Die Anhänger dieser These glauben ebenso wie die Architekten von Oslo, dass eine blühende palästinensische Wirtschaft extremen Nationalismus und religiösen Fanatismus neutralisieren und zu Frieden und Sicherheit für Israel führen würde. Obwohl das Bemühen um eine Verbesserung der palästinensischen Wirtschaft Teil jeder Friedensstrategie sein sollte, denke ich nicht, dass die Palästinenser dazu gezwungen werden können, eine wachsende Wirtschaft und Früchte des Wohlstands zu genießen, wenn ihre eigenen Prioritäten ganz woanders liegen.
 
Obwohl die PA nicht weniger als 7 Mrd. Dollar über die letzten Jahre erhielt, haben es weder Arafat noch Abbas geschafft, die grundlegenden Lebensbedingungen der Palästinenser auf irgendeine signifikante Weise zu beeinflussen. Die wirtschaftliche Situation der Palästinenser begann sich im Gegenteil zu verschlechtern, als Arafat 1994 die Macht erlangte, ein Prozess, der sich in der von ihm etablierten Vetternwirtschaft bis heute fortsetzt. Beispiele verschwendeter wirtschaftlicher Möglichkeiten lassen sich auf allen Ebenen zur Genüge finden. Die palästinensischen Terrorgruppen haben die ökonomischen Ressourcen direkt zerstört. Sie sorgten für die Schließung des Industriegebietes Erez, in welchem 4 500 Palästinenser Arbeit fanden und die Möglichkeit, ihre Familien zu ernähren. Nachdem israelischen Rückzug aus Gaza zerstörten die Palästinenser mutwillig die von den Evakuierten zurückgelassenen Gewächshäuser, welche der ehemalige Weltbankpräsident James Wolfenson und andere für sie gekauft hatten.
 
Es besteht kein Zweifel, dass die palästinensische Wirtschaft Hilfe bitter nötig hat. Der ehemalige britische Premier Tony Blair und andere haben für vermehrte ausländische Hilfe für die Palästinenser geworben. Diese Strategie ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie nicht an Reformen ihrer Zivilgesellschaft geknüpft ist. Solange die Palästinenser nicht durch Bildung dazu gebracht werden, den Extremismus aufzugeben, welcher ihre nationalen wie religiösen Ambitionen durchdringt, ist nicht zu erwarten, dass sie bei der Schaffung ihres eigenen Wohlstands kooperieren. Denn sie vermögen nichts davon zu leisten, wenn nicht zuerst Rechtsstaatlichkeit, Ordnung und Sicherheit in den von ihnen kontrollierten Territorien umgesetzt sind. Solange die palästinensische Führung jegliche Verantwortlichkeit zurückweist, sei es unter dem Mantel der „Schwäche“ oder einem anderen, wird  kein Recht umgesetzt werden können. Und Verantwortung wird solange nicht übernommen werden, solange die Palästinenser sich weiterhin dem Traum hingeben, dass Israel als jüdischer Staat verschwindet.
 
Angesichts der historischen Erfahrungen müssen fundamentale Fragen gestellt werden. Können wir darauf vertrauen, dass sich ein künftiges palästinensisches Gebilde im Westjordanland nicht in ein weiteres Hamastan verwandelt, so wie es in Gaza geschehen ist? Wäre eine derartige Einheit, selbst in den Grenzen von 1967, überhaupt lebensfähig? Wären die Palästinenser mit den Grenzen einer derart endgültigen Lösung zufrieden? Würde eine solche Lösung Stabilität, Frieden und Ruhe für die Region bringen? Und sind diese Grenzen für den Staat Israel verteidigungsfähig?
 
Ein palästinensischer Staat in den Grenzen von 1967 wäre eine Bedrohung für Israel wie Jordanien
 
Ich glaube, dass angesichts des Verhaltens der palästinensischen Führung seit ihrer Gründung, und ganz besonders seit Oslo die Antwort ein eindeutiges „Nein“ wäre. Unter den gegenwärtigen Umständen würde ein palästinensisches Gebilde in den Grenzen von 1967 eine existentielle Bedrohung Israels darstellen und die Stabilität der Region, westliche Interessen und auch Jordanien gefährden.
 
Das Paradigma eine „Zwei-Staaten-Lösung“ in den Grenzen des ehemaligen palästinensischen Mandatsgebietes wäre angesichts des gegenwärtigen Status Quo sowohl irrelevant als auch gefährlich. Es ist irrelevant, weil es gegenwärtig keinen palästinensischen Partner gibt, der es als finales Abkommen akzeptieren würde. Es ist gefährlich, weil es Illusionen nährt, welche die israelische Entschlossenheit untergraben und Israels Feinde ermutigen. Eine „Zwei-Staaten-Lösung“ bedroht daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Sicherheit und Stabilität der Region.
 
Das Paradigma der „Zwei-Staaten-Lösung“ basiert auf territorialen Zugeständnissen Israels und ruht auf der gleichen Idee, welche auch bereits bei dem „Land für Frieden“ Prinzip ursächlich war, welches die israelische Politik seit 1967 bestimmt hat und welche damals bei dem Frieden mit Ägypten 1979 durchaus Erfolge verzeichnete. Damals besaß dieses Prinzip die Unterstützung der deutlichen Mehrheit der Israelis. Eine knappe Mehrheit der Israelis unterstützte auch noch einseitige Abzüge aus dem Libanon und Gaza 2000 bzw. 2005. Diese Israelis wie auch viele Menschen im Westen glaubten, dass Frieden und Ruhe erreicht werden könnten, wenn man das Gerede von der „Besatzung“ bei Hamas und Hisbollah als tatsächlich territoriales Problem angehe. Wir kennen heute das Resultat. Sowohl bei Hisbollah als auch bei den Palästinensern kam die Reaktion in Form von angestrengten Terrorkriegen, Raketen gegen israelische Städte und Entführung von Soldaten. Es könnte keinen besseren Beweis gäben, dass der zentrale Konflikt im Nahen Osten nicht territorial, sondern ideologisch ist: es geht nicht um Grenzen, sondern um den Konflikt zwischen islamischem Dschihadismus und westlichem Freiheitsdenken.
 
Keine Ideologie, schon gar nicht radikaler Islam, kann durch Konzessionen besiegt werden, durch welche Dschihadisten nur ermutigt, beflügelt und inspiriert werden. Jene, welche Frieden wünschen, müssen sich dieser Tatsache stellen, sie verarbeiten und realisieren, dass territoriale Konzessionen im Kampf gegen den militanten Islam nur konterproduktiv waren. Wie Bernard Lewis feststellte, geht es bei diesem Konflikt nicht um die Größe Israels, sondern um seine bloße Existenz
 
Das falsche Paradigma sowie falsche Konzeptionen von Dschihadismus wie auch dem Nahen Osten verhindern die Entwicklung einer neuen Strategie. Während Meinungsmacher und die Öffentlichkeit fortgesetzt die „Lösung“ debattieren, übersehen sie das eigentliche Problem, denn dieses ist der islamische Dschihadismus und die intransigente Ablehnung Israels grundsätzlicher Rechte durch die Palästinenser. Wer dies begreift, realisiert auch, dass nicht eine Lösung aufgrund gescheiterter Paradigmen und Wunschdenken benötigt wird, sondern eine Langzeitstrategie basierend auf realistischen Annahmen auf Grundlage von Erfahrungen.
 
Erstens: Ein Wandel der politischen Kultur der Palästinenser
 
Lassen Sie mich kurz eine neue Strategie für den Umgang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt skizzieren. Von Oslo bis Annapolis haben wir eine Von-Oben-Strategie verfolgt. Wir haben uns bemüht, einen politischen Horizont oder eine finale Vereinbarung mit der palästinensischen Führung zu erreichen und gehofft, politische Reformen würden bei den Palästinensern folgen. Diese Herangehensweise basierte auf den bereits dargelegten falschen Paradigmen und scheiterte. Ich schlage vor, dass dieser Ansatz nun durch eine Von-Unten-Strategie ersetzt wird: Die palästinensische Autonomiebehörde muss zuerst beweisen, dass sie des Regierens willens und fähig ist. Wirkliche Fortschritte in Stabilität und Sicherheit auf dem Weg zum Frieden können dann durch politische Vereinbarungen konsolidiert werden. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass politische Vereinbarungen, welche einem wirklichen Wandel in der politischen Kultur der Palästinenser vorausgingen sich als nutzlos oder schlimmer herausgestellt haben.
 
Dieser Wandlungsprozess in der palästinensischen Gesellschaft kann und sollte von Israel und dem Westen unterstützt werden, doch der Großteil der Last muss von der palästinensischen Führung getragen werden, endlich die Verantwortung einer ordentlichen Regierung zu übernehmen. Dieser Wandel muss in den Gebieten beginnen, welche ihrer direkten Verantwortung unterstehen, also die A- und B-Territorien des Westjordanlandes und muss Bildungs-, Rechts-, Sicherheits-, Wirtschafts- und politische Reformen umfassen. Diese Reformen sollten parallel verlaufen mit deutlichen Benchmarks in allen Bereichen.
 
Dieser vorgeschlagene Reformprozess wäre in keiner Sache abhängig von einem endgültigen Abkommen. Die Umsetzung von Recht und Ordnung in palästinensischen Städten ist z.B. davon genauso wenig abhängig wie irgendeine andere Verhandlungsfrage. Das gleiche gilt für alle vorgeschlagenen Reformen.
 
Während der Umsetzung von Recht und Ordnung im Westjordanland muss die IDF weiterhin in dem Gebiet operieren dürfen, um Angriffe gegen israelische Bürger zu verhindern und einen Machtzuwachs der Hamas wie im Gaza-Streifen zu verhindern. Gaza wird solange zum feindlichen Gebiet erklärt, solange die Hamas-Ideologie dort triumphiert und solange es als Ausgangsbasis für Terrorangriffe gegen Israel dient. Doch schließlich kann nur eine Entscheidung der palästinensischen Führung Recht und Ordnung auf den palästinensischen Straßen umsetzen und diese Entscheidung liegt allein bei ihr.
 
Schlüssel für alle anderen Reformen ist die Bildungsreform. Während der Umsetzung des Osloer Abkommens waren wir gezwungen, mit einem palästinensischen Bildungssystem konfrontiert zu werden, welches darauf ausgerichtet war, Hass auf Israel zu schüren. Es versuchte auf vielfältige Art und Weise, das israelische Existenzrecht als jüdischer Staat zu untergraben und scheute keinen Mühen um jegliche Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und dem Land Israel zu leugnen, offen die Vernichtung Israels zu fordern und Terrorismus und Dschihadismus zu propagieren. Während die palästinensische Führung mit Israel verhandelte, erzog es seine Jugend zum Zerstörungskrieg. Dies muss sich ändern bevor es irgendeine Chance geben kann, dass die Palästinenser ein endgültiges Abkommen mit Israel erreichen.
 
Eine ganze Generation von Palästinensern wurde bereits nach diesem Lehrplan gebildet. Ein Wandel wird sich nicht schnell einstellen, doch es sollte klar sein, dass die Einforderung einer Bildungsreform der einzige Weg ist, den Konflikt zu lösen, bei dem Israel ein jüdischer Staat bleiben kann und Dschihadismus nicht nebenbei gestärkt wird.
 
Gleichzeitig gibt es keine Grund, dass Ende dieses Prozesses abzuwarten, bevor die Flüchtlingsfrage angegangen werden kann, wie bisweilen argumentiert wird. Die Flüchtlingsfrage sollte sogar so schnell es geht und parallel zur Bildungsreform in der PA geklärt werden. Ihre humanitäre Lösung kann dazu dienen, sie als Waffe gegen Israel zu neutralisieren. Wenn eine Bildungsreform in PA ein neues Denken und neue Paradigmen hervorbringt, ist als Konsequenz ein für beide Seiten befriedigendes regionales Abkommen sehr wahrscheinlich.
 
Mahmoud Abbas investiert heute seine ganzen Energien auf Dinge am politischen Horizont anstatt gewisse Anforderungen für Reformen zu erreichen. Dies oder die Suche nach finanzieller Unterstützung sind nur ein weiterer Weg, um sich der tatsächlichen Notwendigkeit, Reformen einzuleiten, zu entziehen. Anstatt sich mit Recht und Ordnung in Jenin auseinanderzusetzen spricht er über Jerusalem und Grenzfragen. Dabei sollte zuerst gesehen werden, ob die Palästinenser in der Lage sind, die Autonomie zu beherrschen, die sie jetzt haben, um ihre zivilen Angelegenheiten zu erledigen und sich selbst zu regieren. Dies sollte die Hauptaufgabe des ehemaligen Premier Tony Blair sein.
 
Iran ist die destabilisierendste Kraft im Nahen Osten
 
Der israelisch-palästinensische Konflikt ist nicht der Kern der heutigen Instabilität im Nahen Osten. Die heute destabilisierendste Kraft im Nahen Osten ist das iranische Regime. Seit der Islamischen Revolution 1979 hat der Iran die Ideologie exportiert, welche sich hinter dem Erstarken des islamischen Dschihadismus verbirgt, und bleibt Basis und Gravitationszentrum des weltweiten Dschihadismus. Wir können es uns nicht leisten, dieses Regime nicht zu konfrontieren. Solange es herrscht, wird es keine Stabilität im Irak, im Libanon, der palästinensischen Autonomiebehörde oder irgendeiner anderen Nation im Nahen Osten geben.
 
Man gestattet es der iranischen Führung, sich heute sicher zu fühlen, trotz ihrer Verpflichtung zum globalen Dschihadismus. Sie bietet ein massives Aufgebot an menschlichen, finanziellen und militärischen Ressourcen, um gemäßigte Regime vom Persischen Golf bis zum Mittelmeer zu untergraben. Gegenwärtig fühlt es sich triumphieren mit dem Machtgewinn der Hisbollah in Libanon und der verstärkten Griff der Hamas in Gaza. Die im Juni 2008 durch Ägypten vermittelte Feuerpause zwischen Israel und der Hamas ist ein weiterer Erfolg der Dschihadisten. Gleichzeitig treibt der Iran sein Atomprogramm voran, dabei Vereinbarungen und Abmachungen mit internationalen Institutionen brechend. Für all seine feindseligen Aktivitäten hat das iranische Regime bislang noch keinen wesentlichen Preis bezahlen müssen.
 
Doch die Regierung der Ayatollahs ist weder eine natürliche noch eine auf weiter Unterstützung basierend. Sie wird nicht für ewig herrschen. Ich referierte 2006 am Hudson Institute über die militärischen Fähigkeiten, die es brauche, um den Iran zu konfrontieren. Nahezu alle westlichen Luftwaffen verfügen über das Potential, eine Mission gegen iranische Atomanlagen umzusetzen.
 
Ich glaube, dass das iranische Atomprojekt gestoppt werden kann. Ich glaube auch, dass wir am Ende einen internen Wechsel im Iran sehen werden, aufgrund der inneren wirtschaftlichen Lage. Trotz der hohen Ölpreise sind sie wirtschaftlich angeschlagen.
 
Wirtschaftliche Sanktionen sind das beste Mittel, um jene 70 Prozent der iranischen Bevölkerung zu ermutigen, welche das Ayatollah-Regime ablehnen. Ich glaube daran, dass das Atomprogramm dadurch gestoppt werden kann, dass man das Regime vor das Dilemma der Entscheidung stellt, ob es tatsächlich damit vorangeht oder nicht. Bislang fühlt es dies nicht als Dilemma. Es sieht sich auf der Siegesspur und glaubt, sich aufgrund westlicher Schwäche und dem westlichen Mangel an Entschlossenheit alles erlauben zu können. Tatsächlich verschärfen jene, welche aus eigenen wirtschaftlichen Interessen versuchen, Wirtschaftssanktionen gegen den Iran zu vermeiden, das Risiko einer militärischen Konfrontation mit dem Land.
 
Wäre das iranische Regime mit westlicher Entschlossenheit und einem Dilemma konfrontiert, dass sein Überleben bedrohen würde, dann würde es sein Überleben einem Atomprogramm vorziehen. Aus diesen Gründen hatte die Ayatollahs es 2003 zeitweise angehalten.
 
Die Wirkung der westlichen Offensive
 
2002, 2003 und 2004 verfügte der Westen unter Führung der Vereinigten Staaten über die Oberhand. Muammar al-Gaddafi, die Ayatollahs und Syrien hielten sich zurück, Provokationen der Hisbollah im Libanon nahmen von 2003 bis Mai 2005 stetig ab.
 
Das lag nicht nur an der amerikanischen Offensive, sondern auch an der israelischen. Als Israel sich entschloss, im März 2002 mit der Operation Defensive Shield von der Defensive in die Offensive zu gehen, war die Wirkung einer westlichen Offensive mit der amerikanischen gegen den Dschihadismus und der israelischen gegen den palästinensischen Terrorismus zu spüren. In 2005 jedoch spürten die Dschihadisten, dass die Amerikaner ihre Ausdauer verloren, die amerikanischen Truppen im Irak feststeckten und dass sich diese Offensive nicht weiter ausdehnen würde.
 
Im Falle Israels sahen sie den Abzug als Schwäche. Auch Israel ging von der Offensive in den Rückzug über und die Wirkung der westlichen Offensive endete 2005. Das Resultat sahen wir an Israels Nordgrenze 2006. Die gleiche Hisbollah, welche sich von 2002 bis 2005 zurückgehalten hatte, änderte ihre Haltung. Es liegt an uns, dass, indem wir erneut von der Defensive in die Offensive gehen, wir die Haltung der Dschihadisten ändern. Doch dazu muss der Westen Entschlossenheit und nicht Schwäche zeigen.
 
Umgang mit Gaza
 
Ich persönlich war gegen die Feuerpause mit der Hamas in Gaza und glaube, wir sollten einen anderen Umgang mit ihnen suchen. Damals, unmittelbar nach dem Abzug aus Gaza, hätten wir unsere militärischen Operationen verstärken sollen, als täglich Raketen auf uns abgeschossen wurden – etwas, das es vor dem Abzug nicht gab.
 
2008 startete Israel nur eine Operation (Heißer Winter) mit einer Brigade in Gaza, bei der 130 Palästinenser starben und Hamas ihre Kassam-Beschüsse daraufhin unmittelbar einstellte, ohne etwas zu verhandeln. Genauso hätte man mit allen palästinensischen Fraktionen handeln müssen: die Militäroperationen verstärken und sie vor die Wahl stellen, ob es sich lohne, weiter Raketen auf Israel zu schießen, oder nicht.
 
Ich fordere nicht, dass man Gaza erneut besetzen solle und es ist auch nicht meine Angelegenheit, wer Gaza regiert. Ich glaube aber daran, dass die Krise beherrschbar ist, wenn auch nicht lösbar. Wir werden sie nicht lösen und daher bevorzuge ich intensive, mittelgroße Operationen und gezielte Tötungen von Terroristenführern statt einer Neubesetzung und ich glaube, dass sie damit schließlich eine Feuerpause ohne Bedingungen wünschen werden, so wie 2003-2004.
 
Die Herausforderung des Westens
 
Iran, Syrien wie auch ihre Handlanger müssen von der internationalen Gemeinschaft für die Unterstützung von Terror und die Infragestellung der internationalen Ordnung zur Rechenschaft gezogen werden. Man hat ihnen gestattet, den internationalen Terrorismus zu züchten, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln und den zweiten Libanonkrieg zu beginnen. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne den offensichtlichen Mangel an Klarheit und Entschlossenheit, der ihnen im Vorfeld von der internationalen Gemeinschaft signalisiert wurde.
 
Angesichts des fortgesetzten Konfliktes zwischen Sunniten und Schiiten in der ganzen Region, können und müssen Israel und der Westen gemeinsame Interessen mit moderaten Moslems finden. Um neue politische Gelegenheiten zu schaffen, bedarf es der Entwicklung einer gemeinsamen internationalen Politik einer Allianz mit anderen Nationen, welche sich der iranischen Gefahr ebenfalls bewusst sind.
 
Die Konfrontation zwischen moderaten Moslems und Extremisten findet weltweit grenzübergreifend statt und bedroht Gesellschaften von innen. Es gibt keine Gesellschaft, die vollständig aus Dschihadisten besteht. Es gibt immer jene, welche Demokratie und Menschenrechte der Tyrannei vorziehen, Freiheit der Unterdrückung, das Leben dem Tod. Mehr und mehr Menschen in der ganzen Region erkennen, dass die Kultur des Dschihad eine Kultur des Todes und der Selbstzerstörung ist. Der Westen muss genau mit jenen Kräften direkt arbeiten und sie stärken, um den nötigen politischen Einfluss zu gewinnen für Reformen im Bildungssystem, in der Politik und der Wirtschaft.
 
Es ist wahr, dass dieser Prozess sehr wahrscheinlich ein sehr langwieriger sein wird. Es ist eine Herausforderung für die westlichen Regierungen, ihren Wählern zu erklären, dass es keine Sofortlösungen geben wird und ihnen die nötige Geduld beizubringen. Westliche Führungen können keine schnellen Lösungen versprechen und sollten auch nicht der Versuchung nachgeben, dies zu tun. Alles was sie tun können, ist, eine funktionierende Strategie zu entwickeln.
 
Der Kampf gegen den islamischen Dschihadismus ist in vielerlei Hinsicht ein Kampf des Willens. Da unsere Werte und Lebensstile von islamischen Dschihadisten herausgefordert werden, sowie unsere Legitimität als jüdischer Staat durch arabische Nationalisten, müssen wir hier in Israel den Glauben an unseren Weg und seine Rechtmäßigkeit festigen.
 
Eine „Lösung“, sollte sie kommen, wird nur zur Hälfte von uns bestimmt werden. Das Streben nach Stabilität im Nahen Osten bedarf der moralischen Klarheit, der Vision und einer langfristigen Strategie auf Grundlage realistischer Einschätzungen. Schließlich wird dieser lange Weg der kürzeste sein und, wie ich glaube, der richtige, welcher für alle Menschen im Nahen Osten und in der ganzen freien Welt zu einer besseren Zukunft führt.
 
Gen.Lt. a.D. Moshe Ya‘alon ist ehemaliger Generalstabschef israelischen Streitkräfte (IDF) und Distinguished Fellow des Adelson Institute for Strategic Studies des Shalem Center. Dieser Text basiert auf einem Vortrag vom 24. Juni 2008, gehalten im Institute for Contemporary Affairs (ICA) des Jerusalem Center for Public Affairs in Jerusalem.