Die israelische Präsenz in den Territorien – immer noch Besatzung?

· Wenn nationale Streitkräfte ein Territorium jenseits der eigenen Landesgrenzen kontrollieren denkt man schnell an „Besatzung“. Doch nicht bei allen Situationen, die wir für „Besatzung“ halten, handelt es sich tatsächlich um eine solche im engen Rahmen des Begriffs, wie ihn das Völkerrecht definiert. Nicht jede als „Besatzung“ bezeichnete Situation fällt unter das Regime des Völkerrechts, das Besatzung regelt und den Besatzungskräften Verpflichtungen auferlegt.

· Der Begriff „Besatzung“ wird häufig aus politischen Erwägungen angewendet, ohne Rücksicht auf seine allgemeine oder rechtliche Bedeutung. Mit seinem Gebrauch in der politischen Rhetorik werden komplexe Situationen mit widerstreitenden Rechtsansprüchen auf vordefinierte Kategorien von Richtig und Falsch reduziert. Im Kontext des israelisch-palästinensischen Konfliktes wird der Begriff verwendet, um eine ultimative Verantwortung Israels für die Wohlfahrt der Palästinenser zu behaupten, während gleichzeitig Israels Recht auf Selbstverteidigung gegen palästinensischen Terrorismus beschnitten und die palästinensische Seite von der Verantwortung für ihr eigenes Handeln und seine Konsequenzen befreit wird. Zugleich wird der Begriff verwendet, um die Legitimität Israels grundsätzlich in Frage zu stellen – innerhalb eines geopolitischen Narrativs, das wenig mit der Frage zu tun hat, ob es sich bei Israel um eine Besatzungsmacht im Rahmen des Völkerrechts handelt.

· Von Frühjahr 2003 bis zum 28. Juni 2004 war der Irak von den Koalitionstruppen besetzt. Danach wurde die Autorität der irakischen Übergangsregierung übertragen. Zu diesem Zeitpunkt verblieben die Koalitionstruppen im Irak, doch der Irak galt nicht länger als besetzt. Wenn die Übertragung der Autorität an eine von der Koalition eingesetzte Übergangsregierung die Besatzung des Irak beendete, müsste dies nicht ebenso für Israel und die Errichtung der Palästinensischen Autonomiebehörde gelten?

· Nach dem Israelisch-Palästinensischen Interimsabkommen, das am 28. September 1995 zwischen Israel und der PLO geschlossen wurde, sollte man annehmen, das zumindest jene Gebiete, die sich unter der effektiven Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde befinden, nicht mehr länger als „von Israel besetzt“ betrachtet werden würden. Auch weil die fortgesetzte Präsenz israelischer Truppen in dem Gebiet von dem Abkommen geregelt wird, sollte diese Präsenz nicht länger als Besatzung betrachtet werden.

· Der Abzug allen israelischen Militärs und aller israelischen Zivilisten aus dem Gazastreifen und der darauffolgende Sturz der Palästinenserbehörde und die Machtübernahme Gazas durch die Hamas-Regierung sollte in jedem Fall ein deutliches Ende israelischer Besatzung in Gaza markieren. Doch obwohl Gaza sich nicht länger unter der Herrschaft einer feindlichen Armee befindet und obwohl es keine effektive Kontrolle durch eine Besatzungsmacht gibt, die staatliche Dienste von ihr verlangt, wird immer noch behauptet, dass Israel die Besatzungsmacht in Gaza wäre.