Nach den Wahlen im Libanon: Syrien und die Hisbollah

Nach den Wahlen im Libanon: Syrien und die Hisbollah
 
David Schenker
 
 
·          Die Hisbollah konnte sich einer beneidenswerten Reihe politischer und militärischer „Erfolge“ erfreuen, unter ihnen der „göttliche Sieg“ über Israel von 2006, der „glorreiche Tag“ vom Mai 2008, als sie Beirut besetzte, und die diplomatische Anerkennung durch Großbritannien im April 2009.
 
·          In jüngster Zeit wurde der libanesischen Schiitenmiliz jedoch eine Serie von Rückschlägen zuteil, so die Niederlage in den libanesischen Wahlen, die Verhaftung einer ägyptischen Hisbollah-Zelle, Berichte über die Verwicklung der Gruppe in der Ermordung des ehemaligen libanesischen Premiers Rafiq Hariri 2009, die Ergreifung einer Hisbollah-Zelle, die einen Bombenanschlag gegen die israelische Botschaft in Aserbaidschan plante, sowie die Proteste nach den Wahlen im Iran, durch welche die Legitimität der wichtigsten Schutzmacht der Hisbollah irreparable Schäden nahm.
 
·          Der designierte libanesische Premier Saad Hariri scheint eine Kabinettlösung anzustreben, die seiner Mehrheitskoalition 15 Sitze sichert, der Opposition 10 und dem angeblich neutralen Präsidenten 5. Doch wenn nur eines der Kabinettsmitglieder mit der Hisbollah sympathisiert, gelangt die Schiitenmiliz in den Besitz der begehrten Vetomacht, mit der der hart erkämpfte Sieg des „14. März“-Bündnisses de facto zunichte gemacht wird.
 
·          Der Wunsch Washingtons und Riads, die beschädigten Beziehungen mit Damaskus zu reparieren, ist begrüßenswert, sollte aber nicht auf Kosten des Libanon und des höheren strategischen Ziels der Vereinigten Staaten geschehen, den Einfluss des Iran an der Levante zu schwächen. Während eine Annäherung an Syrien durchaus einige geringfügige Besserungen im syrischen Verhalten zeitigen könnte, so hätte sie doch wahrscheinlich wenig Einfluss auf die dreißigjährige strategische Partnerschaft Syriens mit Teheran.
 
·          Washington vermag wenig auszurichten, um der „14. März“-Koalition vor Ort zu helfen, doch es ist ausgesprochen wichtig, eine fortgesetzte amerikanische Verpflichtung gegenüber Beirut in schwierigen Zeiten zu bekräftigen. Das Mindeste, was Washington tun sollte, wäre, jeden Handel zwischen Riad und Damaskus zu verhindern, der die libanesische Souveränität untergräbt und den syrischen Einfluss in Beirut wiederherstellt.
 
 
Am 7. Juni fanden im Libanon nationale Wahlen statt und in einer für die Welt überraschenden Entwicklung besiegte das pro-westliche Wahlbündnis „14. März“ die massiv vom Iran und Syrien unterstützte und von der Hisbollah geführte Allianz. Zum zweiten Mal in vier Jahren wurde damit das Bündnis „14. März“ an die Macht gewählt und so die pro-westliche Orientierung Beiruts bestätigt. Doch trotz dieser bedeutsamen Entwicklung bleibt es unklar, ob „14. März“ sich nun in einer besseren Position befindet, die Macht zu festigen als damals nach der Wahl 2005.
 
Die Zukunft der pro-westlichen Regierung in Beirut steht deshalb heute zur Debatte, weil in Folge der Wahlen Syrien und seine libanesischen Verbündeten nichts unversucht gelassen haben, um „14. März“ daran zu hindern, vom Wahlsieg zu profitieren. Syrien und die Hisbollah mögen in einer ungünstigen Position sein, um ihre politischen Gegner matt zu setzen, doch sowohl Damaskus als auch die Schiitenmiliz haben sich in der Vergangenheit als zäh erwiesen.
 
Hisbollah am Boden, doch nicht aus dem Rennen
 
Die Hisbollah konnte sich einer beneidenswerten Reihe politischer und militärischer „Erfolge“ erfreuen, unter ihnen der „göttliche Sieg“ über Israel von 2006, der „glorreiche Tag“ vom Mai 2008, als sie Beirut besetzte,[1] und die diplomatische Anerkennung durch Großbritannien im April 2009. In jüngster Zeit wurde der libanesischen Schiitenmiliz jedoch eine Serie von öffentlichkeitswirksamen Rückschlägen zuteil. Die Niederlage in den libanesischen Wahlen war dabei nur die jüngste Frustration der Hisbollah.
 
Im April verkündete Ägypten die Verhaftung einer ägyptischen Hisbollah-Zelle.[2] Einen Monat später erschienen Berichte über die Verwicklung der Gruppe in der Ermordung des ehemaligen libanesischen Premiers Rafiq Hariri 2009, welche die Zedernrevolution zur Folge hatte.[3] Im Mai wurde eine Hisbollah-Zelle, die einen Bombenanschlag gegen die israelische Botschaft in Aserbaidschan in Vergeltung der Ermordung vom Imad Mugniyyeh plante, verhaftet.[4] Und schließlich – und damit am beunruhigendsten für die Gruppe – haben die Proteste nach den Wahlen im Iran die Legitimität der wichtigsten Schutzmacht der Hisbollah – dem klerikalen Regime in Teheran – irreparable Schäden zugefügt und so die umstrittene Doktrin der vilayat e-faqih (Herrschaft des islamischen Rechts) untergraben.
 
Angesichts dieser bemerkenswerten Pechsträhne hätte man annehmen können, dass die Hisbollah sich geschockt zeige. Bei einem Besuch in Beirut scheint es jedoch z.Zt. schwierig, zwischen Siegern und Besiegten zu unterscheiden. Zwar gestand der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah in seiner Rede nach der Wahl, die „Enttäuschung“ über die Niederlage ein, doch schien er keine besonderen Schlüsse aus den Resultaten gezogen zu haben. „Sofern es uns [die Hisbollah] betrifft,“ sagte er, „hat sich nichts geändert.“[5]
 
In der Zwischenzeit zeichnet sich ab, dass die Koalition „14. März“ sich für Versöhnung statt Konfrontation mit der Hisbollah entschieden hat. Nur wenige Tage nach der Wahl trafen sich zwei der Führer des „14. März“ – Saad Hariri und Walid Jumblatt – mit Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah. Seitdem haben sich auch weitere führende Vertreter des pro-westlichen Bündnisses um den Alliierten Syriens im Libanon bemüht.
 
Es besteht kein Zweifel darüber, dass die anscheinende politische Versöhnung zwischen dem „14. März“ und der Hisbollah zu einer Verringerung der Spannungen im Libanon geführt haben, eine spürbare Entwicklung, die mit Sicherheit der sommerlichen Touristen-Saison im belagerten Staat zu Gute kommen sollte. Weniger deutlich ist jedoch, auf welche Weise dieser neu entdeckte gute Wille die Politik der künftigen prowestlichen Administration in Beirut beeinflussen wird, v.a. die Zusammensetzung des neuen Kabinetts und die ministerielle Erklärung, den politischen Richtlinien für die neue Regierung.
 
Der Verhandlungsprozess
 
Zur Debatte steht, ob die von der Hisbollah-geführte Opposition ein „Blockadedrittel“ im Kabinett eingeräumt bekommt – und damit die Möglichkeit, wichtige Regierungsinitiativen zu verhindern – und ob der designierte Premierminister Saad Hariri mit seiner ministeriellen Erklärung, die Waffenarsenale der Hisbollah jenseits der staatlichen Autorität legitimieren wird.[6] Als sich Hariri in der Woche nach den Wahlen mit Nasrallah traf, hatte der Schiitenführer Presseberichten zufolge dem künftigen Premier mitgeteilt, dass ein „Blockadedrittel“ ein Muss sei.
 
Ebenso haben die politischen Verbündeten Nasrallahs seit der Stimmabgabe die Vetomacht unter dem Euphemismus der „Errichtung einer Regierung der Nationalen Einheit“ eingefordert, bei der der Opposition „tatsächliche und entscheidende“ Mitarbeit im politischen Entscheidungsprozess eingeräumt werde.[7]
 
Seinerseits scheint Hariri eine Kabinettlösung anzustreben, die seiner Mehrheitskoalition 15 Sitze sichert, der Opposition 10 – und damit nur einen weniger als die Hisbollah fordert – und dem angeblich neutralen Präsidenten 5.[8] Auf dem Papier erscheint diese Formel, die dem Präsidenten die Wechselstimmen bieten, wie ein Kompromiss. Doch wenn nur eines der designierten Kabinettsmitglieder mit der Hisbollah sympathisiert, gelangt die Schiitenmiliz in den Besitz der begehrten Vetomacht, mit der der hart erkämpfte Sieg des „14. März“-Bündnisses de facto zunichte gemacht wird.
 
Syriens Wiederkehr
 
Da eine ganze Reihe internationaler Akteure in den Prozess der Kabinettsbildung verwickelt ist, steht das Resultat des Ringens gegenwärtig noch nicht fest. So werden die Regierungsverhandlungen im Libanon gegenwärtig von geheimen Diskussionen zwischen den jeweils mit „14. März“ und der Hisbollah Alliierten in Riad und Damaskus vorangetrieben. Diese Gespräche treffen auf eine aufkeimende Wiederannäherung zwischen Syrien und Saudi Arabien. Saudi Arabien ernannte im Juli einen neuen Botschafter in Damaskus und füllte so den seit 2008 vakanten Posten. Es scheint außerdem, dass sich Washington verstärkt darum bemüht, die Beziehungen zu dem für lange Zeit wie ein Paria gehandelten Regime in Damaskus zu verbessern, u.a. um einen Keil zwischen Syrien und Iran zu treiben.
 
Syrien wiederum wurde durch das schlechte Abschneiden seiner Alliierten – v.a. dem Scheitern der Freien Patriotischen Bewegung General Michel Aouns – in den libanesischen Wahlen geschwächt. Davon nicht abgeschreckt versucht Syrien nun nach den Wahlen, seine Position im Libanon durch ein Ausspielen der saudischen und amerikanischen Interessen an einer Reparatur der bilateralen Beziehungen zu verbessern. Kurz gesagt, Damaskus hofft darauf, den Wiederannäherungsprozess mit Washington und Riad als Druckmittel benutzen zu können, um seinen Einfluss im Libanon zu erneuern.
 
Arabischen Presseberichten und den Stellungnahmen der Vertreter des Assad-Regimes zufolge konzentriert sich das syrische Bemühen um Einflussnahme auf die Entwicklungen in Beirut auf verschiedene Stränge. Zunächst drängt Syrien auf eine formale Vereinbarung im Stil des Taif-Abkommens, mit dem die syrische Rolle eines politischen Schlichters in Beirut legitimiert wird.[9] Zudem fordert Syrien de facto Vetomacht für seine libanesischen Verbündeten und Stellvertreter im Kabinett.[10] Und schließlich möchte Syrien als Teil seines Dialoges mit Saudi Arabien Saad Hariri, der Riad nahesteht, dazu bringen, Damaskus zu besuchen. [11] Dieser Besuch ist für das Assad-Regime von Bedeutung, nicht nur weil es eine Demütigung Hariris wäre, sondern auch den Eindruck vermitteln würde, das Syrien nicht für die Ermordung von Hariris Vater, dem ehemaligen libanesischen Premier Rafiq Hariri, verantwortlich war. Syrien ist der Hauptverdächtigte in dem Mordfall, der von einem Sondertribunal in Den Haag untersucht wird.
 
Gegenwärtig sieht es jedoch so aus, als würde Hariri – der den Weg nach Damaskus verabscheut – standfest bleiben und keine dieser Art bedeutsamen Zugeständnisse an seine politischen Gegner machen. Doch der Druck auf ihn wächst. Walid Jumblatt hat z.B. seinen Willen, nach Damaskus zu reisen, bereits signalisiert und drängt auch Hariri dazu,[12] während andere Koalitionsmitglieder, wie der Kataeb-Vertreter Sami Gemayel ihre Beziehungen mit den syrischen Handlangern im Libanon verbessern.[13]
 
Schlussfolgerungen
 
In den späten Achtzigern – als Saudi Arabien und Syrien zuletzt die Zukunft des Libanon verhandelt hatten – erwuchs Syrien als führende Kraft in Beirut. Heute sieht sich die Hisbollah großen Widerständen ausgesetzt und der Einfluss ihres syrischen Alliierten ist am geringsten.
 
Der Wunsch Washingtons und Riads, die beschädigten Beziehungen mit Damaskus zu reparieren, ist begrüßenswert, sollte aber nicht auf Kosten des Libanon und des höheren strategischen Ziels der Vereinigten Staaten geschehen, den Einfluss des Iran an der Levante zu schwächen. Während eine Annäherung zwischen den Vereinigten Staaten und Saudi Arabien und dem langjährigen Feind Syrien durchaus einige geringfügige Besserungen im syrischen Verhalten zeitigen könnte, so hätte sie doch wahrscheinlich wenig Einfluss auf die dreißigjährige strategische Partnerschaft Syriens mit Teheran.
 
In den kommenden Wochen befindet sich Premierminister Hariri auf einer Gratwanderung zwischen der Konsolidierung seines Wahlsieges und einer Provokation der Hisbollah. Washington vermag wenig auszurichten, um der „14. März“-Koalition vor Ort zu helfen, doch es ist, auch wenn die Obama-Administration den diplomatischen Dialog mit Syrien fortsetzt, ausgesprochen wichtig, eine fortgesetzte amerikanische Verpflichtung gegenüber Beirut in schwierigen Zeiten zu bekräftigen. Das Mindeste, was Washington tun sollte, wäre, jeden Handel zwischen Riad und Damaskus zu verhindern, der die libanesische Souveränität untergräbt und den syrischen Einfluss in Beirut wiederherstellt.
 
Wenn es dem „14. März“-Bündnis nicht gelingt, aus seiner Wiederwahl und der Schwäche seiner Gegner Profit zu schlagen, dann wird die historisch zähe Hisbollah sich erneut aufschwingen und dieser Moment der Chance für den Libanon und Washington wird vorübergehen.
 
*    *    *
 
David Schenker ist  Aufzien-Fellow und Direktor des Programms „Arab Politics“ am Washington Institute for Near East Policy.
 
 



[1] Siehe die Rede Hassan Nasrallahs vom 16. Mai 2009, "May 7 was a glorious day for the resistance," auf English auf http://english.moqawama.org/essaydetails.php?eid=8483&cid=231 und auf Arabic auf http://www.moqawama.org/essaydetails.php?eid=15248&cid=210.
[2] Für eine längere Diskussion der Verhaftungen siehe David Schenker "The Pharaoh Strikes Back," Weekly Standard, 11. Mai 2009, http://www.weeklystandard.com/Content/Public/Articles/000/000/016/452guiya.asp?pg=2.
[3] Erich Follath, "New Evidence Points to Hezbollah in Hariri Murder," Der Spiegel, 23. Mai 2009, http://www.spiegel.de/international/world/0,1518,626412,00.html.
[4] Sabastian Rotella, "Azerbaijan Seen as a New Front in Mid-East Conflict," Los Angeles Times, 30. Mai 2009, http://articles.latimes.com/2009/may/30/world/fg-shadow30. Mughniyyeh war der Chef des Militärapparates der Hisbollah. Er fiel im Februar 2008 in Damaskus einem Anschlag zum Opfer.
[5] Nasrallahs Rede auf: http://www.moqawama.org/essaydetails.php?eid=15248&cid=210.
[6] Ein "Blockadedrittel" bezieht sich auf Ein-Drittel-plus-Eins unter den Kabinettsitzen. Die Hisbollah bezeichnet diese Anzahl als "Versicherungsdrittel." 
[7]  "Tazkhim ‘gharbalat al siyagh’…Jumblat fi Ein al-Tineh…," Now Lebanon, 15. Juli 2009, http://nowlebanon.com/Arabic/NewsArticleDetails.aspx?ID=103804.
[8] Einige Quellen deuten an, dass Hariri eine 16-10-4-Formel anstrebt, und dass die 15-10-5-Formel sein Plan B darstellt.
[9] Siehe "I’lan Dimashq: ‘ard Sa’udi limusalaha Lubnaniyah-Suriyah," Al Akhbar, 4. Juli 2009, http://www.al-akhbar.com/ar/node/145771; und Sami Moubayed, "Time for a Damascus Agreement," Gulf News, 22. Juni 2009, http://www.gulfnews.com/opinion/columns/region/10325148.html. Moubayed steht dem Assad-Regime nahe, und wird nach Vermutung vieler, von ihm bezahlt. Seine Ansichten vertreten zuverlässig die Positionen der syrischen Regierung.
[10] "Wahhab yuhajim al-ra’is al-mukallaf: hissat al-mu’arada al-thulth za’idan wahidan," Al-Mustaqbal, 13. Juli 2009, http://almustaqbal.com/stories.aspx?StoryID=357324.
[11] Siehe Sami Moubayed, "Hariri Cannot Ignore Syria," Gulf News, 29. Juni 2009, http://www.gulfnews.com/opinion/columns/region/10327118.html. Es wäre besonders problematisch, wenn Hariri Damaskus vor der Kabinettsbildung besuchen würde, wie es die pro-syrische Presse vorschlägt.
[12] See "Jumblatt: I Will Resolve Personal Disagreements with Syria after Hariri’s Visit to Damascus," Now Lebanon, 10. Juli 2009, http://www.nowlebanon.com/NewsArticleDetails.aspx?ID=103061. Siehe auch, "Jumblat: al-Hariri sayazur Dimashq fi hudur al-‘ahil al-Sa’udi ba’da tashkil al-hukumah," Now Lebanon, 15. Juli 2009, http://nowlebanon.com/Arabic/NewsArticleDetails.aspx?ID=103970.
[13] "Franjiyeh, Gemayel Vow to Avert Inter-Christian Discord, Create Dialogue," Naharnet, 4. Juli 2009.