Der amerikanische Geheimdienstbericht zur Gefahr des iranischen Atomprogramms
Der amerikanische Geheimdienstbericht zur Gefahr des iranischen Atomprogramms
Brig. Gen. (Res) Yossi Kuperwasser
US-Geheimdienst-Chef Dan Coats bei der Präsentation des “Annual Threat Assessment” -Berichts vor dem Kongress. (Office of the DNI)
Als die verschiedenen amerikanischen Geheimdienste am 29. Januar 2019 dem Geheimdienstausschuss des amerikanischen Senats ihren jährlichen Gefahrenbericht präsentierten, verwies Dan Coats, Direktor der nationalen Nachrichtendienste, auch auf das iranische Atomprogramm. Einige seiner Aussagen sind allgemein bekannt; manche Äußerungen erwiesen sich als kontrovers und ein Satz verursachte eine scharfe Reaktion von US-Präsident Donald Trump. Vieles blieb auch unerwähnt, was die Frage aufwirft, wieso. Der Gesamteindruck ließ seine Aussagen im Hinblick auf die Situation vage erscheinen. Viele Kommentatoren haben bereits darauf hingewiesen, doch an dieser Stelle soll es um eine zusätzliche Perspektive auf was gesagt und was nicht gesagt wurde gehen.
Zunächst wäre da die umstrittene Antwort auf die Frage, ob der Iran Fortschritte bei der Entwicklung einer Atomwaffe mache. Coats sagte dazu:
“Während wir nicht glauben, dass sich Iran gegenwärtig den Schlüsselfertigkeiten widmet, die wir zur Produktion einer Atombombe für nötig halten, haben iranische Politiker öffentlich damit gedroht, die Grenzen der JCPOA-Beschränkungen zu überschreiten, sollte der Iran keinen spürbaren finanziellen Nutzen aus dem Abkommen ziehen.”
Sieben Mal verwendete der Direktor in seinen vorbereiteten Bemerkungen zu Nordkorea, Türkei, Afghanistan, Mexico, Russland, Syrien und IS die eindeutigen und aussagekräftigen Worte “wir schätzen ein”. Nur bei der Analyse des Iran verwendete er das unentschlossene “glauben”, das für dieses eine Mal reserviert war. Coats erklärte dabei nicht, was für Schlüsselfertigkeiten das sind und ob sich der Iran eventuell anderen Dingen widmet, die von den Nachrichtendiensten nicht als Schlüsselfertigkeiten angesehen werden.
Diese feinsäuberliche Unterscheidung zwischen “einschätzen” und “glauben” legt nahe, dass die den Geheimdiensten zur Verfügung stehenden Informationen zu dürftig sind und es ihnen nicht gestatten, bei dieser wichtigen Frage zu nachdrücklichen Schlüssen zu kommen. Die Erfahrung zeigt, dass die amerikanischen Geheimdienste eine eher problematische Bilanz aufweisen, wenn es darum geht, die Fortschritte einzelner Länder beim Streben nach Atomwaffen einzuschätzen – z.B. bei Nordkorea, Indien, Pakistan, Syrien und Irak – weshalb es Grund zur Demut bei dieser Art von Einschätzung geben mag.
Tatsächlich scheint es, dass die US-Geheimdienste über recht wenig Informationen über den Parchin-Komplex verfügten, wo der Iran einen Großteil seiner Anstrengungen unternommen hat, kritisches Wissen für eine Atombombe zusammenzutragen. Verschiedene Einrichtungen wurden nur durch die aus dem nuklearen Archiv des Iran erworbenen Informationen bekannt, wozu wahrscheinlich auch das wertvolle Wissen über die Fortschritte des Iran bis 2003 stammen.
Das Überwachungssystem der IAEO, dem die amerikanischen Geheimdienste recht unverantwortlich im Rahmen des JCPOA zustimmten, bietet den Inspekteuren auch keinerlei Möglichkeit, jene iranischen Experten zu überwachen und zu registrieren, die eventuell Schlüsselfertigkeiten nachgehen könnten – was in gut versteckten Anlagen im Iran oder eben auch in Syrien geschehen könnte.
Das heißt mit anderen Worten, dass das “wir glauben” Resultat fehlenden Wissens darstellt und nicht faktisches Wissen, das belegt, dass der Iran sich nicht den Schlüsselfertigkeiten zum Bau der Bombe widmet. Letzteres würde einen weit umfassenderen Zugang zum Iran verlangen, als das simple Nichtwissen von Aspekten des Programms.
Als professioneller Nachrichtendienstexperte verblüfft mich die von den Nachrichtendiensten und ihrem Direktor verwendete Wortwahl. In den geschlossenen Geheimdienst-Briefing wurde diese hoffentlich erklärt. Möglicherweise wurden in dem nicht-öffentlichen Briefing einige Ungewissheiten in der Einschätzung erklärt und auf verschiedene Meinungen innerhalb der Geheimdienste verwiesen, was in der öffentlichen Präsentation nicht zur Sprache kam.
Es ist möglich, dass der Unterschied zwischen “glauben” und “einschätzen” auf der Annahme gründet, dass sich der Iran bislang an das JCPOA hält. Dies macht er natürlich, denn selbst ohne amerikanische Teilnahme seit dem Rückzug der USA vom Abkommen, stellt dieses, von amerikanischen Geheimdiensten mit entworfene, das beste dar, was dem Mullah-Regime je passiert ist. Das JCPOA sicherte dem Iran den Weg zu einem Atomwaffenarsenal in 12 Jahren zu – ein Weg, der vor dem Abkommen versperrt war.
Wieso sollten also die Iraner dieses Abkommen an dieser Stelle gefährden wollen? Dies könnte man vernünftigerweise fragen, doch es müsste auch bewiesen werden, dass die Iraner dies nicht tun, v.a. weil es viele Anzeichen dafür gibt, einschließlich der von den Geheimdiensten in ihrem Bericht gelieferten, dass der Iran sich darauf vorbereitet, dass Abkommen jederzeit zu verlassen und dazu die massiven Löcher ausnutzt, die ihm der Deal bietet.
Die Iraner arbeiten schwer an allen Elementen, die nicht als Teil der Entwicklung einer Bombe gesehen werden. Sie machen z.B. Fortschritte bei der Verarbeitung von Uranerz in Yellowcake (U3O8), der Umwandlung von Yellowcake in Uranhexafluorid (UF6) in der Umwandlungsanlage Isfahan und der Entwicklung von IR-8-Zentrifugen. Die IR-1 und IR-2-Zentrifugen liegen bereit, wieder in Natanz zusammengesetzt zu werden, so dass innerhalb weniger Monate das nötige Material für eine erste Atombombe besorgt werden kann. (Die dafür vorgesehene Zeitspanne ist weit kürzer als das vom Geheimdienstbericht behauptete eine Jahr). Die Iraner haben auch zugegeben, dass sie den Kern ihres Schwerwasserreaktors in Arak nicht mit Zement gefüllt haben. Mit der Entwicklung von Langstreckenraketen, die Atomsprengköpfe tragen können, wird offen geprahlt.
Der angeblich mit Zement gefüllte Schwerwasserreaktor in Arak
Die Iraner haben zudem versucht, ihr Archiv mit allem relevanten Wissen in einer schwer bewachten Anlage in Fordow zu verstecken, und sich fortschrittliche Luftabwehrsysteme von den Russen gekauft, um ihr Atomanlagen zu schützen. All dies ist bekannt, ohne dass man geheime Quellen bemühen muss (vom Archiv abgesehen, das bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geheim war). Und dennoch sollen wir glauben, dass die Iraner keine Schlüsselfertigkeiten vorantreiben, die etwas mit dem Bau von Atombomben zu tun haben. Kann man das ernsthaft verlangen?
Wäre es nicht korrekter zu sagen, dass die amerikanischen Nachrichtendienste zwar über keinerlei empirischen Beweise verfügen, dass der Iran sich Schlüsselfertigkeiten zum Bau der Bombe widmet, aber angesichts all dessen, was die Iraner nachweislich tun, diese Option nicht vollständig ausgeschlossen werden kann?
Die Bedrohungseinschätzung der US-Nachrichtendienste verzichtet auf die Diskussion von Gedankenexperimenten, die aber wichtig wären angesichts der wachsenden innenpolitischen Verwerfungen im Iran (z.B. die Möglichkeit einer iranischen Kündigung des Abkommens oder breite Unruhe in der Bevölkerung mit zahlreichen Toten). Die verblüffendste Auslassung im Bericht ist jedoch die massive Datensammlung, die der Mossad dem iranischen Atomarchiv in Teheran entwendet hat und die daraus abzuleitenden Entwicklungen.
Der Bericht erwähnt einige der wichtigeren iranischen Erklärungen zum Programm, lässt aber andere unter den Tisch fallen. Er sieht von der unvermeidlichen Schlussfolgerung ab, dass der Iran den JCPOA zwar nur marginal gebrochen hat, dennoch aber dabei ist, seine Fähigkeiten zum Bau von Atomwaffen unter Ausnutzung der Schwächen des Deals zu verbessern. In dreistem Widerspruch zu seinen verpflichten und den Absichten des Abkommens, bleibt der Iran entschlossen, die Produktion sicherzustellen, um Ideologie und Hegemonie in Nahost und darüber hinaus zu verbreiten – und nicht allein, um sich zu verteidigen, wie der Bericht nahelegt.
Es verwundert daher nicht, das US-Präsident Trump sich die Freiheit herausnahm, die Einschätzung der Nachrichtendienste zu kritisieren. Möglich, dass er die Situation besser einschätzt. Politiker sollten auf die Analysen der Nachrichtendienste hören; sie zu übernehmen sind sie allerdings nicht verpflichtet, ganz besonders nicht, wenn die Nachrichtendienste hier eine eher problematische Bilanz aufweisen und das Problem überhaupt zu kreieren halfen – den Koscher-Stempel für ein gefährliches Abkommen der vergangenen US-Administration.
1. Dan Coats, DNI, testimony before the Senate Select Committee on Intelligence, January 29, 2019. https://www.dni.gov/index.php/newsroom/congressional-testimonies/item/1949-dni-coats-opening-statement-on-the-2019-worldwide-threat-assessment-of-the-us-intelligence-community