Der Wolf als Schafshirt: Die Wahl des palästinensischen Generalstaatsanwalts ins ICC-Nominierungskomitee


Der Wolf als Schafshirt: Die Wahl des palästinensischen Generalstaatsanwalts ins ICC-Nominierungskomitee

Alan Baker

 

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Hauptquartier des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag

 

Die Wahl des palästinensischen Generalstaatsanwalts Dr. Ahmad Barrak zum Mitglied des Nominierungskomitees für Richter am Internationalen Strafgerichtshof könnte, wäre sie nicht so ernst, als Lachnummer betrachtet werden. Man kommt nicht umhin, an die alte lateinische Redewendung zu denken: "ovem lupo commitere," zu Deutsch meist als "den Bock zum Gärtner machen" bekannt, genauer aber als "den Wolf zum Schafshirten machen" übersetzt.

Damit wäre die Farce gut zusammengefasst, zu der einige respektable Institutionen der internationalen Gemeinschaft verkommen sind, insbesondere die Vereinten Nationen und der ICC. Tragischerweise haben sie es zugelassen, von Seiten einer unverantwortlich handelnden Palästinenserführung immer wieder missbraucht und manipuliert zu werden, gehijackt für offenkundig politische Zwecke.

Die Wahl eines Palästinenservertreters zum Nominierungskomitee, so unbedacht und schlecht beraten auch immer, zeigt hingegen ein weit größeres und ernstes Problem des ICC – den Beitritt eines vorgeblichen "Staat Palästina" zum Statut.

Nach allen internationalen, rechtlichen und faktischen Kriterien handelt es sich dabei aber allenfalls um eine politische Fiktion, die von der UN-Vollversammlung erfunden und propagiert wurde und nun an den ICC weitergereicht wird.

Es existieren derzeit weder ein souveräner Palästinenserstaat noch ein souveränes Palästinensergebiet, über das sich die Gerichtsbarkeit des ICC erstrecken könnte.

Die 2014 vollzogene Akzeptanz eines "Staat Palästina" zum Römischen Statut des ICC von 1998 und das Problem des Status, den die Palästinenser in den Augen des Gerichtshofes besitzen, bleiben rechtlich fragwürdig und anfechtbar, da Mitgliedschaft im Rahmen seines Statuts nur Staaten vorbehalten ist und ein souveräner Palästinenserstaat nicht existiert. (1)

Daher muss hier die Frage erlaubt sein, wie eine fiktionale, nicht-staatliche Einheit überhaupt als staatliche Vertragspartei des Römischen Statuts zugelassen und – entsprechend – wie einer ihrer Vertreter zum Mitglied des Nominierungskomitees für Richter ernannt werden konnte?

Palästinensische Absichten

Die Palästinenserführung hat wenig Interesse an der Vision, den Zielen und den Zwecken des ICC, die in der Präambel der Römischen Verträge von 1998 von der internationalen Gemeinschaft festgehalten und über viele Jahre intensiv ausgehandelt und verfasst wurden.(2) Ebenso wenig interessiert sie sich für die im Statut getroffenen Vorkehrungen zu Fragen wie Mitgliedschaft, Gerichtsbarkeit und Strafbestände.

Der Palästinenserführung geht es im Gegenteil bei ihrem Engagement im ICC allein um die politische Ausnutzung des Gerichtshofes zur Delegitimierung Israels und seiner Regierung.

Dies wurde so von hochrangigen Palästinenserführern verkündet(3) und wird besonders deutlich in der formalen Erklärung der palästinensischen Anerkennung der Gerichtsbarkeit des ICC "zum Zwecke der Identifikation, Verfolgung und Verurteilung von Urhebern und Komplizen von Verbrechen in den besetzten Palästinensergebieten, einschließlich Ostjerusalem im Rahmen der Gerichtsbarkeit des ICC" (4)

Existiert ein Palästinenserstaat?


Es ist allgemein anerkannt, dass die Frage eines Endstatus von Westjordanland und Gazastreifen gemäß der Osloer Abkommen (1991-93) eine offene Verhandlungssache zwischen Palästinensern und Israelis sind. Die Abkommen wurden damals von Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft (USA, EU, Russland, Ägypten, Jordanien und Norwegen) gegengezeichnet und von den Vereinten Nationen gebilligt. In ihnen ist nicht spezifiziert, wie der Endstatus auszusehen hat, und so bleibt diese Frage Verhandlungssache zwischen den Vertragsparteien.

Ohne abschließende Klärung können diese Gebiete nicht als besetzte Palästinensergebiete bezeichnet werden, sondern sind umstrittene Gebiete und Gegenstand einer Streitsache, die im Prozess zur Einigung führen muss.

Daher ist irgendeine Bestimmung – sei es durch die Vereinten Nationen, sei es durch eine ihrer Sonderbehörden oder durch den ICC – des palästinensischen Anspruchsstatus auf die Gebiete nichts anderes als eine Vorwegnahme des Resultats der dauerhaften Statusverhandlungen.

Der Umstand, dass überhaupt kein souveräner Palästinenserstaat existiert, wurde selbst von Seiten der Palästinenserführung immer wieder bestätigt seit der ursprünglichen und nach wie vor verbindlichen Unterzeichnung der Osloer Abkommen (1993-5), weder irgendwelche Schritte zu unternehmen oder einzuleiten, die den Status der Gebiete vor Abschluss der permanenten Status-Verhandlungen vorwegnehmen. (5)

Zuletzt wurde die Nichtexistenz eines Palästinenserstaates am 22. Dezember 2018 vom palästinensischen Chefunterhändler und PLO-Generalsekretär Saeb Erekat bestätigt, wie die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa im Zusammenhang mit der Auflösung des Palästinenserparlaments durch das Verfassungsgerichts der PA berichtete. Erekat hatte die Auflösung als "Teil der Übergangsperiode von der Palästinensischen Autonomiebehörde zum Staat Palästina" bezeichnet.(6)

Dies hat die Palästinenserführung nun allerdings nicht davon abgehalten, der internationalen Gemeinschaft die Fiktion einer palästinensischen Staatlichkeit zu verkaufen. Es hat die internationale Gemeinschaft jedoch ebenso wenig davon abgehalten, dies blind zu akzeptieren und die palästinensischen Versuche zu unterstützen, die vertraglichen Verpflichtungen zu unterlaufen und Staatlichkeit unilateral mittels internationaler Institutionen zu erzielen.

Der Palästinensische Status im Hinblick auf den ICC

Die UNO rechtfertigt diese bizarre Entwicklung mit der nicht verbindlichen Empfehlung der UN-Vollversammlung im zweiten operativen Paragraphen ihrer Resolution 67/19 vom 4. Dezember 2012,

"…Palästina in den Vereinten Nationen den Status eines Beobachterstaats ohne Mitgliedschaft zu gewähren, unbeschadet der erworbenen Rechte und Vorrechte und der Rolle der Palästinensischen Befreiungsorganisation als der Vertreterin des palästinensischen Volkes in den Vereinten Nationen, im Einklang mit den einschlägigen Resolutionen und der maßgeblichen Praxis;" (7)

Obwohl die UN-Vollversammlung über absolut keine Macht verfügt, Staaten zu gründen oder Staatlichkeit auszurufen, und trotz der offensichtlichen Tatsache, dass es keinen wirklichen Palästinenserstaat gibt, hat das UN-Sekretariat in Folge der Resolution in einem bizarren internen Rechtsmemorandum bestimmt, dass:

"(d)a Palästina Mitgliedstaat der UNESCO ist, der Generalsekretär Beitrittsmechanismen Palästinas für Verträge nach der Wiener Formel akzeptieren würde. (8)

Da die Vollversammlung Palästina als Beobachterstaat in den Vereinten Nationen akzeptiert hat, der Generalsekretär davon geleitet seine Funktionen als Verwalter von Verträgen, die für jeden Staat oder alle Staaten offen sind und bei ihm verwahrt werden, aufgeben wird." (9)

Auf Grundlage der Vollversammlungsresolution und der vom UN-Rechtsbeistand gelieferten Interpretation war das für die Palästinenserführung das "Grüne Licht", am 31. Dezember 2014 ihre Anerkennung der ICC-Gerichtsbarkeit zu erklären, "zum Zwecke der Identifikation, Verfolgung und Verurteilung von Urhebern und Komplizen von Verbrechen in den besetzten Palästinensergebieten, einschließlich Ostjerusalems"

Gefolgt wurde dies unmittelbar mit einem formalen Beitrittsschreiben zum Statut des ICC vom 1. Januar 2015, dass der UN-Generalsekretär am 6. Januar 2015 akzeptierte. (10)

Folglich haben, ohne dass ein Palästinenserstaat überhaupt existiert, ohne irgendeine rechtliche Grundlage und entgegen der Begriffsbestimmung im ICC-Statut, das von "Unterzeichnerstaaten" spricht, der UN-Generalsekretär und die ICC-Chefanklägerin den "Staat Palästina" als Mitgliedsstaat des ICC-Statuts akzeptiert.

Dies wiederum ermöglichte die Wahl des palästinensischen Generalstaatsanwalts ins Nominierungskomitee für ICC-Richter.

In Folge der durch die Aufnahme gewonnenen Stärke haben sich die Palästinenser daran gemacht, Beschwerden gegen israelische Politiker und Militär einzulegen – über die israelischen Siedlungspolitik und mutmaßliche Kriegsverbrechen, die nach palästinensischen Behauptungen im Rahmen verschiedener militärischer Konfrontationen begangen worden seien. Tatsächlich haben die Palästinenser den ICC zu ihrem Privattribunal gemacht, um Israel vor sich her zu jagen.

Am 16. Januar 2015 eröffnete die ICC-Chefanklägerin eine vorläufige Untersuchung der "Situation in Palästina." (11)

Kann der ICC die palästinensischen Beschwerden überhaupt verhandeln?

Die Frage bleibt, ob der ICC überhaupt über die völkerrechtlichen Befugnisse verfügt, seine Rechtsprechung auf Territorien auszudehnen, die trotz der palästinensischen Behauptung von Souveränität ganz offensichtlich nicht souverän, sondern formal umstritten sind.

Logisch wie rechtlich ist dies mehr als fragwürdig, da keine Übereinkunft und kein international akzeptierter und anerkannter Endstatus dieser Gebiete existiert und ebenso wenig eine international akzeptierte Bestimmung über die Existenz eines Palästinenserstaats, der seine Souveränität über diese Gebiete pflichtgemäß erfüllen könnte.

Angesichts dieser erwähnten prozeduralen und rechtlichen Fragen über den Status der Palästinenser vor dem Gericht und ohne eine juristische Klarheit, ob eine nichtstaatliche Einheit überhaupt Mitglied des ICC-Statuts sein kann, wäre es von Seiten des ICC und seiner Chefanklägerin einsichtiger gewesen, die Zulassung eines Palästinenservertreters zum Nominierungskomitee aufzuschieben. Aus heutiger Perspektive muss dies als außerordentlich voreilig erscheinen.

Die Unparteilichkeit des ICC


Trotz des prozeduralen oder eher politischen Aktivismus der Chefanklägerin, mag man weiter annehmen und hoffen, dass der ICC juristisch wie objektiv angemessen zu handeln versteht, wie es sich für ein internationales und unpolitisches Rechtsorgan gehört. Jegliche politische Befangenheit würde die juristische Integrität des Gerichts gefährden – was die Palästinenser mit all ihren Beschwerden in der Tat versuchen.

Angesichts der offensichtlichen Unzuständigkeit des ICC für die von den Palästinenser beanspruchten Gebiete sowie angesichts der mangelnden Schwere der behaupteten Verbrechen, dürfte es höchst unwahrscheinlich sein, dass das Gericht diese Beschwerden ernst nimmt.

In dieser Hinsicht ist die Stellungnahme der Chefanklägerin vom 9. Februar 2014 zur Frage einer politischen Manipulation des ICC relevant:

"Aufgrund des Mandats des Gerichts wird jede Situation, in der ich meiner Aufgabe als ICC-Chefanklägerin nachgehe, politisch belastet sein. Mein Mandat ist dennoch deutlich: Verbrechen auf Grundlage von Fakten zu untersuchen und rechtlich zu ahnden und dabei das Gesetz unabhängig und unparteiisch anzuwenden.

Ob Staaten oder der UN-Sicherheitsrat beschließen, dem ICC Gerichtsbarkeit zu übertragen, geschieht unabhängig vom Gericht. Einmal geschehen, sind die rechtlichen Regeln in Anwendung klar und entschieden in keiner Hinsicht als politisch zu sehen. In Praxis und Worten habe ich klar gemacht, dass das Büro der Chefanklägerin seinem Mandat Folge leisten wird, ohne Angst und Gunst, wo immer sich seine Gerichtsbarkeit erstreckt, und dass es die, die – unabhängig von Status oder Zugehörigkeit – Massenverbrechen verüben, die das Gewissen der Menschheit erschüttern, mit allem Nachdruck verfolgen wird. Die Haltung des Büros gegenüber Palästina wird sich da nicht unterscheiden, sollte die Rechtsprechung des ICC sich je dorthin erstrecken.

Es ist meine feste Überzeugung, dass Gerechtigkeit nie durch politische Notwendigkeit kompromittiert werden darf. Ein Versagen darin, diese heilige Verpflichtung einzuhalten, würde nicht nur die Idee der Gerechtigkeit pervertieren und das öffentliche Vertrauen darin erodieren, sondern auch das immense Leid der Opfer von Massenverbrechen verschärfen. Dies dürfen wir nie zulassen." (12)

Angesichts der Wahl des palästinensischen Generalstaatsanwalts zum Ernennungskomitee für Richter darf jedoch gefragt werden, ob die Absurditäten und die Neigung des ICC zur Selbstdemontage als glaubwürdige Rechtsinstitution gar kein Ende mehr nehmen.

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1 https://www.icc-cpi.int/nr/rdonlyres/add16852-aee9-4757-abe7-9cdc7cf02886/283503/romestatuteng1.pdf

2 https://www.icc-cpi.int/NR/rdonlyres/EA9AEFF7-5752-4F84-BE94-0A655EB30E16/0/Rome_Statute_English.pdf

3 Siehe Stellungnahme der palästinensischen Ministers Eissan Karakea: “Wir müssen den neuen Status nutzen, um Maßnahmen gegen die Verbrechen Israels einzuleiten. ” 28. Dezember 2012  http://rt.com/news/palestinians-israel-icc-children-967/

4 Erklärung Mahmoud Abbas https://www.icc-cpi.int/iccdocs/pids/press/palestine_a_12-3.pdf

5 Article XXXI(7) Israeli-Palestinian Interim Agreement on the West Bank and the Gaza Strip, September 1995 http://www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/pages/the%20israeli-palestinian%20interim%20agreement.aspx

6 http://www.israelnationalnews.com/News/News.aspx/256606

7 A/RES/67/19 https://unispal.un.org/DPA/DPR/unispal.nsf/0/19862D03C564FA2C85257ACB004EE69B

8 Die „Wiener Formel“ gestattet dem UN-Generalsekretär eine Einheit als Staat anzuerkennen, wenn UN-Sonderbehörden diese als Staat bei sich anerkannt haben. Siehe “Summary of Practice of the Secretary-General as Depositary of Multilateral Treaties” ST/LEG/7/Rev.1 (1999) p.22 https://treaties.un.org/doc/source/publications/practice/summary_english.pdf

9 Memorandum UN Legal Counsel and Under-Secretary General for Legal Affairs Patricia O’Brien,  http://palestineun.org/wp-content/uploads/2013/08/012-UN-Memo-regarding-67-19.pdf (December 2012)

10 ICC Presseerklärung ICC-CPI-20150105-PR1080 5. Januar 2015

11 ICC Presseerklärung ICC-OTP-20150116-PR1083 16. Januar 2015

12 https://unispal.un.org/DPA/DPR/unispal.nsf/0/F7E3608E6EB326FE85257E6E005BAD82