Verhältnismäßigkeit in modernen asymmetrischen Kriegen

Verhältnismäßigkeit in modernen asymmetrischen Kriegen
 
Amichai Cohen
 
 
Zusammenfassung
 
In einem asymmetrischen Konflikt kämpft ein Staat, der den Regeln des bewaffneten Konflikts oder dem humanitären Völkerrecht folgt gegen eine Organisation, die sich zumeist nicht an diese Regeln hält und auch wenig Anreiz darin sieht. Im Unterschied zu den Genfer Konventionen, deren Protokolle zu einer Zeit „klassischer“ militärischer Konflikte verfasst wurden, als Kriege zwischen Nationen und von Armeen unter den Regeln des bewaffneten Konflikts geführt wurden, werden diese Regeln den bewaffneten Konflikten der Gegenwart nicht gerecht.
 
In der Praxis existieren zwei äußerst verschiedene Herangehensweisen, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu interpretieren: das Menschenrechtsmodell, welches den Interessen der Zivilisten, die durch Militäraktionen verletzt werden könnten, Rechnung trägt, und das vertragsrechtliche Modell, bei dem das staatliche Interesse im Vordergrund steht. Doch ein drittes Modell könnte passender sein: ein administratives Modell auf Grundlage der professionellen Besonnenheit des Befehlshabers mit einigen notwendigen Einschränkungen.
 
Das Konzept der Verhältnismäßigkeit gestattet es Militärpersonal, unschuldige Zivilisten zu töten – vorausgesetzt Ziel der Operation waren feindliche Truppen und nicht Zivilisten.
 
Einige Beispiele:
 
Im Oktober 1993 wurde eine Einheit amerikanischer Soldaten in den Straßen von Mogadischu in Somalia in ein Gefecht verwickelt. 18 amerikanische Soldaten starben in den Kämpfen, bei denen Frauen und Kinder als Schutzschilde missbraucht wurden. Über eintausend Zivilisten wurden durch amerikanisches Feuer getötet.
 
In den NATO-Luftschlägen gegen Serbien von 1999 verwendete die NATO eine Strategie, die das Risiko für ihre Soldaten auf null halten sollte. Die Piloten flogen relativ hoch, womit riskiert wurde, die Zahl der zivilen Opfer am Boden zu erhöhen. Die Zahl der zivilen Toten des NATO-Einsatzes belief sich auf 500.
 
Im April 2004 versuchten amerikanische Truppen die Stadt Falludscha – eines der Zentren des irakischen Aufstands – erstmalig zurückzuerobern. Die Operation wurde aufgrund der hohen Zahl ziviler Verluste nach einigen Tagen ausgesetzt. Im November 2004 versuchten sich amerikanische wie irakische Truppen erneut an einer Eroberung Falludschas. Die Zahl der Getöteten reicht in den Berichten von einigen hundert bis hin zu mehreren Tausend. Die amerikanischen Truppen setzten weißen Phosphor taktisch ein und belegten das Stadtgebiet mit ganzer Feuerkraft, obwohl es von Zivilisten bewohnt wurde, um das Leben amerikanischer Soldaten zu schützen.
 
Wie die Anwendung militärischer Gewalt in Somalia, im Kosovo und Irak zeigt, bemühen sich westliche Armeen nach ihrem Besten, das Leben ihrer Soldaten zu schützen und sind zu diesem Zweck bereit, das Leben vieler Zivilisten zu riskieren. Zusätzlich wird die Ansicht akzeptiert, dass zivile Leben geopfert werden können, wenn es darum geht, wichtige militärische Ziele zu erreichen.
 
Verhältnismäßigkeit kann nicht von der Frage der Verantwortung gelöst werden: Welche Seite hat die Situation, in der sich die Zivilisten befinden, verschuldet? Aus militärischer wie moralischer Perspektive liegt die Beweislast eindeutig auf der Seite, die sich entschlossen hat, aus der Zivilbevölkerung heraus zu kämpfen.
 
Sobald ein nichtstaatlicher Akteur den Umstand internalisiert, dass sein Gegner sich zum Schutz von Zivilisten verpflichtet hat, selbst wenn es auf Kosten von militärischen Aktionen geht, wird dieser Akteur Zivilisten als Schilde benutzen, um sich vor feindlichen Angriffen zu schützen. Genau dies ist die Taktik von Hamas und Hisbollah.
 
Israels Operation in Gaza zeigt deutlich, dass die israelischen Befehlshaber erfolgreich das administrative Modell des Prinzips der Verhältnismäßigkeit eingesetzt haben. Zeitungsberichten wie Zeugenaussagen zufolge verlangten die IDF von ihren Kommandeuren, das humanitäre Völkerrecht im Planungsstadium der Operationen zu berücksichtigen. Rechtsberater wurden bei der Planung vieler Operationen hinzugezogen und standen mit ihrem Rat bei spezifischen Zielobjekten zur Seite. Es wurden die richtigen Fragen gestellt, alles mehrfach überprüft und versehentliche Schäden für Zivilisten wurden im Ganzen begrenzt.