Salam Fayyads Zweijahresplan zur Palästinensischen Staatlichkeit
Salam Fayyads Zweijahresplan zur Palästinensischen Staatlichkeit
Dan Diker und Pinhas Inbari
· Im August 2009 kündigte der palästinensische Premierminister Salam Fayyad einen unilateralen Plan zur Schaffung eines Palästinenserstaates im Westjordanland und Ostjerusalem nach einem zweijährigen Staatsbildungsprozess an. Fayyads Plan ist der erste ernsthafte Entwurf zur Schaffung eines Palästinenserstaates seit der Gründung der PLO 1964. Er löst die traditionelle PLO-Position des bewaffneten Kampfes zur „Befreiung Palästinas“ ab.
· Der Plan Fayyads vertritt eine kühne Anti-Fatah-Position und wird als eine direkte Herausforderung der Fatah und ihres Führers Mahmoud Abbas gesehen. Fayyad erfreut sich nur begrenzter politischer Gefolgschaft. Politische Gegner Fayyads – unter ihnen Tawfiq Tirawi, Abu Maher Gneim und Mahmud al-Alul, die vor kurzem in das neue Zentralkomitee der Fatah gewählt wurden – haben seinen Plan verurteilt.
· Israel unterstützt eine palästinensische Staatsbildung „von unten.“ Israelische Politiker haben jedoch rechtliche und sicherheitspolitische Bedenken gegenüber den Absichten Fayyads geäußert, die PLO werde 2011 einen palästinensischen Staat auf Grundlage der Linien vom 4. Juni 1967 ausrufen. Eine einseitige Errichtung eines Palästinenserstaates widerspricht einer Schlüsselposition des Osloer Interimsabkommens, nach dem: „Keine der beiden Seiten … einen Schritt initiieren oder unternehmen [soll], der den Status des Westjordanlands und des Gazastreifens ändert, solange ein permanentes Statusabkommen noch nicht beschlossen ist.“
· Ein weiteres Problem in Fayyads Plan ist für Israel der Aufruf zur massiven palästinensischen Entwicklung im „C“-Gebiet der umstrittenen West-Bank-Gebiete, das unter israelischer Zivil- und Sicherheitskontrolle steht, womit die vereinbarten empfindlichen Rahmenbedingungen des Osloer Abkommens von 1993 direkt in Frage gestellt werden.
· Israels Bedürfnis nach „verteidigungsfähigen Grenzen“ erfordert eine fortgesetzte Kontrolle des „C“-Gebiets, einschließlich des strategisch bedeutsamen Jordantals sowie des Hochlands um Jerusalem, von dem aus die verwundbaren Städte Israels an der Mittelmeerküste überwacht werden können. Die 4 000 Raketen der Hisbollah 2006 sowie die 10 000 Raketen und Mörserangriffe der Hamas, die zum Gazakrieg von 2009 führten, unterstreichen die potentielle Bedrohung israelischer Städte, die aus einem Palästinenserstaat im Westjordanland erwachsen würde, zöge sich Israel an die Grenzen von 1967 zurück.
Einleitung
Im August 2009 kündigte der palästinensische Premierminister Salam Fayyad einen unilateralen Plan zur Schaffung eines Palästinenserstaates im Westjordanland und Ostjerusalem nach einem 24-monatigen Staatsbildungsprozess an. Fayyads 54-seitiger Plan, eine palästinensische Infrastruktur aufzubauen und öffentliche Institutionen nach westlichem Vorbild zu errichten, ist der erste dieser Art seit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens von 1993.
Fayyads Vision hat bereits westlichen Beifall sowie finanzielle und politische Unterstützung von der Obama-Administration und europäischen Ländern hervorgerufen. Dieser westliche Optimismus könnte jedoch die bedenklichen politischen Spannungen unterschätzen, die der Plan in der gespaltenen Palästinenserführung gezeitigt hat. Als nicht-gewählter Premier der Palästinensischen Autonomiebehörde hat Fayyad einen Teil der Palästinenserführung dadurch provoziert, dass er sein weitreichendes Programm verkündet hat, ohne vorher die Billigung des Legislativrates der PA oder der Führungsgremien der PLO zu suchen. Ohne diese kann eine solche Initiative nicht umgesetzt werden.[1]
Israel unterstützt eine palästinensische Staatsbildung „von unten.“ Israelische Politiker haben jedoch rechtliche und sicherheitspolitische Bedenken gegenüber den Absichten Fayyads geäußert, die PLO werde 2011 einen palästinensischen Staat auf Grundlage der Linien vom 4. Juni 1967 ausrufen. Ein solcher Schritt wäre für Israel inakzeptabel, da er den international anerkannten Prinzipien einer Verhandlungslösung sowie sicherer und anerkannter – verteidigungsfähiger – Grenzen widerspräche, die in der Resolution des UN-Sicherheitsrates 242 in Folge des Sechstagekrieges 1967 festgelegt wurden. Diese Resolution – verabschiedet im November 1967 – hat seitdem alle arabisch-israelischen Friedensverhandlungen bestimmt, einschließlich des Osloer Friedensprozesses, der Roadmap und Annapolis.
Israel würde die Möglichkeit begrüßen, seine Erfahrungen in der Staatsbildung im Rahmen einer starken israelisch-palästinensischen Partnerschaft mit Fayyad zur Erreichung seiner Vision eines Ansatzes „von unten“ zu teilen. Eine einseitige Ausrufung eines Palästinenserstaates würde jedoch Israels lebenswichtige Sicherheitsbedürfnisse und international anerkannten Rechte verunmöglichen und könnte am Ende den Friedensprozess zum Scheitern bringen sowie zu einem bewaffneten Konflikt zwischen PA-Kräften und Israel führen.
Der Fayyad-Plan
Fayyads Plan ist der erste ernsthafte Entwurf zur Schaffung eines Staates seit der Gründung der PLO 1964. Er löst die traditionelle PLO-Position des „Kampfes mit allen Mitteln“ – einschließlich des bewaffneten Kampfes – zur „Befreiung Palästinas“ ab, die auf dem Sechsten Kongress der Fatah im August 2009 in Bethlehem bekräftigt wurde.[2] Fayyads ausdrückliche Absicht ist es, die nächsten 24 Monate bis 2011 zum Aufbau einer physischen Infrastruktur, öffentlicher Institutionen und Dienste sowie steuerlicher Anreize für ausländische Investoren zu nutzen.[3] Diese staatsbildenden Maßnahmen würden einen lebensfähigen provisorischen Staat im Westjordanland errichten, einschließlich jener Gebiete, die nach den von der PLO und Israel in Oslo unterzeichneten Abkommen unter israelischer Kontrolle stehen, so z.B. das Hochland, von dem aus Jerusalem und die israelischen Küstenstädte im Westen überwacht werden können, sowie das strategisch wichtige Jordantal im Osten.
Fayyads Absicht ist es, vor Ort Fakten zu schaffen, die umfassende internationale Unterstützung sichern und zum Druck führen, die Anerkennung des provisorischen Palästinenserstaats von 2011 in einen rechtmäßigen Staat zu überführen, sollte eine Verhandlungslösung zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und Israel scheitern.[4] Fayyad sagte dazu: „Sollte die Besatzung bis dahin (2011) nicht beendet sein, werden uns die Staaten der Welt von China bis Chile, von Afrika bis Australien ansehen und sagen, dass das palästinensische Volk bereits über einen fertigen Staat verfügt. Das einzige Problem ist dann die israelische Besatzung [israelische Gemeinden und Sicherheitsmaßnahmen], die beendet werden sollte.“[5]
Fayyads Plan – Fatah im Abseits
Trotz der im Plan deutlich bekundeten „umfassenden Verpflichtung gegenüber dem Programm der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO)“ vertritt Fayyads Plan eine kühne Anti-Fatah-Position.[6] Die Eingangssätze des Plans vermeiden eine Erwähnung der Fatah, trotz deren Rolle als führende palästinensische Bewegung, die das palästinensische Befreiungsnarrativ seit nahezu einem halben Jahrhundert prägt. So schreibt Fayyad: „Die Errichtung eines palästinensischen Staates verlangt ein kollektives Bemühen um dieses nationale Ziel, das von verschiedenen politischen und sozialen Organisationen, akademischen und kulturellen Institutionen, Nichtregierungsorganisationen, Räten der Lokalregierungen, dem privaten Sektor, den Landschutz- und Antisiedlungs- und Antimauer-Komitees sowie den nationalen Organisationen der Frauen und der Jugendlichen vertreten wird.“[7]
Fayyads westlicher Ansatz in Hinblick auf Sprache, Substanz und Stil stellt einen deutlichen Bruch sowohl mit den vergangenen PA-Regierungen wie auch mit der Fatah-Bewegung des PA-Vorsitzenden Mahmoud Abbas dar. Fayyads auffallendes Übergehen der Fatah in der Aufzählung sowie die Verpflichtung des Plans zu einem politischen Kampf „friedlicher und populärer Bewegungen“, zusammen mit dem „Aufbau einer Regierung auf Grundlage der Prinzipien der Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit und Toleranz, gewährleistet durch eine deutliche Trennung der exekutiven, legislativen und judikativen Gewalt,“ stellt eine für den in den Vereinigten Staaten ausgebildeten palästinensischen Ökonomen einmalig passende Sprache dar. Fayyad, der gegenüber Newsweek sagte, dass der New Yorker Föderalist Alexander Hamilton ein Vorbild sei,[8] genießt im Westen einen stabilen Ruf als „Technokrat und Pragmatist.“[9]
Westliche Unterstützung für den Fayyad-Plan
Fayyads einseitiges Programm für einen Palästinenserstaat hat bereits breiten Rückhalt der UN, des Nahostquartetts, der europäischen Staatschefs sowie der Obama-Administration erhalten. Das Quartett veröffentlichte am 24. September 2009 eine gemeinsame Erklärung, die „den Plan der Palästinensischen Autonomiebehörde [begrüßt] innerhalb von 24 Monaten die Institutionen eines Palästinenserstaates aufzubauen, die ernsthaftes Bekenntnis der PA zu einem unabhängigen Staat demonstrieren sollen.“[10] Am 22. September 2009 empfing der Sondergesandte des Nahostquartetts Tony Blair das UN Ad Hoc Verbindungskomitee am Rande der UN-Vollversammlung, wobei Geberländer der PA die Summe von 400 Mio. Dollar bis zum Ende des Jahres 2009 versprachen.[11] Blair hatte Fayyads Leistungen bereits als „absolut erstklassig – professionell, mutig, intelligent“ bezeichnet.[12] Der norwegische Außenminister Jonas Gahr Store, Mitglied des Komitees, lobte die Unterstützung des Fayyad-Plans durch die Geber als eine „Investition in ein politisches Projekt.“[13] Der UN-Sonderkoordinator für den Friedensprozess im Nahen Osten Robert Serry hat den Fayyad-Plan ebenfalls öffentlich unterstützt.[14] Und der oberste Diplomat der Europäischen Union Javier Solana hat, Berichten zufolge, bereits am 12. Juli 2009 den UN-Sicherheitsrat aufgefordert, einen Palästinenserstaat auch ohne endgültiges Statusabkommen zwischen Israel und den Palästinensern anzuerkennen. Er sagte, dass die UN „einen palästinensischen Staat als vollständiges Mitglied der UN anerkennen würde und einen Zeitplan für die Umsetzung erlassen würde.“[15]
Während die amerikanische Regierung Fayyads Staatsprojekt offiziell keine ausdrückliche Unterstützung zugesagt hat, sieht auch Barack Obama einen Zweijahresplan für Frieden im Nahen Osten vor.[16] Es finden sich auch andere Anzeichen für eine amerikanische Unterstützung. Kurz nach der Veröffentlichung des Planes kündigte die Obama-Administration einen Zuschuss von 20 Mio. Dollar für das Unternehmen an.[17] Und einige Wochen zuvor billigte der amerikanische Kongress eine Überweisung von 200 Mio. Dollar an das Finanzministerium der PA, welches direkt Fayyad untersteht.[18] Washington hat 2009 außerdem 109 Mio. Dollar für ein amerikanisch gestütztes Ausbildungsprogramm der PA-Sicherheitskräfte zur Verfügung gestellt, die seit 2005 unter Fayyads Kontrolle sind und das von US-General Keith Dayton überwacht wird.[19]
Palästinensischer Widerstand gegen den Plan
Trotz des starken westlichen Rückhalts ist der ehrgeizige Plan Fayyads innerhalb palästinensischer Kreise auf gemischte Reaktionen gestoßen. Die Fatah hat sich entschlossen, dem Plan eine Chance zugeben – dank seiner Aussichten, ein palästinensisches Staatsprojekt im bisher unbekannten Ausmaß umzusetzen.[20] Gleichzeitig hat Fayyads Agenda zu Spannungen in Fatah und PLO geführt, sowie scharfe Kritik arabischer Medien dafür auf sich gezogen, Macht und Legitimität offizieller PLO-Gremien usurpiert zu haben.[21]
Fayyad hat betont, dass jegliche Entscheidung, einen Palästinenserstaat nach Ablauf der zwei Jahre auszurufen von PLO-Organen getroffen werden würde.[22] Dennoch wird der Plan Fayyads als direkter Herausforderung der Fatah und ihres Führers Mahmoud Abbas gesehen. Jener hatte, als Fayyad seinen Plan vorstellte, wiederholt, dass „Verhandlungen mit Israel die einzige Option für die Palästinensische Autonomiebehörde darstellen.“[23] Zudem kollidiert Fayyads Ansatz mit dem traditionellen Programm der Fatah des „bewaffneten Kampfes“ zur „Befreiung Palästinas“ unter Verwendung „aller verfügbaren Optionen“, wie es auf dem jüngsten Kongress der Fatah bestätigt wurde.[24] Fayyads Programm widerspricht ebenso der wiederholten Bestätigung der „Einstaatenlösung“ durch den Fatah-Kongress, sollten die Verhandlungen zu einer „Zweistaatenlösung“ scheitern.[25]
Fayyad – selbst kein Mitglied der herrschenden Fatah-Bewegung – verfügt nur über begrenzten politischen Rückhalt in der von der Fatah geführten palästinensischen Autonomiebehörde, v.a. nach der letzten Wahl ihres Zentralkomitees im August 2009. Die Ablehnung Fayyads durch die Fatah zeigte sich an der Zurückweisung seiner Kandidatur für das Exekutivkomitee der PLO, was, hätte man ihn gewählt, ihm gestattet hätte, einen Palästinenserstaat als Teil der politischen Hierarchie der PLO auszurufen. Fayyad gelang es jedoch, eine begrenzte Verständigung mit dem mächtigen Fatah-Warlord Mohammed Dahlan zu erzielen. Innerhalb des komplexen politischen Machtgefüges der Palästinenser ist Dahlan einer der stärksten Verbündeten Fayyads. Fayyads politische Gegner, wie Tawfiq Tirawi, Abu Maher Gneim und Mahmud al-Alul, die jüngst in das neue Fatah-Zentralkomitee gewählt wurden und den „bewaffneten Widerstand“ gegen Israel unterstützen, haben seinen Plan bereits als „Regierungsintifada“ bezeichnet, welche dem „bewaffneten Kampf“ widerspräche.
Fayyad dürfte auch bei der Finanzierung seines Staatsbildungsprogramms vor einer beträchtlichen Herausforderung stehen. Die internationalen Geberländern haben die Milliarden-Dollar-Versprechen, die bei der Geberkonferenz in Paris 2007 gemacht wurden, noch nicht erfüllt, ebenso wenig die nahezu 5 Mrd. Dollar gezahlt, die 2009 auf der Geberkonferenz für Gaza in Kairo zugesagt wurden.[26] Fayyad stand in der Vergangenheit schon vor Schwierigkeiten, als es darum ging, die 130 000 Angestellten der Autonomiebehörde monatlich zu bezahlen. Gehälter wurden jedoch in jüngster Zeit rechtzeitig bezahlt und Fayyad weiht wegen der Unterstützung seines Plans durch die Geberländer täglich neue Entwicklungsprojekte ein.[27]
Ein potentielles Hindernis im Fayyad-Plan ist die Forderung nach einer Verbindung des von der Hamas kontrollierten Gaza-Streifens mit dem von der Fatah regierten Westjordanland. Dies hieße, dass die Hamas der Abhaltung von Wahlen im Januar 2010 zustimmen müsste, was sie im Moment ablehnt, ihre faktische Herrschaft über den Gazastreifen aufgäbe sowie akzeptiere, erneut unter Kontrolle der Fatah zu leben. Es scheint jedoch viel wahrscheinlicher, dass die Hamas erneut eine militärische Konfrontation mit den Kräften von Fayyads PA beginnt, wie schon damals bei ihrer Machtübernahme in Gaza 2007. Tatsächlich haben Hamas-Politiker Fayyad nach seiner jüngsten Ernennung zum Premierminister im Mai 2009 als „Verräter“ bezeichnet und als Reaktion ein „Erdbeben“ angekündigt.[28] Wenige Tage später waren Sicherheitskräfte der Fayyad-geführten PA und die Hamas in einem tödlichen Schusswechsel in der Westbank-Stadt Kalkilya verwickelt, bei dem drei Sicherheitskräfte der PA und drei Hamas-Aktivisten getötet wurden.[29]
Die palästinensischen Wahlen 2010
Fayyad hat mit seinem Plan als Einsatz den Wahlkampf für Januar 2010 eröffnet, wenn die Amtszeit des PA-Vorsitzenden Mahmoud Abbas sowie des Palästinensischen Legislativrats ablaufen. Da Fayyad im Moment von Abbas ernannter Premierminister ist, wird er nur dann in der Lage sein, seinen Plan eines einseitig erklärten Palästinenserstaates 2011 umzusetzen, wenn er überzeugend in der Kandidatur entweder für die Präsidentschaft oder für das Amt des Premiers gewinnt. Dass Fayyad bereits im Wahlkampf steht, gab er gegenüber Newsweeks Kevin Peraino bekannt: „Es gehört dazu, dass man das ganze Jahr Wahlkampf führt.“[30] Der Konkurrenzkampf um den Posten von Abbas wird heftig sein und aller Voraussicht nach von extremistischen Fatah-Führern wie Abu Maher Gneim und Tawfiq Tirawi geführt werden – entschiedenen Gegnern Fayyads. Fayyads Beliebtheit an der Basis ist jedoch in den vergangenen Monaten bei den Einwohnern kleinerer Städte und Dörfer im Westjordanland beträchtlich gestiegen, dank der von ihm umgesetzten Verbesserungen wesentlicher Dienstleistungen wie Wasserprojekte, Elektrizität und anderer grundlegender Infrastruktur, worin Fatah und PA bislang versagten. Analysten zufolge könnte Fayyad bis zu 15 Prozent der Stimmen bei den gegenwärtig für Januar 2010 geplanten Wahlen gewinnen.[31]
Israels rechtliche und sicherheitspolitische Bedenken
Abgesehen von den beträchtlichen Herausforderungen auf der palästinensischen Seite stellt Fayyads Plan auch Israel vor ernsthafte rechtliche wie sicherheitspolitische Probleme. Es stimmt, dass Israel seit langem den Aufbau palästinensischer Institutionen unterstützt und seine gegenwärtige Politik gegenüber der PA auf einer Staatsbildung „von unten“ und „ökonomischen Frieden“ aufbaut.[32] Israel lehnt jedoch eine unilaterale Ausrufung eines Palästinenserstaates vehement ab, da sie dem Prinzip einer Verhandlungslösung zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn widerspräche, die sich in der UN-Sicherheitsratsresolution 242 vom 22. November 1967 niederschlägt und in den letzten 42 Jahren alle arabisch-israelischen Friedensbemühungen geprägt hat.
Alan Baker, ehemaliger Rechtsberater des israelischen Außenministeriums und einer der juristischen „Architekten“ des Osloer Abkommens, hat davor gewarnt, dass eine einseitige Errichtung eines Palästinenserstaates einer Schlüsselposition des Osloer Interimsabkommens entgegenlaufe, nach der: „Keine der beiden Seiten … einen Schritt initiieren oder unternehmen [soll], der den Status des Westjordanlands und des Gazastreifens ändert, solange ein permanentes Statusabkommen noch nicht beschlossen ist.“[33] Baker notierte: „Die Absicht der Parteien während der Verhandlungen war deutlich: die palästinensische Seite wird keinen einseitigen Palästinenserstaat ausrufen und die Israelis keine Annexion.“ [34]
Ein weiteres Problem für Israel in Fayyads Plan ist der Aufruf zur massiven palästinensischen Entwicklung im „C“-Gebiet der umstrittenen West-Bank-Gebiete, das unter israelischer Zivil- und Sicherheitskontrolle steht, womit die vereinbarten empfindlichen Rahmenbedingungen des Osloer Abkommens von 1993 direkt in Frage gestellt werden.[35] Zu den palästinensischen Plänen gehört, einen Flughafen im Jordantal zu bauen, Kontrolle des Atarot-Flughafens in der Nähe Jerusalems zu übernehmen, neue Zugverbindungen mit Nachbarstaaten einzurichten sowie Wasserprojekte in der Nähe von Tulkarem und Kalkilya, in der Nähe der „Grünen Linie“ von vor 1967.[36] Die israelischen Sicherheitsapparate wenden sich entschieden gegen die palästinensischen Pläne zur Entwicklung von Flughäfen in der Nähe von Jerusalem und im Jordantal.[37] Doch Fayyads Agenda reicht in den „C“-Gebieten noch weiter: Gegenüber der arabischen Tageszeitung Al-Sharq al-Awsat sagte Fayyad am 1. September 2009: „Viele glauben, dass die Gebiete der Zone ‚C‘ in der öffentlichen Wahrnehmung von besetzten Gebieten zu umstrittenen Gebieten geworden sind. Doch wir möchten bekräftigen, dass dies Gebiete der Palästinensischen Autonomiebehörde sind, auf denen der Staat errichtet werden wird.“[38]
Die israelische Regierung ist sich der Möglichkeit einseitiger palästinensischer Schritte im fortgesetzten Streit über die Zukunft des Westjordanlands bewusst. Der israelische Außenminister Avigdor Liebermann teilte dem Gesandten des Quartetts Tony Blair und dem Generalsekretär des EU-Ministerrates Javier Solana kurz nach Ankündigung des Planes im August 2009 mit: „Unilaterale palästinensische Initiativen tragen nicht zu einem positiven Dialog zwischen den Parteien bei. Sollte die einseitige Inititiative, die von Salam Fayyad präsentiert wurde, vorangetrieben werden, wird Israel reagieren.“[39] In einem Interview vom 17. September 2009 wiederholte der israelische Premier Benjamin Netanyahu seine Ablehnung einer palästinensischen Forderung der 1967-Linien als östliche Grenze Israels – eine zentrale Stelle in Fayyads Plan. Gegenüber der israelischen Tageszeitung Israel Today sagte Netanyahu: „Es gibt jene, die prophezeien, dass die Linien von 1967 [Israels östliche] Grenze sein werden, doch die sind nicht zu verteidigen, etwas, dass für mich nicht akzeptabel ist. Israel benötigt verteidigungsfähige Grenzen und die fortgesetzte Fähigkeit zur Selbstverteidigung.“[40]
Netanyahus Kommentar fand nicht im luftleeren Raum statt. Er basiert auf dem völkerrechtlich verankerten Recht Israels, das in der Resolution des UN-Sicherheitsrates 242 verbrieft wurde. Netanyahus Beharren auf „verteidigungsfähigen Grenzen“ rührt auch von der Verständigung her, die Israel in der Vergangenheit mit den Vereinigten Staaten erzielt hat. Das Konzept der „verteidigungsfähigen Grenzen“ war zentrales Element eines Briefs Präsident George W. Bushs an den ehemaligen Premierminister Ariel Sharon vom 14. April 2004, mit einer Verpflichtung des Weißen Hauses zu diesem diplomatischen quid pro quo für einen israelischen Rückzug von Gazastreifen im August 2005.[41] Unmittelbar darauf wurde der Bush-Brief mit überwältigender Mehrheit von beiden Häusern des US-Kongresses gebilligt.
Präsident Bush wiederholte seine öffentliche Verpflichtung für die verteidigungsfähigen Grenzen Israels am 10. Januar 2008 bei seinem ersten Besuch als Präsident in Israel.[42] Ebenso hat Premierminister Netanyahu das israelische Bedürfnis nach „verteidigungsfähigen Grenzen“ in seiner ersten politischen Grundsatzrede am 15. Juni 2009 an der Bar-Ilan Universität betont. Diese zu erreichen, sei eine der wesentlichen Schlüsselfragen im Hinblick auf Sicherheit, mit denen Israels Zustimmung zu einem zukünftigen demilitarisierten Palästinenserstaat gesichert werde.[43]
Israels Bedürfnis nach „verteidigungsfähigen Grenzen“ erfordert eine fortgesetzte Kontrolle des „C“-Gebiets, einschließlich des strategisch bedeutsamen Jordantals sowie des Hochlands um Jerusalem, von dem aus die verwundbaren Städte Israels an der Mittelmeerküste überwacht werden können. Das Jordantal dient als lebenswichtige Barriere gegen eine potentielle Invasion von Osten. Trotz des Friedensvertrages mit Jordanien und der amerikanischen Militärpräsenz in Irak und Afghanistan sind potentielle Bedrohungen vom Osten her immer noch spürbar. Die 4 000 Raketen der vom Iran unterstützten Hisbollah 2006 sowie die 10 000 Raketen und Mörserangriffe der ebenfalls vom Iran unterstützten Hamas, die zum Gazakrieg von 2009 führten, unterstreichen die potentielle Bedrohung israelischer Städte, die aus einem Palästinenserstaat im Westjordanland erwachsen würde, zöge sich Israel an die Grenzen von 1967 zurück.
Der ehemalige Direktor der nachrichtendienstlichen Auswertung der IDF Gen. Maj. (Res.) Yaakov Amidror stellte fest, dass das Jordantal z.Zt. als wichtige natürliche Barriere dient gegen einen möglichen Transport von Raketen in die Hügel des Westjordanlandes, von wo aus die Küste Israels im Schussfeld ist und man leicht den wichtigsten israelischen Flughafen, Schlüsseleinrichtungen sowie die meisten israelischen Städte beschießen könnte.[44] Der ehemalige IDF-Generalstabschef Shaul Mofaz gelangte 2000 vor dem israelischen Kabinett im Rahmen der Clinton-Vorschläge zu einer ähnlichen Einschätzung,[45] während sein Nachfolger als Generalstabschef Moshe Yaalon 2008 das Bedürfnis nach verteidigungsfähigen Grenzen im Westjordanland noch einmal unterstrichen hat.[46]
Schlussfolgerungen
Der Plan des palästinensischen Premier Salam Fayyad, innerhalb von zwei Jahren unilateral einen Staat aufzubauen, signalisiert einen positiven Schritt weg von der Politik des bewaffneten Kampfes, der für die Fatah-Führung bislang charakteristisch war. Die gegenwärtige Politik des Staates Israel befürwortet eine Staatsbildung „von unten“ sowie die Reform von Sicherheit, Politik und Bildung und ökonomischen Frieden als notwendigen Schritt zur Erreichung eines entmilitarisierten Palästinenserstaates. In dieser Hinsicht demonstriert Fayyad politische Kühnheit darin, die gescheiterte Politik der Fatah unilateral zu transformieren und eine feste Stellung gegen Hamas zu beziehen.
Die Obama-Administration hat angedeutet, Fayyads Staatsprojekt zu unterstützen. Doch angesichts der wachsenden Spannungen und Machtkämpfe unter den Palästinensern übertreffen die Risiken und Gefahren eines solchen Plans sein Potential, die Palästinenser zu einigen und den Konflikt mit Israel zu beenden.
Fayyads Plan würde darüber hinaus einseitig das diplomatische Paradigma zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und dem Staat Israel von einem rechtlich sanktionierten Verhandlungsprozess in eine unilaterale palästinensische Initiative verwandeln, mit weitreichenden und verstörenden rechtlichen, politischen und sicherheitspolitischen Implikationen für Israel und auch für die Palästinenser und andere regionale Akteure. Eine einseitige Ausrufung eines Palästinenserstaates würde Israel von den Beschränkungen und Verpflichtungen befreien, die es im Osloer Abkommen akzeptiert hat, mit allen entsprechenden Folgen,[47] und den Friedensprozess in Nahost weiter verkomplizieren.
Fayyads Strategie, amerikanische und internationale Unterstützung für seine einseitigen Schritte zu gewinnen, damit Israel sich zu den Linien von 1967 zurückzieht, könnte sehr wahrscheinlich negativ zurückschlagen. Anstatt die Grundlagen eines Palästinenserstaates zu legen, könnte ein einseitig erklärter Staat, der die Linien von 1967 einfordert, Israel, die PA und andere regionale Akteure in einen Chaos von Instabilität und möglicherweise bewaffneten Konflikt stürzen.
Dan Diker und Pinhas Inbari sind langjährige Experten für Außenpolitik am Jerusalem Center for Public Affairs.
[1] Salam Fayyad Interview mit Ali al Salih in Al-Sharq al-Awsat, 1. September 2009.
[2] http://www.fatehconf.ps/pdfs/fatehpolitical.pdf.
[3] Salam Fayyad, Palestine National Authority, Ending the Occupation, Establishing the State, Program of the Thirteenth Government, August 2009. See also “Palestinian PM: ‘We’ll Form De Facto State by 2011′,” Ha’aretz, 25. August 2009.
[4] “Palestinian PM Expounds Plan to Proclaim Statehood by 2011,” Al-Sharq al-Awsat, September 1, 2009.
[5] Fayyad interview.
[6] Ibid.
[7] Fayyad, Ending the Occupation, Establishing the State, p. 3.
[8] Kevin Peraino, “Palestine’s New Perspective,” Newsweek, 14. September 2009.
[9] Ibid.
[10] Joint Statement by the Quartet, Washington, D.C., 24. September 2009, http://www.state.gov/r/pa/prs/ps/2009/sept/129602.htm.
[11] Pressekonferenz des Ad Hoc Liaison Committee for Assistance to Palestinians, United Nations, 22. September 2009, http://www.un.org/News/briefings/docs/2009/090922_AHLC.doc.htm. See also Avi Issacharoff, “Abbas: Palestinians Can’t Negotiate with Netanyahu,” Ha’aretz, 24. September 2009, http://www.haaretz.com/hasen/spages/1116693.html.
[12] Peraino.
[13] Pressekonferenz des Ad Hoc Liaison Committee for Assistance to Palestinians.
[14] http://www.maannews.net/eng/ViewDetails.aspx?ID=221642.
[15] “Solana Wants UN to Establish Palestine,” Jerusalem Post, 12. Juli 2009, http://www.jpost.com/servlet/Satellite?pagename=JPost%2FJPArticle%2FShowFull&cid=1246443786047.
[16] Barak Ravid and Akiva Eldar, “Obama Envisions Two Years until Mideast Peace Deal,” Ha’aretz, 1. September 2009.
[17] http://www.maannews.net/arb/ViewDetails.aspx?ID=222018.
[18] Peraino.
[19] Jim Zanotti, “U.S. Security Assistance to the Palestinian Authority,” Congressional Research Service, 24. Juni 2009, http://italy.usembassy.gov/pdf/other/R40664.pdf.
[20] Treffen mit hochrangigen Fatah-Mitglied und ehemaligen hohen palästinensischem Beamten, Jerusalem, 10. September 2009.
[21] Fayyad interview.
[22] Fayyad interview.
[23] Maan news agency (Arabisch), 17. August 2009, http://www.maannews.net/arb/ViewDetails.aspx?ID=219746.
[24] Pinhas Inbari, “Will Fatah Give Up the Armed Struggle at Its Sixth General Congress?” Jerusalem Issue Brief, Vol. 9, No. 6, 4. August 2009.
[25] Ibid.
[26] Dan Diker and Pinhas Inbari, “Is the Palestinian Authority Stable Enough for Peace Talks? Assessing the Resignation and Return of Prime Minister Salam Fayyad,” Jerusalem Issue Brief, Vol. 9, No. 3, 16. Juni 2009.
[27] Maan news agency (Arabisch), 23. September 2009, http://www.maannews.net/arb/ViewDetails.aspx?ID=227336.
[28] Ibid.
[29] Ibid.
[30] Peraino.
[31] Einschätzung von Fayyads dramatisch angestiegener Popularität durch drei hochrangige palästinensische Analysten bei verschiedenen Treffen mit Autoren September 28.-30. September
[32] Moshe Yaalon, “A New Strategy for the Palestinian-Israeli Conflict,” Jerusalem Issue Brief, Vol. 8, No. 10, 2. September 2008, http://www.jcpa.org/Templates/ShowPage.asp?DRIT=1&DBID=1&LNGID=1&TMID=111&FID=442&PID=0&IID=2515&TTL=A_New_Strategy_for_the_Israeli-Palestinian_Conflict.
[33] Alan Baker, “De Facto Deliberations,” Jerusalem Post, 26. August 2009, http://www.jpost.com/servlet/Satellite?cid=1251145125233&pagename=JPost%2FJPArticle%2FShowFull.
[34] Ibid.
[35] Das am 13. September 1993 von dem israelischen Premier Yitzhak Rabin und PLO-Chef Arafat im Weißen Haus unterzeichnete Osloer Abkommen sah vor, dass bis zu einer endgültigen Statusregelung das Westjordanland und Gaza in drei Zonen aufgeteilt werden solle: A – vollständige Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde; B – palästinensische Zivilkontrolle, israelische Militärkontrolle; C – vollständig unter israelischer Kontrolle.
[36] Fayyad, Ending the Occupation, Establishing the State, p. 35.
[37] Treffen mit ehemaligem hochrangigen IDF-Mitglied, direkt involviert in den Sicherheitsaspekten der vorherigen Verhandlungen. Jerusalem, 23. September 2009.
[38] Fayyad interview in Al-Sharq al-Awsat.
[39] “FM: Bilateral Steps Will Bring Peace,” Jerusalem Post, 31. August 2009.
[40] Shlomo Tzna and Mati Tuckfeld, “The Prime Minister in a Special Holiday Interview: The Land Is Already Divided,” Israel Today, 16. September 2009, http://www.israelhayom.co.il/site/newsletter_article.php?a=3738.
[41] Der Bush-Brief von 2004 bestätigte: “The United States remains committed to the security of Israel including secure, recognized and defensible borders and to preserving and strengthening the capability of Israel to deter enemies and defend itself against any threat.” Siehe Defensible Borders for a Lasting Peace. Jerusalem Center for Public Affairs, Jerusalem, 2008, Appendix 3, p. 73.
[42] Herb Keinan, “Bush Tells Israel: End the Occupation,” Jerusalem Post, 10. Januar 2008.
[43] Netanyahu-Rede, siehe http://www.pmo.gov.il/PMOEng/Communication/PMSpeaks/speechbarilan140609.htm.
[44] Siehe Maj.-Gen. (res.) Yaakov Amidror, “Israel’s Requirement for Defensible Borders,” in Defensible Borders for a Lasting Peace," pp. 17-39.
[45] Siehe Dore Gold, The Fight for Jerusalem (Washington: Regnery, 2007), p. 9.
[46] Moshe Yaalon, “The Second Lebanon War, from Territory to Ideology,” in Iran’s Race for Regional Supremacy, Jerusalem Center for Public Affairs, Jerusalem, 2008, p. 33.
[47] Baker, “De Facto Declarations.”