Palästinenser bestehen auf Rückkehrrecht

Palästinenser bestehen auf Rückkehrrecht

Jonathan D. Halevi

· Das Gerücht, der Palästinenserführer Mahmoud Abbas hätte bei einem Interview mit dem israelischen Fernsehsender Channel 2 TV am 2. November 2012 anscheinend das „Rückkehrrecht“ der palästinensischen Flüchtlinge entsorgt, erweist sich bei näherer Betrachtung der von Abbas selbst gelieferten Klarstellungen als gegenstandslos. In ihnen hatte dieser das Rückkehrrecht als „heiliges Recht“ bezeichnet und seine absolute Verpflichtung gegenüber diesen grundsätzlichen palästinensischen Positionen bekräftigt.

· Die sich zwischen Israel und den Palästinensern auftuende Kluft hinsichtlich der Flüchtlingsfrage ist unüberbrückbar. Aus palästinensischer Perspektive handelt es sich um ein Tabu, das nicht in Frage gestellt werden darf. Die Formulierung „eine gerechte und im Einvernehmen getroffene Lösung auf Grundlage von Resolution 194“ deutet nicht auf eine mögliche palästinensische Kompromissbereitschaft hin, denn „im Einvernehmen“ heißt nichts anderes, als Israel dazu zu zwingen, die palästinensische Forderung von „Gerechtigkeit“ umzusetzen.

· Sowohl die PLO als auch die Palästinensische Autonomiebehörde – und ebenso die Hamas-Regierung im Gazastreifen – halten in der palästinensischen Gesellschaft die Idee lebendig, dass die Flüchtlinge zurückkehren könnten, womit sie jede Möglichkeit ausschließen, dass die Flüchtlinge außerhalb der Lager angesiedelt werden, und gleichzeitig die Rolle der UNRWA bewahren, die als praktisches Symbol der Forderung nach Rückkehr fungiert.

· Unter den Palästinensern herrscht Konsens darüber, dass man, solange das Rückkehrrecht nicht umgesetzt ist, den Konflikt mit Israel aufrechterhalten kann, was so viel bedeutet, dass eine Fortsetzung des bewaffneten Kampfes gegen den jüdischen Staat auch nach der Errichtung eines Palästinenserstaates gerechtfertigt wäre. Damit stellt das „Flüchtlingsproblem“ die Trumpfkarte der Palästinenser dar, mit der sie Israel immer wieder konfrontieren werden.

· Die scharfen Reaktionen von palästinensischer Seite gegenüber den Äußerungen Abbas‘ zeugen vom Unvermögen der Palästinenserführung, in der Flüchtlingsfrage Israel entgegen zu kommen, selbst wenn sie es wünschen würde.

Das Gerücht, der Palästinenserführer Mahmoud Abbas hätte anscheinend das „Rückkehrrecht“ der palästinensischen Flüchtlinge entsorgt, erweist sich bei näherer Betrachtung der von Abbas selbst gelieferten Klarstellungen, in denen er Rückkehr als „heiliges Recht“ bezeichnet und seine absolute Verpflichtung gegenüber diesen grundsätzlichen palästinensischen Positionen bekräftigt hatte, als gegenstandslos. Ein Interview des israelischen Fernsehsenders Channel 2 TV mit dem Palästinenserpräsidenten vom 2. November 2012 sorgte für erregte politische Debatten sowohl auf israelischer wie auch auf palästinensischer Seite.

In dem Interview sagte Abbas, der in der israelischen Stadt Safed geboren wurde, er würde seinen Geburtsort gerne besuchen, doch nicht mehr dort leben wollen. Desweiteren unterstrich er, für ihn sei Palästina „die Grenzen von ‘67 mit Ostjerusalem“ und er fügte hinzu: „Ich bin ein Flüchtling, ich lebe in Ramallah; das Westjordanland und der Gazastreifen sind Palästina, der Rest ist Israel.“

Die israelische Führung hatte zwar keine Eile, Abbas‘ mutmaßlicher Bereitschaft, die palästinensische Forderung eines Rückkehrrechts aufzugeben, Glauben zu schenken, doch die Hamas ihrerseits beschuldigte ihn des Hochverrats und der Verletzung grundlegender Prinzipien.

Innerhalb eines Tages veröffentlichte die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa eilig den Text eines klärenden Interviews mit dem ägyptischen Sender Al-Hayat, das Abbas am Samstag in Amman gegeben hatte. Hier beschwerte sich Abbas darüber, wie die Medien, v.a. Al-Dschasira, ihn bruchstückhaft und aus dem Kontext gerissen zitiert hatten. Zur Frage des Rückkehrrechts stellt er klar:

„Seit 1988 hat der Palästinensische Nationalrat die UN-Resolutionen 242 und 338 anerkannt. Diese Anerkennung wurde mehrere Male wiederholt – in der Arabischen Friedensinitiative, davor wie danach, und auch die Hamas und der Islamische Dschihad haben dem zugestimmt. Auch im jüngsten Versöhnungsabkommen in Kairo gab es eine Einigung auf Grenzen von 1967, friedlichen Volkswiderstand und Wahlen. Daran nahmen im Januar 36 Vertreter des Zentralkomitees [der Fatah] und der Generalsekretär teil. Es wurde von allen arabischen und islamischen Staaten erklärt, dass es kein Problem bei der Übereinkunft auf Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt eines Palästinenserstaates gäbe.

Meine Äußerungen zu Safed sind meine persönliche Meinung und stellen keinerlei Aufgabe des Rückkehrrechts dar, denn es ist überhaupt nicht möglich, dass irgendjemand dieses aufgibt, stellt doch seine Formulierung in all den internationalen, arabischen und islamischen Resolutionen fest, dass eine gerechte und übereinstimmende Lösung des Flüchtlingsproblems auf Grundlage von [UN-Resolution] 194 gefunden werden müsse, wobei ‚übereinstimmend‘ heißt: in Übereinkunft mit der israelischen Seite.“[1]

In diesem Interview bezeichnete Abbas das Rückkehrrecht als „heilig“ und äußerte, dass es ebenso wie die andere Grundsatzfragen im Rahmen eines Endstatusabkommens mit Israel diskutiert werden wird. Die Flüchtlingsfrage werde auf Grundlage der Resolution 194 verhandelt werden, in welcher das Prinzip des „Rückkehrrechts“ Erwähnung findet im Zusammenhang mit Entschädigungen jener, die sich entscheiden, nicht davon Gebrauch zu machen. Nach einer solchen Übereinkunft mit Israel, so Abbas, werde diese dann dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden können.

Der Sprecher des Präsidenten Nabil Abu Rudeineh wies die Behauptungen der Hamas-Führung, Abbas hätte damit das Rückkehrrecht aufgegeben, scharf zurück. In einer öffentlichen Stellungnahme bekräftigte Abu Rudeineh: „Der Präsident und die Palästinenserführung werden nie einem Staat mit befristeten Grenzen zustimmen, denn wer immer auch einem solchen befristeten Staat zustimmt [womit er die Hamas meinte], ist tatsächlich der, der das Rückkehrrecht aufgibt und damit ein wesentliches nationales Prinzip aufkündigt, was für zukünftige Generationen der Palästinenser zu einer Katastrophe führen muss.“

Abu Rudeineh sagte weiter, das „Rückkehrrecht der Flüchtlinge ist eine der Endstatusfragen, die ebenso mit den Israelis ausgehandelt werden wie Grenzen und Wasser. Wir halten uns an die grundlegenden nationalen Prinzipien, die von den nationalen Institutionen bestätigt wurden. An dieser Position ist nichts Neues.“[2]

Der offizielle Beauftragte der Fatah für auswärtige Beziehungen Nabil Shaath behauptete in einem Interview mit der Webseite „raya.ps“, dass die Medien die Äußerungen von Abbas aus dem Kontext gerissen hätten und dass im vollständigen Interview Abbas gesagt hätte, „jeder Palästinenser verfügt über das Rückkehrrecht in seine Heimat, hat aber auch das Recht sich zu entscheiden und kann wählen, ob er in das eine Land zurückkehrt oder in ein anderes.“[3] Auch andere Fatah-Führer und Vertreter ihrer konstituierenden Organisationen eilten Abbas zur Hilfe und unterstrichen seine Treue gegenüber dem Rückkehrrecht.[4]

Die sich zwischen Israel und den Palästinensern auftuende Kluft hinsichtlich der Flüchtlingsfrage ist unüberbrückbar. Aus palästinensischer Perspektive handelt es sich um ein Tabu, das nicht in Frage gestellt werden darf. Bei der Lösung des Konflikts geht es ihnen um „Gerechtigkeit“, nicht aber um „Kompromiss“, wie sich unschwer aus allen Resolutionen der Palästinenser ablesen lässt.

Aus palästinensischer Perspektive bedeutet eine „gerechte Lösung“ eine Einlösung des palästinensischen Rückkehrrechts in Übereinstimmung mit den internationalen Resolutionen allen voran Resolution 194, welche ihrer Meinung zufolge, das Anrecht der Flüchtlinge auf Rückkehr und Kompensation rechtfertigt.

Die Formulierung „eine gerechte und im Einvernehmen getroffene Lösung auf Grundlage von Resolution 194“ deutet nicht auf eine mögliche palästinensische Kompromissbereitschaft hin, denn „im Einvernehmen“ heißt nichts anderes, als Israel dazu zu zwingen, die palästinensische Forderung nach „Gerechtigkeit“ umzusetzen.

Sowohl die PLO als auch die Palästinensische Autonomiebehörde – und ebenso die Hamas-Regierung im Gazastreifen – halten in der palästinensischen Gesellschaft die Idee lebendig, dass die Flüchtlinge zurückkehren könnten, womit sie jede Möglichkeit ausschließen, dass die Flüchtlinge außerhalb der Lager angesiedelt werden, und gleichzeitig die Rolle der UNRWA bewahren, die als praktisches Symbol der Forderung nach Rückkehr fungiert.

Diese Verpflichtung gegenüber dem Rückkehrrecht wurde im „Gesetz zum Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge“ verankert, dass der Palästinensische Legislativrat 2008 ratifiziert hatte. Dieses Gesetz fordert unter anderem:

„Das Recht einer Rückkehr der Palästinenser in ihre Heimat und zu ihrem Besitz und die Gewähr von Kompensation für das Leid, dass ihnen zum Schicksal wurde, ist ein fundamentales und heiliges Anrecht und darf nicht gekauft, verkauft oder umgeschrieben und zum Gegenstand einer Erwägung [einer Bedeutungsänderung], Interpretation oder eines Referendums werden.

Das Rückkehrrecht ist ein naturgegebenes Individual-, Gruppen-, Zivil- und politisches Recht, dass vom Vater auf den Sohn übergeht und weder durch die Zeit noch durch die Unterzeichnung irgendeines Abkommens erlischt. Es ist nicht möglich, es abzuschaffen oder einen Teil davon aufzugeben.

Es ist verboten, die palästinensischen Flüchtlinge als Alternative zum Rückkehrrecht irgendwo an- oder umzusiedeln.

Wer immer gegen Vorkehrungen dieses Gesetzes verstößt, wird als Hochverräter betrachtet und hat für dieses Verbrechen die dafür vorgesehenen vollen straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen zu tragen.“[5]

Aus palästinensischer Perspektive – die von palästinensischen wie israelischen Menschenrechtsorganisationen unterstützt wird – ist das Rückkehrrecht eines jeden Flüchtlings sein „persönliches“ Anrecht. Entsprechend hätten Vertreter der Palästinenser keine Autorität – und genauso wenig die Vereinten Nationen – dieses im Namen der Betroffenen aufzugeben.

Unter den Palästinensern herrscht Konsens darüber, dass man, solange das Rückkehrrecht nicht umgesetzt ist, den Konflikt mit Israel aufrechterhalten kann, was so viel bedeutet, dass eine Fortsetzung des bewaffneten Kampfes gegen den jüdischen Staat auch nach der Errichtung eines Palästinenserstaates gerechtfertigt wäre.

Jeder palästinensische Politiker, der es wagen würde, diesen Konsens in Frage zu stellen und das Rückkehrrecht in Verhandlungen mit Israel aufgibt, würde im besten Fall in Ungnade fallen, im schlimmsten Fall aber hingerichtet. Die scharfen Reaktionen von palästinensischer Seite gegenüber den Äußerungen von Abbas auf Channel 2 TV zeugen vom Unvermögen der Palästinenserführung, in der Flüchtlingsfrage Israel entgegen zu kommen, selbst wenn sie es wünschen würde.

Zusammengefasst heißt dies also, dass Abbas sich nicht von bekannten grundlegenden Positionen der Palästinenser in der Flüchtlingsfrage entfernt hat. Er betrachtet das Rückkehrrecht nach wie vor als „heiliges Recht,“ über das jeder Flüchtling verfügt, und welches niemand das Recht hat, in ihrem Namen aufzugeben.

Das diplomatische Anliegen der von Abbas geleiteten Palästinenser Ende dieses Monats zielt darauf, die Vereinten Nationen darum zu bitten, einem Palästinenserstaat in den „Grenzen von 1967“ international anzuerkennen. Auf diese Weise hofft Abbas, ein größeres rechtliches und politisches Gewicht für die palästinensischen Forderungen nach einem vollständigen israelischen Rückzug aus dem Westjordanland zu erzielen, ohne dass die palästinensische Seite etwas aufzugeben hat – am allerwenigsten das Rückkehrrecht.

Das Flüchtlingsproblem steht im Zentrum des Nahostkonfliktes. Damit stellt es für die Palästinenser die Trumpfkarte dar, mit der sie Israel immer wieder konfrontieren werden, selbst dann, wenn ein palästinensischer Staat errichtet worden sein sollte, und mit der sie Israel langfristig demografisch zu verändern und zu überwinden suchen, bis am Ende ein einziger palästinensischer Staat steht – vom Jordan bis zum Mittelmeer.



[1] http://www.wafa.ps/arabic/index.php?action=detail&id=141328

[2] http://www.alquds.com/news/article/view/id/395348

[3] http://www.raya.ps/ar/news/806897-shaath-banner-incorrect-translation-trimming-some-alkalamat-led-to-a-misunderstanding-of-the-president-39-s-remarks.html

[4] http://www.wafa.ps/arabic/index.php?action=detail&id=141344

[5] http://www.dft.gov.ps/index.php?option=com_dataentry&pid=8&Itemid=27&des_id=1063