Neue Herzlichkeit zwischen Iran und Hamas

Neue Herzlichkeit zwischen Iran und Hamas

Michael Segall
 

 

Am 15. Juni 2007 ergriff die Hamas Macht und Kontrolle im Gazastreifen und vertrieb in Folge Fatah und Palästinensische Autonomiebehörde. Heute, inmitten von Dauerkrise, Führungswechsel in und außerhalb Gazas und schwindenden finanziellen und politischen Rückhalt, auch in der Bevölkerung, ist die Gruppe bestrebt, die Beziehung zum Iran wieder aufzuwärmen.
 

Die zentrale Rolle des Iran bei der "Befreiung Palästinas"

Ende August 2017 verkündete Yahya al-Sinwar, der erst im Februar zum Chef des Politbüros der Hamas in Gaza gewählt worden war, dass die seit Beginn der syrischen Bürgerkrieges angespannten Beziehungen der Gruppe zum Iran nun wieder vollständig hergestellt und "exzellent" seien. Al-Sinwar zufolge kommt dies dem "Widerstand" in seinem Bemühen zugute, Palästina zu befreien und Israel zu zerstören. (1) Al-Sinwar unterstrich, dass die Hamas damit fortfahren werde, ihre "Mitglieder auf die Befreiung Palästinas vorzubereiten, […] und die Islamische Republik wird dabei eine zentrale Rolle spielen, indem sie finanzielle und militärische Unterstützung für den militärischen Arm der Hamas – die Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden – liefert." Die iranische Unterstützung sei von "strategischem Wert" beim Kampf gegen die "israelische Besatzung", doch die Hamas sei (gegenwärtig) nicht an einem Krieg mit Israel interessiert, sondern wolle einen solchen vermeiden, so dass "die Palästinenser sich erholen können". Al-Sinwar betonte aber auch, dass die Hamas einen Krieg nicht fürchtet und für einen solchen gerüstet sei. (2) Al-Sinwar, der 2011 im Gilad-Shalit-Gefangenenaustausch freigelassen wurde, ist eines der führenden Gründungsmitglieder des militärischen Arms der Hamas.

 

""

Ismail Haniyeh und Ayatollah Khamenei

 

Anfang August 2017 besuchte eine hochrangige Delegation des Hamas-Politbüros Teheran. Geführt wurde sie von Ezzat al-Resheq, Saleh Arouri, Zaher Jabarin und Osama Hamdan. Die Delegation folgte einer iranischen Einladung an den Hamas-Führer Ismail Haniyeh zur Amtseinführungfeier für die zweite Amtszeit von Präsident Hassan Rouhani. (3) Die Gruppe traf sich mit hochrangigen iranischen Politikern wie dem Parlamentsvorsitzenden Ali Larijani, Außenminister Mohammad Javad Zarif, (4) Ali Akbar Velayati, außenpolitischer Sonderberater des Obersten Führers Ali Khamenei und Vertretern der Revolutionsgarden. (5) Anfang 2017 hatte die Hamas dem Iran zudem offiziell zum Tod des ehemaligen Präsidenten Hashemi Rafsanjani kondoliert. (6)

Iranische Waffen und iranisches Geld

Am 6. August verkündete der Vertreter der Hamas im Libanon Ali Baraka, dass vor dem Hintergrund der Gespräche in Teheran die Beziehungen zwischen dem Iran und der Hamas wiederhergestellt worden seien und beide Seiten sich darauf geeinigt hätten, die vergangenen Meinungsverschiedenheiten auf sich beruhen zu lassen. Stattdessen gelte es nach vorne zu sehen und für die Sache der Palästinenser zu kooperieren, so dass die Palästinenserfrage angesichts der regionalen Konflikte nicht untergehe. "Der Iran ist sich dessen bewusst, dass die Standhaftigkeit des Widerstands dafür essentiell ist, so wie die Hamas die Bedeutung der Beziehungen zum Iran für die Stärkung des palästinensischen Widerstands anerkennt, ganz besonders, da  der Iran das einzige Land ist, dass den Widerstand mit Geld und Waffen unterstützt." Baraka fügte hinzu, dass Hamas-Chef Haniyeh bald Teheran besuchen würde. (7) Israelische Geheimdienste haben unlängst darauf hingewiesen, dass die Hamas dabei ist, ihre Präsenz im Libanon unter der Schutzherrschaft des Iran und seiner schiitischen Achse auszuweiten.

Eine von der Gruppe veröffentlichte Stellungnahme bekräftigt, dass diese Treffen auf höchster Ebene die Wertschätzung der iranischen Rolle bei der Unterstützung der "palästinensischen Standhaftigkeit und des palästinensischen Rechts auf Widerstands" darstellen und "den Wunsch der Hamas, die Beziehungen zum Iran zu stärken, um damit das Palästinenserproblem zu lösen, unterstreichen würde. (8)
 

""

Links, Mitglieder der Freundschaftsgruppe des iranischen Parlaments, Rechts, Khaled Qadoumi
Darüber Fotos von Scheich Yassin und Abdel Aziz al-Rantisi, von Israel getötete Hamas-Führer.

 

Am 6. September 2017 kam es zu einem weiteren Treffen zwischen der Hamas und iranischen Politiker. Der Vorsitzenden der iranisch-palästinensisch-libanesischen Freundschafsgruppe des Parlaments Amir Khojasteh traf auf den Hamas-Vertreter in Teheran. Khojasteh bezeichnete Palästina als die wichtigste Angelegenheit der muslimischen Welt und drängte, dass die Palästinenserorganisationen realisieren, dass nur bewaffneter Widerstand und Einigkeit Mittel des Kampfes gegen das "Zionistenregime" seien und Friedensverhandlungen vergeblich. Er versprach, dass seine Parlamentariergruppe den Palästinensern und ihrem Widerstand alle notwendige Hilfe liefern würde und richtete Grüße und Glückwünsche des Parlamentsvorsitzenden Larijani an den neu gewählten Hamas-Führer Ismail Haniyeh aus. (9)

Soziale Netzwerke im arabischen Raum reagierten erzürnt auf die Teilnahme der "verräterischen" Hamas bei der Amtseinführung des "Terroristen Rouhani". Die Hamas-Delegation wurde des Verrats an der "Sunnitischen Umma" bezichtigt und der Gleichgültigkeit gegenüber dem vom Iran in Syrien und Irak vergossenen "arabischen Blut". (10) Kurz vor dem Besuch hatte die saudische Zeitung Al-Riyadh bereits auf ihrem Twitter-Kanal wissen lassen, dass eine Delegation der "terroristischen Hamas-Führung" die Amtseinführung von Rouhani besuchen würde, was zu einem Sturm der Entrüstung und Reaktionen der Hamas auf den Tweet führte, der schließlich von Seite gelöscht wurde, auch wenn das Netzwerk noch von Screenshots überflutet wird. (11)

Eine wechselhafte Geschichte

Die Beziehungen zwischen dem Iran und der Hamas war bereits in der Vergangenheit nicht ohne Höhen und Tiefen, wurde aber praktisch auf Eis gelegt, als die Gruppe sich weigerte, Teheran und die Hisbollah darin zu unterstützen, das Überleben des Assad-Regimes in Syrien zu gewährleisten. Die Hamas wurde gezwungen, ihr Hauptquartier in Damaskus zu räumen, von dem aus die Aktivitäten in Gaza und im Westjordanland koordiniert  worden waren. Der damalige Chef Khaled Mashal musste nach Doha ins Exil gehen. Die Verbesserung der Beziehungen nach Katar und den Golfstaaten kulminierte 2015 in einem Besuch Mashals in Saudi Arabien, sehr zum Ärger von Teheran und dem militärischen Arms der Hamas.

Die Wahl des Hardliners al-Sinwar, eines der führenden Figuren des militärischen Arms, zum neuen Premier in Gaza stellte eine Wende in dem Verhältnis zu Teheran dar. Al-Sinwar und der ehemalige Militärführer der Hamas Muhammad Deif hatten die Beziehungen zum Iran immer für vorrangig betrachtet, auch als der politische Flügel dies anders sah. Es scheint, als übernimmt die neue Hamas-Führung wieder stärker eine Hardline-Position. Teheran hat sich beeilt, die Ernennung al-Sinwars zu begrüßen, in der Annahme, dass so die Kräfte in der Hamas gestärkt würden, die den bewaffneten Kampf gegen Israel fortsetzen möchten. Auf diese Weise dürfte der iranische Einfluss in Gaza wieder wachsen und einer neue Runde der Konfrontation den Weg bereiten.

Zusätzlich hat sich das Hamas-Machtzentrum seit Haniyehs Wahl im Mai nach Gaza verschoben. Khaled Mashal hatte stets außerhalb von Gaza agiert. Es ist im Interesse Teherans, dieses neue Machtgefüge zu stärken, mit dem die Hamas vom sogenannten gemäßigten arabischen Lager auf Distanz gehalten wird, insbesondere den Golfstaaten. Dies hat wesentliche Konsequenzen für die palästinensische Bevölkerung Gazas. Während sich die iranische Unterstützung auf die militärische Infrastruktur konzentriert – Raketen und Tunnel – war die Unterstützung der Golfstaaten und Ägypten auf den Wiederaufbau des Gazastreifens und seine Einwohner gerichtet, auch wenn der Großteil in den Händen der Hamas landete. Über kurz oder lang dürfte die neue Situation also wieder zu Notlagen in Gaza führen, und damit möglicherweise zu einer weiteren Runde militärischer Eskalation.

Gleichzeitig gestaltete sich die Kontrolle der Hamas für den Iran nicht ohne Schwierigkeiten, da jene auf ihre Unabhängigkeit bedacht ist. Annäherung und Distanz zum Iran sind häufig Resultat innerer Angelegenheiten der Gruppe, ihres schwankenden Status in der Region, der Situation in Gaza und der Beziehungen zu sunnitischen Staaten. Die Kritik, die der Hamas für ihre Delegation zur Amtseinführung Rouhanis entgegenschlug, zeugt von der Komplexität und dem begrenzten Spielraum der Hamas, wenn es um Teheran geht. Denn der Iran versucht, die schiitische Hegemonie über sunnitisch-arabische Regionen aufzubauen. Entsprechend war es Saudi Arabien, das an der Spitze des Kampfes gegen das iranische Hegemonialstreben zu steht, das die Hamas dafür attackierte. Die Hamas ist sich des Preises bewusst, den ihr die arabischen Staaten dafür abverlangen, dass sie sich mit dem Iran verbündet. Doch angesichts ihrer ökonomischen und diplomatischen Zwangslage und des ideologischen Extremismus ihrer neuen Führung bleibt ihr keine andere Wahl.

Der Iran wiederum zeigt sich stolz auf die neuen Beziehungen zur Hamas und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad, wobei letzterer vollständig vom Iran abhängt und sich ihm jederzeit fügt. Teheran hat sich dem "Widerstandslager" verpflichtet, das Israel pausenlos zu bekämpfen gewillt ist und jedwede diplomatische Lösung der Palästinenserfrage ablehnt. Der Iran ist bestrebt, in Gaza und im Westjordanland Fuß zu fassen und dort Einfluss auszuüben.

Krise treibt Hamas in die Arme Teherans

Hinter der jüngsten Annäherung der Hamas an Teheran steckt im Wesentlichen eine innenpolitische Krise. Der Konflikt mit PA-Chef Abbas, der die Hilfe für Gaza im Laufe der Zeit zusammenstrich, hat die wirtschaftliche und soziale Realität im Gazastreifen zugespitzt. Die Bewohner geben für die Verschlechterung wahlweise der Hamas, der PA, Ägypten oder Israel die Schuld. In der Region hat die Hamas zum "gemäßigten" arabischen Lager, geführt von Saudi Arabien und Ägypten, ein gespanntes Verhältnis. Kairo verlangt, dass die Hamas ihre Beziehung zu ihrer Mutterorganisation, der Muslimbruderschaft, und ihre Duldung oder Unterstützung für Terrorgruppen in Ägypten einstellt. Käme die Hamas dem nach, dann könnte der Grenzübergang Rafah dauerhaft geöffnet werden.

Auch mit Katar – immerhin ein wesentlicher Sponsor des Gazastreifens – ist es inzwischen zu Reibung gekommen, ebenso mit Damaskus, wo bis 2012 die Hamas ihr Exil-Hauptquartier hatte. Gegenwärtig fällt es der Hamas schwer, ihr Zelt in arabischen Staaten aufzuschlagen. Doch eine Verbesserung der Beziehungen mit Teheran hat entsprechend ein besseres Verhältnis nach Damaskus zur Folge, wo der Iran und die Hisbollah die nördliche Front stärken wollen. (12) Selbst Moskau – auf Seiten des Iran in Syrien involviert – zeigt wieder verstärktes Interesse an der Hamas und unterstützt die aktuelle Hamas-Fatah-Versöhnung, um sein Prestige als "Problemlöser" in der Region zu verstärken.

Israel baut derweil eine unterirdische Grenzbefestigung, die eines der wichtigsten Angriffsmittel der Hamas akut bedroht – ihre Angriffstunnel auf israelisches Gebiet. Spitzenvertreter der Hamas dürften sich an Teheran wenden, um diesen Verlust wett zu machen, so wie der Iran in der Vergangenheit der Hamas beim Raketenbau half, mit Drohnen, Panzerabwehrraketen, Scharfschützengewehren und Bomben. Der Iran könnte mit der Hamas operatives Wissen aus den Kriegsgebieten im Irak, in Jemen und Syrien teilen, sowie Wissen in amphibischer Kriegsführung, wie sie bei der Unterstützung der Houthis in Jemen zum Einsatz kam. (13) Brigadegeneral Hamid Abazari bestätigte, dass die Revolutionsgarden ihrer Kommandeure und Ausbilder auf diese Schlachtfelder entsendet, um Kampferfahrung zu sammeln und die Taktiken und Strategien der asymmetrischen Kriegsführung zu erlernen. (14)

Der "Arabische Frühling" ist an den palästinensischen Organisationen im Westjordanland und in Gaza spurlos vorbeigegangen. Weder kam es zum Sturz von Regimen noch zu ihrer ernsthaften Destabilisierung. Doch die fortgesetzten Umwälzungen in der arabischen Welt haben die Palästinenserfrage von der Bühne gedrängt. Palästinensergruppen sind entsprechend nicht mehr in der Position, die arabische Politik wesentlich zu beeinflussen. Stattdessen werden sie zunehmend zum Spielball und Unterpfand für die jeweiligen Akteure des regionalen Hegemonialkampfes – Iran, Saudi Arabien und Ägypten -, die ihre jeweiligen Ziele an der komplexen Landschaft eines sich verändernden Nahen Ostens ausrichten.

Die Palästinenserfrage im Allgemeinen und die Hamas im Besonderen sind dabei, Teil des innerarabischen Hauptkonflikts in Nahost – dem zwischen Sunniten und Schiiten – zu werden. Der Iran nutzt die aktuelle Schwäche der sunnitischen Staaten und strebt nach regionaler Hegemonie.

Unter diesen Bedingungen erweist sich die sunnitische Hamas, die sich in Teherans Augen durch ihre tausendfachen Raketenangriffe (einige davon aus iranischer Produktion) auf Israel bewiesen hat, angesichts der Schwäche der arabischen Welt als gute Kapitalanlage.

Die Hamas könnte diese Annäherung ausnutzen, um die Versöhnung mit dem Assad-Regime in die Wege zu leiten, womit die Organisation sich auf der schiitischen Achse von Teheran bis zum Libanon verorten würde und so den Konflikt mit Ägypten, Saudi Arabien und der Golfstaaten verschärfen wird. Iran dürfte es nicht schwer fallen, Damaskus davon zu überzeugen, die Hamas-Führung wieder in ihrem alten Hauptquartier in Damaskus willkommen zu heißen.

 


* * *

 

1 https://tinyurl.com/isna-ir-news-96060703879

2 http://www.alalam.irnews/2010553

3 https://twitter.com/izzat_risheq/status/894070940077895680

4 https://twitter.com/hamasinfo/status/895591170750914560

5 https://english.aawsat.com/kafah/world-news/new-page-relations-hamas-iran

6 https://tinyurl.com/alresalah-ps-ar-post-153716

7 https://www.alwatanvoice.com/arabic/news/2017/08/05/1073297.html

8 http://ar.farsnews.com/iran/news/13960515001571

9 http://felesteen.ps/article/alqdwmy-yltqy-wfdaa-mn-alljnt-albrlmanyt-llsdaqt-alayranyt-alflstynyt-bthran

10 https://twitter.com/ibrahim_refat/status/893912416987361281

11 https://twitter.com/PrincessMoni6/status/894221192386805760

12 https://www.ida2at.com/hamas-and-iran-interests-differences-and-new-page/

13 http://jcpa.org/article/yemen-has-become-irans-testing-ground-for-new-weapons/

14 https://tinyurl.com/Tasnim1396-06-21-1515319, Sept. 12, 2017