Natürliche Verbündete: Warum Deutschland sich entschlossener hinter Israel stellen sollte

Natürliche Verbündete: Warum Deutschland sich entschlossener hinter Israel stellen sollte
 
Mareike Enghusen
 
 
Am 30. Juni 2010 verabschiedete der deutsche Bundestag einstimmig einen Antrag zu Israels Politik zum Gazastreifen. Anlass war die Eskalation auf hoher See zwischen israelischen Soldaten und bewaffneten Aktivisten der sogenannten „Freedom Flotilla“ vom 31. Mai 2010, die neun Todesopfer unter den Aktivisten und mehrere Verletzte auf beiden Seiten gefordert hatte.
 
Das Dokument mit dem ehrgeizigen Titel „Ereignisse um die Gaza-Flottille aufklären – Lage der Menschen in Gaza verbessern – Nahost-Friedensprozess unterstützen“[1] beginnt mit einer Zusammenfassung der Ereignisse an Bord der Mavi Marmara, dem Schiff der Flotte, auf der sich die Eskalation abspielte. Der Text erschöpft sich nicht mit einer Bestandsaufnahme der bis zu jenem Zeitpunkt bekannten Fakten, gefolgt von der Forderung nach einer „internationalen Untersuchung des Einsatzes“. Er bezieht auch klare Position zu der Blockade, mit der Israel die Gütereinfuhr in den Gazastreifen begrenzt, seitdem die Terrororganisation Hamas dort 2007 mit Gewalt die Macht ergriff. Insbesondere fordert der Antrag die „unmittelbare, bedingungslose und dauerhafte Öffnung von Zugängen zu Gaza für den Verkehr von humanitärer Hilfe, kommerziellen Gütern und Personen“.[2] Einzelne Politiker unterstrichen diese Position in der anschließenden Debatte: „Wir brauchen eine fundamentale Änderung der israelischen Gaza-Politik", sagte Staatsminister Werner Hoyer von der FDP. Auch der Menschenrechtsexperte der SPD-Fraktion, Christoph Strässer, drängte auf ein Ende der Blockade, da, wie er behauptete, die humanitäre Lage in der Region sich „drastisch verschlechtert“ habe. [3]
 
Die Blockade, deren sofortige Aufhebung der Bundestag forderte, ist eine Reaktion auf die Raketen, die Hamas zuvor beinahe täglich vom Gazastreifen aus auf Israel abgefeuert hatte. Rund 8000 dieser Geschosse schlugen zwischen 2001 und 2008 auf israelischem Territorium ein, trafen Wohnhäuser, Schulen und Kindergärten, forderten dutzende Todesopfer und machten ein normales Leben für rund 800.000 israelische Zivilisten unmöglich.[4] Die Blockade, die Israel 2007 über den Gazastreifen verhängte, sollte Hamas den Zugang zu waffenfähigem Material verwehren. Dazu gehören auch sogenannte Dual-Use-Güter wie bestimmte Chemikalien und Baumaterialien. Die Grundbedürfnisse der Zivilbevölkerung Gazas werden jedoch erfüllt: Rund 15.000 Tonnen an Nahrungsmitteln, Medikamenten, Tierfutter, Kleidung und anderen Basisgütern werden jede Woche von Israel nach Gaza geliefert.[5] Sowohl in puncto Lebenserwartung als auch Kindersterblichkeit, den zwei wichtigsten Indikatoren für die humanitäre Lage in einem Gebiet, liegt Gaza vor etlichen arabischen Staaten, ebenso wie, ironischerweise, der Türkei, von der aus die Gaza-Flottille Ende Mai startete.[6] Es ist also irreführend, von einer humanitären Katastrophe zu sprechen.
 
Dies soll nicht heißen, dass die Lage der Menschen in Gaza nicht verbesserungswürdig sei. Die Blockade beschneidet die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung und verhindert, dass sich in dem Gebiet eine eigenständig lebensfähige Wirtschaft entwickelt, die es von ständigen Auslandshilfen unabhängig machen würde. Deshalb ist es nicht nur legitim, sondern auch wichtig, über den strategischen Nutzwert ebenso wie die moralische Implikation der Gaza-Blockade zu diskutieren. Tatsächlich ist diese Diskussion wohl nirgendwo so erhitzt und umfassend geführt worden wie in Israel selbst. Eine Diskussion, die den Kontext der Blockade ignoriert, führt jedoch ins Leere. Die Blockade ist eine Antwort auf den Raketenbeschuss der Hamas. Ihre bedingungslose Aufhebung allein löst deshalb nicht das Problem – wer dies fordert, muss eine Alternative aufzeigen, wie der Raketenbeschuss durch die Hamas anderweitig eingedämmt werden kann. Ein derartiger Vorschlag fehlt in der Bundestagsresolution jedoch.
 
Ein anderer Fall, ein ähnliches Muster. Am 20. Januar 2010 fiel Mahmud al-Mabhuh, ein ranghoher Befehlshaber der Hamas, in Dubai einem Attentat zum Opfer. Al-Mabhuh war für Entführung und Ermordung zweier Israelis verantwortlich und hatte zuletzt den Schmuggel von Raketen vom Iran in den Gazastreifen organisiert, die rund drei Millionen israelische Zivilisten bedroht hätten.[7] Al-Abduh zählte deshalb zu den von Israel am dringendsten gesuchten Hamas-Aktivisten.[8] Zudem war das elfköpfige Team, das von den Überwachungskameras des Hotels bei den Vorbereitungen zum Mord gefilmt wurde, mit gefälschten europäischen Pässen gereist – eine Praxis, die der israelische Geheimdienst in der Vergangenheit mehrmals angewandt hatte.
 
Regierungen und Medien rund um den Globus erklärten Israel deshalb umgehend zum Hauptverdächtigen, und obwohl die Tat bis heute nicht aufgeklärt ist, straften mehrere westliche Regierungen Israel mit diplomatischen Sanktionen: Großbritannien und Australien etwa wiesen jeweils einen israelischen Diplomaten aus,[9] während Deutschland  den Gesandten der israelischen Botschaft einbestellen ließ und Aufklärung forderte.[10] Dabei gaben selbst Israels Gegner zu, dass es eine Vielzahl weiterer möglicher Täter gibt. Die Hamas selbst mutmaßte, dass die Palästinensische Autonomiebehörde, Ägypten oder Geheimdienste anderer arabischer Länder hinter dem Mord stecken könnten[11][12] Dennoch genügte dem deutschen Außenminister ein bloßer Verdacht, um Israel öffentlichkeitswirksam zurechtzuweisen. Ebenso wie im Fall der Gaza-Flottille wartete man die Ergebnisse der laufenden Untersuchungen nicht ab, bevor man gegen Israel Stellung bezog.
 
Angesichts einer mehrheitlich stark israelkritischen Bevölkerung[13] mögen es manche Politiker als PR-strategisch günstig erachten, sich öffentlich von Israel zu distanzieren. Die medienwirksame Aufregung um unbewiesene Vorwürfe sind jedoch fehl am Platz. Denn Israel und Deutschland sind natürliche Verbündete – nicht nur aufgrund der historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber dem jüdischen Staat, sondern auch, weil die zwei Länder vieles eint. Auf der einen Seite sind dies die Prinzipien, auf denen beide Staaten fußen: Demokratie, Pluralismus, individuelle und politische Freiheiten, die Gleichberechtigung der Geschlechter, kurz: der gesamte moderne westliche Wertekanon. Zugleich teilen Israel und Deutschland in steigendem Maße die Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen.
 
„Deutschland ist Anschlagsziel“, warnte der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, in einem Interview mit dem Tagesspiegel Anfang September 2010. Geheimdienstermittlungen bestätigen, dass die Bundesrepublik im Visier terroristischer Gruppen wie al-Qaida steht.[14] Dass deutsche Bürger bislang von tödlichen Terror-Attacken wie der in Madrid 2004 oder London 2005 verschont geblieben sind, ist lediglich einer Kombination von Glück, Ermittlungserfolg und Ungeschick seitens der Täter geschuldet. Niemand kann garantieren, dass das so bleibt. Sieben Anschlagsversuche sind in den vergangenen Jahren in der Bundesrepublik gescheitert oder vereitelt worden. Die Zahl sogenannter „Gefährder“, also potentieller Drahtzieher terroristischer Anschläge, steigt in Deutschland seit Jahren kontinuierlich an. Gegen 352 Terrorverdächtige wird derzeit ermittelt, und rund 220 Personen sollen in Terrorcamps in Afghanistan und Pakistan paramilitärisches Training erhalten haben. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass Deutschland mittelfristig mit der Bedrohung islamistischer Anschläge leben muss. „Schon die vielen Reisebewegungen zwischen Deutschland und dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet mit dem Ziel Terrorlager zeigen, dass der islamistische Terrorismus einigen Islamisten attraktiv erscheint“, sagt BKA-Präsident Ziercke.[15]
 
Ein Bericht des Verfassungsschutzes zu Islamismus bestätigt, dass „in Deutschland … von einem Potenzial islamistisch-motivierter Selbstmordattentäter ausgegangen werden [muss]“.[16] Das Dokument warnt zudem, dass die Extremisten nicht wie gewöhnliche Verbrecher betrachtet und bekämpft werden können. Ihren Aktivitäten allein mit technischen und kriminalpolitischen Mitteln zu begegnen, hieße, ein entscheidendes Element der Bedrohung zu ignorieren: „Die Gewalt [der Islamisten]“, so der Bericht, „wurzelt in einer Ideologie, die einem freiheitlichen Verständnis von Gesellschaft und Staat diametral entgegensteht. Es gilt, diese ideologische Kampfansage des Islamismus anzunehmen [Hervorhebung der Autorin].“ [17]
 
Hier schließt sich der Kreis zu Israel. Die „ideologische Kampfansage“, die gewaltbereite Islamisten an Deutschland richten, ist die gleiche, auf deren Grundlage die Extremisten der Hamas und des Islamischen Dschihads gegen Israel kämpfen.
 
Es wird gelegentlich behauptet, dass die Anschläge von Hamas sich allein gegen Israels vermeintliche Besatzung des Westjordanlands und Gazas richten (obwohl Israel seine Soldaten und Siedler schon 2005 aus Gaza abgezogen hat und die Palästinensische Autonomiebehörde wesentliche Teile des Westjordanlands kontrolliert). Dieses Argument kann mit einem Blick in das Gründungsdokument der Hamas entkräftet werden. In der bis heute gültigen Charta der Organisation heißt es: „Die Islamische Widerstandsbewegung ist eine eigenständige palästinensische Bewegung, (…), die dafür kämpft, dass das Banner Allahs über jeden Zentimeter von Palästina aufgepflanzt wird. (…) Weil Muslime, die die Sache der Hamas verfolgen und für ihren Sieg kämpfen (…), überall auf der Erde verbreitet sind, ist die Islamistische Widerstandsbewegung eine universelle Bewegung. (…) Ansätze zum Frieden, die sogenannten friedlichen Lösungen und die internationalen Konferenzen zur Lösung der Palästinafrage stehen sämtlichst im Widerspruch zu den Auffassungen der Islamischen Widerstandsbewegung. Denn auf irgendeinen Teil Palästinas zu verzichten bedeutet, auf einen Teil der Religion zu verzichten [Hervorhebung der Autorin].“[18]
 
Ihre bedingungslose Ablehnung jeder Art von Verhandlung und Kompromiss hat die Hamas gerade Anfang September 2010 erneut bewiesen, als sie parallel zur Wiederaufnahme der palästinensisch-israelischen Friedensgespräche tödliche Anschläge auf israelische Zivilisten ausführte.[19] Im Gazastreifen hat die Hamas ein repressives konservativ-islamisches Regime errichtet, das Dissidenten brutal ermorden lässt[20], Frauen konservative Kleider- und Rollenordnungen aufzwingt[21] und Homosexuelle als „Perverse“ verfolgt.[22] Wäre der Kampf der Hamas nur ein Kampf für einen eigenen Staat, müssten ihre Mitglieder erkennen, dass sie Israel militärisch niemals besiegen können, dass vielmehr Verhandlungen der einzig realistische Weg zu einer Zweistaatenlösung sind. Das Verhalten und die Charta der Hamas bezeugen, dass die Organisation von Ideologie geleitet wird – einer Ideologie, die sie in groben Zügen mit anderen islamistischen Organisationen teilt, die auch deutsche Soldaten und Zivilisten bedrohen. Israel ist schon seit Jahrzehnten mit der Bedrohung islamistischer Gewalt konfrontiert. Deutschland kann auf diesem Gebiet von den Erfahrungen des jüdischen Staates profitieren.
 
Eine weitere Herausforderung, der Deutschland und Israel gleichermaßen gegenüberstehen, ist die Möglichkeit eines nuklear bewaffneten Irans. Seit ihrer Gründung 1979 hat die Islamische Republik danach gestrebt, ihr militärisches und politisches Gewicht in der Region zu vergrößern. Symptomatisch für diese Ambitionen ist das iranische Waffenprogramm. So unterhält Iran das aufwendigste Raketenprogramm aller sich entwickelnden Nationen weltweit: Das Land besitzt sowohl schwere taktische Raketen mit relativ geringer Reichweite als auch ballistische Raketen vom Typ B25, die Zentraleuropa erreichen können.[23] Irans Satellitenprogramm ist ähnlich ambitioniert: Im Februar 2008 wurde das erste iranische Satellitenabschusssystem präsentiert, Anfang 2009 der erste iranische Satellit ins All geschossen. Irans Verteidigungsminister ließ verlauten, dass im Jahr 2015 Spionagesatelliten folgen sollen. Derartige Satelliten benötigen weit kräftigere Abschussraketen als die bisher eingesetzten. Sollte es Iran gelingen, ein solches Abschusssystem zu entwickeln, könnte das Land damit Bomben an jedem beliebigen Ort der Erde abwerfen – auch Massenvernichtungswaffen.[24]
 
Die Geschichte der Islamischen Republik zeigt, dass das Regime in Teheran nicht vor Gewalt zurückschreckt, um seine Ziele zu verfolgen. In den 80er Jahren war Iran Urheber einer Reihe von Anschlägen gegen amerikanische Einrichtungen im Nahen Osten wie die US-Botschaft und das Marinehauptquartier in Beirut in 1983, die hunderte Todesopfer forderten. Auch die Anschläge auf jüdische und israelische Einrichtungen in Buenos Aires 1992 und 1994, bei denen zusammen über 100 Menschen starben, sind laut der argentinischen Justiz in Teheran geplant worden. (Gegen den derzeitigen iranischen Verteidigungsminister hat Argentinien für seine mutmaßliche Beteiligung an den Anschlägen einen internationalen Haftbefehl ausgesprochen.)[25] Und unvergessen ist Chomeinis Fatwa, d.h. Mordaufruf, gegen den britischen Autoren Salman Rushdie im Jahr 1989 für dessen Roman „Die satanischen Verse“, auf die hin Extremisten den italienischen Übersetzer des Buches schwer verletzten und den japanischen Übersetzer ermordeten. In Deutschland wiederum wurden 1992 vier exil-iranische Oppositionelle in einem Restaurant erschossen. Die ermittelnden Behörden identifizierten die iranische Führung als Drahtzieher des Anschlags.[26]
 
Um seine regionale Machtposition zu stärken, unterstützt die Islamische Republik außerdem islamistische Terrorgruppen wie Hamas und Islamischer Dschihad in Gaza und Hisbollah im Libanon sowie diverse schiitische Gruppierungen in weiteren Staaten der Region mit Training, Waffen und Finanzhilfen. Irak, Saudi-Arabien und weitere arabische Staaten haben bereits öffentlich gegen die iranischen Einmischungsversuche protestiert.[27] Hamas und Hisbollah fordern Israels Vernichtung und bekämpfen es mit Waffengewalt; Irans Unterstützung dieser Gruppierungen beeinträchtigt also die Sicherheit des jüdischen Staates. In Afghanistan wiederum bedrohen die Aktivitäten Teherans das Leben deutscher Soldaten: Der Nato zufolge hilft Iran den Taliban bei ihrem Kampf gegen die westliche Koalition mit Training und Waffenlieferungen.[28] Außerdem weigert sich Teheran, hochrangige al-Qaida-Mitglieder, die sich im Iran aufhalten, an Länder auszuliefern, die gegen die Terroristen ermitteln, was die globale Bekämpfung des Terrorismus erschwert.[29]
 
Von noch größerem Ausmaß als die Bedrohung durch Irans Terrorhilfe ist die Gefahr, die vom iranischen Nuklearprogramm ausgeht. Technische Analysen, Geheimdienstberichte und Insiderinformationen lassen keine ernsthaften Zweifel darüber bestehen, dass Teheran mit Hochdruck am Bau einer Atombombe arbeitet. Gleichzeitig behindert die iranische Führung die Überwachung seines Atomprogramms massiv, wie ein Bericht der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) vom 6.9.2010 beklagt.[30]
 
Was wären die Folgen einer nuklearen Bewaffnung Irans? In Israel gibt es hierüber keine Zweifel: Eine Atombombe in den Händen einer radikal-islamischen Regierung, die nicht müde wird, die baldige Auslöschung des „zionistischen Gebildes“ zu prophezeien, wäre eine unmittelbare Bedrohung für die Existenz des jüdischen Staates und das Leben seiner 7 Millionen Bewohner. Aufgrund seiner Größe und geographischen Lage genügte eine einzige Bombe, um Israel auszulöschen – bzw., um die Worte des iranischen Präsidenten zu bemühen, „von der Landkarte zu tilgen“[31]. Israelische Medien und Politiker sprechen in diesem Zusammenhang gelegentlich von einem „zweiten Holocaust“.[32]
 
In Deutschland sind die Ansichten gemischter. Manche Analysten argumentieren, dass die Welt mit einem nuklearen Iran zu leben lernen kann, weil das Wissen um sichere Vergeltung die Regierung in Teheran davon abhalten würde, die Bombe zu zünden. Schließlich verfügt Israel, nicht zuletzt dank deutscher Dolphin-U-Boote, über Zweitschlagskapazität. Würde von einem atomar bewaffneten Iran somit also gar keine reale Gefahr ausgehen?
 
Sich auf dieser Hoffnung auszuruhen, wäre naiv – und gefährlich. Schon jetzt ist Iran der größte staatliche Förderer islamistischer Terrorgruppen weltweit.[33] Noch aber verfügt der Westen über Instrumente, um das Verhalten der iranischen Regierung zu beeinflussen. In erster Linie sind dies diplomatische und wirtschaftliche Mittel. Doch auch die Androhung militärischer Gewalt gehört dazu. Zweifellos birgt ein Militärschlag gegen den Iran zahllose unabwägbare Risiken. Als Option ist er jedoch ein wichtiges diplomatisches Instrument. Paradoxerweise kann in manchen Fällen allein die Androhung eines Militärschlags die tatsächliche militärische Konfrontation verhindern: wenn nämlich der bedrohte Akteur sein eigenes Verhalten ändert, um den Schlag zu verhindern.
 
Ein nuklear bewaffneter Iran wäre jedoch unangreifbar. Die Androhung eines Militärschlags würde jede Glaubwürdigkeit verlieren, besäße die iranische Führung die Option nuklearer Vergeltung. Dem Westen wäre auf diese Weise jede Möglichkeit genommen, das Verhalten der iranischen Führung zu beeinflussen und, wenn nötig, zu sanktionieren. Die Atombombe würde Iran zur unangefochtenen Regionalmacht machen. Dies hätte massive Implikationen für die Machtbalance im Nahen Osten und darüber hinaus. Die USA verlören gegenüber ihren arabischen Verbündeten ihren Status als Schutzmacht und damit enorm an Einfluss in der Region. Arabische Regierungen wären in der Folge vermutlich weniger gewillt, im Kampf gegen Terrorismus mit dem Westen zu kooperieren und eher darum bemüht, sich mit Teheran gutzustellen. Mehr noch: Viele Analysten gehen davon aus, dass die atomare Bewaffnung Irans eine Aufrüstungswelle in der Region in Gang setzen würde. Saudi-Arabien hat bereits angekündigt, in diesem Fall ebenfalls Atombomben zu entwickeln.[34] Die Türkei und Ägypten könnten ebenfalls nachziehen.[35]
 
Der Nahe Osten ist eine hochkomplexe und instabile Region, geschüttelt und zerrissen von politischen, religiösen und ethnischen Konflikten und geplagt von chronischen wirtschaftlichen und demografischen Problemen. Dass sich mehrere nuklear bewaffnete Länder in dieser Region gegenseitig von der Benutzung der Bombe abschrecken würden, ist zu hoffen; darauf vertrauen kann man nicht. Im Kalten Krieg, der oft als Beispiel für erfolgreiche nukleare Abschreckung bemüht wird, standen sich nur zwei Mächte gegenüber, die immer ein Minimum an Kontakt aufrechterhielten, um eine atomare Katastrophe zu verhindern (und selbst dies wäre 1962 bekanntlich beinahe gescheitert). Die Lage im Nahen Osten ist um ein Vielfaches komplexer: Die Zahl der relevanten Akteure ist größer, die interstaatlichen Konflikte vielschichtiger, und es ist fraglich, ob es im Eskalationsfall zu einer effektiven Koordination zwischen verfeindeten Staaten käme. Zudem besteht angesichts instabiler Regime und zahlreicher relativ schlagkräftiger nichtstaatlicher Akteure in der Region stets die Gefahr, dass Atomwaffen in den Händen radikaler Milizen landen.  
 
Die möglichen Folgen einer iranischen Atombombe laufen sowohl israelischen als auch deutschen Interessen zuwider. Zwar ist die Bedrohung einer iranischen Atombombe für Israel konkreter als für Deutschland. Aber auch die Bundesrepublik hat ein Interesse daran – strategisch, sicherheitspolitisch und wirtschaftlich –, die Unterstützung Irans für Terrorgruppen einzudämmen und den Aufstieg Irans zur nuklearen Regionalmacht sowie ein atomares Wettrüsten in der Region zu verhindern. Deshalb sollte die Bundesrepublik Israel in seinem Bemühen, das iranische Atomwaffenprogramm zu stoppen, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Als einer der größten Handelspartner Irans verfügt Deutschland über probate Druckmittel, das Verhalten Teherans zu beeinflussen. Umso mehr diplomatischer und wirtschaftlicher Druck gegenüber Iran aufgebaut werden kann, desto geringer ist die Chance, dass Israels Regierung sich gezwungen sieht, militärische Mittel zu ergreifen.
 
Selbstverständlich dürfen deutsche Politiker Israel kritisieren. Sie sollten Israel aber nicht vorschnell verurteilen, ohne dass es Beweise für mögliches Unrecht gibt, um bei einer israelkritischen Öffentlichkeit zu punkten. Dies ist nicht nur moralisch und intellektuell abzulehnen; es lenkt auch ab von den Werten und Interessen, die Deutschland und Israel einen. Islamistischer Terror und nukleare Proliferation sind eine Bedrohung für beide Länder. Ihre Chancen, wirkungsvolle Antworten darauf zu finden, sind größer, wenn sie dabei Seite an Seite stehen.
 


 
 
Mareike Enghusen hält einen Master of Arts in Middle East & Islamic Studies von der American University of Paris sowie einen Master of Letters in Iranian Studies von der University of St Andrews.



[1] Deutscher Bundestag, Drucksache 17/2328, 30. Juni 2010, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/023/1702328.pdf.
[2] Ebd.
[3] "Vorfall vor Gaza muss aufgeklärt werden", Textarchiv des Deutschen Bundestags, 10. Juni 2010, http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2010/30113864_kw23_de_konvoi/index.html
[4] “Gaza/Israel: Hamas Rocket Attacks on Civilians Unlawful”, Human Rights Watch, 6. August 2009,
http://www.hrw.org/en/news/2009/08/06/gazaisrael-hamas-rocket-attacks-civilians-unlawful.
[5] “Behind the Headlines: The Israeli Humanitarian Lifeline to Gaza”, Israelisches Außenministerium, 6. Mai 2010, www.thejerusalemgiftshop.com/israelinews/israel/israeli-news/676-behind-the-headlines-the-israeli-humanitarian-lifeline-to-gaza.html.
[6] “Country Comparison – Infant Mortality Rate”, CIA World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/gz.html.
[7] „Israel gerät immer stärker unter Verdacht“, Stern, 18. Februar 2010, http://www.stern.de/politik/ausland/mord-an-hamas-fuehrer-israel-geraet-immer-staerker-unter-verdacht-1544721.html.
[8] „Mord im Luxushotel“, Der Westen, 18. Februar 2010, http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/Mord-im-Luxushotel-id3421825.html.
[9] „London sieht Israel in Dubai-Mord verwickelt“, Der Spiegel, 23. März 2010,
 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,685307,00.html. „Australien weist israelischen Diplomaten aus“, Tagesschau.de, 24. Mai 2010,
http://www.tagesschau.de/ausland/hamas140.html.
[10] „Hamas-Mord: Westerwelle appelliert an Israel“, Focus, 18.2.2010, http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/hamas-mord-westerwelle-appelliert-an-israel_aid_481744.html.
[11] Ulrich W. Sahm, „Rätsel um Mord an Mahmud al-Mabhuh“, ntv.de, 2. Februar 2010, http://www.n-tv.de/politik/dossier/Raetsel-um-Mord-an-Mahmud-al-Mabhuh-article708350.html.
[12] „Westerwelle bestellt israelischen Gesandten ein“, FAZ, 18. Februar 2010, http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E7CA0EE1C91214548BB2FD6B0C6895E76~ATpl~Ecommon~Scontent.html.
[13]„BBC-Studie – Globale Umfrage kürt Deutschland zu beliebtestem Staat“, Spiegel, 6.2.2009, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,605904,00.html.
[14] "Deutschland ist Anschlagsziel", Der Tagesspiegel, 5. September 2010,
http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland-ist-anschlagsziel/1919104.html;jsessionid=5727E3999E361EA41E86295B05D5B149
[15] Ebd.
[16] „Islamismus aus der Perspektive des Verfassungsschutzes“, Bundesamt für Verfassungsschutz, März 2008.
[17] Ebd.
[18] Jungle World, Nr. 49, 27. November 2002.
[19] Dan Williams, “Hamas claims reponsibility for West Bank attack”, The Independent, 2. September 2010.
[20] Ulrike Putz, “Blutiger Bruderkampf in der Hamas“, Der Spiegel, 9. August 2010, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,710311,00.html.
[21] “Hamas verbannt Dessous aus Schaufenstern“, Der Spiegel, 29. Juli 2010, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,709128,00.html.
[22] Benjamin Cohen, “Hamas say gays are perverts will be punished if they win elections”, Pink News, 10. Oktober 2005, http://www.pinknews.co.uk/news/articles/2005-116.html.
[23] Uzi Rubin, “The Global Range of Iran’s Ballistic Missile Program”, in: “Iran’s Race for Regional Supremacy: Strategic Implications for the Middle East”, The Jerusalem Center for Public Affairs, Juni 2008, http://www.jcpa.org/text/iran_page_62-67.pdf.
[24] Ebd.
[25] “Argentina tells Iran: hand over bombing suspects“, AFP, 16. Juli 2011, http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5jzpv4v-ycV3nhmnPymiuZ0GNMorw?docId=CNG.2b4f6fd7caf05132cb9f1b6338bac556.1c1.
[26] “Exil-Iraner fühlen sich schutzlos in Berlin“, Der Tagesspiegel, 11. Dezember 2007, http://www.tagesspiegel.de/berlin/exil-iraner-fuehlen-sich-schutzlos-in-berlin/1118898.html.
[27] “Iraq says to document Iran ‘interference’”, Reuters, 4 May 2008, http://www.reuters.com/article/2008/05/04/us-iraq-idUSL0434078820080504
[28] “Iran soll Taliban unterstützen“, Der Spiegel, 30. Mai 2010,
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,697612,00.html.
[29] “Country Reports on Terrorism 2008”, U.S. Department of State, 30. April 2009, http://www.state.gov/s/ct/rls/crt/2008/122436.htm.
[30] “IAEA wirft Iran massive Behinderung vor“, Deutsche Welle, 7. September 2010, http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5980738,00.html.
[31] “Irans Präsident will Israel von der Landkarte tilgen“, Der Spiegel, 26. Mai 2005, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,381752,00.html.
[32] “Netanyahu: It’s 1938 and Iran is Germany; Ahmadinejad is preparing another Holocaust”, Haaretz, 14. November 2006, http://www.haaretz.com/news/netanyahu-it-s-1938-and-iran-is-germany-ahmadinejad-is-preparing-another-holocaust-1.205137.
[33] “Country Reports on Terrorism 2008”, U.S. Department of State, 30. April 2009, http://www.state.gov/s/ct/rls/crt/2008/122436.htm.
[34] “Saudi Arabia To ‘Immediately’ Go Nuclear Should Iran Develop Bomb”, The Huffington Post, 10.2.2012, http://www.huffingtonpost.co.uk/2012/02/10/saudi-arabia-nuclear-bomb_n_1267571.html.
[35] “Egypt says may seek atomic arms if Iran does: leaks”, Reuters, 2.12.2010, http://af.reuters.com/article/topNews/idAFJOE6B10FR20101202.