Kurdistan – Brennpunkt zwischen Türkei, Irak und syrischer Revolte
Kurdistan – Brennpunkt zwischen Türkei, Irak und syrischer Revolte
Dr. Jacques Neriah
Das Assad-Regime ist am Zerfallen. Berichten syrischer Rebellen zufolge hat sich eine Reihe von Städten wie Amouda und Qabani im kurdischen Nordosten Syriens Mitte Juli kampflos auf die Seite einer lokalen Gruppe – der Freien Kurdischen Armee – geschlagen. Nach langem Abwarten haben sich somit politische Gruppierungen syrischer Kurden in die Revolution eingebracht, um die kurdischen Städte des Nordostens unter ihre Kontrolle zu bringen.
Die Freie Kurdische Armee wurde von der Demokratischen Unionspartei (PYD) gegründet, die historische Beziehungen zur Kurdischen Arbeiterpartei PKK hat. Letztere wird sowohl von der Türkei als auch den Vereinigten Staaten als Terrororganisation betrachtet, die zum Zweck der kurdischen Autonomie Krieg gegen die türkische Regierung führt. Die syrischen Kurden konzentrieren ihre Kräfte darauf, die Kontrolle der größten kurdischen Stadt Syriens Qamishli zu erlangen. Über der eroberten Stadt Ayn al-Arab im Distrikt Aleppo weht bereits die kurdische Fahne.
Die Türkei beobachtet diese Entwicklungen nach Jahrzehnten des Kampfes gegen die PKK mit Sorge. So notierte die türkische Tageszeitung Hürriyet Ende Juli, dass sich die „kurdische Grenze“ innerhalb einer Woche von 400 Kilometer um 800 Kilometer erweitert hätte.[1] Die türkische Regierung warnte dagegen scharf, dass man das Entstehen terroristischer Lager in Nordsyrien nicht zulassen werde.[2]
Von Seiten türkischer Beobachter heißt es, dass die Neugestaltung des Nahen Ostens das Entstehen eines „Großkurdistans“ nicht mehr ausschließt, wodurch jene vier Staaten, die über einen hohen kurdischen Bevölkerungsanteil verfügen – die Türkei, der Irak, Syrien und der Iran – vor enorme Herausforderungen gestellt werden.[3] Kurdistan ist eine potentielle Brücke für viele Konflikte, die in diesem Teil der Region entstehen – die Verbindung zum irakischen Kurdistan gibt den syrischen Kurden Rückendeckung im Kampf um mehr Autonomie von Damaskus. Doch entscheidend ist dabei auch, wer das Dreiländereckgebiet zwischen Irak, Syrien und der Türkei dominiert. So könnte der Iran es als Korridor nutzen, um die Syrer oder die Hisbollah zu unterstützen. Aus diesen Gründen ist die Region Kurdistan ein neuer Brennpunkt des Nahen Ostens.
Ein Überblick über die Geschichte der Kurden kann zum besseren Verständnis der jüngsten Ereignisse verhelfen.
Die Kurden im Nahen Osten der Gegenwart
Die Region Kurdistan umfasst Teile des Iran, Irak, Syriens und der Türkei. Im Iran stellen die Kurden 7 Prozent der Bevölkerung, im Irak 15-20 Prozent, in Syrien ungefähr 9 und in der Türkei 20 Prozent. Abgesehen vom Iran stellen die Kurden in allen diesen Ländern den zweitgrößten Bevölkerungsanteil. Ungefähr 55 Prozent aller Kurden leben in der Türkei, auf Iran und Irak fallen jeweils 18 Prozent und etwas mehr als 5 Prozent leben in Syrien. Die Zahl der Kurden in Südwestasien wird auf 26 bis 34 Millionen geschätzt, ein bis zwei Millionen leben in der Diaspora. Damit sind Kurden die viertgrößte ethnische Gruppe im Nahen Osten, nach Arabern, Persern und Türken.
Obwohl die Türkei den größten kurdischen Anteil im Nahen Osten beherbergt, sollte die Frage der kurdischen Unabhängigkeit von der Türkei anders behandelt werden, als im Fall von Syrien, Iran und Irak. Zwar haben sich die türkisch-israelischen Beziehungen während der Regierungszeit Erdogans verschlechtert, doch die israelische Politik sollte sich auf einer eventuellen Wiederherstellung der strategischen Kooperation beider Länder gründen. Daher darf die israelische Politik gegenüber der Kurdenfrage die territoriale Integrität der Türkei nicht in Frage stellen oder derart wahrgenommen werden.
Der aussichtsreichste Kandidat für eine kurdische Unabhängigkeit ist die Kurdische Regionalregierung (KRG) im Nordirak. Die Konflikte zwischen der KRG und der irakischen Zentralregierung in Bagdad über Fragen wie die Abkommen zur Erdölgewinnung, innerstaatliche Grenzen und die kurdischen Rechte in der irakischen Verfassung nehmen zu. Irakische Kurdenführer haben 2012 davor gewarnt, dass sie Unabhängigkeit anstreben würden, sollte Bagdad zur Klärung dieser Streitfragen nicht bereit sein. Die Spannungen haben sich auch dadurch verschärft, weil die irakische Regierung unter Premier Al-Maliki das Assad-Regime stützt, während die KRG auf Seiten der syrischen Kurden steht.
Die Türkei, in der Vergangenheit größtes Hindernis für die irakischen Kurden, ist inzwischen zum wichtigsten externen Wirtschaftsfaktor der KRG geworden. Ihre Einwände gegen eine Unabhängigkeit der KRG werden geringer und sie bietet den Bau von Pipelines für das kurdische Öl an. Diese Entwicklung würde allerdings durch eine vollständige Allianz der KRG mit den syrischen Kurden gefährdet, da zu jenen Unterstützer der antitürkischen PKK gehören.
Israel könnte von der Errichtung eines lebensfähigen wie unabhängigen kurdischen Staates im Nordirak profitieren. Die kurdische Frage offenbart die Doppelstandards der westlichen Staaten, die der palästinensischen Sache so viel Aufmerksamkeit schenken. Bei 22 arabischen Staaten in der Region verdienen die 35 Millionen Kurden einen eigenen souveränen Staat. Diese Millionen kommen auch 90 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs nicht in den Genuss ihres Selbstbestimmungsrechts. Gegenwärtig sind die Kurden die größte Volksgruppe ohne eigenen Staat. Doch abgesehen vom Irak sind weitere unabhängige kurdische Gebiete unwahrscheinlich; das nahöstliche Staatensystem hat sich im Arabischen Frühling als erstaunlich robust erwiesen und auch im Falle der Umwandlung Syriens in einen föderalen Staat dürfte es nicht völlig desintegrieren.
Trotz des gemeinsamen Ziels einer unabhängigen Staatlichkeit sind die Kurden der verschiedenen Länder kaum vereint. Es waren ihre beständigen Rivalitäten zwischen Stämmen, Clans, Familien und Dörfern, die zur Aufteilung Kurdistans durch die Türkei, Irak, Iran und Syrien führten. Hinzu kommen mindestens vier verschiedene kurdische Dialekte. Noch heute sind die Differenzen zwischen den Kurden größer als ihre Gemeinsamkeiten.
Als ethnische Gruppe traten die Kurden im Mittelalter vermutlich als Mischung verschiedener früherer Ethnien in Erscheinung. Die meisten sind Sunniten der schafiitischen Schule, doch auch mystisch-sufistische Praktiken und Orden sind weit verbreitet, während eine Minderheit Schiiten (v.a. im Iran, aber auch Irak) und Alawiten (v.a. in der Türkei) sind. Abgesehen von den verschiedenen regionalen Dialekten (nur im Irak hat das Kurdische den Status einer Nationalsprache nach dem Arabischen) fehlt auch eine einheitliche Schrift. In der Türkei benutzen Kurden lateinische Buchstaben, in Armenien Kyrillische und im Irak und Iran das Arabische. Das irakische Kurdistan verfügt über viel Wasser für die Landwirtschaft und ist reich an Mineralien und Öl.
Der geschichtliche Hintergrund
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zielten die zentralistischen Bestrebungen des Osmanischen Reiches auf eine Beschneidung der Macht regionaler Gemeinden, was auch die kurdischen Emire betraf. Die erste moderne kurdische Nationalbewegung entstand 1880 mit einem Aufstand, der die Unabhängigkeit der Kurden und einen kurdischen Staat unabhängig von osmanischer oder persischer Autorität zur Forderung hatte, jedoch niedergeschlagen wurde.
Die ethnonationalistische Bewegung der Kurden entstand nach dem Ersten Weltkrieg und war im Wesentlichen eine Reaktion auf die Veränderungen in der aus dem Osmanischen Reich hervorgegangenen Türkei. Dazu gehörten die von den stark muslimischen Kurden abgelehnte Säkularisierung, der türkische Zentralismus und der neue aggressive Nationalismus der neuen türkischen Republik.
Doch es gab interne Streitigkeiten. Die einen waren offen für eine panislamische Ideologie des Kalifats, in dem die Kurden eine kulturelle Autonomie hätten, andere favorisierten das moderne Nationalitätenprinzip, die Ideen der französischen Revolution und US-Präsident Woodrow Wilsons und machten sich für die totale Unabhängigkeit Kurdistans stark.
Jene Spaltung verschärfte sich nach der Niederlage des Osmanischen Reiches. Die Kämpfer für Unabhängigkeit entsandten eilig eine Delegation zur Versailler Konferenz, was die kurdische Nationalfrage auf die internationale Agenda hob, so dass der am 10. August 1920 von Frankreich, Großbritannien, den Vereinigten Staaten und dem Osmanischen Reich unterzeichnete Vertrag von Sèvres die Errichtung eines kurdischen Staates empfahl.
Dieser Vertrag wurde allerdings vom Vertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923 revidiert, aus dem die moderne Türkei hervorging, in dem eine Garantie der kurdischen Rechte allerdings nicht vorgesehen war. Kurz zuvor hatte Frankreich zwei Provinzen Kurdistans annektiert und dem französischen Mandat in Syrien hinzugefügt. Um die schiitische Mehrheit im britischen Mandat Irak auszugleichen, bestanden die Briten darauf, dass kurdische Gebiete angeschlossen würden, um die Zahl der Sunniten zu erhöhen. Zugleich versprachen sie die Autonomie dieser Gebiete nach der irakischen Unabhängigkeit – doch weder die Briten noch das nachfolgende irakische Regime erfüllten dies, als der Irak 1932 unabhängig wurde. In Folge dessen teilen sich die Türkei, Syrien, der Irak und der Iran die Region Kurdistan seit 1925.
Irak
Unmittelbar nach Militärputsch im Irak von 1958 ging Abdul Karim Qasim ein Bündnis mit dem Kurdenführer Mustafa Barzani ein, dessen Demokratische Partei Kurdistans 1960 legalisiert wurde. Das Versprechen einer Autonomie wurde jedoch nicht eingehalten, so dass sich Unruhe unter den Kurden regte, der Qasim dadurch begegnete, dass er mit dem Barzani-Clan historisch verfeindete Clans aufstachelte, gegen die Barzani sich aber behaupten konnte, was zu Kämpfen mit der irakischen Zentralregierung führte.
Qasims Scheitern führte zum Putsch der Baathisten 1963 und zur Erklärung eines Waffenstillstands 1964, der die kurdische Bewegung spaltete. In Folge von Machtkämpfen innerhalb der Baath-Partei wechselten sich militärische Auseinandersetzungen und Verhandlungen immer wieder ab, bis die Sowjets Druck auf Bagdad ausübten, den Konflikt zu klären. Ein Friedensplan von März 1970 war die Grundlage größerer kurdischer Autonomie und Repräsentation in Regierungsinstitutionen. Gleichzeitig schickte sich die irakische Regierung an, die ölreichen Regionen von Kirkuk und Khanaqin zu arabisieren, konsolidierte ihre Macht durch ein Freundschaftsabkommen mit der SU und die Überwindung ihrer Isolation in der arabischen Welt, was die kurdische Sache schwächte, die nun zunehmend vom Iran unterstützt wurde.
1973 schlossen die Vereinigten Staaten ein Geheimabkommen mit dem Shah von Iran, die kurdischen Rebellen zu unterstützen. 1974 schlug die irakische Regierung zurück, bot dem Iran aber für eine Einstellung seiner Unterstützung der Kurden Gegenleistungen an, was 1975 zum Algier-Abkommen zwischen Bagdad und Teheran führte. Damit waren die Kurden hilflos, Barzani floh in den Iran, viele Kurden ergaben sich und der Irak gewann die Kontrolle über die nordirakische Region. Um seine Macht abzusichern, wurde die Arabisierung verstärkt und viele arabische Iraker in der Nähe der kurdischen Erdölfelder angesiedelt. Die repressiven Maßnahmen führten 1977 zu Kämpfen zwischen der irakischen Armee und kurdischen Guerillas. In den Folgejahren wurden 600 kurdische Dörfer niedergebrannt und 200 000 Kurden deportiert.
Der Iran-Irak-Krieg sah von 1982 an eine Ausweitung antikurdischer Politik, was zu einem faktischen Bürgerkrieg führte. Die irakischen Maßnahmen wie der Massenmord mit Hilfe chemischer Waffen wurden in der Weltöffentlichkeit verurteilt, der Irak dafür jedoch nicht ernsthaft bestraft. Bagdad verübte mit der Anfal-Kampagne zwischen März 1987 und April 1989 einen systematischen Völkermord an den Kurden. Unter Befehl von Ali Hassan al-Majid wurden in einer Kombination von Boden- und Luftangriffen, Deportationen, Erschießungskommandos und Giftgaseinsatz 2000 Dörfer zerstört und 182 000 kurdische Zivilisten massakriert. Dazu gehört der Chemiewaffeneinsatz gegen die kurdische Stadt Halabja von 1988, bei dem mit einem Mal 5000 Zivilisten starben. Kirkuk wurde arabisiert, Kurden und andere Bevölkerungsgruppen vertrieben.
Nach dem Zusammenbruch des kurdischen Aufstands in Folge der Niederlage Saddam Husseins im Golfkrieg gegen die US-geführte Koalition, eroberten irakische Truppen weite Teile des kurdischen Gebietes und zwangen 1,5 Mio. Kurden zur Flucht an die türkische und iranische Grenze. Schätzungsweise 20 000 Kurden starben an Erschöpfung, Hunger, Kälte und Krankheit. Am 5. April 1991 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 688, die vom Irak ein sofortiges Ende seiner antikurdischen Maßnahmen und unverzüglichen Zugang internationaler humanitärer Organisationen forderte.
Mitte April errichtete die Koalition eine Flugverbotszone innerhalb der irakischen Grenzen, die irakischen Flugzeugen untersagte, nördlich des 36. Breitengrades zu fliegen. Im Oktober eroberten kurdische Guerillas die Städte Erbil und Sulaymaniyah, worauf die irakische Regierung mit einem Essen- und Treibstoffembargo reagierte. Daraufhin hielten die Kurden im Mai 1992 Parlamentswahlen ab und etablierten die Kurdische Regionalregierung (KRG) sowie eine interne Grenze zum Restirak, wenngleich es dadurch zu territorialen Streitigkeiten kam, wie z.B. um Kirkuk.
2003 begrüßten die irakischen Kurden die Amerikaner mit Feiern und Tänzen auf den Straßen. Die kurdische Kontrolle weitete sich auf Kirkuk und Teile Mosuls aus. Die neue, 2005 ratifizierte irakische Verfassung erkannte die KRG und ihre Gesetze an.
Die irakischen Kurden stellen 15-20 Prozent der irakischen Bevölkerung und die Mehrheit in den drei nordirakischen Provinzen, bekannt als irakisches Kurdistan. Darüber hinaus leben 300 000 Kurden in Bagdad, 50 000 in Mosul und ca. 100 000 im Südirak.
Das irakische Kurdistan ist eine parlamentarische Demokratie. Jalal Talabani, Führer der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) ist gewählter Präsident des Irak und KDP-Führer Massoud Barzani Präsident der KRG. Seit 1992 sitzt die KRG in Erbil, der Hauptstadt des irakischen Kurdistans. Das Parlament wird alle vier Jahre direkt gewählt, in der Regierung sitzen KDP, PUK und ihre Partner. Die beiden Hauptparteien unterscheiden sich nur minimal, in Struktur und Organisation sind sie ähnlich.
Von 1999-2009 wurde die KRG von Massoud Barzanis Neffen Nechirvan Idris Barzani als Premier geführt, auch unter der ersten KDP-PUK-Koalition von 2006-9, was zu präzedenzlosen sozialen und ökonomischen Reformen führte: so wurde der Gewalt gegen Frauen Beachtung geschenkt, die Infrastruktur verbessert und private und ausländische Investitionen gefördert. Auch wurde der Ausgleich mit der Türkei angestrebt sowie die Öl- und Gasfelder entwickelt. Im irakischen Kurdistan finden sich inzwischen zahlreiche Konsulate, Handelsbüros und diplomatische Vertretungen von Ländern, die eine engere Zusammenarbeit mit der KRG anstreben, einschließlich der Türkei.
Die Wirtschaft der Region wird von Öl, Landwirtschaft und Tourismus dominiert und ist durch den relativen Frieden weiter entwickelt, als andere Teile des Irak. Nach dem Sturz Husseins waren es nur die drei Provinzen der KRG, die vom US-Militär als „sicher“ eingestuft wurden. Diese relative Stabilität führte dazu, dass die KRG eine Reihe von Investitionen anziehen konnte.
2006 wurde das erste Bohrloch seit der Invasion von dem norwegischen Ölkonzern DNO ASA gebohrt. Erste Schätzungen weisen auf ein Ölfeld mit mindestens 100 Mio. Barrel. Die irakische Zentralregierung hat internationale Ölgiganten wie Chevron und Exxon dafür auf die schwarze Liste gesetzt, dass sie mit der KRG Förderverträge unterzeichnet haben.[4] Die Regierung Maliki erkennt das Recht der KRG, unilateral Verträge mit internationalen Unternehmen zu unterzeichnen nicht an, und beharrt darauf, dass dies Vorrecht von Bagdad sein müsse.
Erwähnenswert ist, dass 2004 das Prokopfeinkommen in der KRG 25 Prozent höher war als im Rest Iraks und die KRG die geringste Armutsrate des Landes aufweist. Seit 2003 hat sich die Zahl der Millionäre in Sulaymaniyah von 12 auf 2000 erhöht, während 20 000 Arbeiter aus anderen Teilen des Irak nach Kurdistan zogen. Die kurdische Regierung erhält Einkommen aus den Erdölexporten und plant Erbil in eine Medienhochburg zu verwandeln, sowie Freihandelszonen an den Grenzen zur Türkei und zum Iran zu errichten. Seit 2003 wurde kein einziger Soldat der Koalitionstruppen in dem Gebiet getötet, noch ein Ausländer entführt.
Zwischen der irakisch-kurdischen Führung und der irakischen Zentralregierung gibt es eine Reihe von Verstimmungen. Auf einer Rede vor dem Washington Institute for Near East Policy vom 12. April 2012 zählte Massoud Barzani eine Reihe von kurdischen Vorwürfen auf: „Die Verfassung wird nahezu täglich gebrochen und nur eine Person [der irakische Premier Nouri al-Maliki] vereint die Macht von Premier, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Chef des Nachrichtendienstes, Verteidigungs- und Innenminister.“ Der Status Quo des Irak sei „unakzeptabel“. Er deutete an, dass es angesichts des fortgesetzten Machtmissbrauchs notwendig sein könnte, ein Referendum über die Zukunft des irakischen Kurdistan abzuhalten.
Die Zukunft des irakischen Kurdistans hängt an der zukünftigen Entwicklung des Irak. Mit dem Abzug des amerikanischen Militärs 2011 haben sich die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen verschärft. Sollte der Irak sich auf eine politische Desintegration zu bewegen, dann dürfte die Entstehung eines unabhängigen kurdischen Staates unvermeidlich sein, was nicht ohne Folge bleiben dürfte für die kurdischen Bevölkerungsteile der benachbarten Staaten, allen voran Syrien und des Iran.
Die Entwicklungen in Syrien haben ihren Einfluss auf die irakischen Kurden. So unterstützt Barzani die syrischen Kurden, während al-Maliki dem Wunsch seiner iranischen Verbündeten nachkommt und weiterhin auf Seiten des Assad-Regimes steht. Dies hat vor kurzem militärische Spannungen zwischen KRG und Zentralregierung verursacht. Al-Maliki ging so weit, die irakische Armee in jene Gebiete des irakischen Kurdistan zu senden, die an die Gebiete syrischer Kurden angrenzen, um die Nachschublieferung aus der KRG für die Kurden in Syrien abzuwürgen. Doch diese umstrittenen Gebiete befinden sich unter der Kontrolle der KRG und so protestierte Barzani gegen den Schachzug und hielt das strategische Gebiet mit seinen kurdischen Peshmarga-Einheiten.[5]
Türkei
Der ausschlaggebendste Faktor in der Frage einer irakisch-kurdische Unabhängigkeit dürfte die Politik der Türkei sein. Verständlicherweise hat die Türkei die Entstehung eines kurdischen Staates in Nordirak im Hinblick auf die potentiellen Auswirkungen auf die türkischen Kurden immer mit Sorge betrachtet. Doch auch die türkische Haltung ist im Wandel. So versagte Barzani der PKK seine Unterstützung bei Operationen gegen die türkische Armee. Zudem ist die Türkei der wichtigste internationale Investor in der KRG geworden. Sie interessiert sich für das kurdische Öl und Gas und hat den Bau einer Pipeline vorgeschlagen. Eine wachsende Toleranz der Türken gegenüber der irakisch-kurdischen Unabhängigkeit würde ein wesentliches Hindernis beseitigen.
Die Angaben zur Größe der kurdischen Minderheit innerhalb der türkischen Bevölkerung von 75 Mio. schwanken zwischen 25 Mio. und gar 37 Mio. – beinahe die Hälfte. Auf diese Weise stellen die Kurden eine ernsthafte und beständige Herausforderung des offiziellen türkischen Selbstbilds einer homogenen Gesellschaft dar, dem die türkische Regierung in den 30er und 40er Jahren mit der Bezeichnung „Bergtürken“, in den Achtzigern dann mit dem Euphemismus „Osttürken“ zu begegnen versuchte, da historisch der Großteil der Kurden in der Osttürkei zu Hause ist, wenngleich sich heute auch kurdische Bevölkerungszentren in Ankara, Istanbul und Izmir gebildet haben.
Seit der Gründung der Türkei ist es zu mehreren Kurdenaufständen gekommen. 1937-38 wurden etwa 50-70 000 Kurden getötet. Tausende gingen ins Exil. Als Teil der Turkifizierung wurde 1934 das Umsiedlungsgesetz beschlossen, das zu gewaltigen Bevölkerungsverschiebungen mit katastrophalen Konsequenzen für die lokale Bevölkerung führte.
In den 70er Jahren entstand aus der Separatistenbewegung heraus die marxistisch-leninistischen Kurdische Arbeiterpartei PKK, die von vielen Staaten und Organisationen, einschließlich der USA, der UN, der Nato und der EU als Terrororganisation eingestuft wird. Zwischen 1984 und 1999 lieferten sich türkisches Militär und PKK einen Guerillakrieg, der zu einer Massenflucht der Bevölkerung des Südostens führte. Ausschlaggebend dafür waren u.a. Gräueltaten der PKK gegen Kurden, die sich ihrer Kontrolle entzogen, und türkische Zivilisten, die Armut des Südostens und die türkischen Militäroperationen. So wurden viele Fälle dokumentiert, in denen die türkische Armee ganze Dörfer wegen angeblicher – aber unwahrscheinlicher – PKK-Anhängerschaft räumte und zerstörte, was über 378 000 Menschen entwurzelte. Bis zur Verhaftung ihres Führers Abdullah Öcalan verschärfte sich der Konflikt in den 90er Jahren, als der türkische Nationale Sicherheitsrat verdeckte Operationen mit Spezialeinheiten, Mafia- und Auftragsmördern genehmigte, während die PKK zunehmend die türkische Zivilbevölkerung attackierte, auch unter Verwendung von Selbstmordattentaten. Von offizieller Seite gedeckten Todesschwadronen wird das Verschwinden von 3200 Kurden zur Last gelegt, zu denen kurdische Politiker, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Lehrer und andere Intellektuelle zählen. Die türkische Regierung spannte sogar die islamistische Extremistengruppe Hisbollah für Anschläge auf PKK-Mitglieder und ganz normale Kurden ein.
Seit dem Wahlsieg der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) 2009 in der Region türkischer Kurden wurden ca. 9000 Menschen – einschließlich gewählte Politiker, Akademiker und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen – für angebliche Beziehungen zur Vereinigung Kurdischer Gemeinden (KCK) verhaftet, der man vorwirft, eine verlängerter Arm der PKK zu sein. Tatsächlich stellt die KCK eine militante Basis für die BDP und sammelt Gelder für den Widerstandskampf.
Seit Beginn des arabischen Frühlings wurde die Türkei als Vorbild für die neu entstehenden nahöstlichen Demokratien präsentiert, doch stellt sich anhand der Behandlung der kurdischen Minderheit die Frage, ob dies zu Recht zutrifft.
Ganz allgemein hat sich das Leben der türkischen Kurden in den Jahren seit Regierungsantritt der konservativen AKP 2002 verbessert. Premierminister Erdogan war der erste türkische Staatschef, der Fehler in der Behandlung der Kurdenfrage einräumte und Reformen ermöglichte, das Verbot der lange Zeit untersagten kurdischen Sprache lockerte, Entwicklungshilfe in die verarmten kurdischen Regionen fließen ließ und Gespräche mit dem inhaftierten PKK-Chef Öcalan initiierte, der trotz seiner 12-jährigen Haft immer noch die Kontrolle der PKK in der Hand hält. 2009 schien ein Abkommen zur Entwaffnung der kurdischen Rebellen in greifbarer Nähe, bis es zu einer neuen Runde von PKK-Gewalt kam, die vierzig türkische Soldaten und Polizisten tötete. Aus Regierungskreisen ist zu hören, dass die Ungeduld Erdogans gegenüber den kurdischen Forderungen wächst.
Iran
Der kurdische Teil des Iran blickt auf eine lange Geschichte zurück. Die iranischen Kurden stellen heute sieben Prozent der Bevölkerung. Während der sowjetischen Besetzung des nordwestlichen Iran im Januar 1946 erklärte sich die kurdische Republik Mahabad im iranischen Kurdistan mit Unterstützung der SU unabhängig. Doch nach Abzug der Sowjets im Mai 1946 wurde das Gebiet von der iranischen Armee zurückerobert und ihr Präsident Qazi Muhammad öffentlich hingerichtet. Nach dem iranischen Staatstreich von 1953 regierte Mohammed Reza Shah zunehmend autokratisch und unterdrückte alle Opposition, auch die der iranischen Kurden. Der Unterricht ihrer Sprache wurde verboten.
Die politischen Organisationen der Kurden waren daher enthusiastische Unterstützer der Revolution gegen den Shah, die im Februar 1979 dem Ayatollah Khomeini zur Macht verhalf. Das änderte nichts daran, dass seit den frühen Tagen der Revolution die Beziehungen zwischen der Zentralregierung und den kurdischen Organisationen von Problemen belastet sind.
Die Kurden wurden mit ihrer fremden Sprache und Tradition sowie ihren grenzüberschreitenden Beziehung als anfällig für ausländische Manipulation gegen die junge Islamische Republik betrachtet. Im Gegensatz zum Großteil der Bevölkerung hatten die sunnitischen Kurden sich im April 1979 von der Abstimmung zur Errichtung der Republik ferngehalten. Das Referendum legte die schiitische Vorherrschaft fest und sah regionale Autonomie nicht vor. Die Krise verschärfte sich, als man den Kurden bei der Versammlung des Expertenrates zur Ausarbeitung der Verfassung Sitze verweigerte, was dazu führte, dass die politischen Rechte der mehrheitlich sunnitischen Kurden in der Verfassung nicht auftauchen.
Im Frühjahr 1979 brachen Kämpfe aus zwischen bewaffneten Kurden und den Sicherheitskräften der iranischen Revolutionsregierung. Die neue Führung hatte wenig Geduld mit den kurdischen Forderungen und entschloss sich, die Unruhe gewalttätig niederzuschlagen. Khomeini verkündete, dass das Konzept ethnischer Minderheit der islamischen Doktrin widerspräche und dass Minderheitennationalismus von jenen geschaffen werde, die der Einheit aller islamischen Länder feindlich gesonnen sind.
Im Frühjahr 1980 eroberten Regierungstruppen unter Befehl von Präsident Banisadr die meisten kurdischen Städte in einer großangelegten Militärkampagne, in der ganze Dörfer und Städte ausradiert und tausende Männer in Massenprozessen hingerichtet wurden. Die Revolutionsgarden sorgten für die Wiedererrichtung der Regierungskontrolle in den kurdischen Regionen.
1997 beteiligten sich sunnitische Kurden an den Präsidentschaftswahlen. Der Sieger – Präsident Mohammad Khatami – pries die kurdische Kultur und Geschichte. Die Kurden verlangten v.a. mehr Rechte hinsichtlich Sprache und die Ernennung kurdischer Spitzenpolitiker. Khatami setzte den ersten kurdischen Gouverneur in der Provinz Kurdistan ein, und holte in der zweiten Amtszeit sogar zwei schiitische Kurden in sein Kabinett. Die Proteste kurdischer Nationalisten 1999 wurden hingegen von der Regierung gewaltsam unterdrückt.
Im heutigen Iran werden nur schiitische religiöse Institutionen gefördert. Obwohl mehr als eine Million Sunniten in Teheran leben, viele davon Kurden, existiert keine einzige sunnitische Moschee.
Am 9. Juli 2005 wurde der kurdische Aktivist Shivan Qadei von iranischen Sicherheitskräften in Mahabad erschossen und, Augenzeugen zufolge, an einen Wagen gebunden durch die Straßen geschleift. Dies führte für die nächsten sechs Wochen zu Unruhen in kurdischen Städten und Dörfern. Dutzende wurden dabei getötet und verletzt und ohne Anklage eingesperrt. Die Behörden verboten mehrere große kurdische Zeitungen und verhafteten Journalisten und Redakteure.
Eine Reihe von kurdischen Aktivisten sind zum Tode verurteilt, während die kurdische Rebellengruppe Partei für eine Freies Leben in Kurdistan (PJAK) den bewaffneten Kampf aufgenommen hat. Im November 2009 wurde der kurdische Aktivist Ehsan Fattahian als erster einer Reihe politischer Gefangener in der Todeszelle trotz internationaler Proteste nach Folter und ohne fairen Gerichtsprozess wegen „Feindschaft gegen Gott“ hingerichtet. Ebenso erging es Fasih Yasamani, Ali Heydarian, Farhad Vakili, Mehdi Eslamian, Shirin Alam Hooli und Farzad Kamangar 2010. Amnesty International verurteilte diese Hinrichtungen als „unverhohlenen Versuch, die Mitglieder der kurdischen Minderheit einzuschüchtern.“ Im Mai 2010 befanden sich noch mindesten 16 weitere kurdische politische Gefangene in der Todeszelle ohne Chance auf einen fairen Gerichtsprozess.
Syrien
In Syrien leben etwa 1,6 Mio. Kurden, das sind ungefähr 9 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die meisten von ihnen leben im Norden und Nordosten, doch es gibt auch große Konzentrationen von mehreren hunderttausend Kurden in Aleppo, Damaskus und anderen städtischen Zentren. Bis zum heutigen Tag hat die syrische Regierung die Existenz von Kurden im Land nicht anerkannt. Angesichts eines intransparenten Volkszählungsprozesses ist es daher schwierig, ihren genauen Anteil zu schätzen.
1957 wurde die Kurdische Demokratische Partei Syriens gegründet (KDPS), doch nie vom syrischen Staat anerkannt, so dass sie v.a. nach einer gewaltsamen Unterdrückung und Verhaftung ihrer Führer 1960 eine Untergrundorganisation bleibt.
Nach dem Scheitern einer politischen Union mit Ägypten wurde Syrien 1961 zu einer Arabischen Republik erklärt. Im August 1962 führte die Regierung in der mehrheitlich kurdischen Provinz Dschasira eine gesonderte Volkszählung durch, in deren Folge ungefähr 120 000 Kurden als „Ausländer“ eingestuft wurden. Sie mussten ihre syrischen Ausweise zur „Erneuerung“ abgeben, erhielten sie aber nicht wieder, während gleichzeitig eine antikurdische Medienkampagne in die Wege geleitet wurde, die auf Parolen wie „Schützt das arabische Dschasira“ „Kampf der kurdischen Bedrohung!“ zurückgriff. Die syrische Regierung behauptete, dass dieser Schritt nötig geworden sei, da die Kurden das Land von außen infiltriert, sich illegal in die syrischen Bürgerlisten eingetragen und die Gesetze der syrischen Bodenreform zum Erwerb von Land missbraucht hätten.
Diese Politik kam zur gleichen Zeit wie Barzanis Aufstand im irakischen Kurdistan und die Entdeckung von Erdöl in den kurdischen Gebieten Syriens. Im Juni 1963 beteiligte sich Syrien an der irakischen Militärkampagne gegen die Kurden und stellte dazu ihre Luftwaffe, Panzer und 6000 Soldaten zur Verfügung.
1965 beschloss die syrische Regierung, die 300 Kilometer lange Dschasira-Region entlang der türkischen Grenze zu arabisieren. Ab 1973 wurde der Plan umgesetzt. Arabische Beduinen wurden in der Region angesiedelt und kurdische Dörfer erhielten arabische Namen. Ursprünglich sollten 140 000 Kurden in die südliche Wüste deportiert werden.
Viele Kurden werden in Syrien als Ausländer in einem gesonderten Register geführt. Seit dieser Zeit ist die Zahl staatsloser Kurden in Syrien gewachsen. Refugees International spricht von 300 000, die Kurden selbst von ca. 500 000. Der Ausländerstatus verweigert Kurden zahlreiche Grundrechte, wie das auf Grundeigentum, Bewegungsfreiheit, Ehe mit syrischen Bürgern und Beschäftigung in Staatsbetrieben. Menschenrechtsorganisationen haben diesen syrisch-arabischen Rassismus als Apartheidsystem bezeichnet. Zu den kulturellen Unterdrückungstechniken gehören Verbote der kurdischen Sprache, das Verbot, Kindern mit kurdischen Namen zu registrieren, das Ersetzen von kurdischen Ortsnamen mit arabischen und vieles mehr. Kurden ohne syrische Staatsbürgerschaft sind faktisch Gefangene Syriens.
Im März 2011 versprach die Regierung zur Vermeidung weiterer Unruhen jenen ca. 300 000 Kurden die Staatsbürgerschaft endlich zu verleihen. Im April desselben Jahres unterzeichnete Präsident Bashar al-Assad Dekret 49, dass Kurden die in Al-Hasakah als Ausländer geführt wurden, die syrische Nationalität erhalten würden. Einem jüngsten unabhängigen Bericht zufolge, haben jedoch bislang gerade 6000 syrische Identitätskarten erhalten.
In Folge der Revolutionen in Tunesien und Ägypten begannen auch in Syrien die Proteste, denen sich die Kurden des Nordostens anschlossen. Am 7. Oktober 2011 wurde der Kurdenführer Mashaal Tammo vermutlich von Agenten des Regimes in seiner Wohnung erschossen. Während des Begräbnisumzugs mit 50 000 Teilnehmern feuerten Sicherheitskräfte in die Menge und töteten fünf Menschen. Die Ermordung Tammos verstärkte aber nur die Entschlusskraft vieler Kurden gegen das Regime.
Tatsächlich hängt der Erfolg des Aufstands gegen Assad davon, dass sich immer mehr Bevölkerungsteile anschließen. Die Kurden spielen dabei eine wichtige, wenn nicht gar die Schlüsselrolle. Dennoch stehen die Kurden dem oppositionellen Syrischen Nationalrat (SNC) skeptisch gegenüber, da ihnen eine angemessene Teilnahme an seinen Institutionen Rat und Vollversammlung weitestgehend verweigert wurde.
Die syrische Revolte hat die kurdischen Forderungen in die Höhe schnellen lassen. So streben sie eine „föderale Lösung“ für das Land an, die den Kurden Autonomie gewähren würde und suchen Kontakte zu den Kurden der Nachbarländer. Der Präsident der KRG Barzani lud unlängst die syrisch-kurdischen Parteien zu sich in den Nordirak ein, um gegen den Rat des Iran und der PKK zum Sturz des Assad-Regimes aufzurufen. Ende Juli bekannte Barzani, dass die syrisch-kurdischen Kämpfer gegenwärtig in der KRG trainieren, um ihre Gebiete in Syrien gegen die Regierung zu verteidigen. Barzani spielte ebenso eine entscheidende Rolle in der Versöhnung der gespaltenen kurdischen Bewegung in Syrien und eine Abkehr antitürkischer Kurden in Syrien vom Kampf gegen die Türkei zur Konzentration auf Assad. Die interne Politik der syrischen Kurden dürfte die Interessen der türkischen nationalen Sicherheit dennoch vor Herausforderungen stellen.
Israel und die Kurden
2005 verkündete Massoud Barzani, dass die Aufnahme von Beziehungen zu Israel „kein Verbrechen“ wäre. Dem ehemaligen hochrangigen Mossadbeamten Eliezer Tsafir zufolge befanden sich zwischen 1963 und 1975 israelische Militärberater in den Lagern des Kurdenführers Mustafa Barzani und boten Ausbildung, Schusswaffen, Feldartillerie und Flugabwehrgeschosse. Dies war Teil der Strategie, Allianzen mit nichtarabischen Nationen in der Region aufzubauen. Prokurdische Sympathien entstanden auch dank der Unterstützung der Kurden in den fünfziger Jahren, als irakische Juden nach Israel fliehen mussten.
Israels geheime Beziehungen zu den Kurden wurden in den Achtzigern vom israelischen Premier Menachem Begin offiziell anerkannt. Er bestätigte, dass Israel den Kurden sowohl humanitäre wie auch militärische Hilfe hatte zukommen lassen. Während des Ersten Golfkrieges bemühten sich jüdische Organisationen weltweit um eine Kampagne zur Hilfe der irakischen Kurden gegen die staatliche Verfolgung. Der israelische Premier Yitzhak Shamir rief die Vereinigten Staaten auf, die Kurden zu verteidigen.
1999 beschuldigten einige Kurden den Mossad, Informationen geliefert zu haben, die zur Festnahme Öcalans in Kenia geführt haben. Hunderte kurdische Demonstranten griffen das israelische Generalkonsulat in Berlin an, woraufhin israelische Sicherheitskräfte in die Menge schossen. Am Ende waren vier Angreifer tot und weitere sechzehn Demonstranten und 27 Polizisten verletzt. Der damalige Mossad-Chef Efraim Halevy entschloss sich zu dem präzedenzlosen Schritt, offiziell die Beteiligung Israels an der Verhaftung Öcalans zu dementieren. Normalerweise äußert sich der Mossad nicht zu geheimdienstlichen Fragen.
2004 berichteten Medien über offizielle Treffen zwischen israelischen und kurdischen Politikern. Gleichzeitig bestätigten Massoud Barzani, Jalal Talabani und Ariel Sharon die guten Beziehungen zwischen Israel und dem irakischen Kurdistan. Dutzende Israelis mit Elitekämpferausbildung arbeiten für private israelische Firmen im Nordirak und helfen den Kurden beim Aufbau von Antiterroreinheiten. Die irakisch-kurdische Regierung hat Berichten zufolge israelische Sicherheits- und Kommunikationen damit beauftragt, die kurdischen Sicherheitskräfte aufzubauen und mit Ausrüstung zu versorgen und strategische Beratung in wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen zu bieten.
Israelische Technikfirmen haben Verträge in Höhe von mehreren hundertmillionen US-Dollar mit der KRG unterzeichnet. Dazu gehört der Bau des internationalen Flughafens von Erbil, ein Meilenstein für die kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Zahlreiche israelische Güter – wie Fahrzeuge, Traktoren, Spürhunde, schusssichere Westen und Erste Hilfe Produkte – wurden in den Nordirak geliefert.
Die Kurden hatten darauf bestanden, diese Zusammenarbeit geheim zu halten, aus Angst, die Projekte würden Terrorgruppen dazu ermutigen, Anschläge auf jüdische Gäste zu verüben. Jüngste Warnungen, dass Al-Qaida beabsichtige, die kurdischen Ausbildungslager anzugreifen, führten zum hastigen Abzug aller israelischen Ausbilder aus dem Nordirak. In Reaktion auf den Bericht hieß es aus dem Verteidigungsministerium: „Wir haben keine Genehmigung für die Arbeit im Irak erteilt. Alle Tätigkeiten basieren auf privater Initiative, ohne unsere Autorisierung, und sind daher in der Verantwortung der betroffenen Arbeitgeber und –nehmer.“
Jahrzehntelang hielten sich sowohl die Vereinigten Staaten als auch Israel aus Sorge vor türkischem Zorn damit zurück, eine kurdische Unabhängigkeit zu unterstützen. Doch angesichts der wachsenden Anzeichen einer politischen Desintegration des Irak, dem Ausbruch der syrischen Revolte und der Möglichkeit einer vereinten internationalen Aktion gegen die iranischen Atomanlagen ist ein Verständnis der rasanten Entwicklungen in allen kurdischen Gebieten entscheidend geworden. Israel hat kein Interesse, die politischen und nationalen Zerfallsprozesse im Nahen Osten zu unterstützen. Doch zu einer Zeit, in der neue Gruppen politische Repräsentation anstreben, wäre es ein Fehler, wenn Israel sich nur auf die diplomatischen Kontakte zu Nationalstaaten beschränken lassen würde, die zunehmend unfähig sind, die Menschen im Nahen Osten in dieser neuen Epoche exklusiv zu vertreten.
[1] Claire Berlinski, “The Arab Spring Is Now the Kurdish Spring,” Gatestone Institute, July 28, 2012, http://www.gatestoneinstitute.org/3215/the-arab-spring-is-now-the-kurdish-spring
[2] Joe Parkinson, “Turkey Says It Would Act to Stop Kurdish Rule in Syria,” July 26, 2012, Wall Street Journal, http://online.wsj.com/article/SB10000872396390444840104577550894290844680.html
[3] Daren Butler, “Syrian Kurdish Moves Ring Alarm Bells in Turkey,” July 24, 2012, Reuters, http://www.reuters.com/article/2012/07/24/us-syria-crisis-turkey-kurds-idUSBRE86N12W20120724
[4] Enis Senerdem, “Ankara-Baghdad Relations Tainted by Kurdish Oil,” Journal of Turkish Weekly, July 26, 2012, http://www.turkishweekly.net/news/139339/ankara-baghdad-relations-tainted-by-kurdish-oil.html
[5] “A Bigger Game,” Mideast Mirror, August 1, 2012, mideastmirror.info