Iranische Strategie und westliche Schwäche

Iranische Strategie und westliche Schwäche

Michael Segall

Für Mitte Mai ist eine weitere Runde der Atomgespräche zwischen Iran und dem Westen angesetzt. Eine Sprecherin des iranischen Außenministeriums gab bekannt, dass der Iran und die P5+1-Staaten in Wien damit beginnen werden, ein endgültiges Atomabkommen auszuarbeiten, dessen Rahmenbedingungen bereits festgelegt seien.  In den vergangenen Wochen ist das Thema aufgrund der aktuellen Krise in der Ukraine zwischen dem Westen und Russland (ein wesentliches Mitglied der Atomverhandlungen) an den Rand gedrängt worden – was dem Iran sicherlich nicht ungelegen kam. Gleichzeitig bleiben viele Fragen offen, die die iranischen Verpflichtungen des Genfer Abkommens betreffen und das Ausmaß, mit dem sie erfüllt wurden.

Khamenei: Atomprogramm stärkt nationale Sicherheit

Der Oberste Führer des Iran Ali Khamenei traf sich Anfang April zum Nationalen Tag der Atomtechnologie mit der Atomenergie-Organisation des Iran (AEOI) und betonte das Vorantreiben des Atomprogramms. Zur gleichen Zeit gehört er zu jenen, die sich lautstark pessimistisch über die Aussichten eines umfassenden Abkommens äußern, auch wenn er für die Gespräche Grünes Licht gab. Gegenüber den Mitarbeitern der AEOI bekundete er, dass gleich welchen Umstände und trotz der Gespräche die Forschung und Entwicklung nicht gestoppt oder gedrosselt würden und dass der Hauptnutzen des nationalen Atomprogramms die „Stärkung der nationalen Sicherheit“ sei.

Khamenei unterstrich weiter, dass das Verhandlungsteam „erzwungenen Erklärungen“ nicht zustimmen werde und dass den iranischen Beziehungen zur Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) „nichts besonderes“ zukommen solle.  Nach dem Treffen sagte der stellvertretenden Sicherheitsdirektor der AEOI Ashgar Zare’an, dass Khamenei es nicht gestatten werde, „irgendein Element des Atomprogramms anzuhalten, aufgrund all dessen, was wir den Märtyrern – v.a. denen in der atomaren Forschung – schulden.“

Auch Präsident Rouhani sprach am Nationalen Tag der Armee (18. April) die Atomfrage in einer Rede an und kritisierte dabei die iranischen Revolutionsgarden für ihre Einmischung in politische Belange.  Er lobte die diplomatische Macht des Iran im Atomstreit. Diese diplomatische Macht, so Rouhani, stamme vom Wahlvolk, dem Obersten Führer und der Autorität der bewaffneten Streitkräfte. Rouhani betonte, dass die Sicherheitskräfte und das mutige Volk des Iran es dem Verhandlungsteam und anderen diplomatischen Akteuren gestatten würden, die iranischen Interessen umfassend zu schützen.

Vertrauensbildende Maßnahmen

Derweil hat der Iran begonnen, dem Westen durch Stellungnahmen und konkrete Maßnahmen zu zeigen, dass es ihm mit einem umfassenden Atomabkommen ernst ist. Doch einige dieser Schritte haben zu schweren Verwerfungen zwischen den verschiedenen Machtzirkeln im Iran geführt. Verbündete des ehemaligen Präsidenten Ahmadinejad haben der aktuellen Regierung vorgeworfen, das iranische Atomprogramm  durch die Gespräche zu schwächen.

AEOI-Chef Ali Akbar Salehi zufolge hat der Iran seinen Vorrat an 20-prozentigem Uran auf 5 Prozent verdünnt. Man habe aber vor, 20 000 Zentrifugen für die nächsten fünf Jahre zu behalten, um das für das Atomkraftwerk Bushehr benötigte Brennmaterial bereitzustellen, was in etwa 30 Tonnen wären. Der Iran habe seinen Gesprächspartnern diese Pläne vorgelegt, zu denen auch die Erhöhung der Zentrifugen von 18 000 auf 20 000 gehören würde. 

Zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass der Iran nicht nur das 20-prozentige Uran zu verdünnen begonnen habe, sondern auch Teile seines 5-prozentigen Urans UF6, das seit Unterzeichnung des Abkommens am 24. November 2013 produziert worden ist, in Uranoxid UO2 verwandelt hätte  – in Übereinstimmung mit dem Genfer Abkommen. Im Hinblick auf das Schwerwasserproduktionskraftwerk Arak sagte Salehi, dass es keine wesentlichen Änderungen gäbe, außer, dass die Fähigkeit zur Plutoniumproduktion auf 5 Prozent reduziert werde, womit die Streitfrage zwischen dem Iran und dem Westen „praktisch erledigt“ wäre.

Salehi sagte weiter, dass der Iran „kein Problem“ damit habe, wenn die IAEA die Militäranlage in Parchin besuchen wolle, sofern die Organisation logische Gründe und überzeugende Beweise vorläge:

„Wir wissen immer noch nicht, wieso sie Parchin ein drittes Mal sehen wollen […] Sie sagen, sie hätten neue Informationen und so haben wir sie gebeten, uns diese zu zeigen, so dass wir sie verifizieren könnten, doch bislang haben sie das verweigert.“ 

Von 5 auf 20 Prozent in zwei Wochen

Nachdem die nationalen und internationalen Medien über die Verdünnung des 20-Prozentigen Urans berichtet hatte, betonte der Sprecher der AEOI Bahruz Kamalvandi, dass der Iran noch nicht damit begonnen habe, seine Vorräte von 20-prozentigen Iran in Uranoxid zu verwandeln, da die dafür nötigen Anlagen noch gebaut werden müssten.  Der Iran werde aber seine Verpflichtungen bis zum 20. Juli 2014 – dem zur Unterzeichnung eines umfassenden Abkommens vorgesehenen Tag – einhalten.  Kamalvandi machte klar, dass die Oxidation des 5-prozentigen Urans nicht bedeuten würde, dass der Iran sein ganzes Uran zerstören würde: „Wir können auf 5 Prozent angereichertes Uran innerhalb von zwei bis drei Wochen wieder auf 20 Prozent anreichern, wenn es nötig sein sollte.“

Irans Rechte im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags

Die Sprecher des iranischen Verhandlungsteams betonen angesichts wachsender Kritik im Inland immer wieder, dass der Iran auf sein Recht zur friedlichen Nutzung der Kernenergie beharrt und sich dem Druck der Verhandlungspartner nicht beugen wird. Der stellvertretende Außenminister Abbas Araqchi, hochrangiges Mitglied im Verhandlungsteam, bezeugte bei einem Briefing vor dem Komitee für Nationale Sicherheit und Außenpolitik des iranischen Parlaments, dass der Iran wichtige wissenschaftliche und technologische Fähigkeiten auf der atomaren Ebene erreicht habe und sich als „Atommacht mit friedlichen Fähigkeiten“ in die Verhandlungen einbringe. Er fügte hinzu, dass ein umfassendes Abkommen dem Iran das Recht auf Atomtechnologie im Rahmen des Sperrvertrages garantieren würde.

Mohammad Ali Esfanani, Sprecher der juristischen Kommission des Parlaments behauptete sogar, dass das Genfer Abkommen dem Iran das Recht auf eine friedliche Nutzung der Kernenergie garantiere. Es werde dem Westen nicht gelingen, in einem umfassenden Abkommen die dem Iran vom Atomwaffensperrvertrag verbrieften Rechte zu verwässern. „Die atomaren Bestrebungen des Iran bewegen sich im Rahmen des Sperrvertrages. Teheran wird darüber hinaus gehende Forderungen nicht akzeptieren.“

„Die Verhandlungen entlarven den Westen“

Angesichts der neuen Verhandlungsrunde haben sich Protagonisten der Freitagspredigten der Sache angenommen und Khameneis harte und pessimistische Haltung hinsichtlich des wahrscheinlichen Ausgangs der Verhandlungen übernommen. So bekräftigte Hojjat Al-Islam Mehdi Mohammad Saeedi aus Qom, dem religiös-politischen Zentrum des Iran:

„Die Feinde des Iran sind bestrebt, auf der internationalen Ebene eine dem Iran feindliche Atmosphäre zu schaffen, doch ihre Pläne wurden von der Weisheit unseres Führers Khameneis durchkreuzt […] Die Atomgespräche sind nur ein weiterer Vorwand, um den Iran zu dämonisieren […] Die Gespräche mit den Feinden werden die Probleme des Iran nicht lösen, entlarven aber immer wieder das wahre satanische Gesicht des Feindes vor aller Welt.“

Unterdessen beschuldigen konservative Elemente die Rouhani-Regierung konsequent des Mangels an Transparenz bei den Verhandlungen und eines „zum Schweigen bringen“ der Kritiker der Gespräche. Das Parlamentsmitglied Seyyed Mahmoud Nabavian sagte z.B. es sei „äußerst unglücklich, dass die Regierung Kritikern nicht gestattet, ihre Meinung kundzutun“ und beschwerte sich, dass der Oberste Nationale Sicherheitsrat gegen ihn Ermittlungen eingeleitet hätte, weil er das Genfer Abkommen kritisiert habe. Bevor er seinen Text verfasst habe, hätte er ihn Araqchi übermittelt und um Antwort gebeten.

Mohammad Reza Mohseni-Sani, Mitglied des Komitees für Nationale Sicherheit und Außenpolitik sagte, dass die Entscheidung der Vereinigten Staaten den vom Iran nominierten UN-Botschafter das Visum zu verweigern, die Atomgespräche wahrscheinlich negativ beeinflussen würde:

„Natürlich hat die ganze Angelegenheit […] Konsequenzen. Unsere Verhandlungsführer sollten sich über ein solches Verhalten der USA und das ‚vorhandene‘ Misstrauen im Klaren sein.“ 

Einschätzung der aktuellen Situation: Westliche Schwäche

Auch wenn nicht viel Zeit bis zum Juli bleibt, so ist kaum zu erwarten, dass es den Durchbruch zu einem umfassenden Abkommen geben wird. Da die Gespräche gegenwärtig auch nicht im Mittelpunkt des internationalen Interesses stehen, hat Optimismus schlechte Karten. Gleichwohl offenbaren sich an dieser Stelle die inneren Spannungen zwischen Rouhani und den konservativen Elemente, allen voran den Revolutionsgarden, darüber, wie die Verhandlungen zu führen seien. Gleichzeitig wird deutlich, dass beide Seiten die Schwelle anstreben, an der der Iran zu militärischen Atommacht wird.

Khamenei verbleibt derweil am Rande des Geschehens und versucht, das interne Machtgefüge im Hinblick auf die Atomfrage im Gleichgewicht zu halten, woran auch das Wohl der iranischen Wirtschaft hängt. Sein vorsichtiges Manövrieren zwischen den Lagern und seine Äußerungen deuten an, dass er einerseits die Gespräche als Mittel zur Verbesserung des internationalen Status des Iran sieht, während er andererseits sich pessimistisch über ihrer Erfolgschancen artikuliert angesichts der „satanischen“ Natur der Vereinigten Staaten. Seine Anweisungen an das Verhandlungsteam spiegeln sein Bewusstsein der Position der Kritiker wider.

Der Iran versucht unentwegt, sie konkrete Situation hinsichtlich der Gespräche einzuschätzen – wobei die innenpolitischen Spannungen berücksichtigt werden, das wesentliche Augenmerk aber auf der internationalen  Entwicklung und ihren Chancen und Risiken für den Iran liegt. Auf der regionalen Ebene gehört dazu, wie Vertreter der Regimes immer wieder deutlich machen, dass seine Hauptverbündeten Bashar Assad und Hisbollah in Syrien Erfolge zu verzeichnen haben, trotz der wachsenden Verluste der „Partei Gottes“ und den Konsequenzen für den Libanon. Der Iran ist sich auch über die wachsenden Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und Saudi Arabien im Klaren sowie des Umstands, dass die israelisch-palästinensischen Verhandlungen im Sande verlaufen, während die vom Iran beeinflussten Akteure Hamas und Islamischer Dschihad Aufwind bekommen.

Auf der internationalen Ebene sieht der Iran die fortgesetzte Schwäche und Visionslosigkeit der amerikanischen und europäischen Politik gegenüber der ukrainischen Krise, der palästinensischen Frage sowie in Syrien.

Der Westen erscheint in iranischen Augen daher als schwach. Es ist also zu erwarten, dass die iranische Position in den Atomgesprächen sich verhärtet oder dass Teheran sie gar entgleisen lässt, wenn es glaubt, dafür kaum Nachteile in Kauf zu nehmen. Die anhaltende Erosion des Sanktionsregimes und das Gefühl, das bessere Blatt in der Hand zu haben sind weitere Faktoren, die den Iran in diese Richtung marschieren lassen. Das wöchentliche Kampfblatt der Revolutionsgarden stellt in seiner Analyse der Atomgespräche immer wieder die Masse an Problemen heraus, die die USA und der Westen auf der regionalen und internationalen Ebene zu bewältigen haben – wirtschaftliche Zwänge, wachsende Konflikte zwischen den Mächten und ein Schrumpfen der Optionen. Während der letzten zwei Jahre hätte der Westen auf wichtige Veränderungen nur passiv reagiert. Es ist diese Realität, die die westliche Gesprächshaltung erklärt, da bei einem Scheitern der Verhandlungen international keine anderen Möglichkeiten mehr bleiben.

Sollte dies die vorherrschende Stimmung bei der aktuellen Verhandlungsrunde bleiben, dann besteht Anlass zur Sorge.

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