Die Quadratur des Kreises – Das diplomatische Scheitern der Zweistaatenlösung

Die Quadratur des Kreises – Das diplomatische Scheitern der Zweistaatenlösung

Dr. Dore Gold

Innerhalb amerikanischer und europäischer Politikerkreise ist es eine geradezu axiomatische Lehrmeinung geworden, dass Israel und die Palästinenser am Ende der Amtszeit Clintons kurz davor standen, ein endgültiges Friedensabkommen im Rahmen einer Zweistaatenlösung zu beschließen, dass dieses jedoch aufgrund der politischen Umstände in den Vereinigten Staaten, Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht abgeschlossen wurde: Präsident Bill Clintons zweite Amtszeit stand vor dem Ende, der israelische Premier Ehud Barak hatte seine parlamentarische Mehrheit verloren und PLO-Führer Yassir Arafat bevorzugte mit der Zweiten Intifada den Weg der Gewalt gegen Israel anstatt das ihm durch Hintertüren gereichte Angebot anzunehmen.

In Konsequenz entstand ein wirkungsmächtiger politischer Mythos – dass, hätten alle Parteien 2001 über ein wenig mehr Zeit verfügt, die Zweistaatenlösung und damit der Frieden im Nahen Osten hätten erreicht werden können. Vor allem in Europa, unter arabischen Diplomaten, aber auch bei einigen amerikanischen Beobachtern gewann die Vorstellung, dass die Zweistaatenlösung in ihren grundsätzlichen Formen bereits erreicht worden sei, an Konjunktur.[i] Dies hatte mehrere Ursachen. Als die Verhandlungen in Taba zum Abschluss kamen, äußerte der israelische Außenminister Shlomo Ben Ami gegenüber dem israelischen Radio, dass die israelische wie palästinensische Seite noch nie zuvor so nahe an ein Abkommen herangekommen wären – ein Auffassung, welche von palästinensischer Seite nicht geteilt wurde.[ii]

Es fiel vielen, die für fast ein Jahrzehnt darin involviert waren, schwer zuzugeben, dass ihr Vorhaben gescheitert war – selbst inmitten einer Zeit permanenter Selbstmordattentate, die Arafats Intifada unmittelbar im Anschluss über Israels Städte brachte, und die über tausend israelischen Bürgern das Leben kostete sowie viele für immer versehrte. Zahllose Artikel wurden dennoch geschrieben sowie internationale Seminare abgehalten, um zu beweisen, dass die Verhandlungen es verdienten, noch ein weiteres Mal aufgenommen zu werden. Der *Washington Post-*Kolumnist Jackson Diehl schrieb in Rückblick auf die Zeit 2000-2001, dass „ein Versagen der Führungen, nicht jedoch unversöhnliche Interessen“ das Erreichen eines israelisch-palästinensischen Friedens verhindert hätten.[iii]

Obwohl die Bush-Administration die neue israelische Regierung unter Ariel Sharon 2001 darüber informierte, dass die Verhandlungsergebnisse von Camp David bis Taba mangels Unterzeichnung eines Abkommens für israelische Unterhändler in Zukunft nicht bindend seien, blieben die während dieser Zeit formulierten Ideen, v.a. auch die in der letzten Minute formulierten amerikanischen Vorschläge, bekannt als „Clinton Parameter“, Gegenstand der meisten Diskussionen in den politstrategischen Kreisen Washingtons, wenn es um eine zukünftige Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes ging.

Die allgemeine Phraseologie der in Washingtoner Forschungsinstituten und Medienkreisen geführten Diskussionen lässt sich in der Tat mit folgendem Satz zuspitzen: „Jeder weiß, wie das endgültige Abkommen aussehen wird.“ Beispielhaft für diesen Trend war die Analyse der ehemaligen Sicherheitsberaterin Clintons, Sandy Berger, im Juni 2003 vor dem Rat für Auswärtige Beziehungen: „Ich glaube, dass die Konturen, über die wir in Camp David sprachen, die dann im Clinton-Plan im Dezember veröffentlicht und später in Taba sogar weiterentwickelt wurden, am Ende die Konturen sein werden, für die wir uns entscheiden werden.“[iv] Wahrscheinlich wurde diese Art des Denkens von einigen der höchsten Mitglieder der Bush-Administration im letzten Amtsjahr übernommen, als man versuchte, die Zweistaatenlösung nach der Friedenskonferenz in Annapolis 2007 voranzutreiben.

Doch trotz all der Mythen, dass die diplomatischen Positionen zwischen Israel und den Palästinensern überbrückbar wären und dass ein historisches Friedensabkommen greifbar nahe sei, steckte Außenministerin Condoleeza Rice in einer ähnlichen Zwangslage wie ihre Vorgänger bei dem Versuch, die Zustimmung beider Parteien zu einem endgültigen Friedensvertrag zu bekommen. 2008 kamen die amerikanischen Bemühungen, die Konturen eines abschließenden Abkommens zu vermitteln, der Quadratur des Kreises gleich: die territorialen Forderungen der palästinensischen Führung passten nicht in den territorialen Raum, den Israel zu geben vermochte, ohne seine minimalen Sicherheitsbedürfnisse sowie seine wichtigsten historischen Rechte zu kompromittieren, v.a. in Jerusalem. Zum Zeitpunkt des Gipfels in Annapolis herrschte, nach Meinungsumfragen, unter den meisten Israelis immer noch Konsens darüber, Jerusalem ungeteilt zu lassen.[v]

Die Zweistaatenlösung und die Irritation amerikanischer Unterhändler

In einigen der Analysen des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses galt es bald als allgemeine Wahrheit, dass die beiden Parteien in der Lage gewesen seien, ihre Gegensätze in den meisten kritischen Punkten zu überwinden, was sie jedoch von einem Abkommen abgehalten hätte, sei die Zukunft Jerusalems gewesen. Eine sorgfältige Überprüfung der Verhandlungsgeschichte von 2000 und 2001 offenbart jedoch, dass eine bedeutende Kluft zwischen selbst dem nachgiebigsten israelischen Vermittlungsvorschlag und den Positionen der palästinensischen Führung in allen wesentlichen Punkten bestand: Grenzen, Jerusalem, Flüchtlinge, Sicherheitsmaßnahmen, Siedlungen und Wasser.

Dies wird aus den Notizen der Taba-Gespräche von Miguel Moratinos deutlich, welche am 17. Februar 2002 in der israelischen Zeitung Ha‘aretz veröffentlicht wurden. Moratinos war damals EU-Sonderbeauftragter für den Nahost-Friedensprozess. Es ist also falsch anzunehmen, dass die wesentlichen Konturen eines israelisch-palästinensischen Friedensabkommens 2000-2001 erreicht worden waren und nur die Umstände ihre formelle Absegnung damals unmöglich machten.

Darüber hinaus gibt es gute Gründe zur Annahme, dass, sollten die Parteien erneut auf Basis der damaligen Verhandlungen in Camp David und Taba in Verhandlungen treten, sie ein weiteres Mal keine Übereinkunft erzielen werden. Zum einen ist Arafats Nachfolger Mahmoud Abbas, obgleich er mit seinem Vorgänger nicht über die Zweckmäßigkeit von Gewalt als politisches Instrument übereinstimmt, bei den wesentlichen Fragen des Friedensprozesses genauso unflexibel wie Arafat. So versteht er beispielsweise unter dem „Rückkehrrecht“ das Recht palästinensischer Flüchtlinge, sich im Staat Israel anzusiedeln und nicht nur in einem Palästinenserstaat. Dies war auch die Position Ahmed Qurais (alias Abu Ala), palästinensischer Chefunterhändler 2007 bis 2008. Zudem schien Qurai in seinen Verhandlungen mit Israel 2008 sich dem Mindestbedürfnis Israels nach Sicherheit zu verweigern, nämlich der palästinensischen Demilitarisierung, und bestand stattdessen auf die Schaffung einer palästinensischen Armee.[vi] Da die Fatah-Bewegung außerdem mit der weit mächtigeren Hamas um die Gunst der Palästinenser konkurriert, ist die Handlungsfreiheit für Abbas sogar noch eingeschränkter als zu Zeiten Arafats. Kurz, anzunehmen, dass die palästinensische Haltung in der post-Arafat-Zeit flexibler geworden sei, ist schlichtweg irrig.

Abbas‘ Einschätzung der Verhandlungen mit Premierminister Ehud Olmert 2008 klang nicht anders als das, was Moratino acht Jahre zuvor nach Camp David und Taba bemerkt hatte. „Es gibt verschiedene Vorschläge hinsichtlich der Grenzen- und Flüchtlingsfrage, doch es waren nur Vorschläge und alle sechs zentralen Fragen des finalen Statusabkommens blieben offen. Ich kann nicht sagen, dass es in einer einzigen Frage zu seiner Übereinstimmung gekommen ist (Hervorhebung vom Autor). Die Kluft zwischen beiden Seiten ist äußerst groß.“[vii] Trotz der präzedenzlosen Zugeständnisse an die Palästinenser, zu denen Olmert bereit schien – wie er in seinem Abschiedsinterview am 29. September 2008 gestand – war es nicht möglich, in seiner Amtszeit ein israelisch-palästinensisches Abkommen abzuschließen.

Zum zweiten scheinen viele internationale Beobachter die israelische Position nicht vollständig zu verstehen, v.a. nicht auf dem Gebiet der Sicherheit, der entscheidenden Frage für die öffentliche Meinung in Israel hinsichtlich eines jeden auf den Tisch gelegten Friedensvorschlags. Als Israel damals im Dezember 2000 die ersten Details der „Clinton Parameter“ erhielt, teilte der Generalstabschef der Israelischen Streitkräfte (IDF), Gen. Lt. Shaul Mofaz dem israelischen Kabinett mit, dass die amerikanischen Vorschläge, falls umgesetzt, die zukünftige Sicherheit des Staates gefährden würden.[viii] Mofaz trug damals nicht allein seine Meinung vor, sondern die des gesamten IDF-Generalstabes. Angesichts der Tatsache, dass die „Clinton Parameter“ von Arafat abgelehnt und von der höchsten militärischen Ebene Israels als extrem problematisch eingestuft wurde, ist schwer vorstellbar, wie mit diesen Ideen als Ausgangspunkt die Vereinigten Staaten heute ein Friedensabkommen abschließen könnten. Wie in der Vergangenheit hält Israel daran fest, dass es den Luftraum über dem Westjordanland sowie Frühwarn- und andere militärische Stellungen in der Gebirgskette des Westjordanlandes benötigt, um sich adäquat verteidigen zu können.

Wandelnde Sicherheitsbedingungen heute

Der gesamte israelische Sicherheitsansatz während des Friedensprozesses der neunziger Jahre war stark von dem relativ günstigen strategischen Umfeld geprägt, das in diesem Jahrzehnt im Nahen Osten vorherrschte. Der Zusammenbruch der Sowjetunion zwang seine ehemaligen Satellitenstaaten, sich mit Washington zu arrangieren. Mit der Niederlage der Armee Saddam Husseins im Irak während des ersten Golfkrieges 1991 schien die unmittelbare Gefahr einer von einer östlichen Front eingreifenden irakischen Expeditionsarmee gebannt, mit der israelische Militärplaner traditionell rechneten. Irans ganzes strategisches Gewicht war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu spüren, abgesehen von seiner Unterstützung der Hisbollah im Libanon und des internationalen Terrorismus allgemein.

Heute werden alle Sicherheitskalkulationen Israels in einem Friedensprozess im Hinblick auf das Westjordanland nachhaltig von den Erfahrungen des Rückzugs aus Gaza im August 2005 beeinflusst. Mehr als deutlich ist heute, wie lebensnotwendig die Kontrolle des Grenzgebietes zum Gazastreifen, v.a. der Philadelphi-Passage zwischen Ägyptens Sinai und Gaza, für Israel gewesen ist. Es stimmt zwar, dass Israel auch vor dem Rückzug nicht dazu in der Lage war, das Gebiet hermetisch abzudichten, doch nach dem israelischen Abzug erhöhte sich der Grenzschmuggel nach Gaza, so dass ein spürbarer Anstieg sowohl von Quantität der gegen Israel geschossenen Raketen (um 500 Prozent zwischen 2005 und 2006), wie auch von Qualität (zunehmende Verwendung von Grad-Katjuscha-Raketen gegen weiter entfernte Ziele wie Ashkelon)[ix] zu verzeichnen war. Auch der Mörserbeschuss nahm zu.

Zudem konnten nun, da die Grenze von Gaza unter palästinensischer Kontrolle stand, hunderte von Hamas-Aktivisten Gaza über Ägypten verlassen und nach Teheran fliegen, um dort von den Iranischen Revolutionsgarden ausgebildet zu werden, bevor sie nach Gaza zurückkehrten. Es ist belegt, dass iranisches Militärpersonal nach Gaza gelangte.[x] Anstatt also dem Iran die Möglichkeit zu nehmen, die „palästinensische Karte“ in der arabischen Öffentlichkeit auszuspielen, wie von manchen gehofft worden war, hatten die sicherheitspolitischen Fehler beim Gaza-Rückzug dem Iran ermöglicht, im östlichen Mittelmeer Fuß zu fassen.

Aufgrund seiner jüngsten Erfahrungen würde Israel einen fundamentalen Fehler begehen, wenn es die „Philadelphi-Passage“ des Westjordanlandes, also das Jordantal, aufgeben würde.[xi] In Folge eines solchen Rückzuges würden die Versuche, hochentwickelte Waffen ins Westjordanland zu schmuggeln, zweifellos zunehmen. Dazu würden dort bislang noch nicht benutzte Waffen wie schultergestützte Luftabwehrgeschosse gehören, wie sie von Al-Qaida-Anhängern andernorts in der Vergangenheit bereits benutzt wurden. Bereits 2005-06 hatte die Al-Qaida im Irak Operationen in Jordanien durchgeführt und versucht, von einer Stellung in der jordanischen Stadt Irbid aus, Palästinenser aus dem Westjordanland zu rekrutieren.[xii]

Natürlich würde Jordanien versuchen, jeglichen Versuch zu neutralisieren, dass haschemitische Königtum in ein Sprungbrett für Dschihadisten zu verwandeln, die mit Waffen und Freiwilligen in das Westjordanland wollen. Doch wenn das Jordantal offen wäre, würde die Zahl von dschihadistischen Gruppen, die Israel einschließen wollen, massiv zunehmen und die innenpolitische Stabilität Jordaniens gefährden. Israelis, zurecht desillusioniert von der enttäuschenden Erfahrung mit der UN-Interimstruppe im Libanon (UNIFIL) und ihrem Scheitern darin, den Schmuggel iranischer und syrischer Waffen an die Hisbollah zu unterbinden, sehen keinen Anreiz in den Vorschlägen, eine internationale Truppe anstelle der IDF im Jordantal zu stationieren.

Eine zweite Lektion aus dem Gaza-Rückzug bezieht sich auf den Umstand, dass zwar Kassam-Raketen regelmäßig vom Gaza aus auf Israel abgeschossen werden, vom Westjordanland diese Gefahr für israelische Städte aber noch nicht erwachsen ist. Es war Israel möglich, dies zu verhindern. Dank der Kontrolle des Bodens konnten die IDF die nötigen Informationen über Raketenproduktion sammeln und sie zeitgerecht ausschalten. Würde Israel die Kontrolle jener strategischen Gebiete aufgeben, die topografische Schlüsselpositionen gegenüber israelischen Einrichtungen wie dem internationalen Flughafen Ben Gurion darstellen, so würden palästinensische Organisationen aller Wahrscheinlichkeit nach diese Verwundbarkeit mit Raketen- und Mörserbeschuss ausnutzen, ähnlich wie sie es bereits im Gaza-Streifen getan haben.

Die Vorstellung, dass Israel diese Gefahr mittels Lufthoheit und Abschreckung durch Vergeltungsschläge ausschalten könnte, wurde durch die Ergebnisse des Libanonkrieges von 2006 und die israelische Erfahrung nach dem Gaza-Rückzug widerlegt. Gen. Maj. Ido Nehushtan, Chef der IDF-Planungsabteilung, gab Anfang 2008 offen zu: „Aus professioneller Sicht muss Israel, will es Raketen mit steiler Flugbahn sowie Mörserbeschuss verhindern, eine solide Kontrolle des Bodens herbeiführen.“[xiii] Nehushtan kritisierte die Grenzen der Luftmacht aus eine starken Position heraus. Wenige Monate später wurde er zum Kommandeur der israelischen Luftwaffe ernannt.

Man sollte sich daran erinnern, dass Israel bereits vor 2007, also als die Palästinensische Autonomiebehörde Gaza noch beherrschte, von Hamas, Islamischer Dschihad und anderen Gruppen mit Raketen und Mörserfeuer von Gaza aus bedroht wurde. Mahmoud Abbas weigerte sich, die islamistische Opposition militärisch von den Angriffen abzubringen. Selbst wenn Israel also ein permanentes Statusabkommen mit gemäßigten Palästinensern im Westjordanland erreichen könnte, so könnte es sich dennoch nicht darauf verlassen, dass die palästinensischen Sicherheitskräfte die Bedingungen des Abkommens gegenüber allen Palästinensergruppen durchsetzen könnten, v.a. gegenüber jenen, welche auf die Unterstützungen der iranischen und sunnitischen Extremisten am Golf profitieren. Israel müsste seine lebenswichtigen Zonen also selbst schützen.

Historisch gesehen hatten die Architekten der nationalen Sicherheitsstrategie Israels – von Yitzhak Rabin bis zu Ariel Sharon – diese Bedürfnisse Israels im Westjordanland begriffen. In einer Rede vor der Knesset einen Monat vor seiner Ermordung im November 1995 bestand Rabin darauf, dass Israel das Jordantal im „weitesten Sinne des Wortes“ behalten müsse. Er sagte ebenfalls, dass Israel an den geschaffenen Siedlungen festhalten, v.a. an jenen im Gebiet von Jerusalem, welches Rabin ausdrücklich entschlossen war, ungeteilt zu lassen. Er wiederholte, dass sich Israel nicht zu den verwundbaren Grenzen der prä-1967-Linie zurückziehen solle.

Sharon formalisierte viele dieser Positionen zur Grenzfrage in den Verhandlungen über einen Brief, den er am 14. April 2004 von Präsident Bush erhielt und der auch von beiden Häusern des amerikanischen Kongresses abgesegnet worden war.[xiv] Sowohl Rabins als auch Sharons Position, dass Israel ein Recht auf verteidigungsfähige Grenzen habe, decken sich mit der Resolution des UN-Sicherheitsrates 242 vom November 1967, welche seitdem die Grundlage aller folgenden Friedensbemühungen war. Sie sah keinen Rückzug Israels aus allen Gebieten vor, die die IDF während des Sechstagekrieges erobert hatten.

Eine alternative Friedensstrategie: Aufbau „von unten“

Die Diplomatie des Friedensprozesses hatte sich in den vergangenen zehn Jahren vor allem an dem palästinensischen Bedürfnis nach Staatlichkeit orientiert. Ein gleichermaßen zwingendes Argument, das jedoch allzu oft aus den Augen gerät, ist, dass die Schaffung von Frieden verlangt, die fundamentalen Sicherheitsbedürfnisse Israels anzusprechen. Die Menschen in Israel waren mehrmals Teil verschiedener diplomatischer Experimente, die nicht funktionierten, und haben einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Das Osloer Abkommen degenerierte zu Selbstmordanschlägen und der Rückzug aus Gaza ermächtigte Hamas, während gleichzeitig das Raketenfeuer auf Sderot und andere südisraelische Bevölkerungszentren drastisch zunahm.

Sollten die legitimen israelischen Sicherheitsbedürfnisse berücksichtigt werden, wird es weit schwieriger, die Grenzen eines palästinensischen Staates auszuarbeiten, welche den regionalen Erwartungen des Nahen Ostens genügen. Es ist bezeichnend, dass eine wachsende Zahl seriöser Beobachter vorschlagen, dass Jordanien in den Friedensprozess einbezogen wird, und dass es föderale oder konföderierte Bindungen mit der palästinensischen Führung im Westjordanland haben sollte.[xv] Schließlich war Jordanien Teil des ursprünglichen Mandats Palästina und im Besitz des Westjordanlandes von 1948 bis 1967. Die Mehrheit der Jordanier sind Palästinenser. Die palästinensischen Einwohner der Westbank verfügen über jordanische Pässe. Berichten zufolge stimmten 1985 Yassir Arafat und der damalige jordanische König Hussein der Idee einer jordanisch-palästinensischen Konföderation zu.[xvi]

Das Konzept einer Konföderation könnte einige der Sicherheitsaspekte eines israelisch-palästinensischen Ausgleiches abmildern, v.a. auf dem Gebiet der Entmilitarisierung und der Kräftebegrenzung. Einer der Gründe, wieso diese Beschränkungen relativ leicht im Frieden mit Ägypten 1979 umzusetzen waren, war der Umstand, dass sie die ägyptische Peripherie – die Halbinsel Sinai – betrafen und nicht das Niltal und das Herz des ägyptischen Staates. Ganz offensichtlich ist es leichter, einen Teil eines Landes zu entmilitarisieren, als das ganze Land. Sollte es eine jordanisch-palästinensische Konföderation geben, dann würde die Entmilitarisierung nur einen Teil eines größeren Staates, der so entstehen würde, betreffen.

In den vergangenen Jahren scheint es bei den Jordaniern allerdings widerstreitende Interessen in der Frage eines erneuten Engagements im Westjordanland zu geben. Daher haben Beobachter auf jordanischer Seite dahingehend nur gemischte Gefühle entdeckt. Auf der einen Seite hat die traditionelle Führung östlich des Jordan kein Interesse an einer weiteren Palästinensisierung des haschemitischen Königreiches und einige jordanische Sprecher haben lautstark einer neuen jordanischen Option eine Absage erteilt.

Auf der anderen Seite haben jordanische Politiker in den letzten Jahren privat dezidiert andere Botschaften gesendet. Vor Ort war Jordanien willens, einen spürbaren Beitrag zur Sicherheit im Westjordanland zu leisten. So hat es in der Vergangenheit den Einsatz der „Badr-Brigaden“ der PLO unter jordanischem Kommando angeboten und trainiert seit kurzem die palästinensischen Sicherheitskräfte in Jordanien. Schließlich hat das jordanische Ministerium für religiöse Stiftungen in aller Stille seine Rolle als Verwalter der islamischen Heiligtümer auf dem Tempelberg in Jerusalem wieder aufgenommen. Jordanien könnte auch dann daran interessiert sein, sich an der Organisation der Sicherheit im Westjordanland zu beteiligen, um eine radikalislamische Machtübernahme der Palästinensischen Autonomiebehörde zu verhindern, solange es dafür der Westbank keine Vertretung im jordanischem Parlament geben müsste.

Gleichzeitig sehen immer mehr Palästinenser des Westjordanlandes Amman effektiv als ihre Metropole an sowie als Ort, an dem sich Palästinenser jeglicher Couleur treffen können. Für gemäßigte Palästinenser der Westbank ist Jordanien heimlich zur dritten Alternative geworden zum Islamismus der Hamas und der Korruption der alten Fatah-Führung. Jordanien ist ein zuverlässiger Staat, dessen Institutionen einen Kontrast bieten zu den Mogadishu-artigen Zuständen, die seit einigen Jahren in vielen von Warlords beherrschten Städten des Westjordanland anzutreffen sind.

Ob sich Jordanien und die Palästinenser entscheiden werden, sich wieder zusammen zu organisieren bleibt letztlich ihre Entscheidung. Israel sollte ganz sicher keine aktive Rolle in dieser Frage spielen. Auf was für ein Grad des jordanischen Engagements man sich schließlich auch verständigt, es wird nur unter bestimmten Bedingungen zustande kommen: 1.) Die Palästinenser müssten Jordanien um ein Engagement bitten, da Jordanien sich nie aus Eigeninitiative in diese Position begeben würde; 2.) Jegliche Assoziation zwischen dem Westjordanland und Jordanien dürfte die fortgesetzte Herrschaft der haschemitischen Führung nicht untergraben; stattdessen müsste sich diese Herrschaft als gestärkt ansehen; 3.) Jordanien, das schon eine Reihe von Flüchtlingswellen aufgenommen hat, sollte nicht auf ein israelisch-palästinensisches Auskommen warten müssen, um internationale Hilfe für die bereits dort lebenden Palästinenser zu bekommen. 4.) Die Vereinigten Staaten und ihre regionalen sunnitischen Verbündeten hätten diese Idee vollständig als ihren regionalen Interessen dienlich zu unterstützen, v.a. um den Iran einzudämmen (es ist anzunehmen, dass mittels einer Konföderation Jordanien über genügend strategisches Gewicht verfügt, um einem schiitischen Irak unter iranischem Einfluss zu begegnen).

Zukünftige Unterhändler stehen vor dem Problem, im Voraus die israelischen Sicherheitsbedürfnisse, die territorialen Grenzen palästinensischer Herrschaft und eine mögliche jordanische Rolle, die keine der beteiligten Parteien vor den Kopf stößt und die diplomatische Initiative zum Scheitern verurteilt, definieren zu müssen. Die Bush-Administration hatte irrtümlicherweise die Idee eines „shelf agreement“ (Abkommen für das Regal) vorgetragen, welches die Umrisse eines zukünftigen Friedensvertrages festlegen und solange im „Regal“ verbleiben sollte, bis sich die Bedingungen vor Ort irgendwann in der Zukunft geändert haben, und erst dann umgesetzt werden.

Sowohl israelische wie auch palästinensische Führer hatten starke Bedenken gegen diesen Ansatz, da er zukünftige Konzessionen vorsah, ohne dass die jeweilige Öffentlichkeit die Erfolge eines abschließenden Friedens zu spüren bekam – mit anderen Worten, es drohte, ihre politische Position zu untergraben und machte sie gegenüber ihren Kritikern verwundbar. Darüberhinaus, wie könnte Israel Konzessionen hinsichtlich seiner zukünftigen Sicherheit machen ohne zu wissen, wie sein sicherheitspolitisches Umfeld im Nahen Osten im Jahr 2012 oder 2014 aussehen wird, wenn man das „shelf agreement“ aus dem Regal nehmen und umsetzen würde?

Ein produktiverer Weg zu einer israelisch-palästinensischen Versöhnung könnte als ein Ansatz „von unten“ bezeichnet werden. Dieser Begriff wurde von dem ehemaligen Generalstabschef Israels Gen. Lt. (Res.) Moshe Yaalon vorgeschlagen. Angesichts des Einflusses des Iran und islamistischer Gruppen wie Hamas, welche nicht Kompromiss, sondern die völlige Zerstörung Israels suchen, trägt der israelisch-palästinensische Konflikt nicht mehr länger die Charakteristika eines territorialen Konfliktes. Abgesehen vom Gaza-Streifen sollte der Einfluss der Hamas auf die politische Stimmung im Westjordanland nicht unterschätzt werden. Sie hatte die palästinensischen Wahlen von 2006 auch dort gewonnen. Anstelle der in der Vergangenheit benutzten konventionellen Diplomatie, wird vielmehr eine transformative Diplomatie benötigt, um die Situation zu ändern. Anstatt dass man von oben eine Lösung basierend auf allumfassenden, nicht von allen Parteien geteilten politischen Definitionen auferlegt, wäre es produktiver zu untersuchen, auf welche Art und Weise die Parteien tatsächlich vor Ort kooperieren können, um die israelische Sicherheit und die Lebensumstände der Palästinenser zu verbessern, während gleichzeitig die Bereiche identifiziert werden, in denen Jordanien dabei helfen könnte, Stabilität zu erzeugen. Tatsächlich muss viel Arbeit darin gesteckt werden, das palästinensische Wirtschaftswachstum zu stimulieren und die Grundlagen einer Zivilgesellschaft neu zu legen. Die palästinensische Gesellschaft sollte damit nicht warten müssen, bis ein politisches Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern erreicht wird.

Der wesentliche Punkt ist, eine neue Realität zu schaffen, aus der zukünftig neue politische Möglichkeiten erwachsen können. Die Vereinigten Staaten haben im Irak kostbare Jahre damit zugebracht, eine perfektere Verfassung zu schmieden, welche es allen Fraktionen Recht machen würde, was die Situation nur verschärfte. Sobald sich jedoch die Situation vor Ort fundamental änderte, v.a. mit der verbesserten Sicherheit für die al-Anbar-Provinz, begann sich eine neue politische Realität in Bagdad zu entfalten. Diplomaten und Anwälte sind wesentlich produktiver darin, der neuen Realität einen Namen zu geben und auf Papier zu bringen, als wenn sie versuchen, sie von Anfang an aufzuoktroyieren.

Schlussfolgerungen

Ob Jordanien und die Palästinenser sich politisch erneut zusammentun oder nicht, es sollte deutlich geworden sein, dass Israel äußerst ernst zu nehmende Sicherheitsbedürfnisse im Westjordanland hat, die nicht immer vollständig begriffen werden. Westliche Unterhändler mögen versucht sein, das israelische „Quadrat“ dem palästinensischen „Kreis“ anzupassen, in dem sie die israelischen Sicherheitsbedürfnisse „wegrasieren“. Eine derartige diplomatische Lösung mag dazu führen, dass es so aussieht, als sei ein Abkommen greifbar, doch die Risiken für die israelische Bevölkerung würden beträchtlich steigen. Angesichts der geografischen Realitäten vor Ort wäre eine Möglichkeit, die territorialen Grenzen der palästinensischen Staatlichkeit dadurch zu verbessern, dass Jordanien sich aktiver in die zukünftige Architektur eines Friedensvertrages einbringt, selbst wenn es nicht an den konkreten Verhandlungen über die endgültigen Grenzen anstelle der Palästinenser beteiligt wird.

Realistisch gesprochen ist kein umsetzbares Abkommen im Rahmen der Zweistaatenlösung in Sicht. Dennoch werden Israel und die kommende amerikanische Regierung versuchen, die politische Landschaft zu beeinflussen, um die Grundlagen für diplomatische Verhandlungen in der Zukunft legen. Die Frage ist, welche strategische Richtung zu einer Schaffung eines Friedens die fruchtbarste sein wird. Es sollte jedoch deutlich geworden sein, dass, sollte Washington 2009 wieder nur zu den Vorschlägen zurückkehrt, welche bereits 2001 und 2008 nicht funktionierten, man zum dritten Mal scheitern wird.

In der Zwischenzeit sollte man das Bemühen um eine wirtschaftliche und institutionelle Entwicklung der Palästinenser verstärken. Und man sollte dafür sorgen, dass die palästinensische Öffentlichkeit auf die eventuellen Kompromisse mit Israel vorbereitet wird. Die palästinensischen Schulen und andere Bildungseinrichtungen müssen entschlossen von Jahren der Aufstachelung entgiftet werden, welcher eine ganze Generation ausgesetzt war. Langfristig jedoch bedarf es der Erwägung und Verfolgung neuer diplomatischer Ansätze für einen endgültigen Frieden.

Der Artikel erschien zuerst auf Englisch für das Washington Institute for Near East Policy.


[i] David Makovsky, „Taba Mythchief,“ The National Interest, Frühjahr 2003.

[ii] Der starker Mann der Fatah in Gaza, Muhammad Dahlan, antwortete in Arabisch auf Ben Amis Behauptung mit Kharta Barta, was soviel wie „Unsinn“ heißt.

[iii] Jackson Diehl, „The Deal on the Table“, Washington Post, 22. Oktober 2007.

[iv] Samuel R. Berger, Frank C. Carlucci und Carla Robbins, Transkript: „U.S. Grand Strategy in the Middle East“, 5. Juni 5 2003, Council on Foreign Relations.

[v] Das von Mina Tzemach geführte Dahaf-Institut fand heraus, dass 63 Prozent aller Israelis einen Kompromiss über Jerusalem, sowie 68 Prozent die Aufgabe der arabischen Viertel. (Yediot Ahronot, 9. Oktober 2007). Das Midgam-Institut befragte die israelische Bevölkerung am 22./23. Oktober 2007 und fand heraus, dass 67 Prozent der Israelis (Juden und Araber) gegen eine Teilung Jerusalems im Austausch für ein permanentes Statusabkommen mit den Palästinensern und eine Erklärung eines „Konfliktendes“ mit der arabischen Welt waren.

[vi] Roni Sofer, „Palestinians Demand Regular Army for New State“ YNet New.com, 19. Mai 2008, http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3544954,00.html. Siehe auch „A Militarized Palestinian State“, Hamas and the Political Process, The Reut Institute, 12. September 2005, http://reut-institute.org/en/Publication.aspx?PublicationId=341.

[vii] Haaretz, 14. September 2008.

[viii] Yediot Ahronot, 29. Dezember 2000.

[ix] Rocket Threat from the Gaza Strip, 2000-2007, Intelligence and Terrorism Information Center at the Israel Intelligence Heritage and Commemoration Center (IICC), Dezember 2007. Siehe auch „A Militarized Palestinian State,“ Hamas and the Political Process, The Reut Institute, 12. September 2005, http://reut-institute.org/en/Publication.aspx?PublicationId=341.

[x] Amos Harel, „Senior IDF Officer Confirms Iran Training Militants in Gaza“, Haaretz, 22. April 2007.

[xi] So folgerte z.B. der ehemaligen israelischen Generalstabschef Gen. Lt. a.D. Moshe Yaalon: „Das gescheiterte Experiment des Rückzugs hat enorme Auswirkungen für die Zukunft des Westjordanlands, insbesondere des Jordangrabens und die Hügel gegenüber der Tel Aviv Region und des Ben-Gurion-Airports. Diese Gebiete sind essentiell für die israelische Sicherheit und dennoch wird von Israel erwartet, sich aus ihnen im Rahmen eines bilateralen Abkommens mit den Palästinensern vollständig zurückzuziehen.“ Siehe Lt. Gen. (ret.) Moshe Yaalon, „Iran’s Race for Regional Supremacy,” in Daniel Diker (ed.) Iran’s Race for Regional Supremacy: Strategic Implications for the Middle East (Jerusalem: Jerusalem Center for Public Affairs, 2008), http://jer-zentrum.org/ViewArticle.aspx?ArticleId=145.

[xii] Intelligence and Terrorism Information Center, „A Terrorist Was Exposed in Nablus Which Was Handled by Global Jihad Operatives in Jordan”, 22. März 2006. Online verfügbar (www.terrorism-info.org.il/malam_multimedia/English/eng_n/html/gj_jordan_e.htm).

[xiii] Amos Harel, „Next IAF Chief: Ground Forces Needed to Stop Rocket Attacks“, Haaretz, 17. März 2008.

[xiv] Dore Gold, „Introduction“, Defensible Borders for a Lasting Peace (Jerusalem: Jerusalem Center for Public Affairs, 2008). http://jer-zentrum.org/ViewArticle.aspx?ArticleId=144

[xv] „A West Bank-Jordan Alliance?“ Podiumsdiskussion mit dem ehemaligen jordanischen Premierminister Abdul Salam al-Majali, Said Kanan, Center for Palestine Research and Studies, Nasser Yusuf, ehemaliger Innenminister der Autonomiebehörde und Rami Nasrallah, International Peace Cooperation Center, American Enterprise Institute, Mai 2006, und Giora Eiland, Rethinking the Two-State Solution, The Washington Institute for Near East Policy, Policy Focus #88, September, 2008.

[xvi] David Pollock, „Jordan: Option or Optical Illusion“, Middle East Insight 4, no. 1(März-April 1985), S. 19-26; Shimon Shamir, „Israeli Views of Egypt and the Peace Process: The Duality of Vision“, in William B. Quandt, (hrsg.), The Middle East: Ten Years After Camp David, (Washington, D.C.: Brookings Institution, 1988), S. 211.