Die psychologische Kriegsstrategie der Hamas

Die psychologische Kriegsstrategie der Hamas

Irwin J. Mansdorf

Jedes Verhalten erweist sich im Wesentlichen als funktionell konsistent, d.h. dass es sich zu einem guten Teil vom projezierten Ziel bestimmen lässt. (1) Das Verhalten der Hamas zeigt sich in der Konfrontation mit Israel entsprechend stimmig, auch wenn es für all jene irrational erscheinen muss, die ihre islamistische Ideologie nicht teilen.

Obwohl sich die Hamas als islamistische Widerstandsbewegung versteht und die Zerstörung Israels offen anstrebt (2), ist ihr bewusst, dass sie nicht über die militärische Kapazität verfügt, dieses Ziel zu erreichen, das sich in ihrer Charta findet und immer wieder von ihren Führern, Predigern und Anhängern beschworen wird. (3) Trotz dieser Einsicht greift die Hamas bewusst zu militärischer Gewalt, wenn sie davon überzeugt ist, dass der politische Vorteil größer ist als das Risiko, als Bewegung und Souverän von Gaza zu scheitern.(4) Solange die Hamas daran glaubt, sie könne ihr Ziel anstreben und überleben, wird sie Israel angreifen und die palästinensische Öffentlichkeit dafür missbrauchen. Teil ihrer psychologischen Strategie ist es daher – wie viele andere Islamistenbewegungen – Zivilisten als Opfer der „israelischen Agression“ hervorzuheben (5) und die Zahl getöteter Hamas-Kämpfer zu verschweigen. (6) Auf diese Weise werden alle palästinensischen Kriegsopfer zu „unschuldigen Zivilisten“. Bilder der aus Wohngebieten abgefeuerten Raketen werden zensiert.(7)

Ohne den Gazastreifen als Basis steht das Überleben der Hamas als Organisation und ernstzunehmende Kraft in der politischen Landschaft der Palästinenser in Frage. Wenn die Hamas davon überzeugt ist, dass militärische Aktionen der Weg sind, um für ihr Überleben und ihre Herrschaft in Gaza vorteilhafte Bedingungen zu erpressen, dann wird sie zu ihnen greifen, auch wenn sie durchaus anerkennt. dass sie sie im traditionellen Sinne nicht „gewinnen“ kann. Seit dem Verlust maßgeblicher Sponsoren steht die Hamas unter massivem ökonomischen Druck (8), der ihre Kontrolle in Gaza gefährdet und daher Anreize für Angriffe auf Israel bietet. (9)

Die funktional-psychologische Strategie der Hamas

Die militärische Verteidigung Israels gegen die Angriffe der Hamas hat wie in der Vergangenheit eine humanitäre Krise für Zivilisten verursacht. Um diese Krise auszulösen, musste die Hamas eine Bodenoffensive Israels provozieren. (10) Durch diese sollten auch die israelischen Streitkräfte IDF durch höhere Opfer und Entführungen demoralisiert werden. Von der psychologischen Schwächung Israels erhoffte sich die Hamas einen nach ihren Vorstellungen ausgehandelten Waffenstillstand. Solange ein solcher ihre fortgesetzte Herrschaft in Gaza begünstigt, erscheinen die Zerstörungen in Gaza als akzeptabel. Wie zuvor erhoffte sich die Hamas, dass die öffentliche Wahrnehmung einer humanitären Krise zu internationalem Druck auf Israel führen würde, sich den Bedingungen der Hamas zu unterwerfen. Davon versprach sich die Terrororganisation nicht nur ihr Überleben, sondern auch die Chance zum Wiederaufbau und zur Stärkung ihrer Position. (11)

Doch die erhofften psychologischen Effekte dieser Strategie blieben aus. Das Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ verhinderte schwere zivile Verluste. Die wohl präparierten israelischen Luftschutzkeller reduzierten die öffentliche Panik und trotz der Lahmlegung der Alltagsroutine in bestimmten Gebieten – v.a. im Süden Israels – unterstützten die Israelis die Militäroperation der IDF. (12) Die breite Unterstützung hebelte die Strategie der Hamas aus, die auf Verluste der IDF gesetzt hatte, um einen Waffenstillstand zu diktieren. Und auch die Angriffstunnel, die Angst und Panik verbreiten sollten, verfehlten dieses Ziel. Zwar stieg die Besorgnis und die IDF erklärten sie zur Hauptaufgabe (13) ihrer von der Hamas erwünschten Bodenoffensive, doch die öffentliche Unterstützung und der Durchhaltewillen wuchsen dadurch.

Hamas schafft Co-Abhängigkeiten

Während Israel bislang gelungen ist, die psychologischen Herausforderungen dieser Art Kriegsführung zu meistern, zeigen sich Akteure aus dem Ausland weniger resistent. So wie es Suchtabhängigen gelingt, Co-Abhängigkeiten bei anderen zu erzeugen, die dadurch ihres zur Fortsetzung der Sucht beitragen, so gelingt es der Hamas, die zivilen Opfer ihrer Kriege dazu zu nutzen, um andere dazu zu bringen, einen Waffenstillstand zum Vorteil der Terrororganisation zu erzwingen. (14)

Wie in ihrem Handbuch zur „urbanen Kriegsführung“ festgelegt, hat die Hamas begriffen, dass zivile Opfer „den Hass der Bürger auf die Angreifer [die IDF] verstärken und damit die Unterstützung der Verteidiger [die Hamas].“ (15) Zu den „Helfern“, nach denen die Hamas dabei Ausschau hält, gehören Regierungen, Vermittler, die Presse, soziale Netzwerke, NGOs und andere, die Israel die Schuld geben und nicht etwa dem eigentlichen Verursacher Hamas, für die durch den Konflikt ausgelöste humanitäre Krise. (16) Das Wissen, dass andere in diese „Helferrolle“ schlüpfen werden und aus humanitäre Gründe ein Nachgeben gegenüber der Hamas erzwingen werden, verstärkt wiederum die Bereitschaft der Hamas, die palästinensische Zivilbevölkerung und Infrastruktur zu opfern. Der „Iron Dome“ der Hamas sind die Zivilisten in Gaza. Ihr Leiden und Sterben soll die Hamas-Führung schützen und ihre fortgesetzte Herrschaft über Gaza absichern.

Der psychologische Antrieb der Hamas unterscheidet sich von nicht-islamistischen Ideologien und ist für westliche Strategen vielleicht nur schwer zu fassen. Er ist konsistent mit der islamischen Strategie, dass ein Waffenstillstand in Form einer „Hudna“ nicht dem Bemühen um einen Friedenslösung dient, sondern nur eine Auszeit zur Sammlung der Kräfte für einen erneuten Kampf ist. (17) Auch in der nächsten Runde des Krieges werden Zivilisten wieder nur ein Instrument im Arsenal der Hamas darstellen. Und wieder wird die Hamas nicht zögern, sie zu opfern, wenn es opportun ist.

Präventivmaßnahmen

Die Hamas wird erst dann aufhören, das Leben unschuldiger Palästinenser zu gefährden, wenn die psychologische und funktionale „Helferrolle“ beendet wird.

Dies verlangt, dass die Hamas nachhaltig geschwächt wird, so dass sie über keinerlei Macht und Möglichkeit mehr verfügt, sich neu zu bewaffnen.

Die „letzten“ Raketen vor einem Waffenstillstandsabkommen (18) verraten das Weltbild und die Absichten einer Gruppe, die das Ziel der Zerstörung Israels genau so wenig abgelegt hat wie die Strategie, zu diesem Zweck die Zivilbevölkerung zu verheizen. Eine Erklärung des Hamas-Führers Ismail Haniyeh, der den „Sieg“ (19) verkündet, während zahlloser Einwohner Gazas obdachlos und ohne grundlegende Infrastruktur sind, verdeutlicht die absolute Missachtung der Hamas für den fürchterlichen Preis, den die Zivilbevölkerung zu zahlen hat.

Doch auch jener Teil der internationalen Gemeinschaft trägt Verantwortung, der durch seine „Helferrolle“ dazu beiträgt, dass die Hamas auf diese gefährliche Strategie setzt und nun mehr unter humanitären Vorwänden wieder aufrüstet. Denn auch in Zukunft wird sie so Israels Bevölkerung unter Beschuss nehmen und die nächste Runde an Kämpfen mit den unvermeidlichen zivilen Opfern und all der Zerstörung in Kauf nehmen.


1 http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1077722908000837

2 Siehe Präambel der Hamas-Charta.

3 http://avalon.law.yale.edu/20th_century/hamas.asp

4 Siehe “Operations Cast Lead” (2008-9) and “Pillar of Defense” (2012).

5 http://www.meforum.org/1867/the-psychological-asymmetry-of-islamist-warfare

6 http://time.com/3035937/gaza-israel-hamas-palestinian-casualties/

7 http://www.memri.org/report/en/0/0/0/0/0/0/8076.htm

8 http://english.al-akhbar.com/node/17149

9 http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/.premium-1.608344

10 http://www.smh.com.au/comment/hamas-rocket-attacks-provoked-israels-ground-offensive-into-gaza-strip-20140720-zuysx.html

11 http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/.premium-1.607856

12 http://www.washingtonpost.com/world/middle_east/israelis-support-netanyahu-and-gaza-war-despite-rising-deaths-on-both-sides/2014/07/29/0d562c44-1748-11e4-9349-84d4a85be981_story.html

13 http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/.premium-1.608762

14 https://www.middleeastmonitor.com/news/americas/13202-un-gravely-concerned-over-gazas-humanitarian-crisis

15 http://www.idfblog.com/blog/2014/08/04/captured-hamas-combat-manual-explains-benefits-human-shields/

16 http://www.the-american-interest.com/articles/2014/08/05/the-medias-role-in-hamas-war-strategy/

17 http://www.meforum.org/1925/tactical-hudna-and-islamist-intolerance

18 http://www.jpost.com/Operation-Protective-Edge/IDF-completes-withdrawal-from-Gaza-keeps-forces-massed-on-border-370092

19 http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-4555418,00.html