Die Kämpfe zwischen Israel und Hamas – langfristige Implikationen
Die Kämpfe zwischen Israel und Hamas – langfristige Implikationen
Jonathan D. Halevi
· Die aktuelle Konfrontation zwischen Israel und der Hamas begann nicht mit dem Raketenhagel, sondern mit den verstärkten Terroraktivitäten entlang der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen. Die Strategie der Hamas hat sich in den vergangenen zwei Jahren gewandelt – sie geht davon aus, dass der „Islamische Frühling“ das Kräfteverhältnis zwischen der arabischen Welt und Israel verschoben hat.
· Ägypten wird nunmehr von der Muslimbruderschaft geführt, der Mutterbewegung der Hamas. Die neue islamistische Regierung Ägyptens betrachtet die Hamas als strategischen Partner im Kampf gegen Israel. Tatsächlich ist die Hamas nunmehr in der Lage, mittels des ägyptischen Regimes den Dialog mit den Vereinigten Staaten und Europa zu führen.
· Dank des „Islamischen Frühlings“, der die politische Karte des Nahen Ostens neu prägt, wird der gegenwärtigen Generation die Befreiung Palästinas „vom Fluss bis zum Meer“ als absolut realistisches Ziel geboten. Umgekehrt hat Israel aus der Perspektive der Hamas angesichts des wachsenden strategischen Drucks sein Gleichgewicht verloren, während die Türkei und Ägypten nunmehr im Wesentlichen zu bitteren Gegnern innerhalb eines neuen Nahen Ostens herangewachsen sind.
· Die Hamas sieht in jeder Runde des bewaffneten Kampfes gegen Israel nur eine weitere Stufe in einem langjährigen Zermürbungskrieg. Ihre Führer hoffen darauf, dass die immer schwereren und gewalttätigeren Ausbrüche schließlich Israels Widerstandskräfte aufbrauchen und die Massen zur Errichtung einer vereinten militärischen Front zur Befreiung Palästinas anstacheln werden.
· Trotz der erlittenen militärischen Schläge geht die Hamas gestärkt aus dieser Runde des Konfliktes hervor. In ihrem Raketenfeuer auf Tel Aviv und Jerusalem konnte sich die Hamas der Sympathien in der arabischen Welt sicher sein. Die Gaza zukommenden Finanzhilfen werden es ihr ermöglichen, ihre militärische Infrastruktur für die nächste Runde wieder aufzubauen.
Die neue Strategie der Hamas nach dem Arabischen Frühling
Die jüngsten Kämpfe zwischen Israel und der Hamas verliefen nach einem relativ statischen Muster – anhaltendes Raketenfeuer auf die israelischen Ortschaften von Gaza aus und israelische Luftangriffe auf Terrorziele dort. Gleichzeitig wurde hinter den Kulissen auf politischer Ebene intensiv an einem Waffenstillstand gearbeitet. Israels Einberufung von zehntausenden Reservisten für eine Bodenoffensive diente dazu, das Hamas-Regime zur Einwilligung in eine Feuerpause zu zwingen.
Schon jetzt zeichnen sich die wesentlichen Implikationen für Politik und Sicherheit ab. Die Kämpfe begannen nicht mit dem Raketenhagel, sondern mit den verstärkten Terroraktivitäten entlang der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen, wozu die Explosion eines mit Sprengstoff gefüllten Tunnels gehörte, der bis in israelisches Gebiet hinein gegraben wurde sowie der Beschuss einer israelischen Grenzpatrouille mit einer Panzerabwehrrakete.
Diese Angriffe sind Teil einer langen Kette von Anschlägen mit Schusswaffen oder Sprengstoff auf die Grenze, die andeuten, wie sich die Strategie der Hamas in den vergangenen zwei Jahren gewandelt hat. Aus Sicht der Hamas hat der Arabische Frühling sich in einen „Islamischen Frühling“ des Nahen Ostens verwandelt, der das Kräfteverhältnis zwischen der arabischen Welt und Israel verschoben hat.
So wird Ägypten – in der Vergangenheit ein Verbündeter der Vereinigten Staaten und Unterstützer der von Mahmoud Abbas geführten Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah – nunmehr von der Muslimbruderschaft geführt, der Mutterbewegung der Hamas. Die neue islamistische Regierung Ägyptens betrachtet die Hamas als strategischen Partner im Kampf gegen Israel. Sie wendet alle Kräfte auf, die Hamas auf internationaler Ebene zu stützen, selbst unter Aufbietung der Arabischen Liga. Tatsächlich ist die Hamas nunmehr in der Lage, mittels des ägyptischen Regimes den Dialog mit den Vereinigten Staaten und Europa zu führen.
Aufgrund ihrer politischen Erfolge fühlt sich die Hamas ermutigt. Ihr Premier Ismail Haniyeh wurde in verschiedenen arabischen Staaten und im Iran als Staatsoberhaupt empfangen und der Emir von Katar besuchte als erster ausländischer Regent Gaza und verlieh der Hamas-Herrschaft damit Legitimität.
Beschleunigter Countdown zur Vernichtung Israels
Diese machttrunkene Stimmung hat sich wiederholt in Stellungnahmen der Hamas-Führung während der letzten zwei Jahre gezeigt. In der Vergangenheit hatte der Hamas-Führer Ahmed Yassin die Zerstörung Israel bis spätestens zum Ende des dritten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts prophezeit. Auch andere führende Mitglieder der Hamas versprachen der kommenden Generation, dass sie Zeugen einer Befreiung Palästinas sein würden. Heute hat sich der Tonfall geändert. Dank des „Islamischen Frühlings“, der die politische Karte des Nahen Ostens neu prägt, wird der gegenwärtigen Generation die Befreiung Palästinas „vom Fluss bis zum Meer“ als absolut realistisches Ziel geboten. Die entscheidende Rolle der zum Dschihad entschlossenen islamischen Massen hat den Charakter der Region verändert.
Umgekehrt hat Israel aus der Perspektive der Hamas angesichts des wachsenden strategischen Drucks sein Gleichgewicht verloren, während die Türkei und Ägypten nunmehr im Wesentlichen zu bitteren Gegnern innerhalb eines neuen Nahen Ostens herangewachsen sind. Die Hamas interpretiert dies als starke Einschränkung der politischen und militärischen Möglichkeiten Israels, einschließlich seines Selbstverteidigungsrechts.
Im Kontext dieses neuen Kräfteverhältnisses betonte Hamas-Führer Khaled Mashaal, dass Israel Gaza weder verschlucken noch loswerden könne, was so viel heißt wie, dass es über keinerlei Möglichkeiten des Umgangs mit den Herausforderungen verfügt, vor die die Hamas die israelische Sicherheit stellt. Die Hamas hat daraus geschlussfolgert, dass sie eine neue weit dreistere und provokativere Politik verfolgen darf, um substanziell wie systematisch die „Spielregeln“ auszuhöhlen, die sich innerhalb der informellen Waffenstillstandsvereinbarungen zwischen Israel und der Hamas ergeben hatten, nach denen die Palästinenser den bewaffneten Kampf auf einem Minimum halten würden.
Vereinte Front zur Befreiung Palästinas
Auch wenn es im Rückblick so erscheint, als hätte die Hamas einen taktischen Fehler im Hinblick auf die israelische Politik begangen, hat sich ihr grundlegender Ansatz nicht geändert: Die Hamas sieht in jeder Runde des bewaffneten Kampfes gegen Israel nur eine weitere Stufe in einem langjährigen Zermürbungskrieg. Die zunehmende Schwere und Häufigkeit dieser Kämpfe sind dann so etwas wie zunehmende Geburtswehen, denn ihre Führer hoffen darauf, dass diese immer gewalttätigeren Ausbrüche schließlich Israels Widerstandskräfte aufbrauchen und seine Wirtschaft beeinträchtigen werden, während sie auch die Massen im Westjordanland anstacheln, damit diese der Autonomiebehörde die Macht entreißen und so eine weitere Front gegen Israel eröffnen. Schließlich ist es das Ziel, immer mehr Völker zu islamischen Revolutionen zu bewegen bis zur Errichtung einer vereinten militärischen Front zur Befreiung Palästinas.
Trotz der erlittenen militärischen Schläge geht die Hamas gestärkt aus dieser Runde des Konfliktes hervor. Weder Ägypten, noch die Türkei oder die Arabische Liga haben das Raketenfeuer auf israelische Ortschaften, unter ihnen Tel Aviv und Jerusalem, als Kriegsverbrechen verurteilt. Stattdessen konnte sich die Hamas der Sympathien in der arabischen Welt sicher sein und die jüngste Krise hat deutlich gemacht, dass Ägypten nun der neuen Patron der Hamas ist, nachdem die Gruppe ihr Büro in Damaskus schließen musste. Die Gaza zukommenden Finanzhilfen werden es ihr ermöglichen, ihre militärische Infrastruktur für die nächste Runde wieder aufzubauen.
Gaza leidet nicht wirklich unter einer Blockade. Die Grenze mit Ägypten ist eigentlich offen. Hundertausende Menschen überqueren sie jährlich mit Gütern im Wert von Millionen von Dollar. Hinzu kommen Massen an Waffen, wie der letzte Konflikt gezeigt hat. Diese faktisch offene Grenze mit Ägypten gibt der Hamas einen bedeutenden Vorteil im Wiederaufbau ihrer militärischen Fähigkeiten und Infrastruktur.
Langfristige Entwicklungen
Der neue Nahe Osten ist nicht mit der guten Nachricht von Demokratie, westlichen Werten und Menschenrechten gesegnet worden. Stattdessen hat er der Muslimbruderschaft und anderen Bewegungen einmalige Möglichkeiten verschafft, die Herrschaft an sich zu reißen. Deren Ziel ist es, die Sharia Schritt für Schritt einzuführen, nach Ansicht der Muslimbrüder die einzige echte Form demokratischer Werte.
Ägypten verhält sich Israel gegenüber feindselig. Der Konflikt ist ein historischer. Zum gegenwärtigen Augenblick ist Ägypten politisch, ökonomisch und militärisch noch nicht bereit für eine militärische Auseinandersetzung. Das Regime ist immer noch dabei, seine Macht zu sichern. Wirtschaft und Armee hängen zu einem großen Teil immer noch von westlichem Geld ab. Auch Syrien hat gegenwärtig andere Probleme. Seine Armee steckt in einem verschleppten Bürgerkrieg und auch damit sinken die Chancen auf eine arabische Front, die Israel so bedroht wie 1973.
Stattdessen konzentriert sich Ägypten also unter all den Zwängen darauf, die Palästinenser zu einem fortgesetzten Zermürbungskrieg gegen Israel zu ermutigen, der den Mustern von Volkskrieg und Terrorkampagne folgt und immer wieder eskaliert. Den Hintergrund für diesen Terror bezeichnen Ägypten und die Palästinenser als „Recht auf Widerstand“. Er ist essentiell für die diplomatischen Bemühungen Ägyptens, das versucht Israel auf der internationalen Ebene politisch zu schwächen und sein Selbstverteidigungsrecht mit politischen, ökonomischen und rechtlichen Mitteln einzuschränken, seine Ausdauer zu brechen und jenen Kontrolle des Westjordanlands zu lockern, die zur Bewahrung der israelischen Sicherheit unverzichtbar ist.
Die iranische Rolle
Auch wenn die Hamas versucht hat, die iranische Rolle beim Aufbau der militärischen Infrastruktur im Gaza zu minimieren, ist diese jedoch vom Islamischen Dschihad bestätigt und offiziell anerkannt worden. Fadschr-5 Raketen und andere Waffen sind der Hamas und anderen Terrororganisationen vom Iran und der Hisbollah geliefert worden. Zudem hat der Iran einen guten Teil der Ausbildung der palästinensischen Truppen übernommen.
Die Hamas und die Muslimbrüder sind dazu bereit mit dem Iran zu kooperieren, auch wenn jener das Assad-Regime im Syrien ganz aktiv unterstützt, dessen Kriegsverbrechen gegen die sunnitische Bevölkerung in den vergangenen zwei Jahren in die Nähe des Völkermordes gerückt sind.
Die iranische Rolle verrät mehr als alles andere den gemeinsamen Nenner zwischen den radikalen Strömungen des schiitischen und sunnitischen Islam. Beide Seiten sind in der Lage ihre tiefgreifenden Differenzen zu überwinden und für gemeinsame Interessen zu kooperieren: den Kampf gegen Israel, die Revolutionen des Islamischen Frühlings und die Entfernung des westlichen Einflusses aus der Region.
Notwendigkeit verteidigungsfähiger Grenzen für Israel
Die Verwandlung Gazas in eine Terrorhochburg mit ausgedehnter militärischer Infrastruktur und modernsten Waffen entzieht der Behauptung die Grundlage, dass Territorium im Raketenzeitalter nicht länger von Bedeutung wäre. Stattdessen zeigt sich die Notwendigkeit einer fortgesetzten israelischen Kontrolle von Schlüsselgebieten des Westjordanlandes, die Israel in jedwedem Szenario halbwegs verteidigungsfähige Grenzen geben würde. Ein Rückzug zu den Linien von 1967 dürfte sehr wahrscheinlich dazu führen, dass Israel sich einer weiteren militärisch-terroristischen Front gegenüber sieht, die im Team mit regionalen Akteuren wie Iran, Ägypten und Hisbollah Israels Existenz gefährden.
Der israelisch-palästinensische Konflikt hat, anders als andere Konfliktschauplätze, weitreichende Auswirkungen im Nahen Osten und in der ganzen Welt. Die internationale Gemeinschaft, die sofort aktiv wurde, als es darum ging, eine umfassendere israelische Operation zu verhindern, sicherte damit das Hamas-Regime und stattete es mit Immunität aus. Dies geschah aus Angst, dass eine massive Konfrontation eine unkontrollierbare Welle von Gewalt auslösen würde, mit der die westlichen Interessen im Nahen Osten gefährdet und die islamischen Minderheiten in der westlichen Welt in Unruhe versetzt würden.
Und einmal mehr sind Organisationen der radikalen Linken im Westen der Hamas beigesprungen. Diese ungeschriebene Allianz zwischen diesen Gruppen und der Hamas mündet in der Forderung, dass der Westen seine Politik gegenüber den Nahen Osten ändere, das „illegitime“ Israel verstoße und sich stattdessen mit den erwachenden islamitischen Kräften verbünde.