Die israelische Außenpolitik, der Iran und der palästinensisch-israelische Konflikt

Die israelische Außenpolitik, der Iran und der palästinensisch-israelische Konflikt
 
Vizeaußenminister Danny Ayalon
 
 
·          Israel muss versuchen, die israelisch-palästinensischen Beziehungen auf drei voneinander unabhängigen Ebenen voranzutreiben: das Vermögen der Palästinensischen Autonomiebehörde zur Rechtsstaatlichkeit muss gestärkt werden, ebenso die regionale wirtschaftliche Kooperation und ein sinnvoller politischer Dialog.
 
·          Auch wenn es von äußerster Dringlichkeit für Israel ist, den Dialog mit den Palästinensern zu führen, so ist der jüngste Plan des palästinensischen Premiers Salam Fayyad, nach einem zweijährigen Prozess des Staatsaufbaus einseitig einen Palästinenserstaat auszurufen, unrealistisch. Ein zukünftiger Palästinenserstaat wird nur als Resultat eines Konsens und erfolgreicher Verhandlungen entstehen können, nicht aufgrund künstlicher Zeitpläne.
 
·          Wenn wir einen lebensfähigen diplomatischen Prozess mit den Palästinensern fortsetzen möchten, dann ist es wichtig, dass der schädliche Einfluss des Iran in der Region sowie seine Unterstützung der terroristischen Handlangerorganisationen Hisbollah und Hamas eingeschränkt wird.
 
·          Irans Streben nach Hegemonie einzuschränken ist jedoch nicht allein Aufgabe Israels, sondern einer breiten internationalen Gemeinschaft, die dem von Mahmoud Ahmadinedschad geführten Regime deutlich machen muss, dass es einen hohen Preis für die fortgesetzte Verletzung internationaler Gesetze und UN-Resolutionen zu zahlen hat.
 
Ein berühmter Ausspruch David Ben-Gurions während des Zweiten Weltkrieges lautete: „Wir müssen die Briten in dem Krieg unterstützen als würde es kein White Paper[*] geben, und wir müssen uns dem White Paper widersetzen, als gäbe es keinen Krieg.“ Es scheint so, als wäre Israel heute entschlossen, den Konflikt mit den Palästinensern so zu lösen, als gäbe es keine iranische Bedrohung, und als Teil der internationalen Gemeinschaft der iranischen Bedrohung zu begegnen, als gäbe es keinen Konflikt mit den Palästinensern. Doch beide Probleme haben eine gemeinsame Wurzel.
 
 
Die israelisch-palästinensischen Beziehungen
 
Im Moment gibt es drei Ebenen der israelisch-palästinensischen Beziehungen. Auch wenn sie sich in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung befinden, sollten sie dennoch gleichzeitig verfolgt werden.
 
Zum einen geht es darum, die palästinensischen Kapazitäten zu stärken. Die israelische Regierung unterstützt das von den Vereinigten Staaten unter Gen. Keith Dayton geführte, internationale Bemühen, die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland zu trainieren. Wir schätzen zudem die Versuche der Europäischen Union, die Rechtsstaatlichkeit sowie die Richtlinien der Strafverfolgung in der Autonomiebehörde zu verbessern. Es sollten weitere Schritte unternommen werden, um eine transparente palästinensische Regierungskultur zu entwickeln, die rechtmäßige Institutionen, Gewaltentrennung sowie Rechtstaatlichkeit beinhaltet. Es wäre gut, wenn ein Staat entstünde, der für sich selbst zu sorgen vermag, sich gegenüber seinen Bürgern wie auch anderen Nationen verantwortlich verhält und die internationalen Normen einhält.
 
Die zweite Ebene ist die wirtschaftliche Entwicklung. Israel wünscht sich, dass die Palästinenser denselben Lebensstandard genießen können, wie er jedem Menschen zusteht. Es gibt bereits positive Anzeichen einer Entwicklung des Lebensstandards in der Autonomiebehörde: die Arbeitslosigkeit ist am Sinken, der Tourismus nimmt zu und das Westjordanland erlebt ein Wirtschaftswachstum von acht Prozent. Doch um Tausende von palästinensischen Arbeitsplätzen zu schaffen – ein Ziel das leicht zu erreichen wäre – benötigen wir eine Art Marshall-Plan zum Aufbau einer industriellen Basis. Obwohl Israel bereits viel in dieser Richtung unternommen hat, in dem es Zugang und Transport von Gütern ermöglicht hat, könnten die arabischen Länder sehr viel mehr unternehmen. Sowohl die Amerikaner als auch die Europäer haben die Arabische Liga aufgerufen sich einzubringen. Saudi Arabien, milliardenschwer dank seiner Erdölexporte, wäre sehr gut in der Lage, einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der palästinensischen Wirtschaft zu leisten.
 
Die Stärkung der palästinensischen Kapazitäten sowie die wirtschaftliche Kooperation können einen Fortschritt auf der dritten Ebene ermöglichen – den politischen Dialog. Wann auch immer die nächsten Wahlen zur Palästinensischen Autonomiebehörde stattfinden werden, so glaube ich, dass wir innerhalb der nächsten Monate den Beginn eines sinnvollen Dialogs sehen werden. Zumindest ist dies ganz sicher Absicht Israels. Wir möchten den Friedensprozess ohne Vorbedingungen wieder aufnehmen. So wie wir von den Palästinensern keine Zustimmung zu Vorbedingungen verlangen, so werden wir auch keine uns auferlegten Vorbedingungen akzeptieren.
 
Dennoch war der Dialog von der palästinensischen Seite merkwürdigerweise abgebrochen worden, trotz der Tatsache, dass dieselbe Autonomiebehörde, die mit der letzten israelischen Regierung ziemliche intensive Verhandlungen geführt hat, immer noch an der Macht ist. Nichts hat sich geändert außer den Regierungen in Washington und Jerusalem. Seitdem jedoch Benjamin Netanyahu zum Premierminister gewählt wurde, wurden die israelischen Angebote, sich mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas ohne Vorbedingungen zu treffen, zurückgewiesen. Dasselbe Angebot kam von Außenminister Avigdor Lieberman. Aus dem gleichen Grund fanden in der Zeit auch keine Gespräche mit Vertretern der palästinensischen Seite auf unterer Ebene statt. Sie wollten sich nicht mit uns treffen.
 
Der Eckstein des Dialoges ist bereits gesetzt: Mit dem Bush-Brief vom 14. April 2004 haben sich die Vereinigten Staaten zu verteidigungsfähigen Grenzen für Israel verpflichtet, dem Beibehalt großer Siedlungsblöcke sowie die Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge in einen zukünftigen palästinensischen Staat, anstelle nach Israel. Der jüngste Plan des palästinensischen Premierministers Salam Fayyad, nach einem zweijährigen Prozess des Staatsaufbaus einseitig einen Palästinenserstaat auszurufen, ist unrealistisch. Ein zukünftiger Palästinenserstaat wird nur als Resultat von Konsens und erfolgreichen Verhandlungen entstehen können, nicht aufgrund künstlicher Zeitpläne.
 
Den Dialog mit den Palästinensern zu führen, ist für Israel von entschiedener Bedeutung. Es ist genauso in unserem Interesse wie in ihrem, sowie dem unserer benachbarten arabischen Staaten und darüber hinaus. Gerade weil der Dialog auf so vielen Ebenen wie nur möglich weitergehen muss, war es unvorteilhaft, eine partikulare Angelegenheit wie die Siedlungsfrage herauszulösen, nicht nur aus moralischer, sondern auch aus politischer Perspektive. Stattdessen sollte eine ganze Bandbreite von Themen diskutiert werden: Gebiete, Ressourcen, Souveränität, Unabhängigkeit, Entmilitarisierung, das euphemistisch so bezeichnete „Rückkehrrecht“, Jerusalem, die Siedlungsfrage, Terror, Aufstachelung sowie die Anerkennung Israels als das, als was es selbst zu sein bestimmt – als jüdischen Staat.
 
Der iranische Kontext
 
Wenn wir aber einen lebendigen diplomatischen Prozess mit den Palästinensern fortsetzen wollen, dann muss Israel die Widerstände beseitigen, die in Form von Terrororganisationen wie Hamas, Hisbollah, Islamischer Dschihad und anderen Gruppen, die den Friedensprozess zum stoppen bringen wollen, bestehen. Diese Organisationen erhalten in zunehmend höherem Ausmaß iranische Unterstützung. So war die Hamas nach der Gaza-Operation nicht nur in der Lage, ihre Verluste in militärischer Ausrüstung zu ersetzen, sondern hat ihre Raketenreichweite derart erhöhen können, dass sie nunmehr Tel Aviv unter Beschuss nehmen kann. Die Hamas wird nahezu ausschließlich aus iranischen Quellen finanziert und erhält vom Iran Ausbildung wie Ausrüstung. Das gleiche gilt für die Hisbollah und andere Terrorgruppen, durch die der Iran versucht, die sunnitischen Regierungen in der Region zu untergraben. Um also die Aussichten für einen Dialog mit den Palästinensern zu verbessern – ohne Terrordrohungen, Extremismus und Aufstachelung – ist es von besonderer Bedeutung, den regionalen iranischen Einfluss einzudämmen.
 
Tatsächlich gehen die gegenwärtig schlimmsten Bedrohungen im Nahen Osten vom Iran aus. Der Libanon liefert dafür ein einschlägiges Beispiel. Die massivste Bedrohung für die libanesische Bevölkerung kommt weder aus Israel noch aus dem Westen, sondern von der Hisbollah – ein iranisches Organ, das iranische Interessen vertritt, nicht libanesische. Ähnliches gilt für andere Länder in der Region. Große, von der Hisbollah operierte Terrornetzwerke wurden in Ägypten, Marokko, im Jemen und Saudi Arabien entdeckt. Noch näher an Israel ist die Hamas das wesentliche Hindernis für das Überleben der Autonomiebehörde. Sie wird, auch wenn sie eine sunnitische Organisation ist, vom Iran unterstützt. Der Iran bemüht sich sogar, Israelis zu rekrutieren und hilft dem Islamischen Dschihad und anderen Terrorgruppen darin, in Israel Anschläge zu verüben.
 
Dennoch ist diese iranische Bedrohung nicht allein auf den Nahen Osten beschränkt. Der Iran steckte hinter dem Bombenanschlag gegen die israelische Botschaft 1992 in Buenos Aires, bei dem 30 Menschen getötet wurden, sowie dem Anschlag gegen das dortige Jüdische Gemeindezentrum in 1994, bei dem um die 100 Menschen starben. Der gegenwärtige iranische Verteidigungsminister General Ahmad Vahidi wird von Interpol als Drahtzieher des Anschlags von 1994 gesucht. In jüngster Zeit hat Hugo Chavez Venezuela in eine Art Brückenkopf für Iraner in Südamerika verwandelt. Hisbollah-Terrorgruppen operieren jetzt an der venezolanisch-kolumbianischen Grenze.
 
Der Iran – ein radikales Regime mit einer extremistischen Ideologie – bleibt ein Land mit regionalen wie globalen Ansprüchen. Das iranische Regime spricht von Hegemonie und der Wiederkunft des Zwölften Iman, auch Verborgener Imam oder Mahdi bezeichnet. Indem sie behaupten, im direkten Kontakt zu Allah zu stehen, glauben sich die religiösen Führer des Landes beauftragt, den Nahen Osten mit Hilfe der Sharia zu regieren. Sie glauben ebenfalls, dass die Blüte des Islam noch bevorstünde. Am beunruhigendsten ist, dass die iranischen Raketen inzwischen bis nach Europa reichen. Der Iran ist damit ein Problem der Welt, nicht nur eines Israels. Aus diesem Grund hält sich Israel etwas zurück und hofft darauf, dass die anderen 192 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in der Lage sein werden, die fortgesetzte Urananreicherung im Iran zu stoppen und einen effektiven Kontrollmechanismus zu installieren. Denn es ist keinesfalls vorherbestimmt, dass der Iran Atomwaffen erwerben wird. Dieser Ausgang kann noch gestoppt werden.
 
Die gute Nachricht ist, dass das von Mahmoud Ahmadinejad geführte Regime immer weniger Optionen zur Verfügung hat. Wie die Demonstrationen nach der Wahl gezeigt haben, ist der Iran sowohl politisch wie gesellschaftlich verwundbar. Zudem bleibt er auch ökonomisch geschwächt und unfähig, langfristig wirtschaftlichen Sanktionen zu widerstehen, die seine Wirtschaft einfrieren und das gegenwärtige Regime weiter untergraben könnten. Die internationale Gemeinschaft muss dem iranischen Regime sowohl deutlich machen, dass es einen hohen Preis für die fortgesetzte Verletzung internationaler Gesetze und UN-Resolutionen zu zahlen hat, als auch, dass sie in Zielen und Politik geschlossen handelt.
 
 
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Der gegenwärtiger israelische Vizeaußenminister Danny Ayalon wurde 2002 zum israelischen Botschafter in den Vereinigten Staaten ernannt. Zuvor diente er als außenpolitischer Berater zweier vorheriger israelischer Premierminister sowie als Hauptberater für Außenpolitik unter Premierminister Ariel Sharon. Er war Mitglied der israelischen Delegationen zu den Gipfeln von Sharm El-Sheikh (1997), Wye Plantation (1998) und Camp David (2000). Er hatte eine führende Rollen bei den Verhandlungen zur „Roadmap“ und dem Briefwechsel zwischen Präsident George W. Bush und Premier Sharon. Dieser Text basiert auf einem Vortrag vom 3. November 2009 im Institute for Contemporary Affairs des Jerusalem Center for Public Affairs.
 



[*] Von den Briten während des Zweiten Weltkrieges verfolgte Nahostpolitik, die weitreichende Zugeständnisse an die arabische Seite machte und die jüdische Emigration nach Palästina einschränkte.