Die Hisbollah wird in Deutschland unterschätzt

Die Hisbollah wird in Deutschland unterschätzt

Deutschland hat gute Kontakte zur libanesischen Hisbollah. Im Gegenzug verschonen die Kämpfer Deutschland mit Anschlägen. Inzwischen kommen aber Zweifel auf, dass die vom Iran unterstützte Organisation Deutschland tatsächlich nur als Ruheraum nutzt. Neue Erkenntnisse geben Anlass zu Beunruhigung.

Als jetzt Terrorwarnungen aus vertraulichen Dossiers deutscher Sicherheitsbehörden bekannt wurden, traute manch einer seinen Augen kaum. Denn diesmal ging es nicht wie gewöhnlich um al-Qaida, sondern um die pro-iranische Hisbollah. Laut Bundekriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz verfügt die libanesische Hisbollah (“Partei Gottes“) über “die Logistik, in Deutschland groß angelegte objekt- und personenbezogene Anschläge durchzuführen“. Ihre hierzulande 900 bekannten Mitglieder könnten im Falle einer Krise im Nahen Osten “jederzeit für terroristische Aktivitäten“ in Deutschland eingesetzt werden.

Dazu passt, dass Mitte Juli ein Göttinger Medizinstudent in Israel wegen Spionageverdachts für die Hisbollah verhaftet worden ist. Der 29-Jährige Khaled K., ein Palästinenser mit israelischem Pass, soll sich über Jahre hinweg mit Kadern der Hisbollah in Deutschland getroffen haben, auch um weitere Studenten anzuwerben.

Khaled K.s “Führungsoffizier“ war laut israelischer Anklageschrift Hisham H., der Vorsitzende des “Waisenkinderprojekts Libanon e.V.”. Die Bundesregierung sprach bisher sehr zurückhaltend davon, dass es Anhaltspunkte für Verbindungen des Vereins zur Hisbollah gebe. Wenn sich der Verdacht bestätigt, heißt das: Spenden an die Hisbollah sind in Deutschland steuerlich absetzbar.

Aber was will die Hisbollah überhaupt in Deutschland? Im Grunde konzentriert sich die im Auftrag des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Khomeini gegründete Organisation darauf, langfristig im Libanon einen Gottesstaat nach iranischem Vorbild zu errichten. Im politischen Tagesgeschäft Libanons ist die Hisbollah aber zu allerlei Kompromissen bereit. Sie unterstützt zudem palästinensische Terrororganisationen, will Israel vernichten und hat bei Entführungen und Terroranschlägen weltweit mehrere Hundert Zivilisten getötet.

Relevant für Deutschland wird sie in erster Linie als außenpolitisches Werkzeug des Iran. Die geschätzten 200 Millionen US-Dollar pro Jahr aus Teheran nutzt die Hisbollah, um ihre Waffenkäufe und umfangreichen sozialen wie politischen Aktivitäten zu finanzieren.

Dafür hat, wie Paul Salem vom Carnegie Middle East Center in Beirut formuliert, der Iran nicht nur eine strategische Waffe, einen “Flugzeugträger vor der israelischen Grenze”. In den letzten 20 Jahren hat die Hisbollah unter iranischer Führung auch Terroranschläge etwa in Paris, Berlin oder Buenos Aires durchgeführt.

Die Anhänger der Hisbollah in Deutschland treffen sich in 30 Kultur- und Moscheevereinen. Viele davon stehen unter Kontrolle des Iran. Dazu zählen das Islamische Zentrum in Hamburg und das Imam-Mahdi-Zentrum in Münster-Hiltrup.

Die Hisbollah rekrutiert Kämpfer in Deutschland – so 1997 den deutschen Konvertiten Stefan Smyrek, der einen Anschlag in Israel verüben sollte – und radikalisiert Muslime in Deutschland. Al-Manar TV, ihr Fernsehsender, ist in Deutschland frei empfangbar. Dort erzählen Mütter von Selbstmordattentätern vom Glück über den “Märtyrertod“ ihrer Söhne und erhoffen dieses Ende auch für ihre anderen Kinder. Und der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte beispielsweise während des Karikaturenstreits im Februar 2006 über den Sender Muslime aufgefordert, sich zu “opfern“, um die Ehre des Propheten zu verteidigen.

Und warum agiert die Hisbollah in Deutschland unbehelligt? Deutschland unterhält seit Mitte der neunziger Jahre besondere Beziehungen zur Partei Gottes. So hat der Bundesnachrichtendienst erst kürzlich wieder einen Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hisbollah vermittelt.

Das Bundesministerium des Inneren stellte im letzten Jahr fest, dass die Haltung der Hisbollah- Anhänger in Deutschland „durch eine weitgehend uneingeschränkte Akzeptanz der Ideologie und Politik (der Hisbollah) gekennzeichnet ist“. Von den Anhängern gehe gerade deshalb „gegenwärtig keine konkrete Gefahr aus, da diese sich der Aufforderung der Beiruter Zentrale folgend weitgehend gesetzeskonform verhalten“. Im Klartext: Die Bundesregierung toleriert eine Organisation, die in der Lage ist, Anschläge in Deutschland vorzubereiten oder zu verüben, im Moment aber still hält.

Dabei ermöglicht die Gesetzeslage ein entschiedenes Vorgehen gegen Vereine und Personen, die etwa gegen den Gedanken der Völkerverständigung wirken. Gegen den Spendenverein al-Aksa der Hamas, die islamistische Hizb-ut-Tahrir und die kurdische PKK wurden gerichtlich bestätigte Verbote verhängt.

Gegen ein entschiedenes Auftreten gegenüber der Hisbollah werden jedoch Argumente bezüglich der Sicherheit von Deutschen im Ausland sowie der deutschen UNIFIL Truppe im Libanon ins Feld geführt.

Nun aber kommen bei den Sicherheitsbehörden zunehmend Zweifel an der These auf, dass Deutschland von der Hisbollah nur als Ruheraum genutzt werde, auch weil ein jahrelang existierendes informelles Stillhalteabkommen zwischen der Bundesregierung und der Hisbollah nicht mehr gilt.

Wann wird die Hisbollah Anschläge in Deutschland verüben? Der britische Inlandsnachrichtendienst MI5 berichtete bereits im Frühjahr diesen Jahres, dass dortige Zellen der Hisbollah gedroht hätten, im Falle eines Angriffs auf den Iran Anschläge in Großbritannien zu verüben. Und am 30. Januar wurden Mitglieder der Hisbollah in einem Pariser Apartment festgenommen. Zu den beschlagnahmten Dokumenten gehörten Stadtpläne von Paris, Madrid, Rom und Berlin, die mit Markierungen versehen waren. Zudem hat die Hisbollah bereits 1989 und 2003 israelische, jüdische und amerikanische Einrichtungen in Deutschland als Anschlagsziele ausspähen lassen.

Bei einer Verschärfung Atomstreits mit dem Iran könnten also Menschen in Deutschland Opfer von Anschlägen werden. Als weitere Anlässe gelten eine mögliche Verschärfung des Palästinakonflikts und eine Eskalation an der libanesisch-israelischen Grenze. Bereits angekündigt sind Vergeltungsmaßnahmen für den Tod ihres Top-Terroristen Imad Mughniyah.

In Deutschland wird die Hisbollah solange aktiv sein, wie sie von der Politik unterschätzt und von den Sicherheitsbehörden gefürchtet wird. Aber die von vielen immer noch als politische Partei angesehene Hisbollah ist in Wahrheit die am besten finanzierte, ausgerüstete, trainierte und vernetzte Terrororganisation der Welt.

Alexander Ritzmann ist Politischer Analyst bei der “European Foundation for Democracy“ in Brüssel. Seine Arbeit konzentriert sich auf Islamismus und Terrorismus in Europa. Er berät Abgeordnete des Deutschen Bundestags, des U.S. Congress und des Europäischen Parlaments.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Welt.