Die Hamas am Scheideweg – Aufstieg der Muslimbrüder

Die Hamas am Scheideweg – Aufstieg der Muslimbrüder

Pinhas Inbari

· Die Hamas beginnt, das sinkende Schiff des Assad-Regimes zu verlassen. Viele ihrer hochrangigen Kader haben sich bereits in Gaza niedergelassen. Gleichzeitig hat der Iran seine Hilfe eingeschränkt.

· So stellt sich nicht nur die Frage nach einem neuen Unterschlupf für den politischen Führer der Hamas Khaled Mashaal und seine Leute. Der Hamas wird auch ein politischer Preis abverlangt: sie muss den Terror reduzieren und sich von einer pro-iranischen wie pro-syrischen „Muqawama“-(Widerstands)-Bewegung in eine jener Muslimbrüderparteien verwandeln, wie sie gerade überall in der arabischen Welt dabei sind, die Kontrolle zu übernehmen.

· Die Hamasführung in Gaza bevorzugt dabei ihre Beziehungen nach Kairo, sind doch die Aussichten auf eine Dominanz der Muslimbruderschaft in Ägypten weit größer als anderswo und bietet die Nähe zu Gaza sich vielversprechend an für einen eventuellen Zusammenschluss der Kräfte im Kampf für die Errichtung des weltweiten Kalifats.

· Das Problem ist nur, dass weder das ägyptischen Militär noch die dortigen Muslimbrüder sie dabei als militante Bewegung dulden werden, die die heikle Sicherheitslage in Ägypten bedroht und damit das fragile Gleichgewicht, das die ägyptische Bruderschaft zusammen mit dem Militär in Kairo zu etablieren wünscht. Dabei ist die Frage nicht, dass die Bruderschaft der Hamas ihren Charakter als „Widerstandsbewegung“ nehmen möchte, ganz im Gegenteil. Nur soll sie diesen nicht von Kairo aus praktizieren.

· Was bleibt der Hamas also übrig? Ihren „Widerstand“ aufzugeben ist nicht möglich. „Widerstand“ nur von Gaza aus wäre denkbar, doch die Führung ist sich nicht sicher, ob sie einen weiteren israelischen Militärschlag von der Größenordnung der Operation von 2009 zu überleben in der Lage ist. Daher bestrebt sie, den „Widerstand“ in das Westjordanland zu verlagern – und genau dies geschieht soeben – doch dort steht ihr die israelische Armee gegenüber.

Im Dezember 2011 mehren sich die Anzeichen, dass die Hamas damit begonnen hat, das sinkende Schiff des Assad-Regimes zu verlassen. Viele ihrer hochrangigen Kader haben sich bereits in Gaza niedergelassen und nur noch die oberste Führungsriege hält wie symbolisch an Damaskus fest.[1] Im Großen und Ganzen haben sich diese Berichte als korrekt erwiesen. Gleichzeitig hat der Iran seine Hilfe eingeschränkt, so dass die Hamas nun v.a. auf ihre Einnahmen aus dem Schmugglerhandel durch die Tunnel angewiesen ist, was kaum zur Versorgung Gazas ausreicht.[2]

Diese neuen Entwicklungen haben die Hamas unvorbereitet getroffen. So stellt sich nicht nur die Frage nach einem neuen Unterschlupf für den politischen Führer der Hamas Khaled Mashaal und seine Leute. Der Hamas wird auch ein politischer Preis abverlangt: sie muss den Terror reduzieren und sich von einer pro-iranischen wie pro-syrischen „Muqawama“-(Widerstands)-Bewegung in eine jener Muslimbrüderparteien verwandeln, wie sie gerade überall in der arabischen Welt dabei sind, die Kontrolle zu übernehmen. Mit anderen Worten, die alte Entscheidung Scheich Ahmed Yassins, der damals am Vorabend der Ersten Intifada die soziale Bewegung der Muslimbrüder in Gaza trotz Einwände der Kairoer Bruderschaftsführung in eine militärische Kampfgruppe verwandelte, müsste rückgängig gemacht werden.[3]

Die Hamasführung in Gaza bevorzugt dabei ihre Beziehungen nach Kairo, sind doch die Aussichten auf eine Dominanz der Muslimbruderschaft in Ägypten weit größer als anderswo und bietet die Nähe zu Gaza sich vielversprechend an für einen eventuellen Zusammenschluss der Kräfte im Kampf für die Errichtung des weltweiten Kalifats. Das Problem ist nur, dass weder das ägyptischen Militär noch die dortigen Muslimbrüder sie dabei als militante Bewegung dulden werden, die die heikle Sicherheitslage in Ägypten bedroht und damit das fragile Gleichgewicht, das die ägyptische Bruderschaft zusammen mit dem Militär in Kairo zu etablieren wünscht. Dabei ist die Frage nicht, dass die Bruderschaft der Hamas ihren Charakter als „Widerstandsbewegung“ nehmen möchte, ganz im Gegenteil. Nur soll sie diesen nicht von Kairo aus praktizieren.

Ähnliches gilt für Jordanien Der neue jordanische Premier Richter Awn Khasawneh hat sein Interesse bekundet, neue Beziehungen zur Hamas aufzubauen und die alte Entscheidung, deren Büro in Amman zu schließen als Fehler bezeichnet. Immer häufiger ist zu hören, dass Hamas-Führer Khaled Mashaal demnächst dem jordanischen König Abdullah II eine Besuch in dessen Palast abstatten wird, wenngleich bislang ohne bestätigtes Datum.

Um ein Büro in Kairo zu eröffnen, müsste die Hamas aber eine deutliche und verbindliche Erklärung abgeben, dass sie ihren „Widerstand“ nicht von dort aus organisiert und steuert. Gleiches gilt für ein Hamas-Büro in Amman, wobei weitere Komplikationen durch verschiedene innerarabische Streitigkeiten entstehen.

So wurde die vom jordanischen Premier Khasawneh abgegebene Erklärung ähnlich wie die Wahlen in Marokko, bei der die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung – eine Partei der Muslimbruderschaft – an die Macht kam, von Riad nicht gebilligt. Saudi Arabien beharrt weiterhin auf einer harten Linie gegen die Muslimbrüder.[4] Und so könnte Jordanien für eine Entscheidung, der Hamas bei sich ein Büro einzuräumen, den Preis bezahlen, nicht in den Golf-Kooperationsrat aufgenommen zu werden. Dies wäre ein schwerer Schlag für die jordanische Wirtschaft. Ähnliches gilt für Marokko, ganz besonders jetzt, nachdem der Führer der tunesischen Muslimbrüder Rashid al-Ghannouchi hatte verlauten lassen, dass keine der Monarchien im Nahen Osten gegen einen Sturz immunisiert seien.[5]

Während jedoch das salafistische Saudi Arabien eine harte Haltung gegen die Brüder beibehält, unterstützt sein winziger Nachbar das Emirat Katar die Ausbreitung der Bruderschaft im ganzen Nahen Osten. Die sich auftuenden Gräben innerhalb des Kooperationsrates wirken sich negativ auf die Aussichten der Hamas auf ein Büro in Amman aus, denn als Vermittler tritt Katar auf, das darauf besteht, dass ein hochrangiges Mitglied der Familie des Emirs Mashaal auf seinem Besuch im jordanischen Königspalast begleitet.

Nicht nur ist Saudi Arabien über diese Politik Katars empört, Iran und Syrien zeigen sich sogar noch verärgerter. Denn die Anwesenheit von hochrangigen Kataris in Begleitschaft Mashaals stünde für eine Trennung der Hamas von Syrien wie Iran. Dies könnte sich die Hamas nicht leisten. Die Fähigkeit des Iran, als grausamer Spielverderber aufzutreten, ist sattsam bekannt.

Was bleibt der Hamas also übrig? Ihren „Widerstand“ aufzugeben ist nicht möglich. „Widerstand“ nur von Gaza aus wäre denkbar, doch die Führung ist sich nicht sicher, ob sie einen weiteren israelischen Militärschlag von der Größenordnung der Operation von 2009 zu überleben in der Lage ist. Daher bestrebt sie, den „Widerstand“ in das Westjordanland zu verlagern – und genau dies geschieht soeben – doch dort steht ihr die israelische Armee gegenüber.

Und so lautet das Fazit, dass zwar der Erfolg der Muslimbrüder im ganzen Nahen Osten und v.a. in Ägypten gute Nachricht für die Hamas darstellt, dass sie aber auch dabei ist, ihren sicheren Hafen in Damaskus zu verlieren. Um an dem Erfolg der Muslimbrüder teilzuhaben und ihr Büro nach Kairo oder Amman zu verlegen, müsste sie aber ihren „Widerstand“ aufgeben – und das kommt für sie gegenwärtig auch nicht in Frage.


Pinhas Inbari ist ein langjähriger Korrespondent für palästinensische Angelegenheiten. Er arbeitete für Israel Radio und Al Hamishmar, sowie gegenwärtig für verschiedene ausländische Medien. Er ist Autor einer Reihe von Büchern zu palästinensischen Themen, u.a. The Palestinians: Between Terrorism and Statehood.


[1] http://www.haaretz.co.il/news/world/1.1582860

[2] http://www.calcalist.co.il/local/articles/0,7340,L-3528968,00.html

[3] Pinhas Inbari, The Palestinians: Between Terrorism and Statehood, (Brighton, 1996), p. 138.

[4] Dore Gold, “The Saudis Despise the Muslim Brotherhood,” Israel Hayom (Hebrew), December 2, 2011, http://www.israelhayom.co.il/site/newsletter_opinion.php?id=7546&newsletter=02.12.2011.

[5] http://www.paldf.net/forum/showthread.php?t=921928