Der Zorn der Muslimbrüder über die Tötung Bin Ladens
Der Zorn der Muslimbrüder über die Tötung Bin Ladens
Jonathan D. Halevi
Es existiert eine enge ideologische Nähe zwischen der Muslimbruderschaft und al-Qaida. Beide Organisationen streben ein ähnliches Ziel an: die Errichtung eines islamischen Kalifats und die Islamisierung der Welt durch den Dschihad. Aus diesem Grund kommt es wenig überraschend, dass die Muslimbruderschaft und ihre Verbündeten in Jordanien und den Palästinensergebieten den „Meuchelmord“ an Bin Laden entschieden verurteilt haben. Diese Haltung zeugt einmal mehr davon, dass die Wunschvorstellung diverser Leute im Westen, es handele sich bei den Muslimbrüdern um eine pragmatische Bewegung, falsch ist.
Die globale Muslimbruderschaft veröffentlichte am 2. Mai 2011 eine offizielle Stellungnahme zur Tötung des al-Qaida-Führers Osama Bin Laden durch die Vereinigten Staaten. Das Schreiben gab sich Mühe, eine Identifikation der Bewegung mit Bin Laden und seiner Strategie (im Unterschied zur Taktik) der Konfrontation zu verwischen, die er gegen den Westen, die demokratische Welt, das Christentum und Ungläubige propagierte.[1]
In der arabischen Version heißt es, dass es „einer Spezialtruppe der amerikanischen Marines [gelang], den Scheich [ein Ehrentitel] Osama Bin Laden hinterrücks zu ermorden.“ Dieses Vorgehen wird desweiteren kritisiert. „Die Muslimbruderschaft spricht sich gegen jede Gewaltanwendung und Methoden des Meuchelmordes aus und ist dafür, dass eine Person, die irgendeines Verbrechens beschuldigt wird, vor ein gerechtes Gericht gestellt wird. … Die Muslimbruderschaft fordert die Vereinigten Staaten auf, nicht mit Geheimdienstmethoden gegen ihrer Gegner vorzugehen und sich nicht in die inneren Angelegenheiten der arabischen oder islamischen Länder einzumischen.“
Im ganzen Text findet sich kein negatives Wort über Bin Laden und den Terror der al-Qaida. Aus der Perspektive der Muslimbrüder handelt es sich bei Bin Laden nicht um einen aktiven Terroristen, sondern lediglich um einen „Verdächtigen“, der allenfalls vor ein Gericht gehört. Die amerikanische Militäraktion, bei der Bin Laden getötet wurde, gilt nach Meinung der Muslimbruderschaft als fundamental illegitim wie überhaupt jedwede nachrichtendienstliche Arbeit der Amerikaner gegen islamische Terrorgruppen. Mit anderen Worten, die Muslimbruderschaft spricht den Vereinigten Staaten die rechtliche Befugnis ab, gegen Terroristen aus der arabischen und islamischen Welt vorzugehen, was so viel heißt wie zu fordern, dass jene Länder zu Schutzzonen für Gotteskrieger wie Bin Laden werden sollten.
Doch dabei belässt es die Bruderschaft nicht, sondern rechtfertigt den Terror gegen amerikanische Truppen in Afghanistan, im Irak oder in einem anderen arabischen bzw. islamischen Land, sollten sie dort stationiert sein. Die offizielle Erklärung der Muslimbrüder führt aus: „Die Muslimbruderschaft betont, dass der Widerstand gegen die ausländische Besatzung ein legitimes Recht darstellt, das von Gott gegeben und durch internationale Abkommen verliehen wurde. Die Verwirrung zwischen legitimen Widerstand und Gewalt gegen Unschuldige wurde vorsätzlich vom ‚Zionistischen Feind‘ kreiert.
Solange die Besatzung fortdauert, solange wird der Widerstand dagegen berechtigt bleiben. Die Vereinigten Staaten, das NATO-Bündnis sowie die Europäische Union müssen unverzüglich das Ende der Besatzung von Afghanistan und dem Irak erklären sowie die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes anerkennen.“
Die Muslimbruderschaft fährt also weiterhin die Linie der offenen Unterstützung des Terrorismus. Wie sich aus dieser Erklärung ablesen lässt, gehören die Terroranschläge palästinensischer Terrororganisationen, die nach dem gleichen Muster organisiert werden, wie jene der al-Qaida, zum „legitimen Widerstand“ und nicht etwa zum Terrorismus. Ebenso erfreuen sich die gleichen Formen des Terrors in Afghanistan und Irak, zu denen Selbstmordanschläge gehören, der Legitimität, solange sich amerikanische Truppen in diesen Ländern befinden. Die Muslimbruderschaft lehnt die Berechtigung der westlichen Präsenz in diesen Ländern, die primär gedacht ist als Aufbauhilfe für demokratische Regime sowie Unterstützung im Kampf gegen den Terror, rundum ab.
Nach dieser Rechtfertigung des islamischen und arabischen Terrorismus als „legitimen Widerstand“ beharrt nun die Muslimbruderschaft darauf, dass es keinerlei Beziehung zwischen dem Islam und Terrorismus gebe: „Die Muslimbruderschaft verlangt von der Welt im Allgemeinen und den Völkern und Regierungen des Westens im Besonderen, damit aufzuhören, eine Beziehung zwischen dem Islam und Terrorismus zu konstruieren und das böswillig fälschliche Bild, das vor einigen Jahren gezeichnet wurde, zu korrigieren.“
Auch die jordanischen Muslimbrüder verurteilten die amerikanische Operation. Der dortige Sprecher der Bewegung Jamil Abu-Bakr stellte am 3. Mai 2011 fest, dass „trotz einiger Meinungsverschiedenheiten, die wir über den Modus Operandi Bin Ladens haben, er doch bis zum letzten Moment an seinem Weg der Herausforderung Amerikas und der Feinde der islamischen Nation festhielt, den er als Versuch sah, die islamische Welt von ausländischen Einflüssen zu befreien. Er blieb seiner Vision und seiner Nation treu und standhaft im Kampfe.“[2]
Die Worte Abu-Bakrs spiegeln deutlich die Position der Muslimbruderschaft wieder, die den Taktiken der al-Qaida widersprach, doch nach wie vor auf deren ideologischen Programmatik vertraut und die Arbeit Bin Ladens im Kampf zur Entfernung jeglichen Einflusses des Westens oder seiner Präsenz in islamischen Ländern über alle Maßen schätzt.
Auch die Hamas, der palästinensische Arm der Muslimbruderschaft, brachte ihre Trauer über die Tötung Bin Ladens zum Ausdruck. So äußerte Hamas-Premierminister Ismail Haniyeh „wir verurteilen die heimtückische Ermordung eines arabischen heiligen Gotteskriegers … Wir sehen darin die Fortsetzung der amerikanischen Politik, die auf Unterdrückung und dem Vergießen von arabischen und islamischen Blut beruht.“[3]
Die Muslimbruderschaft und die Hamas veröffentlichten in Gaza Traueranzeigen nach dem Tod des „Märtyrers [Shahid] Scheich Osama Bin Laden … der als Märtyrer nach heroischem Kampf gegen die Kreuzritter auf pakistanischem Gebiet in den Himmel auffuhr.“ In einer weiteren Traueranzeige der Muslimbruderschaft wird Bin Laden der Titel „Scheich und Imam“ verliehen.[4]
Die von Ra’ed Salah geführte Islamische Bewegung in Israel weist eine ideologische Nähe zur Muslimbruderschaft auf. Sie veröffentlichte am 2. Mai 2011 eine Erklärung, in der die amerikanische Operation gegen Bin Laden verurteilt wurde: „Wir, die Islamische Bewegung verurteilen den Mordanschlag auf den Scheich und Märtyrer Osama Bin Laden. … Der Meuchelmord … demonstriert das geheime Einverständnis jener Söldner, die ihre Seele dem Teufel verkauft haben. … Der Mord an Scheich Osama Bin Laden … wird den islamischen Hass auf die Ungerechtigkeiten und Katastrophen, die die Vereinigten Staaten zu verantworten haben, nicht beenden.“[5]
Die Sympathie der Muslimbrüder für Bin Laden darf nicht überraschen. Der ehemalige Oberste Führer der Muslimbruderschaft Mehdi Akef äußerte am 22. Mai 2008 gegenüber der Webseite Elaph, dass Bin Laden ein achtbarer Gotteskrieger wäre. Auf die Frage, ob er Bin Laden als „Terrorist oder islamischen Gotteskrieger“ sehe, antwortete Akef: „Definitiv als Gotteskrieger. Ich habe keinerlei Zweifel an seiner Aufrichtigkeit im Kampf gegen die Besatzung und seinem Bemühen, Allah näher zu kommen.“ Auf die Frage, ob er die Aktivitäten der al-Qaida unterstützen, und wenn ja, in welchem Maße, reagierte Akef mit: „Ja, ich unterstütze seine Aktivitäten gegen die Besatzer, aber nicht gegen Nationen.“[6]
Der aktuelle Oberste Führer der Muslimbrüder Mohammed Badia erklärte in seiner wöchentlichen Predigt vom 13. Januar 2011, dass Kriege weltweit nur durch den Mangel an islamischer Gerechtigkeit ausgelöst würden und nur deren globale Errichtung Weltfrieden garantieren könne. Badia zufolge „verlangt die Menschheit verzweifelt nach der Gerechtigkeit, die der Islam errichtet hat, um die Welt glücklich zu machen und den Weg der Menschen zu rechtfertigen. Es gibt keinen Weg zur Stabilität der Welt außer durch die Restoration der verloren gegangenen [islamischen] Gerechtigkeit und ihre Ausdehnung auf die ganze Welt auf jeder Ebene – global, international, regional, national, kollektiv und individuell – durch Gleichheit, Freiheit und Anerkennung der Rechte für jene, denen sie zustehen. Die Frage ist, werden die Führer, Politiker und Philosophen verständnisvoll genug sein, diesen Ruf nach dem Verlorenen zu verstehen und es der Welt zurückzugeben?“[7]
Die al-Qaida hatte ihre Wurzeln in der Muslimbruderschaft. Osama Bin Laden und sein Stellvertreter Ayman al-Zawahiri begannen als Aktivisten der Muslimbrüder. Die Ideologie der Bruderschaft unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von jener der al-Qaida in ihrem Streben nach der Wiedererrichtung des islamischen Kalifats und den Kampf gegen den Westen, als Pfad der Eroberung Europas und der Befreiung Roms, der italienischen Hauptstadt und dem Sitz des Vatikans, zur Umsetzung jenes göttlichen Edikts, das in der Vision des Propheten Mohammed erwähnt wird. Sowohl die Muslimbrüder als auch al-Qaida betrachten die westliche Zivilisation mit ihren demokratischen Werten und dem Christentum als Hauptfeind des Islam und beide Gruppen propagieren den Heiligen Krieg als wahren Weg, die islamischen Ziele zu erreichen.
Die Tötung Bin Ladens mag einen Schlussstrich unter die Terrorangriffe vom 11. September gezogen haben, doch sie hat al-Qaida nicht ausgeschaltet, noch ihre Wurzeln in der globalen Bewegung der Muslimbruderschaft, deren Zweigstellen in der arabischen und westlichen Welt ungebrochen dabei sind, neue Generationen hervorzubringen, die sich an die extremistische islamische Ideologie klammern und fruchtbarer Nährboden sind für terroristische Rekrutierung. Die Verurteilung der Tötung Bin Ladens zeigt einmal mehr und deutlicher, dass die Wunschvorstellung mancher Leute im Westen, dass es sich bei der Muslimbruderschaft um eine pragmatische Bewegung handele, ohne Substanz ist.
Oberstlt. a.D. Jonathan D. Halevi ist Senior Researcher für Nahost und radikalen Islam am Jerusalem Center for Public Affairs. Er ist Mitbegründer der Orient Research Group Ltd. und war Berater des politischen Planungsstabes des israelischen Außenministeriums.
[1] http://www.ikhwanonline.com/new/Article.aspx?ArtID=83551&SecID=212
[2] http://www.ikhwan-jor.com/#3 7044
[3] http://www.latimes.com/news/nationworld/world/la-fgw-bin-laden-hamas-20110501,0,1332635.story
[4] http://www.hanein.info/vb/showthread.php?t=23857
[5] http://www.pls48.net/default.asp?ID=70934
[6] http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:N0vNhWdQu30J:www.elaph.com/ElaphWeb/AkhbarKhasa/2008/5/332823.htm+%22%D8%B9%D8%A7%D9%83%D9%81:+%D8%A3%D8%B3%D8%A7%D9%85%D8%A9+%D8%A8%D9%86+%D9%84%D8%A7%D8%AF%D9%86+%D9%85%D8%AC%D8%A7%D9%87%D8%AF+%D9%84%D8%A7+%D8%A3%D8%B4%D9%83+%D9%81%D9%8A+%D8%B5%D8%AF%D9%82%D9%87+%22&cd=6&hl=ar&ct=clnk&gl=il&source=www.google.co.il
[7] http://www.ikhwanonline.com/new/Article.aspx?SecID=213&ArtID=77764