Der erste Angriff der Hisbollah seit 2006 – Hintergründe und Einschätzung

Der erste Angriff der Hisbollah seit 2006 – Hintergründe und Einschätzung

Dr. Shimon Shapira

Zum ersten Mal seit dem Zweiten Libanonkrieg 2006 hat sich die Hisbollah zu einem Angriff auf israelische Streitkräfte in der Nähe der Shabaa-Farmen im israelisch-syrischen-libanesischen Grenzgebiet bekannt, bei dem am 7. Oktober zwei IDF-Soldaten verwundet wurden.

In der Stellungnahme der Hisbollah hieß es, dass die Aktion von einer nach dem Märtyrer Hassan Ali Haydar benannten Militäreinheit durchgeführt worden sei. Haydar war ein Sprengstoffexperte der Hisbollah, der am 5. September beim Versuch ums Leben kam, mehrere Sprengladungen zu entschärfen, die an einem Fernmeldenetzwerk der Hisbollah im südlibanesischen Adloun befestigt waren. (1)

Mit den als Vergeltungsmaßnahme gelegten zwei provisorischen Sprengfallen wollte die Hisbollah signalisieren, dass – obwohl sie im syrischen Bürgerkrieg engagiert ist – Israel keine Handlungsfreiheit im Libanon habe. (2) Es ging darum, sowohl Israel als auch ihren Unterstützern im Libanon deutlich zu machen, dass die Hisbollah an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen könne und dass der Dschihad gegen Israel immer noch ihr wesentlicher Daseinsgrund sei.

Offene Fragen

Doch warum wählte der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah diesen Zeitpunkt für einen Angriff auf israelische Streitkräfte in einem von Israel kontrollierten Gebiet – nach einer langen, acht-jährigen Phase, in der die Gruppe es vermieden hatte, sich zu Anschlägen auf Israel zu bekennen. Zwar betrachtet die Hisbollah die Shabaa-Farmen als besetztes libanesisches Territorium, doch die Linie zwischen Israel und dem Libanon wurde nach dem israelischen Rückzug 2000 vom UN-Sicherheitsrat bestätigt.

Zu den von Experten, Kommentatoren und Journalisten gegebenen Antworten gehören der Wunsch nach Vergeltung für den angeblichen israelischen Anschlag in Adloun, für die Tötung des Chefs der Technologie-Abteilung der Hisbollah Hassan al-Lakis in Beirut am 4. Dezember 2013 (3), und das Bedürfnis nach einer neuen Balance der Abschreckung mit Israel. Das Abschreckungsvermögen soll signalisieren, dass die Hisbollah bereit ist, jede Aktion gegen den Libanon zu vergelten, auch um das Risiko einer dramatischen Eskalation.

Verschiedene IDF-Offiziere und Kommentatoren zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik haben in letzter Zeit wiederholt die militärische Stärke der Hisbollah diskutiert – ihr Lang- und Kurzstreckenraketenarsenal, einschließlich der jüngst in Syrien erworbenen sowie die schon vor einigen Jahren analysierten Hisbollah-Pläne zu einem Überfall auf Nordisrael. (4) (5)

Dabei wurde von einigen Stimmen in Israel darauf hingewiesen, dass die Verwicklung der Hisbollah im syrischen Krieg sich als vorteilhaft für die Gruppe zeigen könnte. Die Hisbollah hat durch diesen Konflikt ihre militärische Expertise für einen zukünftigen Krieg gegen Israel qualitativ beträchtlich steigern können.

Je stärker jedoch die die militärische Kraft der Hisbollah in Israel übertrieben wird, um so häufiger wird ihre Propaganda-Maschine Zitate der israelischen Armee nutzen, um auf die wachsende Angst in Israel über eine Konfrontation mit der Schiitenbewegung zu verweisen.

Der jüngste Angriff

Man kann davon ausgehen, dass die Hisbollah wenigstens einige Tage braucht, um Aktionen wie die jüngste vorzubereiten.

Eine Analyse der Ereignisse ergab, dass zwei Tage vor dem Anschlag die Hisbollah eine massive militärische Demütigung im Gebiet von Brital bei Baalbek hinnehmen musste. Syrische Rebellentruppen, die zur Al-Nusra-Front gehören und sich im Grenzgebiet zwischen Syrien und dem Libanon schon seit geraumer Zeit heftige Kämpfe liefern, eroberten Hisbollah-Stellungen und töteten mehr als zehn ihrer Kämpfer. Zudem zeichneten die Rebellen ihren Erfolg auf Video auf und zeigten viele der Leichen der gefallenen Hisbollah-Kämpfer. Das Video wurde im Internet weit verbreitet und brachte die Hisbollah in Verlegenheit. (6) Anstelle tapferer Märtyrer, die aus Syrien in Särgen zur Beerdigung in ihren Heimatdörfern zurückkehrten, sah man zerfetzte Leichen, Opfer eines Siegs der Al-Nusra-Front.

Bilder einer derartigen Niederlage stellen für die Hisbollah und ihr Selbstbild einer siegreichen Bewegung eine Bedrohung dar. Nasrallah fiel es entsprechend schwer, diese Bilder zu akzeptieren. Seine iranischen Schutzherren hatten Verständnis für das Dilemma und gestatteten eine konkrete Aktion, mit der die Hisbollah die seit acht Jahren dauernde Feuerpause ausnahmsweise unterbrach.

In der Konsequenz wurden also die hoch entwickelten Sprengvorrichtungen in einem Gebiet gelegt, das der Iran und die Hisbollah als besetztes libanesisches betrachten und daher als ein legitimes Ziel für Angriffe auf Israel.

Die Hisbollah ging dabei von einem tödlichen Anschlag auf israelische Soldaten aus und davon, dass Israel sich in seiner Reaktion zurückhalten und den lokalen Vorfall nicht eskalieren würde.

Gegenwärtig scheint es, dass weder der Iran noch die Hisbollah ein Interesse an einem Kräftemessen mit Israel haben. Betont werden muss dabei, dass die Zurückhaltung der Hisbollah gegenüber Israel eine iranische Entscheidung ist und nicht von der Abschreckungswirkung Israels bedingt. Im Interesse des Iran ist es, die Hisbollah mit ihren Lang- und Kurzstreckenraketen, die auf israelische Ziele gerichtet sind, bereit zu halten, um Israel vor einem Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen abzuschrecken. Es ist davon auszugehen, dass in dem Augenblick, in dem die iranische Abschreckung scheitert und die Atomanlagen angegriffen werden, Israel die lang aufgebaute, volle Feuerkraft der Hisbollah im Libanon ohne weitere iranischen Befehle zu spüren bekommt.


1. The Daily Star, “Hizbullah Claims Southern Border Bombing,” 8. Oktober 2014, http://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2014/Oct-08/273309-hezbollah-claims-southern-border-bombing.ashx#axzz3FuI1ehus
2. Daily Star, “Border Blast Linked to Killing of Hizbullah Expert,” 7. Oktober 2014. http://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2014/Oct-07/273281-border-blast-linked-to-killing-of-hezbollah-expert.ashx#axzz3FuI1ehus
3. Israel Defense, “Who was Hizbullah’s Senior Official Killed in Beirut?” 5. Dezember 2013, http://www.israeldefense.com/?CategoryID=484&ArticleID=26319
4. Shimon Shapira, “Hizbullah Discusses Its Operational Plan for War with Israel: Missile Fire on Tel Aviv and Conquest of the Galilee,” 2. November 2011, Jerusalem Center for Public Affairs, http://jcpa.org/article/hizbullah-discusses-its-operational-plan-for-war-with-israel-missile-fire-on-tel-aviv-and-conquest-of-the-galilee/
5. Shimon Shapira, “Hizbullah Discusses Its Operational Plan for War with Israel,” 29. November 2011, Jerusalem Center for Public Affairs, http://jcpa.org/25169-2/
6. Now, “Hizbullah Under Fire,” 7. Oktober 2014. https://now.mmedia.me/lb/en/NewsReports/564193-hezbollah-under-fire