Der Arabische Frühling als Chance und Herausforderung für den Iran

Der Arabische Frühling als Chance und Herausforderung für den Iran

Michael Segall

Die Umwälzungen im Nahen Osten bieten dem Iran die Möglichkeit, die politisch-religiöse Landschaft der Region von Grund auf zu verändern. Gleichzeitig stellen diese Unruhen – v.a. in Syrien – aber auch ein strategisches Risiko dar. Schon jetzt sind z.B. die iranischen Beziehungen zur Türkei nach einer kurzen Hochphase nachhaltig belastet.

Seine Führung – sowohl der Präsident wie auch die religiöse und ein Großteil der militärischen Elite – behauptet, dass die Protestbewegungen der arabischen Welt sich von der iranischen Islamischen Revolution von 1979 inspirieren ließen. Ebenso ist sie davon überzeugt, dass die Proteste die Region und ihre strategischen Verhältnisse nachhaltig verändern sowie die Supermächte verdrängen werden, so dass die regionale Kontrolle Staaten der Region überlassen wird. Am begrifflichen Horizont des Iran taucht das Konzept des „Arabischen Frühlings“, das im arabischen wie westlichen Diskurs so prominent gesetzt ist, gar nicht auf. Stattdessen verwendet der Iran den Begriff „Islamische Erweckungsbewegung“, was seine politische Wahrnehmung widerspiegelt. Seit Beginn der Proteste hat sich das Land darum bemüht, diese in lebhaften islamischen Farben zu malen und so zu beeinflussen, wie es den iranischen Interessen in der Region am angenehmsten wäre. Dazu gehört auch eine vom Iran betriebene Webseite namens www.islamic-awakening.ir, auf der versucht wird, die regionalen Umbrüche gemäß der iranischen Ideologie auszulegen.[1]

Khomeinis Erbe

Systematisch zum Einsatz kam die Doktrin in einer Reihe von Reden und Zeremonien am „Internationalen Al-Quds-Tag“, der jedes Jahr in der letzten Woche des Ramadan begangen wird (2011 war dies der 26. August). Dieser seit einem Beschluss Khomeinis seit 1979 jedes Jahr gefeierte Tag soll die tiefe Verpflichtung des Iran für die palästinensische Sache und die Befreiung Jerusalems (genannt „Al-Quds“) unterstreichen. Khomeinis Dogma dient dabei als Ausgangsbasis für die aktuellen Ziele der Islamischen Revolution. Dazu gehört der Export der Revolution. Teil dieser Zielsetzung ist eine feindselige Haltung gegen Israel und drückt sich in wiederholten Rufen nach der Vernichtung des „Zionistischen Regimes“ aus.

2011 wurde der „Al-Quds“-Tag inmitten gravierender Veränderungen in Teilen der arabischen Welt begangen, bei dem Teile der alten Ordnung des Nahen Ostens zerstört wurden. Aus Sicht des Iran war der Sturz gemäßigter, „westlicher“ arabischer Herrscher ein weiterer Beweis einer göttlichen Intervention im Nahen Osten. Insbesondere der ägyptische Präsident Hosni Mubarak galt dem Iran als Bollwerk gegen seine Interessen und als ein Werkzeug „arroganter Mächte“.

Die dramatischen Ereignisse scheinen Khomeinis Doktrin zu bestätigen. Der überwiegende Teil der Feinde des Iran ist untergegangen: die Sowjetunion ist zusammengebrochen, Saddam Hussein wurde besiegt, al-Qaida ist geschwächt und die Taliban wurden in Afghanistan aus der Regierung gedrängt. Dagegen hat sich die Hisbollah zur Regierungspartei im Libanon entwickelt und konnte Israel während des Zweiten Libanonkrieges 33 Tage Widerstand leisten. Die Hamas des Gazastreifens hat sich dem Iran angenähert und vermochte Israel 2009 im Gazakrieg herauszufordern. Das iranische Atomprogramm schreitet trotz internationalen Drucks voran und unter den Schiiten des Bahrains gärt es. Schließlich beginnt sich die arabische Ordnung aufzulösen, während ihre islamistischen Elemente (z.T. mit geheimer Hilfe des Iran) nicht nur Geschlossenheit zeigen, sondern in den möglichen demokratischen Wahlen die Macht ergreifen könnten und gegenüber Israel ähnliche Haltungen einnehmen wie der Iran.

Entsprechend reagierten die iranische Führung und ihre gleichgeschalteten Medien nach der Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo durch einen aufgebrachten Mob mit der Erklärung, dass dies das Ende der israelischen Präsenz in Ägypten einleite. Die Bassidschi – der freiwillige Arm der Revolutionsgarden – veröffentlichte eine Stellungnahme zum Sturm auf das „zionistische Spionagenest in Kairo durch islamische Krieger“ (der Begriff „Spionagenest“ ist ein beliebter Begriff im Iran, der sich auf die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran 1979 bezieht). In der Erklärung heißt es:

„Seit seiner Gründung hat der Iran dem Zionistischen Regime Widerstand geleistet und ist immer das einzige Land gewesen, das sich gegen die Friedensgespräche zwischen den Arabern und Israel ausgesprochen hat. Der Iran ist das wichtigste Bollwerk gegen die satanischen Pläne des israelischen Regimes und die Marionettenregierungen in der Region. Die Vereinigten Staaten und sein strategischer Partner Israel fürchten sich sehr vor der Errichtung eines starken islamischen Blockes geführt vom Iran, das die Machtverteilung in der Region und der Welt verändern wird. Aus diesen Gründen spionieren, planen und verschwören sie sich gegen eine Wiederholung der Islamischen Revolution.“[2]

Der Niedergang des Westens prophezeit eine neue Islamische Ära

Laut iranischer Einschätzung ist die Macht des Westens und der westlich orientierten arabischen Regime, die das Volk vom Ausdruck seiner wahren Gefühle gegen Israel und die westlichen Interventionen in der Region abhielten, zusehends am Schwinden. Auf diese Weise werde ein neues islamisches Zeitalter im Nahen Osten eingeleitet, in welchem der Iran die Führung übernimmt, da seine Revolution – so glaubt Teheran oder gibt zumindest nach außen vor zu glauben – den arabischen Massen als Inspiration dient. Schon vor den Umwälzungen im Nahen Osten versuchte der Iran, die Volksmassen jener Länder über die Köpfe ihrer Diktatoren zu erreichen. Gegenwärtig empfindet sich Teheran im Vorteil bei der Propagierung seiner antiwestlichen und antiisraelischen Rhetorik und Agenda und präsentiert einen islamistischen Alternativweg zur Neugestaltung des Nahen Ostens unter seiner Führung – als einziges Land, dass konsequent dem Westen die Stirn geboten hatte.

Angesichts der Schwächung des arabischen Blockes und des westlichen Einflusses in der Region wächst das Selbstbewusstsein des Iran. Dies kommt in der Verhärtung nahezu jeder Position gegenüber dem Westen in regionalen Fragen zum Ausdruck. Dazu gehören die Fundamentalopposition des Iran gegen die Zweistaatenlösung zwischen Israel und den Palästinensern sowie die Befürwortung des bewaffneten Kampfes gegen die israelische Existenz, die Unterstützung Syriens als wichtiges Land im antiisraelischen Lager einschließlich der brutale Niederschlagung der syrischen Reformbewegung, die Unterstützung palästinensischer Terrororganisationen und der Hisbollah, provokante Militärmanöver, Raketentests und die Passage des Suezkanals durch iranische Kriegsschiffe sowie die Fortführung des ehrgeizigen Atomprogramms, das erst kürzlich durch den Transport von Zentrifugen zur neuen Anlage nahe Qom, die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent[3] und die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Buschehr für Schlagzeilen sorgte.[4]

Khameneis Streben nach einem soliden islamischen Block

Eine Stellungnahme Khameneis – dessen Position sich vor kurzem auf Kosten Präsident Ahmadinejads verstärkt hat – bei einem Treffen mit Akademikern in Teheran am Vorabend des Al-Quds-Tages spiegelt dieses neue Selbstbewusstsein des Iran sowie seine regionale Vision nach dem „Ende der Supermächte und ihrer Marionettenherrscher“ wider:[5]

„Der Nahe Osten durchläuft eine Phase massiver Veränderungen, die sowohl Chancen als auch Risiken bedeutet. Ein großes – wenn auch unwahrscheinliches – Risiko ist, dass die Supermächte versuchen werden, mittels ihrer Propaganda die Herrschaft über die Region für die nächsten fünfzig bis sechzig Jahre zurückzuerobern. Sie versuchen bereits, dafür in Libyen ein gefährliches Modell zu schaffen. Sie nutzen das Vakuum aus, um einen Brückenkopf zu errichten.

Das wahrscheinlichste Szenario ist jedoch, dass die Entschlossenheit des Volkes zum Entstehen einer Reihe von Volksrepubliken führt, die islamische Volksrepubliken sein werden, da ihre Völker in verschiedener Hinsicht islamische sind, … trotz des Bestrebens der arroganten Supermächte, der Vereinigten Staaten und der Zionisten, ihnen ihren Willen aufzuzwingen. … Würde man in all den (befreiten) Ländern heute Wahlen abhalten, wäre das Ergebnis pro-islamistisch. … Wer hätte sich vorstellen können, dass dies so deutlich in Ägypten wäre? … Das wahrscheinliche Szenario ist also, dass die regionalen Entwicklungen zur Schaffung eines starken und deutlich islamischen Blocks führen werden, dem sich viele Mitglieder der führenden Schichten anschließen.

Auf keinen Fall kann es sich der Iran erlauben, gegenüber diesen dramatischen Entwicklungen gleichgültig zu bleiben. Denn eines ist klar: die jüngsten regionalen Veränderungen haben bewiesen, dass alle westlichen wirtschaftlichen, politischen und administrativen Theorien wertlos und falsch sind und in der Region in eine Sackgasse gemündet haben. Trotz aller Anstrengungen, schwindet der Einfluss des Westens in der Region beständig. All dies macht deutlich, was der Iran schon immer verkündet hat – dass wir uns mehr denn je auf uns selbst und auf islamische Denktraditionen verlassen müssen.“

In seiner Rede zum „Internationalen Al-Quds-Tag“ versuchte Khamenei, die Unruhen im Nahen Osten und die palästinensische Sache in eine einzige, systematische Doktrin zu verwandeln und zu zeigen, dass der Iran immer schon als Hauptakteur für die palästinensischen Interessen eingetreten ist:

„Dies ist der Tag, an dem das iranische Volk aufsteht und nach Gerechtigkeit schreit zusammen mit all den anderen begeisterten Menschen, deren Zahl stetig wächst, einen Ruf, den die arroganten Supermächte seit über sechzig Jahre, seit der Gründung des Staates Israel, versucht haben zu unterdrücken.

Ohne den iranischen Ruf wären noch mindestens hundert Jahre vergangen und sie hätten versucht, Palästina von der Landkarte zu wischen. … Beinahe hatten sie damit Erfolg. … Doch die Islamische Revolution des Iran hat ihre Pläne zunichte gemacht. … Die Islamische Revolution, die Ausrufung des Al-Quds-Tages und die Verwandlung der israelischen Botschaft in Teheran in eine palästinensische Botschaft stellten eine deutliche Warnung und Präventivmaßnahme des Iran dar, die Pläne der Supermächte, Palästina von der Liste zu streichen, zu durchkreuzen.“

Der iranische Führer unterstrich dabei ein wichtiges Element, das iranische Politiker noch vor kurzem vermieden zu betonen und das einen wesentlichen Bestandteil der iranischen Sicherheitsstrategie darstellt:

„Glücklicherweise hat sich der Al-Quds-Tag ausgebreitet … und stellt nun eine Art Rückversicherung für den Iran dar. Die iranischen Bürger sollten den Fakt anerkennen, dass jede Person, die am Al-Quds-Tag mit marschiert, ihre Rolle in der Verteidigung der iranischen Sicherheit und der Errungenschaften der Islamischen Revolution übernimmt.“

Diese Worte Khameneis überschneiden sich völlig mit den Äußerungen anderer iranischer Politiker, nach denen die primären Verteidigungslinien des Iran durch den Libanon und Palästina laufen würden. Die iranischen Investitionen dort sind Teil seiner nationalen Sicherheitsstrategie. Der Iran zwingt Israel so dazu, sich konstant mit den Bedrohungen an seinen nördlichen und südlichen Grenzen auseinanderzusetzen. Dadurch wird Israel intern geschwächt und in seinem Hinterland getroffen, sowie seine Legitimität auf internationaler Ebene in Frage gestellt. Damit sinkt aus iranischer Sicht die Wahrscheinlichkeit eines israelischen Angriffs auf den Iran.

Ahmadinejad: Westen und „Zionistisches Regime“ gehören nicht in den Nahen Osten

Khameneis Position taucht in Variationen in allen Reden, Verkündigungen und Leitartikeln der iranischen Presse auf, die sich darin einig sind, dass die Umwälzungen der Region alle in der Islamischen Revolution vor dreißig Jahren ihren Ursprung haben.

In seiner zum jährlichen Event gewordenen Rede nahm Ahmadinejad kein Blatt vor den Mund, als es darum ging, den Westen und Israel zu verdammen, und wiederholte sein Standardrepertoire: Holocaustleugnung und den Aufruf zur Vernichtung Israels.[6] Er beschrieb wortreich die „Geschichte Palästinas“ und die westliche Usurpation von Kontrolle und die Errichtung des „zionistischen Gebildes“, alles unter Ausnutzung der arabischen Schwäche und der „Schlaffheit des Osmanischen Reiches“ – letzteres ein Seitenhieb auf die Türkei.

„Auf diese Weise wurde das Zionistische Regime die kritische wie heilige Achse von Westen und Kolonialisten. … Es wird mir verboten, in Namen der Redefreiheit über die Gründe ihrer Errichtung zu sprechen oder dagegen zu protestieren … Jede Erwähnung des Zionistischen Regimes stellt eine Sünde dar. … Das Zionistische Regime ist der kleinste gemeinsame Nenner aller kulturlosen, unmenschlichen, arroganten und kolonialistischen Nationen … und spiegelt die Werte und Prinzipien des westlichen Kapitalismus wieder. Sein Daseinszweck ist die Aufrechterhaltung einer dauerhaften Atmosphäre der Angst, der Einschüchterung, des Terrors, der Aggression, der Spaltung und der Täuschung in der Region, so dass der Boden geebnet ist für die fortgesetzte Beeinflussung und Kontrolle durch die westlichen Ländern und die Verhinderung eines technologischen und wissenschaftlichen Fortschritts der Länder in der Region.“

Ahmadinejad führte weiter aus, dass das „Zionistische Regime“ auf Lügen basiere, wovon der Holocaust eine sei. Ihm zufolge richtet sich die „zionistische Politik“ nicht nur gegen die Palästinenser und andere Länder in der Region, sondern dient auch als westliches Kontrollinstrument in der ganzen Welt, in Afrika, Lateinamerika und Asien.

Aus diesem Grunde sei der Al-Quds-Tag ein „Tag der Einheit aller Freunde von Gerechtigkeit und Freiheit und aller monotheistischen Religionen gegen Unterdrückung. Mit Gottes Hilfe wird er zur totalen Vernichtung des Zionistischen Regimes führen.“

Im Hinblick auf die palästinensischen Manöver in den Vereinten Nationen warnte der iranische Präsident:

„Eine formale Anerkennung eines Palästinenserstaates ist nicht das letzte Ziel. Es ist nur der erste Schritt zur Befreiung ganz Palästinas. … Das Zionistische Regime ist ein Hort von Bakterien und Krebszellen. Wenn auch nur ein Zoll davon auf palästinensischem Boden verbleibt, dann wird es sich ausdehnen und auf der Lauer liegen, bis sich eine Gelegenheit bietet, allen zu schaden. … Der palästinensische Widerstand muss sich davor hüten, sich einer schwächlichen Regierung (der Autonomiebehörde) eines Bruchteils Palästinas anzuschließen. … Die palästinensische Nation wie auch die Länder der Region dürfen nie ihre heilige Verpflichtung vergessen, ganz Palästina zu befreien. … Die palästinensische Ehre, Größe und Macht hängen an der Fortsetzung des Kampfes zur Befreiung des gesamten palästinensischen Bodens ab. … Jegliches Abrücken von diesem Ziel kommt Selbstmord gleich und bietet dem Feind eine Möglichkeit zu Mord und Zerstörung.“

Ähnlich Khamenei warnte Ahmadinejad vor den Absichten des Westens, die Kontrolle der Region zu übernehmen:

„Jene, die die Verantwortung tragen für die Diktaturen, die Tyrannei und das Elend der Völker, versuchen soeben, kaum dass sie vertrieben worden sind, sich erneut einzuschleichen unter dem Vorwand, den Ländern der Region Demokratie und Freiheit zu bringen. … Wir müssen wachsam bleiben … Freiheit, Gerechtigkeit, freie Wahlen und das Recht zur Selbstbestimmung sind das Privileg aller Nationen, einschließlich jener unserer Region und Nordafrikas und können nie das Resultat einer von NATO-Gewehrläufen und amerikanischen Truppen diktierten Politik sein.“

Schließlich richtete der iranische Präsident einige Worte an „die Zionisten und ihre Bosse“:

„Eure gesamte Existenz zeugt von Räuberei … Ihr seid gekommen um zu töten und zu zerstören. … Doch eure Zeit ist um. … Die Völker sind erwacht; ihre Macht des Glaubens ist erneut erstanden. Es ist in eurem Interesse dorthin zu gehen, woher ihr kamt … Geht nachhause … Und glaubt keine Sekunde daran, dass die formale Anerkennung eines Palästinenserstaates euch Sicherheit und Ruhe geben wird. … Dies ist nur der Anfang. … Ihr habt keinen Platz unter den Nationen der Region. … Ihr werdet keine Chance haben, mit eurem schändlichen Leben fortzufahren, nicht auf einem einzigen Korn Sand palästinensischen Bodens. … Vierhundert Jahre von Kolonialismus und hundert Jahre der Sklaverei, des Krieges und der Ausplünderung sind genug. … Ihr glaubt, dass ihr erneut die geografischen Linien der Region ziehen, das Öl und den Willen der Völker durch eure Pläne kontrollieren könnt. Doch ihr irrt euch. … Die Völker sind aus ihrem Schlaf erwacht. Sie sind absolut wachsam und bereit. … Der Nahe Osten wird umgestaltet werden und die Völker werden sich nicht länger mit der alten Situation zufrieden geben; sie freuen sich darauf, die Region nach ihrem Bild zu formen, das Bild einer Region im Einklang mit islamischem Denken. … Und ihr müsst erkennen, dass ihr und das Zionistische Regime keinen Platz in diesem neuen Nahen Osten habt.“

Und an die arabischen Führer gewandt heißt es:

„Wie viele Staaten der Region haben das Volk im Laufe der letzten Jahrzehnte missachtet und sich nur an Macht berauscht und Stammeskonflikten gewidmet? Ich sage ihnen: Hört auf damit, spielt nicht dem Feind in die Hände. Dies ist die letzte Runde. Hört auf euer Volk, seit Partner im göttlichen Erwachen der Völker gegen die Kolonialmächte. … Ist euch nicht aufgegangen, dass weder Amerikaner noch Zionisten loyale Bündnispartner sind? Sie werden euch für ihre eigenen Interessen opfern.“

Eine fixe Idee von Dauer

Das Erbe Khomeinis, das die iranische Führung immer wiederholt, bleibt wegweisend für die zweite Generation nach der Revolution. Es ist diese dauerhafte Konstante, von der nicht abgewichen werden darf, die man aber immer wieder erneut den Bedürfnissen vor Ort anpassen kann. Diese Prinzipien verlangen, den Kampf gegen Israel als etwas zu verstehen, das nicht unabhängig vom Rest ist, sondern ein wichtiges Hilfsmittel darstellt zur Rekrutierung von Muslimen für den langwierigen „hunderte Jahre alten Kampf gegen die westliche Arroganz, die das zionistische Gebilde tief ins Herz der islamischen Welt gepflanzt hat.“

Die Wiederbelebung des komplexen Systems des iranischen Revolutionsexports wird gegenwärtig dadurch stimuliert, dass eine neue Atmosphäre in der arabischen Welt entstanden ist und eine antiisraelische Dynamik auf der arabischen Straße, die eben die Angst vor ihren Herrschern verliert, zu sehen ist. Dies konnte geschehen, weil die Grenzen, die jene arabischen Diktatoren der iranischen Aktivität und den islamistischen Gruppierungen setzten, erodiert sind und die „arabisch-islamische Straße,“ die unter dem Repressionsdruck der staatlichen Behörden zuvor bei antiisraelischen Demonstrationen eher passiv blieb, nun erwacht ist.

Da alle arabischen Länder gegenwärtig mit ihren eigenen internen Angelegenheiten beschäftigt sind und somit eine geeinte arabische Politik vernachlässigt wird, hat der Iran begonnen, den Raum zu füllen und verschiedene Initiativen gestartet – wie z.B. seine breite Unterstützung Somalias und seine Versuche, direkte Beziehungen zu islamistischen Bewegungen in verschiedenen Ländern zu etablieren, nach langen Jahren geheim gehaltener Kontakte.

Das iranischen Propagieren ihrer revolutionären Ambitionen und sein Streben nach regionaler Hegemonie durch die Verneinung der israelischen Existenz – die Standardformel ist die vom „Zionistischen Regime“, das Al-Quds besetzt halte – ermöglicht dem Iran, eine aktivistische Haltung gegenüber arabischen Problemen im Allgemeinen und dem palästinensischen Problem im Besonderen einzunehmen. Dadurch entsteht ein deutlicher Kontrast zu den als schwach wahrgenommenen arabischen Herrschern. Der Iran verfügt gegenwärtig über ein breites ideologisches und praktisches Programm, das effektiv daran arbeitet, die Vision von Revolutionsführer Khomeini umzusetzen.

So äußerte der Politbürochef der Revolutionsgarden General Yadollah Javani: „Die jüngsten Ereignisse in der Region und die Welle eines islamischen Erwachens in Ländern, die früher strategische Verbündete Israels waren, beschleunigen den Zusammenbruch der israelischen Usurpatoren.“ Und der iranische Botschafter in Beirut Qazanfar Roknabadi ließ verlauten: „Das Zionistische Regime befindet sich nach dem Sturz Mubaraks am Rande des Kollaps.“[7]

Durch das rhetorische Diffamieren Israels und die aktive Unterstützung (Waffen, Training und Anleitung) palästinensischer Organisationen ist es dem Iran gelungen, die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit der arabischen und islamischen Welt (einschließlich der Gemeinden in Lateinamerika, Afrika und Asien) zu erzielen. Der Iran transportiert diese Botschaften mittels seiner Nachrichtenkanäle auf Arabisch und in vielen anderen Sprachen. Erst vor kurzem hat der Iran einen spanisch sprachigen Fernsehkanal eingerichtet.

Die giftige antiisraelische Rhetorik Ahmadinejads geht nicht auf ihn selbst zurück. Tatsächlich verwendet er die Parolen der Revolutionszeit, passt sie der gegenwärtigen Zeit an und bezieht sie auf die neuen und sich rapide wandelnden geostrategischen Realitäten der Region und der Welt, einschließlich der wahrgenommenen wirtschaftlichen Schwächung der westlichen Staaten, allen voran der Vereinigten Staaten, die Israel unterstützen. Im Kontrast dazu stellen sie den Iran als stabilen und robusten Akteur mit einer systematischen ideologischen, politischen und religiösen Doktrin dar, die eine neue alternative Weltordnung anbietet.

Hinzu kommt, dass sich die Weltöffentlichkeit auf den Arabischen Frühling konzentriert und so den Blick für das iranische Atomprogramm verloren hat. Aus dieser Sicht kommen die Umwälzungen im Nahen Osten den iranischen Interessen äußerst gelegen.

Die iranisch-türkische Rivalität

Dem Iran ist bewusst, dass mit dem Verschwinden problematischer Herrscher, der Konflikt mit Israel und dem Westen als etwas wesentlich islamisches porträtiert werden kann. Doch genau auf dieser Ebene stößt der Iran auf einen alten Rivalen in der Region – die Türkei. Die Kluft zwischen Ankara und Teheran vertieft sich, je länger die Proteste in Syrien anhalten und sich verschärfen, während der Iran das syrische Regime stützt. Die jüngste türkische Entscheidung, die Stationierung antiballistischer Verteidigungssysteme der NATO auf seinem Territorium zuzulassen, verschärfte die Spannungen zwischen den beiden Ländern. Der iranische Präsident wählte seine Worte mit Bedacht als er sagte: „Die Türkei gehört zu unseren Brüdern und echten Freunden; doch wenn der Feind einen Raketenschutzschirm hier aufstellt und offen zugibt, dass dieser gegen Iran gerichtet sein, dann ist dies ein Grund, vorsichtig zu werden.“

In den vergangen Worten hat die iranische Kritik an der Türkei zugenommen. Hochrangige Geistliche wie Ayatollah Makarem-Shirazi haben die Türkei dafür kritisiert, dass sie die Unterstützung Syriens beendet und sich auf die Seite der „arroganten Mächte“ gestellt habe: „Wir hatten nicht erwartet, dass die Türkei die arroganten Mächte bejahen und sich ihnen zur Verfügung stellen würde.“[8] Und der ehemalige Vorsitzende des iranischen Justizwesens Ayatollah Hashemi Shahrudi warf der Türkei vor, dass sie die Entwicklungen der Region ausnutzen würde, um einen liberalen Islam zu propagieren. „Die arroganten Westmächte fürchten sich vor den Beziehungen der regionalen Völker zu der Islamischen Republik Iran und bemühen sich darum, neuartige Modelle des Islam zu entwerfen, so wie den liberalen Islam der Türkei, so dass dieser den wahren Islam beseitigen könne.“[9] Die Begriffe „falscher“ und „liberaler Islam“ behält sich der Iran eigentlich vor für die Beschreibung des Islam in seinem Erzfeind Saudi Arabien, in Ägypten und Jordanien, ein deutliches Zeichen für die Verschlechterung der türkisch-iranischen Beziehungen. Verschiedene Leitartikel in der iranischen Presse haben die entstehende Rivalität zwischen dem Iran und der Türkei und den Konflikt über die syrische Frage kommentiert.

Der Kampf gegen Israel als kleinster gemeinsamer Nenner mit der sunnitisch-arabischen Welt

Der Kampf gegen Israel und den „globalen Zionismus“ stellt zusammen mit der Leugnung des Holocausts den nahezu ausschließlichen gemeinsame Nenner des Iran mit dem Großteil der sunnitisch-arabischen Welt dar. Dies ermöglicht dem Iran, die arabisch-persischen wie sunnitisch-schiitischen Gegensätze zu überbrücken – unter Umgehung der arabischen Führungsschichten. Doch angesichts der von Saudi Arabien unter Sunniten propagierten Stigmatisierung als „schiitischer Dämon“ ist zu bezweifeln, ob der schiitische Iran dadurch zum akzeptablen Partner im Wandel des Nahen Ostens wird.

Der Iran hat bereits vorgefühlt, ob die diplomatischen Beziehungen zwischen Iran und Ägypten wieder aufgenommen werden können und eine parlamentarische Delegation des Iran unter Leitung des Vorsitzenden des Komitees für Außenpolitik und Nationale Sicherheit der Madschlis hat Kairo besucht. Ebenso reisten eine Reihe ägyptischer Delegationen bereits nach Teheran. Doch das wechselseitige Misstrauen bleibt groß. Die iranische Zeitung Jomhour-e Eslami, die während der Regierung Mubaraks eine harte kritische Linie gegen Ägypten gefahren hatte, schrieb neulich unter der Überschrift „Gespräche mit den Dieben der Revolution,“ dass die ägyptische Revolution nach wie vor vor Problemen stünde und kritisierte die iranische Politik dafür, voreilig Beziehungen zu Ägypten aufbauen zu wollen mit Verweis darauf, dass die Bedingungen noch nicht reif seien zur Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen zu Kairo.[10]

Zusammenfassung

Der Iran betrachtet die neuen Realitäten im Nahen Osten als Möglichkeit, um die islamistische Agenda zu propagieren, die er schon immer gepredigt hat. Auch wenn die iranische Propaganda und antiisraelische Hetze gegenwärtig identisch scheinen mit den Rufen, die auch auf der arabischen Straße zu vernehmen sind, sowie sich mit der islamistischen Agenda decken, die sich im neuen Nahen Osten ausmachen lässt, so ist doch zweifelhaft, ob dies ausreichen wird, die Stellung des Iran innerhalb der arabischen Länder zu verbessern. Grundsätzliche Antipathien haben bislang dem iranischen Aktivismus in der Region Grenzen gesetzt und bestehen weiter. Die fortgesetzte Unterstützung Bashar Assads, der damit fortfährt sein Volk abzuschlachten, dürfte zu einer weiteren Entfremdung jener führen, die die Revolutionen in der arabischen Welt getragen haben und immer noch tragen. Der Iran wird einen Preis für das Bündnis mit Assad bezahlen.

Zusätzlich dazu ist die Türkei als Akteur in die nahöstlichen Umwälzungen eingetreten und versucht mit einer neoosmanischen Agenda denselben Freiraum auszunutzen, den der Iran beansprucht. Die Türkei konkurriert mit dem Iran um die Stimme derselben Straße, wenn sie aggressive Töne an Israel richten. Die Türkei konnte eine Reihe von Erfolgen in dieser Rivalität verzeichnen – von der Gaza-Flotille und seiner internationalen Folgen bis hin zur Ausweisung des israelischen Botschafters, Erdogans Besuch in Ägypten und die Drohungen, Israel auf dem Meer die Stirn zu bieten (als Gegengewicht zu den iranischen Kriegsschiffen im Suezkanal).

Der Iran behauptet, dass diejenigen, die die israelischen Botschaft in Kairo gestürmt haben, sich von der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Kairo 1979 inspirieren ließen, doch in Wirklichkeit scheint die Ausweisung des israelischen Botschafters aus Ankara einen frischeren Abdruck in der Erinnerung hinterlassen zu haben. Iran und die Türkei sind Konkurrenten bei der Neugestaltung des Nahen Ostens. Reagierte der Iran ursprünglich mit Zurückhaltung auf die Türkei, wird er zunehmend offensiver. Er hat die Türkei für ihren „liberalen Islam“ und die Zusammenarbeit mit dem Westen angegriffen. Es ist zu erwarten, dass die Spannungen zwischen den beiden Ländern im Kampf um die „freien Araber“ zunehmen werden. In jedem Fall gibt es einen gemeinsamen Nenner – Feindseligkeit gegen Israel.


Oberstlt. a.D. Michael Segall ist Nahostanalyst und Berater des Intelligence and Terrorism Information Center, sowie ehemaliger Direktor der Iran-und-Golfstaaten-Abteilung des militärischen Nachrichtendienstes Israels.


[1] http://www.ummatona.com/?lang=fa

[2] http://www.iran-newspaper.com/1390/6/21/Iran/4886/Page/2/Index.htm

[3] http://www.isna.ir/ISNA/NewsView.aspx?ID=News-1833504&Lang=E

[4] http://www.tehrantimes.com/index.php/politics/2490-iran-celebrates-initial-launch-of-bushehr-nuclear-power-plant

[5] http://www.leader.ir/langs/fa/index.php?p=bayanat&id=8501

[6] http://president.ir/fa/?ArtID=29570

[7] http://english.farsnews.com/newstext.php?nn=9006050102

[8] http://www.tehrantimes.com/index.php/politics/1885-ayatollah-censures-turkey-for-its-policy-on-syria

[9] http://abna.ir/data.asp?lang=3&id=261694

[10] http://www.jomhourieslami.com/1390/13900511/13900511_01_jomhori_islami_sar_magaleh_0001.html