Amnesie International: Wie steht es tatsächlich um Gaza?

Amnesie International: Wie steht es tatsächlich um Gaza?

Justus Reid Weiner und Dimitri Teresh

In ihrer Studie „Suffocating: The Gaza Strip Under Israeli Blockade“[1] behauptet die Organisation Amnesty International, dass die Einwohner Gazas unter der sogenannten Blockade außergewöhnlich leiden würden. Diese Behauptungen verdunkeln dabei die tatsächliche Beziehung zwischen Israel und Gaza. Zunächst und vor allem gingen Tausende von Raketen- und Mörserangriffe durch die Hamas den von Israel verhängten wirtschaftlichen Sanktionen voraus und lösten diese aus.[2] Trotz dieser Tatsache ist einem Bericht des Verteidigungsministeriums zufolge die Zufuhr von humanitären Gütern 2009 um nahezu 900 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.[3] Dessen ungeachtet werden die ewigen Kritiker Israels, wie z.B. Amnesty, immer lauter. Wie dieser Artikel zeigen möchte, verzehrt ein Anprangern der mutmaßlichen humanitären Notlage in Gaza das Gesamtbild vor Ort und übersieht die eigentliche Ursache für die ganz sicher schlechten Bedingungen, unter denen die Einwohner Gazas zu leben haben.

Die „bevorstehende humanitäre Krise“ in Gaza wird seit spätestens 1996 regelmäßig prophezeit. Im Jahr 2000 verschärften einige Nichtregierungsorganisationen, unter ihnen Amnesty, den Druck auf Israel, in dem sie behaupteten, dass der jüdische Staat verantwortlich sei für die „bevorstehende humanitäre Krise/Katastrophe“ im Gazastreifen. Diese Wortwahl wurde 2001 wiederholt und seitdem jährlich von 2002 bis 2010. Gaza „steht“ also seit über 10 Jahren in Folge eine humanitäre Krise „bevor“. Man könnte meinen, der Himmel falle auf den Kopf.

Zwei relativ unbekannte Faktoren der Situation in Gaza sollten nicht unerwähnt bleiben, wenn es um die angeblich beständige „humanitäre Krise“ in Gaza geht. 1) Die der Küste vorgelagerten Gasvorkommen Gazas sind geschätzte 2 Mrd. Dollar wert.[4] Könnte die Hamas-Regierung die politische Situation lang genug stabilisieren, um das Gas zu fördern, dann könnte Gaza von den Erlösen profitieren. Die Einwohner Gazas könnten sogar in die Mittelschicht aufsteigen. 2) Die Bevölkerung Gazas ist relativ gesund und gut ausgebildet. Die klassischen Indikatoren für den Lebensstandard weisen Gaza eine einigermaßen starke Position zu. Die Lebenserwartung in Gaza ist 72,34 Jahre,[5] höher als in Russland (65,94),[6] auf den Bahamas (65,72),[7] in Indien (69,25),[8] der Ukraine (68,06) [9] und Ost-Glasgow (Schottland), wo die männliche Lebenserwartung 69,3 Jahre beträgt.[10] Ebenso verzeichnet Gaza eine geringere Säuglingssterblichkeit (21.35 je 1 000 Geburten)[11] als Angola (182,31),[12] Iran (36,93),[13] Indien (32,31),[14] Ägypten (28,36),[15] und Brasilien (26,67).[16] Am überraschendsten mag vielleicht sein, dass trotz der sensationsgierigen Berichterstattung, welche Gazas Chancen auf eine bessere Zukunft immer wieder beerdigt, die Alphabetisierungsrate in Gaza bei erstaunlichen 92,4 Prozent liegt.[17] Das sind weitaus mehr als in Indien (47,8),[18] Ägypten (59,4)[19] und sogar im reichen Saudi Arabien (70,8).[20]

Während Amnesty Israel für alle Probleme in Gaza beschuldigt, unterschlägt die Organisation die Wahlerfolge der Hamas. Selbst vor dem Putsch, mit dem die Hamas die Autonomiebehörde von Mahmoud Abbas entmachtete, gewann die Hamas dadurch, dass sie von der deutlichen Mehrheit der palästinensischen Wählerschaft gewählt wurden.[21] Die Hamas hat ihren religiösen Fanatismus oder die von ihnen beabsichtigten Methoden nie verheimlicht. Die Hamas-Charta ist deutlich in ihrer Absicht, Gewalt als Mittel anzuwenden, um Israel zu zerstören und alle Einwohner unter islamisch-palästinensisches Recht zu stellen.[22] Die Hamas verkündet offen, dass sie nicht kompromissbereit ist: „friedliche Lösungen und internationale Konferenzen sind ein Widerspruch zu den Prinzipien der islamischen Widerstandsbewegung.“[23] Die Wähler in Gaza wussten sehr wohl, was für Folgen die Herrschaft der fundamentalistischen Hamas für die Lebensbedingungen haben würde.

Es wurde immer wieder dokumentiert, wie die Hamas, wenn Israel den Transport von für die Zivilbevölkerung Gazas gespendeten Gütern bereitstellt und gestattet, „Versorgungsgüter für ‚terroristische Zwecke‘ abzweigt.“[24] Die wiederholte Klage Amnestys, dass Israel den Import von Baumaterial verhindere, unterschlägt, dass der gleiche Zement, der zum Wiederaufbau von Schulen dient, auch benutzt werden kann, um Schmuggeltunnel und Bunker zu bauen.

Die jüngste Amnesty-Studie strotzt vor Verweisen auf das Völkerrecht, ohne eine einzige spezifische Vorkehrung, die verletzt wurde, zu nennen. Zudem bleibt unklar, wieso Amnesty den Begriff der „kollektiven Bestrafung“ verwendet, da keine beabsichtigt ist und, was, wie weiter unten diskutiert, noch viel wichtiger ist, von Israel auch nicht herbeigeführt wird.

Im Gegensatz zu der von Amnesty formulierten Kritik ist kein Land verpflichtet, seine Grenzen zu öffnen. Da Israel rechtlich nicht gezwungen ist, Treibstoff- oder irgendeinen anderen Handel mit Gaza zu betreiben oder seine Grenzen zu Gaza offenzuhalten, kann es nach eigenem Ermessen Handelsgüter zurückhalten und seine Grenzen versiegeln, auch wenn es damit vielleicht beabsichtigt, den Terrorismus der Hamas zu bestrafen. Die Auferlegung von Wirtschaftssanktionen gegen den Gazastreifen von Seiten Israels, wie z.B. die Einstellung von Treibstoff- und Elektrizitätslieferungen, bedarf keiner militärischen Gewalt und ist somit ein rechtlich einwandfreies Mittel, um auf die Angriffe aus dem Gazastreifen zu antworten, trotz aller tragischen Folgen für die palästinensische Zivilbevölkerung.

Die Anwendung von wirtschaftlichen und anderen nichtmilitärischen Sanktionen zur Disziplinierung fremder internationaler Akteure für ihr Fehlverhalten ist eine völkerrechtlich verankerte Praxis, die als „Retorsion“ bezeichnet wird.[25] Es wird grundsätzlich anerkannt, dass jedes Land Retorsion anwenden kann,[26] sogar, dass Staaten über Retorsion hinausgehen dürfen, um mit nichtmilitärischen Gegenmaßnahmen zu bestrafen, auf eine Art und Weise, die ansonsten rechtswidrig wäre – z.B. durch Aufhebung von Flug- und Luftabkommen.[27]

Das Völkerrecht verbietet zwar „Kollektivbestrafung“[28], doch entgegen der Behauptungen Amnestys, sind keine der israelischen Kampfeinsätze und Retorsionen als Kollektivbestrafung zu betrachten. Das Verbot dieser Art von Bestrafung untersagt die Auferlegung von Strafmaßen auf Individuen oder Gruppen auf Grundlage der Schuld anderer, oder die Anordnung von Handlungen, die die Regeln von Unterscheidung und Proportionalität verletzen.[29] Keine der Handlungen Israel beinhaltet derartiges Vorgehen. Amnesty scheint ganz offensichtlich zu vergessen, dass es kein einziges Verfahren gegen eine auf „Wirtschaftssanktionen“ basierenden Kollektivbestrafung gegen hat. Amnesty fühlt sich offensichtlich darin gerechtfertigt, gewohnheitsmäßiges Völkerrecht zu erfinden.

Amnesty wiederholt häufig den Wunsch nach produktiven Friedensbemühungen im Nahen Osten. Dennoch verhandelt die ganze Studie nur die Konsequenz eines kaum angesprochenen Problems – die fortgesetzten Raketen und Mörserangriffe der Hamas. Die Erwähnung dieser tatsächlichen Angriffe sind lediglich Lippenbekenntnisse und Amnesty deutet an keiner Stelle an, wie mit ihnen umgegangen werden soll. Stattdessen beharrt Amnesty darauf, dass die Sanktionen, die die Hamas behindern, aufzuheben die Situation verbessern würde. Doch das Aushöhlen friedlicher Maßnahmen zur Wahrung der Sicherheit würde die Chancen auf Frieden eher verringern, die Wahrscheinlichkeit von Gewalt und Konfrontation jedoch erhöhen. Jene, die nicht unter einer derartigen Amnesie leiden, sehen den wahren Verantwortlichen an der tragischen Situation in der Terrororganisation Hamas.

Im Gegensatz zu dem, was Amnesty in seiner Studie behauptet, bemüht sich Israel außerordentlich darum, die Entstehung einer humanitären Krise in Gaza zu verhindern. Israel hat die „Gaza Coordination and Liason Administration“ (CLA) eingerichtet, in der Regierungsministerien mit den israelischen Streitkräfte rund um die Uhr zusammenarbeiten, um auf humanitäre Probleme in Gaza zu reagieren.[30] Der ehemalige CLA-Kommandeur Col. Nir Press sprach in dem Zusammenhang offen über die „gut geschmierte Medien- und Propaganda-Maschine der Hamas, die es geschafft hat, ‚humanitäre Krisen‘ aus dem Hut zu zaubern.“[31] Als Beispiel nannte er die israelische Entscheidung vom Frühjahr 2008, Treibstofflieferungen auszusetzen, nachdem Palästinenser das Treibstofflager Nahal Oz angegriffen hatten.[32] Bevor Israel die Lieferungen einschränkte hatte es alle Treibstofftanks in Gaza bis ans Maximum füllen lassen. Doch die Hamas nutzte die Situation für einen PR-Vorteil, rührte das Benzin nicht an und schickte Hunderte von Menschen mit Eimern zum Schlange stehen an die Tankstellen Gazas, um so den Eindruck zu erwecken, dass es im Gazastreifen an Treibstoff mangele.[33] Diese Show wurde nur dadurch beendet, dass Journalisten palästinensische Zeitungen und Unternehmer in Gaza kontaktierten, um ihnen zu erklären, dass die Tanks voll wären, die Hamas sie jedoch vorsätzlich nicht angerührt hätte. Nur aufgrund des inneren palästinensischen Drucks hatte die Hamas keine andere Wahl, als das Benzin zu verteilen.“[34] Nur ein weiteres Täuschungsmanöver der Hamas, auf das gutmeinende NGOs und Medien hineinfielen.

Schließlich bliebe zu sagen, dass Amnesty besser beraten wäre, seine Anstrengung an jenen Orten zu intensivieren, wo humanitäre Hilfe notwendig ist und die nicht ihre Nachbarn terrorisieren. Global betrachtet, erhalten die Einwohner Gazas die meiste internationale Hilfe pro Kopf.[35] Die von US-Außenministerin Clinton in Aussicht gestellten 900 Mio. Dollar[36] könnten vermutlich jede Menge dazu beitragen, dass Leiden der Millionen in Haiti unter verzweifelten Umständen Lebenden zu lindern. Die Haitianer würden auch keine Gelder abzweigen, um mit Raketen und Mörser die benachbarte Dominikanische Republik anzugreifen.


[1] “Suffocating: The Gaza Strip Under Israeli Blockade,” Index: MDE 15/002/2010, Jan. 2010, http://www.amnesty.ie/amnesty/upload/images/amnesty_ie/campaigns/Israel%20OPT/Suffocating%20The%20Gaza%20Strip%20under%20Israeli%20Blockade.pdf

[2] “The Hamas Terror War Against Israel,” Israel Ministry of Foreign Affairs, as of January 14, 2010, http://www.mfa.gov.il/MFA/Terrorism-+Obstacle+to+Peace/Palestinian+terror+since+2000/Missile+fire+from+Gaza+on+Israeli+civilian+targets+Aug+2007.htm; “Israel to Impose Hamas sanctions,” BBC News, February 19, 2006, http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/4729000.stm

[3] “Increased Humanitarian Aid to Gaza after IDF Operation,” Coordination of Government Activities in the Territories, Israeli Ministry of Defense, January 9, 2010, http://www.mfa.gov.il/MFA/Government/Communiques/2009/Increased_humanitarian_aid_Gaza_after_IDF_operation_Jan_2009

[4] Tim Butcher, “Gaza Doesn’t Need Aid: It Has a £2bn Gas Field,” Daily Telegraph, November 7, 2007, http://www.telegraph.co.uk/opinion/main.jhtml?xml=/opinion/2007/11/07/do0705.xml.

[5] The World Factbook – Gaza Strip, CIA, 15 July 2008, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/gz.html#Intro.

[6] “Life Expectancy at Birth – Country Comparison,” as of January 1, 2008, http://www.indexmundi.com/g/r.aspx?t=50&v=30.

[7] Id.

[8] “India Life Expectancy at Birth,” as of May 16, 2008, http://www.indexmundi.com/india/life_expectancy_at_birth.html .

[9] “Ukraine Life Expectancy at Birth,” as of May 16, 2008, http://indexmundi.com/ukraine/life_expectancy_at_birth.html.

[10] “FactCheck: Glasgow Worse than Gaza?,” Channel 4 News, 7 July, 2008, http://www.channel4.com/news/articles/society/health/factcheck+glasgow+worse+than+gaza/2320267.

[11] The World Factbook – Gaza Strip, CIA, 15 July 2008, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/gz.html#Intro.

[12] “Infant Mortality Rate – Country Comparison,” as of January 1, 2008, http://indexmundi.com/g/r.aspx?c=tp&v=29.

[13] Id.

[14] Id.

[15] Id.

[16] Id.

[17] The World Factbook – Gaza Strip, CIA, 15 July 2008, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/gz.html#Intro.

[18] “Literacy – Country Comparison,” as of January 1, 2008, http://www.indexmundi.com/g/r.aspx?c=in&v=39.

[19] Id.

[20] Id.

[21] “The Final Results of the Second PLC Elections,” Central Elections Commission – Palestine, January 29, 2006, http://www.elections.ps/template.aspx?id=291

[22] Hamas Charter, Article 6, http://mideastweb.org/hamas.htm

[23] Hamas Charter, Article 13

[24] “Rights Groups: Humanitarian ‘Implosion’ Grips Gaza,” CNN, March 6, 2008, http://edition.cnn.com/2008/WORLD/meast/03/06/gaza.crisis/?iref=hpmostpop.

[25] Encyclopedia of Public International Law, 335 (1986); Oppenheim’s International Law, 134 (H. Lauterpacht ed., 7th ed. 1952).

[26] Elisabeth Zoller, Peacetime Unilateral Remedies: An Analysis of Countermeasures 7 (1984).

[27] Es gibt zahllose Beispiele für Retorsion in den internationalen Beziehungen. So froren die Vereinigten Staaten ihren Handel mit Uganda 1978 ein, nachdem Vorwürfe von Völkermord laut wurden, sowie nach der Revolution im Iran 1979. 2000 schränkten vierzehn europäische Staaten diverse diplomatische Beziehungen mit Österreich ein, nachdem Jörg Haider an der Regierung beteiligt wurde. Viele Staaten hoben ihre diplomatischen wie wirtschaftlichen Beziehungen mit Südafrika als Strafe für die Apartheid auf. In keinem dieser Fälle wurde der Vorwurf von Kollektivbestrafung laut. Die Einschränkung von internationalen Handelsbeziehungen ist nicht identisch mit Kollektivbestrafung.

[28] Article 75(4)(b) of Protocol I Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and Relating to the Victims of International Armed Conflict, June 8, 1977, 1125 UNT.S. 3-608. Obwohl Israel kein Vertragsstaat dieses Protokolls ist, wird das Verbot von Kollektivbestrafung als gewohnheitsmäßiges Völkerrecht betrachtet. See Dinstein, supra note 17, at 21.

[29] Id.

[30] Yaakov Katz, “Security and Defense: A Colonel of Hope,” Jerusalem Post, July 31, 2008, http://www.jpost.com/servlet/Satellite?cid=1215331161934&pagename=JPost%2FJPArticle%2FShowFull.

[31] Id.

[32] Id.

[33] Id.

[34] Id.

[35] Carol Migdalovitz, “Israel-Arab Negotiations: Background, Conflicts, and U.S.,” CRS Report RL33530, Dec. 22, 2006, http://www.au.af.mil/au/awc/awcgate/crs/rs22370.pd

[36] Reuters, “U.S. plans to pledge $900 million for Gaza,” Feb. 23, 2009, http://www.haaretz.com/hasen/spages/1066381.html