Ägypten im Sisi-Fieber – Vom General zum Präsidenten?
Ägypten im Sisi-Fieber – Vom General zum Präsidenten?
Dr. Jacques Neriah
• General Abd el-Fattah el-Sisi, maßgeblich verantwortlich für den Sturz des ägyptischen Präsidenten Mursi am 3. Juli 2013, ist gegenwärtig sowohl Oberkommandierender der Streitkräfte, erster Vize des Premierministers und Minister für Verteidigung und militärische Produktion. Im Unterschied zu seinen Vorgängern geht er entschieden gegen die dschihadistischen Kämpfer auf dem Sinai vor, um vor Ort die ägyptische Souveränität wiederherzustellen und die Macht der Hamas im Gazastreifen zu reduzieren.
• Sisi sieht sich als Retter berufen, um Ägypten vor der Muslimbruderschaft zu bewahren. Talkshows und Leitartikel haben sich für eine mögliche Präsidentschaftskandidatur des Generals ausgesprochen, um – wie sie es nennen – die terroristische Bedrohung des Landes zu bekämpfen. Die meisten anderen Kandidaten haben derweil angedeutet, sie würden im Falle einer Kandidatur Sisis auf ihre verzichten.
• Die Anstrengungen mehren sich, Sisi zum politischen Erben der Präsidentenikone Gamal Abd el-Nasser zu erklären. Sisi nahm entsprechend an der Gedenkveranstaltung zum 43. Todestag Nassers teil, wo sein Porträt neben dem von Nasser gezeigt wurde. In Ägypten wird letzterer als ein Führer gesehen, der die Muslimbruderschaft bekämpft und das Land an die Spitze der arabischen Welt und der Blockfreien Staaten gebracht hat.
• Auf diese Weise versucht Sisi, seinen Führungsanspruch nicht nur gegenüber den Ägyptern, sondern auch gegenüber der amerikanischen Regierung zu legitimieren, die diesen in Frage stellt und ihn als Anführer eines Umsturzes betrachtet. So eröffnet sich auch für Russland eine Möglichkeit sich in Ägypten einzubringen und die eigene Position im Nahen Osten zu stärken.
• Die amerikanische Entscheidung, Ägypten die Finanzhilfe zu streichen und die Lieferung von Waffensystemen zu verzögern, hat den Zusammenhang zwischen amerikanischer Unterstützung Ägyptens und der ägyptischen Einhaltung des Friedensvertrages mit Israel aufgekündigt. Die 14 Mrd. Dollar, die Ägypten unmittelbar nach Sisis Machtübernahme von Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten überwiesen wurden sowie die weiteren 40 Mrd., die versprochen sind, gemahnen daran, dass die Ägypter nicht mehr unbedingt auf die Amerikaner angewiesen sind.
• Beobachter weisen immer wieder auf den allmählichen Stimmungsumschwung in Ägypten hin, bei dem den Amerikanern nach anfänglicher Freundschaft und Bewunderung nun mit offener Feindschaft begegnet wird. Tatsächlich hat die Krise mit der Obama-Administration und Sisis Umgang damit dessen Glaubwürdigkeit als selbstbewusster ägyptischer Nationalist untermauert, der sogar einer Supermacht die Stirn bietet – v.a. einer, die die Muslimbruderschaft in Ägypten und anderswo unterstützte.
Seit der Entmachtung Präsident Mursis am 3. Juli 2013 kommt der Frage nach dem nächsten gewählten Präsidenten Ägyptens im Land und international einige Aufmerksamkeit zu. Die Präsidentschaft Mursis hatte das Ausmaß aufgezeigt, mit dem ein ägyptischer Präsident in der Lage ist, den Kurs eines Landes und seine Innen- wie Außenpolitik zu bestimmen. Entsprechend kann die Energie nicht verwundern, die Analysten der ägyptischen Politik gegenwärtig investieren, um die Absichten General Abd el-Fattah el-Sisis zu entschlüsseln, dem aktuellen „starken Mann“ Ägyptens.
Sisi ist gegenwärtig sowohl Oberkommandierender der Streitkräfte, erster Vize des Premierministers und Minister für Verteidigung und militärische Produktion. Nicht nur hat er den Sturz Mursis angeführt, sondern seit dem 14. August eine umfassende Ausschaltung der politischen Macht der Muslimbrüder durchgeführt, die ihre Parallele nur in jenem Vorgehen Präsident Nassers gegen die Bruderschaft 1954 findet. Im Unterschied zu seinen Vorgängern geht Sisi auch entschieden gegen die dschihadistischen Kämpfer auf dem Sinai vor, um vor Ort die ägyptische Souveränität wiederherzustellen und die Macht der Hamas im Gazastreifen zu reduzieren.
Doch gegenüber seinen Zukunftsplänen zeigt sich Sisi eher zurückhaltend und ließ über einen Armeesprecher verkünden, dass er nicht beabsichtige, Anfang 2014 um die Präsidentschaft zu kandidieren. Dagegen spricht allerdings seine Verhalten, das auf die Vorbereitung einer Kandidatur schließen lässt, ist doch jene die einzige gangbare Option für das militärische Establishment, aber auch für ihn selbst. In der Theorie könnte er natürlich seine Position auch unter einem neu gewählten Präsidenten behalten, doch ebenso wahrscheinlich ist, dass er das Schicksal seines Vorgängers – Feldmarschall Tantawi – erleidet, dessen Kariere mit einer Unterschrift beendet wurde. Sisi würde allerdings seine Gegner nicht dadurch aufstacheln wollen, dass er all zu früh mit der Präsidentschaft liebäugelt und so eine Lage schafft, in der er unter Rechtfertigungsdruck geriete.
Der Retter Ägyptens
Die Entwicklungen in Ägypten scheinen eine Situation kreiert zu haben, in der sich Sisi als Retter berufen sieht, um Ägypten vor der Muslimbruderschaft zu bewahren und das Land nicht nur als ägyptischer Nationalist zu führen, sondern auch als arabischer Held. Könnten die maßgeblichen Medien und politischen Machtkreise aktuelle darüber abstimmen, dann würde Sisi nahezu ohne Herausforderer zum Präsidenten gewählt.
Kein Beobachter der ägyptischen Politik kann gegenwärtig die Öffentlichkeitskampagne ignorieren, die z.T. von den Behörden getragen wird und in der seit Wochen Loblieder auf Sisi ertönen. Von der Fernsehwerbung, die sonst Essen anpreist, über Gruppen auf sozialen Netzwerken hin zu Postern auf der Straße scheint Ägypten von einem Sisi-Fieber erfasst worden zu sein. Talkshows und Leitartikel haben sich für eine mögliche Präsidentschaftskandidatur des Generals ausgesprochen, um – wie sie es nennen – die terroristische Bedrohung des Landes zu bekämpfen. Auch die lokalen Medien bieten breit gefächerte Unterstützung für eine Kandidatur Sisis. Tatsächlich hätte er auch keine echten Gegner zu erwarten. Die meisten anderen Kandidaten – Amr Moussa, Ahmad Shafik, Hamdeen Sabahi, Abd El-Muneim Aboul Foutouh – haben derweil angedeutet, sie würden im Falle einer Kandidatur Sisis auf ihre verzichten.
Hinzu kommt eine Reihe von Kampagnen, die in jüngster Zeit lanciert wurden, den General zur Kandidatur auffordern und Titel tragen wie „Nutze die Gelegenheit“, „Die Forderung einer Nation“ und „Al-Sisi zum Präsidenten.“ Ihr Ziel ist es, Unterschriften zu sammeln in der Hoffnung, dass 30 Millionen Unterzeichner Sisi zur Kandidatur bewegen so wie ihn die Petition von Millionen gegen Mursi eingreifen ließ.
Nassers Erbe
Es besteht kein Zweifel darüber, dass das „Sisi-Fieber“ zum Teil von Sisi selbst oder von Leuten aus seinem Umfeld befeuert wird. Von Seiten seiner Unterstützer werden sein Charisma, seine Popularität und seine Autorität unterstrichen. Sie betonen zudem, dass Sisi jemand sei, der in der Lage ist, harte und harsche wie unbeliebte Maßnahmen zu ergreifen und sich gleichzeitig als „Hüter des Volkswillens“ zu inszenieren, indem er umgangssprachliche und sentimentale Reden an die Nation hält.
Es gibt umfassende Anstrengungen, Sisi zum politischen Erben der Präsidentenikone Gamal Abd el-Nasser zu erklären. Sisi hat den Nasseristischen Kult selbst wiederbelebt und nahm entsprechend an der Gedenkveranstaltung zum 43. Todestag Nassers teil. Mit seiner Billigung werden sein Porträt neben dem des verehrten Präsidenten gezeigt. Er selbst hat Nassers Sohn und Tochter zu offiziellen Zeremonien (wie der Gedenkzeremonie zum „Oktoberkrieg“, wie der „Yom-Kippur-Krieg“ in Ägypten bezeichnet wird) eingeladen und „magische Worte“ Nassers in seinen Reden verwendet, die ihn in den Augen der Ägypter als Nachfolger Nassers erscheinen lassen – jenen Führer, der die Muslimbruderschaft bekämpft und das Land an die Spitze der arabischen Welt und der Blockfreien Staaten gebracht hatte.
In gewisser Hinsicht dient die Wiederbelebung der Erinnerung an Nasser Sisi zur Befriedigung tief sitzender Sehnsüchte nach einer Zeit ägyptischer Prominenz in der arabischen und globalen Politik. Die Familie Nassers mobilisiert ebenfalls, um Sisi die nötige Legitimität als Nachfolger Nassers zu verleihen. Nassers Tochter Huda verfasste einen offenen Brief, in dem sie Sisi dazu aufforderte, „einen Schritt nach vorn zu machen und die Verantwortung zu übernehmen, die das Schicksal Ihnen übertagen hat.“ Auf der Liste der Persönlichkeiten, die für das Podium eingeladen wurden, um den ägyptischen „Sieg“ im „Oktoberkrieg“ zu feiern, finden sich Nassers Sohn Ab del-Hakim, Jihan Sadat (die Frau des ermordeten Präsidenten Sadats), Feldmarschal Tantawi und andere Würdenträger aus der arabischen Welt. Abwesend blieb der ehemalige Stabschef Samy Anan, was vermutlich daran lag, dass dieser sich als Kandidat für die Präsidentschaft 2014 ins Spiel gebracht hatte. Den Ägyptern erscheint Sisi als Vereiniger, als Führer, der seinen Vorgängern den ihnen zustehenden Platz in der ägyptischen Geschichte zuweist. Auf diese Weise versucht Sisi, seinen Führungsanspruch nicht nur gegenüber den Ägyptern, sondern auch gegenüber der amerikanischen Regierung zu legitimieren, die diesen in Frage stellt und ihn als Anführer eines Umsturzes betrachtet.
Die Wiederbelebung des Nasserismus stellt eine Herausforderung dar. Die Beziehungen Nassers mit den Vereinigten Staaten wie auch die zu Israel waren ausgesprochen schlecht. Sisi hat den Friedensvertrag mit Israel nicht in Frage gestellt und dürfte dies auch zukünftig so lange nicht tun, bis er seine Hauptaufgabe der Machtkonsolidierung und die Niederschlagung des Widerstands der Muslimbrüder erfüllt hat. Als Chef des militärischen Geheimdienstes ist Sisi über die Komplexität der ägyptisch-israelischen Sicherheitsbeziehungen informiert und sich darüber im Klaren, dass die von Israel aufgeworfene Sicherheitsfrage auf dem Sinai primär die Stabilität Ägyptens gefährdet. Solange Israel dem ägyptischen Ansinnen, die Truppenstärke auf dem Sinai zur Bekämpfung der Dschihadisten zu erhöhen, zustimmt und damit willentlich die im Friedensvertrag geforderte Beschränkung ägyptischer Truppen auf dem Sinai ignoriert, dürfte Sisi die Spielregeln im Umgang mit Israel nicht antasten.
Wut auf die Vereinigten Staaten
In das Verhältnis zwischen Israel und Ägypten hat sich derweil ein neues Element gemengt. Jahrelang hatten die Ägypter von den Amerikanern zu hören bekommen, dass die Fortsetzung der amerikanischen Finanzhilfe an der Bewahrung des Friedensvertrages mit Israel hänge. Die amerikanische Entscheidung, Ägypten die Finanzhilfe zu streichen und die Lieferung von Waffensystemen zu verzögern, hat den Zusammenhang zwischen der amerikanischen Unterstützung Ägyptens und der ägyptischen Einhaltung des Friedensvertrages mit Israel aufgekündigt, was bei den Ägyptern die Frage aufwirft, wie sich denn die Vereinigten Staaten nach Aufgabe des Druckmittels nun verhalten würden, sollte Ägypten den Friedensvertrag mit Israel in Frage stellen.
Die 14 Mrd. Dollar, die Ägypten unmittelbar nach Sisis Machtübernahme von Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten überwiesen wurden sowie die weiteren 40 Mrd. die versprochen sind, gemahnen daran, dass die Ägypter nicht mehr unbedingt auf die Amerikaner angewiesen sind. Die beiden Staaten waren die ersten, die die Bedeutung des Wandels in Ägypten verstanden hatten. In ihren Augen stellt Sisi einen potentiellen Verbündeten und Beschützer gegen die wachsende iranische Bedrohung im Golf dar und dies zu einer Zeit, in der die Macht der amerikanischen Interessen in der Region schwinden und durch eine Entwicklung ersetzt wird, die Beziehung zum Iran wiederaufzunehmen. Angesichts der schwerwiegenden und durch die Unruhen verschärften sozioökonomischen Probleme Ägyptens, könnte die Finanzhilfe der Saudis und der Emirate zum entscheidenden Faktor werden, der die Situation im Land unter der Herrschaft des Militärs konsolidiert.
Auch Russland ist die unerwartete saudisch-ägyptische Allianz nicht entgangen, wie sich beim jüngsten Besuch des Generaldirektors des saudischen Geheimdiensten, Prince Bandar, in Moskau und seinem vierstündigen Gespräch mit Präsident Putin gezeigt hat. Interessanterweise hat Bandar eine ähnliche Einladung nach Washington nicht angenommen, was indirekt von der Unzufriedenheit Riads mit der amerikanischen Nahostpolitik kündet.
US-Präsident Obama bevorzugt derweil das ägyptische Militärregime nicht öffentlich zu unterstützen. Nach den Ereignissen vom 14. August hatte er versucht, General Sisi anzurufen. Einigen Quellen zufolge soll Sisi das Gespräch nicht angenommen haben. Stattdessen hätten die Ägypter dem Weißen Haus vorgeschlagen, den Interimspräsidenten Adly Mansour zu sprechen, wozu wiederum die Amerikaner nicht bereit gewesen wären.
Beobachter weisen immer wieder auf den allmählichen Stimmungsumschwung in Ägypten hin, bei dem den Amerikanern nach anfänglicher Freundschaft und Bewunderung nun mit offener Feindschaft begegnet wird. Auch Israel hat unter diesem Wandel zu leiden. Die amerikanische Haltung – von Sisi als Im-Stich-lassen der Ägypter bezeichnet – gibt dem General Auftrieb, so wie Nasser vor Jahrzehnten Gelder der CIA nutzte, um einen Radiosendemast in Kairo zu bauen, der zum Leuchtfeuer des Antiamerikanismus in der Region wurde. Tatsächlich hat die Krise mit der Obama-Administration und Sisis Umgang damit dessen Glaubwürdigkeit als selbstbewusster ägyptischer Nationalist untermauert, der sogar einer Supermacht die Stirn bietet – v.a. einer, die die Muslimbruderschaft in Ägypten und anderswo unterstützte.