Syrien: Irans Schnellstrecke im Kampf gegen Israel
Syrien: Irans Schnellstrecke im Kampf gegen Israel
Michael Segall
Irans Unterstützung Syriens
Seit Beginn der syrischen Protestwelle als Teil der Umwälzung im Nahen Osten – die allmählich die Region nach islamistischem Bild formt – ist die strategische Allianz zwischen dem Iran (und der Hisbollah) und dem Regime Bashar Assads einer deutlichen Belastungsprobe ausgesetzt. Sowohl die internationale Gemeinschaft als auch das regionale arabische System (einschließlich der Türkei) bemühen sich um einen Wechsel, zu dem eine Absetzung Assads sowie die Förderung des demokratischen politischen Prozesses in Syrien gehören, während der Iran (und die Hisbollah) mit ihrer Unterstützung Syriens allein da stehen. Gleichzeitig versuchen China wie Russland dem westlichen wie arabischen Bemühen ein Gegengewicht entgegenzusetzen, indem sie eine scharfe Resolution des UN-Sicherheitsrates verhindern.
In der alten regionalen Ordnung des Nahen Ostens kam Syrien die Rolle eines Bollwerks zu, das der Iran mit einem immensen finanziellen, politischen und militärischen Aufwand aufgebaut hat. Als Staat hat Syrien eine Hauptrolle im „Lager des Widerstands“ inne, welches der Iran der „imperialistischen Präsenz“ in der Region entgegensetzt. Das Land ist logistischer Rückzugsort für die Hisbollah und – wenn auch im geringeren Maße – für andere nichtstaatliche Mitglieder des „Widerstands“ – v.a. die palästinensischen Terrororganisationen Hamas und Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ).
Der Arabische Frühling bzw. – wie der Iran es nennt – die „Islamische Erweckung“ traf das iranische „Widerstandslager“ auf dem Höhepunkt der Machtkonsolidierung. Die Hisbollah hatte die Übernahme der politischen Landschaft des Libanons vollendet, die Hamas ihre Herrschaft in Gaza befestigt und der Friedensprozess mit Israel war in seinen palästinensischen und syrischen Kanälen versiegt. Iran wiederum schritt in seinem Atomprogramm voran und projizierte seine regionale Macht, während die Vereinigten Staaten davon sprachen, den Rückzug aus Irak und Afghanistan zu vollenden. Entsprechend sah sich der Iran als erfolgreicher Sieger gegenüber den USA und dem Westen – beide wären „am Tiefpunkt ihrer militärischen und wirtschaftlichen Schwäche“ angekommen.
Doch nun, da Assads Regime mit einem ungebrochenen Sturm der Entrüstung konfrontiert wird und sich weigert, die Herrschaft trotz innerem wie äußerem Druck aufzugeben, unterstützt ihn sein Verbündeter Iran mit aller Kraft. Und dies geschieht trotz oder vielleicht gerade wegen der regionalen Bedingungen, die einen neuen Nahen Osten hervorbringen. Anscheinend wird der Iran einen Preis dafür zu zahlen haben, dass er sich dem Arabischen Frühling entgegenstellt und Assad uneingeschränkt unterstützt. Der Iran sieht seine eindeutige Unterstützung Assads – im Unterschied zum plötzlich Fallenlassen des langjährigen, mit den Vereinigten Staaten verbündeten ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak durch US-Präsident Barack Obama – als Zeichen seiner Macht und seiner Fähigkeit, der Revolution zu widerstehen und sich seinen Verbündeten gegenüber als treu zu erweisen, ungeachtet des regionalen Chaos.
Der Iran möchte dabei vorsichtig vorgehen, ohne die wesentlichen Elemente seiner Politik aufzugeben und die wichtigsten Trümpfe in der Region zu verlieren – Syrien, die Hisbollah und die palästinensischen Terrororganisationen. Teheran ist sich sehr wohl darüber im Klaren, dass Assad eventuell gestoppt werden wird, doch gegenwärtig lässt es ihm seine volle Unterstützung zukommen – einschließlich sicherheitspolitische wie militärische,[1] wirtschaftliche und diplomatische Hilfe (wozu die Koordination von Positionen mit Russland und China gehört).[2] Der Iran glaubt, dass am Ende die „islamische Ummantelung“ – die sich bereits in den ägyptischen und tunesischen Wahlen mit dem Triumph islamistischer Bewegungen, mit denen der Iran während und trotz der Herrschaft der Diktatoren Verbindungen unterhielt, abzuzeichnen beginnt – die prowestlichen Regime der Region als Teil der „Islamischen Erweckung“ ersetzen wird. Aus Sicht des Iran würde dieser islamistische Klimawandel, der im Wesentlichen Israel und den Vereinigten Staaten gegenüber feindlich gesinnt ist, den möglichen Verlust Syriens wett machen und das „Lager der Widerstands“ auf Basis einer breiten islamistischen und ideologischen Israel- und Amerikafeindschaft festigen.
Gegenwärtig bevorzugt der Iran, beide Zügel im Griff zu halten: man unterstützt das syrischen Regime und hilft ihm – mit Hilfe der Hisbollah – zu überleben, die Proteste zu unterdrücken, sowie die Vereinigten Staaten, Israel und die moderaten arabischen Staaten, deren Regierungen sich noch halten (Saudi Arabien, Jordanien, Katar und die Arabische Liga), als federführend hinter den Umsturzversuchen gegen Assad zu portraitieren, weil jener das antiisraelische und antiwestliche Widerstandslager seit Jahren angeführt habe. Der Iran verfolgt diesen Kurs, auch wenn er weiß, dass im Fall von Assads Sturz ein hoher politischer und militärischer Preis zu bezahlen sein wird im Hinblick auf das Verhältnis zum nächsten Regime und die Möglichkeit, die Hisbollah über die syrisch-türkische Verbindung zu unterstützen.
Tatsächlich beginnt die Loyalität gegenüber Syrien dem Iran teuer zu stehen kommen in Form von Spannungen mit der islamistisch geführten Türkei. Der Iran hat begonnen, die Türkei für ihre Unterstützung des Westens in der Syrienfrage zu kritisieren und mit fortschreitender Verschlechterung der Beziehungen den Islam der Türkei als „westlichen Islam“ bezeichnet – ein Vorwurf, den der Iran bislang den gemäßigten arabischen Staaten und v.a. Saudi Arabien zukommen ließ.
Syrien – „Das Goldene Glied in der Kette des antiisraelischen Widerstands“
Die gegenwärtige iranische Position gegenüber der gegen Syrien gerichteten „Verschwörung“ sowie die Rolle Syriens in der allgemeinen Regionalpolitik des Iran wurde recht deutlich von Ali Akbar Velayati formuliert, dem Sonderassistenten für auswärtige Beziehungen des Obersten Führers des Iran Ali Khamenei. Gegenwärtig koordiniert er für Khamenei die Strategie gegenüber den islamischen Umwälzungen als Generalsekretär der Weltversammlung der Islamischen Erweckung. Velayati pries die hartnäckige Widerstandsfähigkeit Syriens und seine „entschiedene Haltung als starker Arm des Widerstands gegen das zionistische Regime angesichts der Verschwörungen und Pläne verschiedener Staaten zur Schwächung Syriens.“ Velayati bezeichnete alle Mitglieder dieses Lagers als „Kette des Widerstands gegen Israel, dessen wichtigste Glieder der Iran und Syrien, die Hisbollah, die neue Regierung des Irak sowie die Hamas“ seien, die über die „syrische Schnellstrecke“ laufe. In diesem Zusammenhang nannte er Syrien das „vergoldete Glied der Kette.“[3]
An anderer Stelle – und vielleicht mitgerissen von seinem Wunschdenken – behauptete Velayati, dass der syrische Aufstand seinen Höhepunkt überschritten habe und dass die Regierung Assad nicht stürzen würde dank ihrer „starken Wurzel“ in der syrischen Gesellschaft. Der Chef des oppositionellen Syrischen Nationalrates Burhan Ghalioun hätte keine soziale Basis in Syrien und sei ein „Agent“ des Westens und Israels.[4]
Der iranische Botschafter im Libanon Qazanfar Roknabadi beteuerte: „Zum Glück ist Syrien auf dem Weg zur Stabilität und das vollständige Scheitern der feindlichen Verschwörung wird Tag für Tag immer deutlicher.“[5] Der Iran hat mehrfach Berichte zurückgewiesen, dass er Kontakte zu Teilen der Opposition unterhalte.[6]
Velayatis Behauptungen spiegeln zudem wiederholte Äußerungen diverser iranischer Sprecher und Kommentatoren wider, dass der „syrische Fall“ ein anderer und nicht als Teil des Arabischen Frühlings zu sehen sei. Sie werfen den Vereinigten Staaten, Israel, einigen arabischen Staaten, dem Westen und sogar der Türkei vor, dass sie versuchen würden, die Stimmung des Arabischen Frühlings zu missbrauchen, um das Assad-Regime zu beseitigen, dass sie als Dorn in ihrer Seite sehen aufgrund seiner starken Haltung – ähnlich der des Iran – gegen den Westen und seine Rolle als wichtiges Mitglied in der „Front des Widerstands“ gegen Israel und dessen Streben nach Legitimität.
Ist Syrien Irans Rote Linie?
Mohsen Rezaee, Sekretär des Schlichtungsrat und ehemaliger Kommandeur der Revolutionsgarde, sagte in einem Interview mit dem Hisbollah-Sender Al-Manar, dass Syrien, die Hisbollah und die Hamas eine Rote Linie für den Iran darstellen würde, und das Land es nicht zulassen würde, dass „sie in Probleme gerieten, denn sie stellen die Front der islamischen Welt gegen Israel.“[7]
Die konservative Zeitschrift Kayhan, die Khameneis Position bezieht, behauptete, die Vereinigten Staaten fürchteten die Erstarkung des Widerstandslagers, sobald die syrische Krise beendet sei, und arbeiteten daher hart, das syrische Regime zu stürzen. Der Autor desselben Artikels ist auch der Meinung, dass die syrischen Ereignisse in keinerlei Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling stünden, der nur ein Vorwand sei, um Assad zu stürzen und das Lager des Widerstands zu schwächen. Seiner Meinung nach zielen die amerikanischen Aktivitäten in Syrien darauf ab, den großen Schaden abzumildern, der der US-Politik durch die „Islamische Erweckung“ in der Region entstanden sei, dem Verlust seiner Machtbasis und Beliebtheit.[8] Der ehemalige iranischen Botschafter in Syrien Ahmad Mousavi äußerte ganz ähnlich, dass die westliche Feindseligkeit gegenüber Syrien in der syrischen Unterstützung des Widerstandes gegen die westlichen Friedenspläne wurzele, die nichts anderes zum Ziel hätten, als Israel zur Legitimität zu verhelfen. Mousavi nannte Präsident Assad den einzigen arabischen Führer, dem man keine moralische oder ökonomische Korruption vorwerfen könne, und gab seiner Unterstützung für Assads Reformen in Syrien Ausdruck.[9]
Die Hardline-Zeitung Jomhouri Eslami bestreitet ebenso einen Kontext des Arabischen Frühlings für die Ereignisse in Syrien und beschreibt sie als Versuch des von den Vereinigten Staaten geführten Westens, die Hauptsäule des Widerstandslagers zu Fall zu bringen. Das Blatt beschreibt das Scheitern der USA, die Revolutionen der Region zu beeinflussen, verweist auf den Sieg der islamistischen Regime in Ägypten und Tunesien und bekräftigt, dass die engen Beziehungen des Iran und der Hisbollah zur Regierung Assad ein wichtiger Faktor für deren Stabilität seien, da jene die Pläne des jordanischen Königs und der türkischen Regierung, Assad zu Fall zu bringen, durchkreuzt hätten.
„Es ist völlig deutlich, dass das Ziel der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten ist, durch den Sturz des Assad-Regimes die Widerstandsfront gegen das Zionistische Regime zu zerstören. Diese Verschwörung zu verhindern verlangt, das syrische Regime zu stärken. Dies kann auf zwei Ebenen geschehen: äußere Unterstützung durch die Freunde Syriens deren gemeinsamer Nenner der Kampf gegen den Zionismus und die Vereinigten Staaten ist, sowie die internen Reformen, die das syrische Regime von sich aus durchführen muss, und ohne die die äußere Unterstützung erfolglos bleiben muss. … Obwohl Syrien die Verschwörungen überwinden konnte, muss es dennoch einige Maßnahmen ergreifen, um die volle Stabilität zu erreichen und seinen Gegnern keinen Vorwand zu liefern. Der Herrscher Syriens muss tatsächlich mehr noch als schon in der Vergangenheit in Richtung Reform gehen. … Die Reform muss bei der Baath-Partei beginnen, dann die administrative Korruption beseitigen und schließlich die Probleme des Sozialstaates angehen und die Freiheit sichern.“[10]
Der Vorsitzende des iranischen Parlaments Madschils Ali Laridschani rief die islamischen Länder dazu auf, die syrische Krise nicht auszunutzen und damit in die Hände von Ländern zu spielen, die nicht zur Region gehören, und warnte davor, gar an der Verschwörung gegen Syrien teilzunehmen. „Wir erwarten, dass die islamischen Länder es nicht zulassen, dass jene, die Syrien für seinen Widerstand gegen das Zionistische Regime feindlich gesinnt sind, diese Situation ausnutzen können.“[11] Madschils-Mitglied Mohammad Karim Abadi äußerte, der Iran verurteile „aufs schärfste die Verschwörung gegen die syrische Nation, die im Frontkampf (gegen die Zionisten) steht. … Wir rufen die islamischen Völker der Region auf, ganz besonders Katar, Saudi Arabien und die Türkei, das Volk von Syrien zu unterstützen, das in der vordersten Front der zionistischen Aggression war und dessen Land immer noch von den Fremden besetzt gehalten wird.“[12] Der Redakteur der Kayhan Hossein Shariatmadari kritisierte ebenfalls Katar und bezeichnete es als die „mal inoffizielle, mal offizielle US-Basis der Region.“ „Die offenen Beziehungen Katars zum Zionistischen Regime und seine offene Teilnahme an den Plänen Saudi Arabiens und der Türkei, Druck auf Syrien auszuüben und es von der Achse des Widerstands zu entfernen, sind nur einige Beispiele für den Verrat der Söldnerregierung Katars.“[13]
Der Iran nahm auch die jüngsten Selbstmordattentate in Damaskus zum Anlass, um die Vereinigten Staaten, Israel und Saudi Arabien zu beschuldigen. Nach einem der Anschläge sagte ein Sprecher des iranischen Außenministeriums „das Volk und die Regierung Syriens werden dabei triumphieren, die Zionistisch-Amerikanische Achse daran zu hindern, Bürgerkrieg und Separatismus in der Region zu säen.“[14] Und der Chef des Verwaltungsrats des staatlichen iranischen Satellitensenders Al-Alam (der sich an arabisch sprechende Zuschauer richtet) behauptete, dass „die Anschläge auf das terroristische Wesen der bewaffneten Gruppen verweise und auf das Wirken einiger Gruppen, die Hand in Hand mit ihren Verbündeten arbeiteten.“ Er deutete an, dass diese Anschläge geschahen, nachdem die Geheimdienste der Türkei, Frankreichs, der Vereinigten Staaten und verschiedener arabischer Länder miteinander besprochen hätten, wie man Chaos und Instabilität in Syrien verbreiten könnte.[15] Die halb-staatliche Nachrichtenagentur Fars war unverhohlener. Sie behauptete in einem jüngeren Nachrichtenbericht aus Syrien, dass al-Qaida und salafistische Terroristen Syrien in den letzten Monaten infiltriert hätten und an den Terroranschlägen beteiligt gewesen seien, von den der letzte ein Selbstmordanschlag gewesen sei, der 25 Menschen tötete. Der Bericht behauptete weiter, dass zusätzlich zu der Unterstützung, die Saudi Arabien den Terroranschlägen in Syrien zukommen ließe, saudische Geistliche und Freitagsgebetsleiter die Proteste und Aktionen gegen Syrien als Halal (religiös gerechtfertigt) bezeichnet hätten und Menschen dazu aufgerufen hätten.[16]
Iran und Türkei im Konflikt: „Echter Islam“ vs. „Säkularer Islam“
Seine deutliche Unterstützung Syriens, die im Iran im Prinzip nicht Frage gestellt wird, sowie seine Opposition gegenüber der türkischen Haltung, die sich gegen die gewaltsame Unterdrückung in Syrien richtet, haben beide Länder auf Konfrontationskurs gebracht. Dabei liegt das „Goldene Zeitalter“ sich verbessernder Beziehungen im Dreiländereck Syrien-Türkei-Iran nicht solange zurück, das sich unmittelbar vor dem Ausbruch der syrischen Krise abzeichnete. Diese Spannung zwischen den beiden nicht-arabischen Staaten, die beide aus den jeweils eigenen Gründen versuchen, nicht nur eine neue regionale Ordnung zu schaffen, sondern diese auch anzuführen, hat ihre scharfe Konkurrenz und politisch-religiöse Differenz deutlich hervortreten lassen.
Als es darum ging, die iranische Politik gegenüber der Türkei abzustimmen, war es Velayati, der die heiklen islamischen Streitpunkte zwischen den beiden Staaten umriss. So kritisierte er das türkische Regierungssystem als „säkularen Islam“, eine bloße Abwandlung der westlichen liberalen Demokratien und als ein unangemessenes Modell für die Länder, die gegenwärtig die islamische Erweckung erleben.[17]
Hassan Rowhani, einer der beiden Vertreter Khameneis im Obersten Nationalen Sicherheitsrat und Chef der Strategieabteilung des Schlichtungsrats, behauptete ganz ähnlich, dass nicht nur der Westen sich wünsche, dass die Türkei – und nicht der Iran – das Modell für die Volksrevolutionen der Region bilde, dass das Land zudem enge Beziehungen zu Israel unterhalte und seine antiisraelische Politik bloße Symbolik sei. Rowhani bekräftigte auch, dass der Zweite Libanonkrieg und Israels Gazaoperation 2009 den wesentlichen Impuls für den Islamisierungstrend der Region geliefert hätte und dass die Türkei in ihrer Unterstützung der syrischen Opposition „die erlaubte Grenze überschritten“ habe.[18]
Dieser Kritik schließen sich ranghohe Vertreter der religiösen Führung des Iran an. So riet der Großayatollah Nasser Makarem Shirazi der Türkei, die syrische Krise nicht anzuheizen. Er behauptete, die dortige Unruhe sei „eine Verschwörung der Vereinigten Staaten, Israels und der arabischen Staaten. Die Türkei schüttet Öl ins Feuer der Krise. … Für eine Weile haben die türkischen Politiker der Popularität wegen eine antizionistische Haltung bezogen, doch diese Popularität wird sich nun in einen schlechten Ruf verwandeln. Wieso verstehen sie das nicht?“[19]
Alaeddin Boroujerdi, Vorsitzender des parlamentarischen Komitees für Nationale Sicherheit und Außenpolitik rief die Türkei dazu auf, seine Syrien-Politik zu ändern und die Realität anzuerkennen, wenn es eine ähnliche Politik wie der Iran betreiben wolle. Die gegenwärtige türkische Politik, so Boroujerdi, trage nicht zur regionalen Stabilität bei.[20] Auch der ehemalige iranischen Außenminister Manutschehr Mottaki, vor einiger Zeit von Präsident Ahmadinejad abgesetzt, kritisierte die türkische Position und forderte zur Umkehr auf. Doch er beschwor auch Syrien, sich auf Reformen zu konzentrieren und wies jegliche Möglichkeit zurück, dass der Iran sich einmischen könne.[21]
Die sich verschärfende Spannung zwischen dem Iran und der Türkei zeigen sich nicht nur angesichts der syrischen Lage. Sie rühren auch von der Entscheidung Ankaras her, Teil des NATO-Raketenabwehrsystems in der Türkei zu stationieren. Der stellvertretende Vorsitzende des parlamentarischen Komitees für Nationale Sicherheit und Außenpolitik schloss die Möglichkeit nicht aus, dass der Iran, sollte er angegriffen werden, Ziele auf türkischem Territorium angreifen werde, während der Kommandeur des Luftraumprogramms der iranischen Revolutionsgarden Brigadegeneral Amir Ali Hajizadeh sagte:
„Wir müssen bereit sein. Sollte der Iran bedroht werden, dann werden wir das NATO-Raketenschild in der Türkei ins Ziel nehmen und auch andere Stellen angreifen. … Wir sind sicher, dass dieses Raketensystem von den USA zum Schutz des Zionistischen Regimes installiert wurde, doch um die Welt und v.a. das türkische Volk zu täuschen, behaupten sie, das System gehöre angeblich der NATO. … Die Türkei ist Mitglied und Deckmantel der NATO. Und heute ist die NATO ein Deckmantel für die [Politik der] Vereinigten Staaten, während die USA nur ein Deckmantel des Zionistischen Regimes sind. … Und doch ist das türkische Volk wachsam und wir sind sicher, dass die Muslime der Türkei diese Verschwörung aus eigener Kraft aufhalten werden. … Wir sind sicher, dass die Muslime der Türkei, diese System im Fall einer Bedrohung in Stücke reißen werden.“[22]
Die Türkei ist ihrerseits nicht duldsam geblieben. Mit der Verschärfung der Spannungen zwischen beiden Ländern kritisierte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu auf einem jüngsten Besuch in Teheran den Iran und drängte seinen iranischen Amtskollegen Ali Akbar Salehi, dem syrischen Regime den „guten Rat“ zu geben, die Verantwortung für das Blutvergießen in Syrien zu übernehmen und für die die Notwendigkeit, es zu beenden.[23]
Während das iranische Außenministerium sich Mühe gibt, die Wogen zwischen beiden Ländern zu glätten und eine weitere Eskalation zu vermeiden, versuchen Teile von Khameneis Büro und damit verbundene Elemente, sogar eine aggressivere Politik gegenüber Ankara in die Wege zu leiten. Salehi seinerseits versuchte, die Spannungen herunter zu spielen, indem er sagte, dass beide Staaten eine gute Beziehung hätten. Er rief die türkischen Medien – in denen iranische Äußerungen, die einen iranischen Angriff auf die Türkei nicht ausschlossen, ausgiebig behandelt wurden – dazu auf, zwischen offiziellen Verlautbarungen und Privatmeinungen zu unterscheiden. Politische Entscheidungen würden vom Obersten Führer, dem Präsidenten und dem Außenminister getroffen.[24] Es hat jedoch den Anschein, als hätte im Fall Türkei im Besonderen, aber auch in der iranischen Politik gegenüber den regionalen Umwälzungen mit Blick v.a. auf die Islamische Erweckung im Allgemeinen, das iranische Außenministerium keine bedeutende Rolle inne, was die Gestaltung der aggressiven wie herausfordernden iranischen Politik angeht.
Saadollah Zarei ist Experte für internationale Beziehungen und Leitartikelautor für Kayhan. In einem Artikel für die konservative Zeitung Siyasat-e Ruz über die Krise in Syrien teilte er den Nahen Osten in zwei Blöcke – die „Front des Widerstands“ und die „Front der Versöhnung“ – und deutete die Kosten-Nutzen-Rechnung für beide:
„Die Länder des Widerstands sind immer wieder Ziel der Kritik des Westens sowie der harschen Kritik der arabischen Staaten der Region gewesen. Gerade eben als sich das internationale System zusammengeschlossen hat, um Bashar Assads Syrien zu Fall zu bringen und auch den Iran mit Krieg zu bedrohen, beschließen die arabischen Staaten, die Mitglieder der Arabischen Liga sind, dass die syrische Mitgliedschaft ausgesetzt wird,[25] [was der Iran kritisiert hat] und Sanktionen gegen Syrien zu erlassen [ein Versuch, die westlichen Pläne zu verwirklichen]. Die Ereignisse der letzten Jahre [die Siege der iranischen Verbündeten Hisbollah und Hamas], Irans Fortschritte auf nuklearer Ebene, sowie die Abzüge der US-Truppen aus dem Irak und Afghanistan, die wirtschaftliche Lage der Vereinigten Staaten sowie die Machtkämpfe im US-Wahlkampf setzen das amerikanische Bemühen matt, die Region zu kontrollieren und zu beherrschen. Angesichts dieser Bedingungen eines administrativen Vakuums und dem Chaos in den arabischen Ländern ist der Iran der große Gewinner. Gleichzeitig versuchen Saudi Arabien und andere arabische Staaten, diese Entwicklungen [das Erstarken des Iran und seiner Verbündeten] aufzuhalten, indem Syrien – ein strategischer Partner des Iran und Brücke zu Hisbollah und Hamas – isoliert wird. Ein weiterer Akteur, der Syrien zu isolieren sucht, um dem Iran an der Führung zu hindern, ist die Türkei. Die Türkei weiß, dass es gegenwärtig keinen einzigen arabischen Staat in der Region gibt, der sie daran hindern kann, Supermacht zu werden. Dies kann nur der Iran. Deshalb hat sie sich den arabischen Staaten angeschlossen, um ein iranisches Durchdringen der Region zu verhindern.“
Zarei bekräftigt ebenso, dass der Iran ohne Zweifel und nachdrücklich Syrien gegen den Westen und die arabischen Staaten unterstützt.[26]
Wie weiter? – Ein neuer Ansatz für das Lager des Widerstands
Insgesamt stellt die syrische Krise den Iran vor die größte Herausforderung seit Jahren im Hinblick auf seine Außenpolitik und seinen Revolutionsexport. Sie kommt zur gleichen Zeit, als der internationale Druck auf den Iran zunimmt und die Sanktionen auf seine Ölexporte und Zentralbank (CBI) akuter sind als je zuvor. Trotz dieser wachsenden Belastung durch Sanktionen lässt der Iran seinen langjährigen Verbündeten nicht im Stich und hat in den vergangenen Wochen eindeutig Syrien unterstützt sowie Assad mit militärischer und sicherheitspolitischer Hilfe ausgestattet, um die Proteste niederzuschlagen.
Obwohl der Iran im Verweis auf die syrische Krise immer wieder die starke Haltung des Widerstandslagers betont und dass Syrien nun einen Preis dafür bezahle, dessen wesentliche Säule zu sein, stellt sich das Land auf die Möglichkeit ein, dass Assad am Ende gestürzt werden wird – auch wenn dies öffentlich quasi nie zugegeben wird. Von besonderer Bedeutung ist hier, dass in der Erklärung des außenpolitischen Beraters Khameneis die „neue irakische Regierung“ als Teil des Widerstandslagers gezählt wird und die Beziehungen zwischen dem Iran und dieser Regierung wachsen, was unmittelbar nach dem Ende des Abzugs der Vereinigten Staaten geschah – ein Schritt, dessen Zeitpunkt dem Iran merkwürdig gut gelegen kam. Sollte Assad fallen, dann dürfte der Iran sicherstellen, dass seine Westgrenze mit dem Irak eine abenteuerliche Region wird, die es ihm ermöglicht, die syrischen Instabilität auszunutzen, um immer wieder innerhalb des syrischen Gebiet wie auch von dort ausgehend zu operieren. In den vergangenen Monaten hat der Iran – ähnlich wie schon im Libanon – wesentliche Ressourcen in den Irak investiert. Dies geht über die Unterwanderung hinaus, die das Land schon während der amerikanischen Präsenz unternahm und die Unterstützung, die es z.T. mit Hilfe der libanesischen Hisbollah den radikalen Schiitengruppen des Irak zukommen ließ.
Darüber hinaus dürfte ein Verlust Syriens den Iran dazu bringen, nachhaltiger seinen „Hinterhof“ – den Persischen Golf – zu pflegen und seine Rechnungen mit Saudi Arabien und Bahrain zu begleichen. Der Iran hat noch nicht das letzte Wort in der schiitischen Revolte in Bahrain gesprochen oder dem Kampf der Schiiten im östlichen Saudi Arabien. Das jüngste Muskelspiel am Golf in Form von umfassenden See- und Landmanövern, ergänzt von Übungen der Revolutionsgarden in den kommenden Wochen, sowie die sich verschärfende Rhetorik über eine mögliche Blockade der Straße von Hormuz im Falle der Sanktionen gegen die iranischen Ölexporte und die Zentralbank, zeugen davon, dass der Iran plant, die Region in der Hand zu halten und seinen Status zu befestigen.
Verwerfungslinien
Solange die syrische Krise andauert, macht sie die innerarabischen Verwerfungen zwischen Saudi Arabien und den Golfstaaten einerseits und Syrien andererseits deutlich und vertieft die persisch-arabische, sunnitisch-schiitische und historische persisch-türkische (osmanische) Spaltung. Gleichzeitig schwächt sich die Position der Vereinigten Staaten in der Region zunehmend und es kommt zum Aufstieg islamistischer Regime, die – seien sie auch v.a. sunnitisch – dem Iran näher stehen als den USA. Aus Perspektive des Iran ist die eigentliche Herausforderung die Türkei, wie sich gegenwärtig in der syrischen Krise erhellt. Die Türkei sieht das, was sich in seinem Hinterhof Syrien abspielt, als Teil des Arabischen Frühlings, und ruft den syrischen Präsidenten dazu auf, sich dem Willen des Volkes zu beugen, während der Iran Assad unterstützt und behauptet, der Arabische Frühling sei nur ein Vorwand, um jenen zu beseitigen. Beide Länder blicken auf eine Vergangenheit als imperialistische Supermacht zurück, die sie gerne erneuern würden, und werden ihren Konflikt fortsetzen, je mehr sich die Unruhe im Nahen Osten verschärft, und auch dann, wenn sich die „arabischen Revolutionen“ beruhigen. Beide konkurrieren mit ihrer islamischen Agenda um dieselbe Öffentlichkeit, doch die Kluft zwischen beiden ist nach wie vor groß.
Der Iran scheint im fortgeschrittenen Stadium der Umwandlung dessen, was er das Lager des Widerstands nennt. Der Fall eines seiner wichtigsten Mitglieder – das Assad-Regime – würde die Fähigkeit des Iran, der Hisbollah im Falle einer neuen Runde von Feindseligkeiten mit Israel Hilfe „in Echtzeit“ zukommen zu lassen beeinträchtigen sowie die Handlungsfreiheit des Hamas-Hauptquartiers in Damaskus. Gleichzeitig eröffnen sich für den Iran neue Möglichkeiten in der Region. Aus dieser Perspektive bieten die Wahlsiege islamistischer Kräfte (auch wenn sie sunnitisch sind) und die Möglichkeit des Kontakts mit ihnen, ohne Sorge vor Repression von Seiten der Regierungen – v.a. in Ägypten, Tunesien und Marokko, während die Schiiten im östlichen Saudi Arabien immer noch unter starker Kontrolle stehen – Teheran eine ganze Palette ideologischer Gelegenheiten. In der Vergangenheit war der gemeinsame Nenner aller Mitglieder des Lagers der verbindende Hass auf den Westen und Israel. Dies wird besonders im aktuellen Versuch der iranischen Rhetorik deutlich, die syrische Krise als einen Versuch aussehen zu lassen, einen zentralen arabischen Akteur im Kampf gegen Israel abzustrafen.
Der Iran wird sich darum bemühen, das Widerstandslager an die sich wandelnden geostrategischen Bedingungen der Region anzupassen und zu festigen. Im ersten Schritt geht es ihm darum, die ideologische Reichweite des Lagers auszudehnen, sowohl im Hinblick auf die religiösen Grundlage im Islam als auch der ideologisch-politischen im Hass gegen Israel und die Vereinigten Staaten. Die praktischen Aspekte des Kampfes gegen Israel wird der Iran dabei weiter in den Händen von Hisbollah, Hamas und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad lassen und gleichzeitig das Ausmaß des militärisch-terroristischen Konfliktes mit Israel zukünftig ausweiten. Und schließlich weist der Iran seinem Atomprogramm eine wichtige Rolle zu bei der Formulierung eines entsprechenden Abschreckungskonzepts, das mit seiner aktuellen Doktrin des Widerstands einhergehen wird.
[1] Michael Segall, “How Iran Is Helping Assad Suppress Syria’s ‘Arab Spring,’” Jerusalem Issue Brief, July 20, 2011, Jerusalem Center for Public Affairs, http://jcpa.org/JCPA/Templates/ShowPage.asp?DRIT=1&DBID=1&LNGID=1&TMID=111&FID=442&PID=0&IID
=7945&TTL=How_Iran_Is_Helping_Assad_Suppress_Syria’s_“Arab_Spring”
[2] http://www.tehrantimes.com/component/content/article/93333
[3] http://www.mehrnews.com/fa/newsdetail.aspx?NewsID=1496800
[4] http://english.farsnews.com/newstext.php?nn=9007277334
[5] http://english.farsnews.com/newstext.php?nn=9007277071
[6] http://www.irna.ir/ENNewsShow.aspx?NID=30666591&SRCH=1
[7] http://shoranews.com/News/2549
[8] http://kayhannews.ir/900921/14.htm#other1400
[9] http://www.irna.ir/ENNewsShow.aspx?NID=30708565
[10] http://www.jomhourieslami.com/1390/13900926/13900926_01_jomhori_islami_sar_magaleh_0001.html
[11] http://www.tehrantimes.com/politics/93113-islamic-countries-should-not-play-against-syria
[12] http://english.farsnews.com/newstext.php?nn=9007275529
[13] http://www.kayhannews.ir/900908/2.HTM#other200
[14] http://irna.ir/ENNewsShow.aspx?NID=30751979
[15] http://english.farsnews.com/newstext.php?nn=9010170171
[16] http://english.farsnews.com/newstext.php?nn=9010171825
[17] http://english.farsnews.com/newstext.php?nn=9007277334
[18] http://www.mehrnews.com/fa/newsdetail.aspx?NewsID=1482337
[19] http://www.tehrantimes.com/politics/93510-ayatollah-advises-turkey-against-stoking-flames-of-syria-crisis
[20] http://www.mehrnews.com/en/NewsDetail.aspx?NewsID=1501152
[21] http://www.javanonline.ir/vdcdf90osyt0k56.2a2y.html
[22] http://english.farsnews.com/newstext.php?nn=9007277163
[23] http://www.mehrnews.com/en/newsdetail.aspx?NewsID=1502256
[24] http://www.irna.ir/ENNewsShow.aspx?NID=30712338