Politik und Moral – Kein "Business as usual"

Als Kanzlerin Angela Merkel sich im März vor der Knesset im Hinblick auf iranische Vernichtungsdrohungen der deutschen Staatsräson verpflichtet fühlte, dass die Sicherheit Israels „niemals verhandelbar“ sei, erntete sie stehende Ovationen. Gleichwohl blieben berechtigte Fragen nach der Natur der von Deutschland angestrebten „diplomatischen Lösung“ „in der Stunde der Bewährung,“ v.a. aber nach den damit verbundenen Taten. Denn um adäquat zu handeln, muss man Willens sein, das Ausmaß der Gefahr überhaupt zu erkennen. Folgt man der in vielen Fällen offensichtlichen deutschen Haltung „Business as usual“, offenbart sich die grandiose Vogel-Strauß-Politik von Politik und Gesellschaft in Deutschland und darüber hinaus.

 

Grund genug, um sich unter eben dem Titel „Business as usual?“ über „Das iranische Regime, den Heilige Krieg gegen Israel und den Westen und die deutsche Reaktion“ auszutauschen und zu vernetzen. Und die Leistung des Mideast Freedom Forum Berlins, eine derart breit angelegte wie gleichermaßen stimulierende Konferenz in der deutschen Hauptstadt zu organisieren, war beachtlich. Erstmalig diskutierten iranische Oppositionelle, israelische, amerikanische und europäische Intellektuelle, Journalisten und Experten gemeinsam über die wohl existentiellste Bedrohung des jüdischen Staates seit seiner Gründung vor sechzig Jahren. Es spricht nicht nur für die Veranstalter, sondern auch für die Dringlichkeit des Problems, dass sich Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel mit einer Grußbotschaft voll und ganz solidarisierte und die moralische Notwendigkeit unterstrich, die iranischen Vernichtungsabsichten deutlich zu machen.

 

Am sinnfälligsten brachte vielleicht am ersten Abend der Chefkommentator der Welt am Sonntag, Alan Posener, die ambivalente deutsche Haltung gegenüber dem Größenwahn des iranischen Regimes mit einem Witz aus den dreißiger Jahren auf den Punkt: ein Mann realisiert beim Globuskauf die Winzigkeit des „Tausendjährigen Reiches“ im globalen Maßstab und fragt sich, ob „der Führer“ denn den gleichen Globus hätte. Tatsächlich gibt es den Hang, die Absurdität iranischen Größenwahns zu relativieren und als Folklore zu verharmlosen. Wie menschenfeindlich diese Art kulturalistischer Distanznahme ist, zeigte sich nicht nur an dem eindrucksvollen Zeugnis der iranischen Oppositionellen über den nach innen wie außen gerichteten Terror des Regimes, die mit einem öffentlichen Auftreten dieser Art existentielle Risiken eingehen. Der Beitrag des Politikwissenschaftlers Alexander Ritzmann über die existenten wie anschlagsfähigen Terrornetzwerke des Iran in Europa am Beispiel der Hisbollah machte mehr als deutlich, dass die irrige Annahme, der Mykonos-Anschlag von 1992 sei ein vernachlässigbares Detail einer prä-9/11-Welt nicht nur gänzlich an der Realität vorbei ginge, sondern dass, wie Wadi-e.V.-Chef von der Osten-Sacken mit durchaus nötigem Pathos bekräftigte, die freie Welt, ob sei wolle oder nicht, schon längst in einen Krieg verwickelt sei. Und dieser sei nicht nur einer der Ideen um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Säkularisierung, wirtschaftliche Freiheit, Menschen- und Frauenrechte, sondern tatsächlich auch ein militärischer, wie gerade die israelischen Redner im Hinblick auf ihre alltägliche Konfrontation mit dem Terror sowie den deutlich ausgesprochenen Vernichtungsdrohungen aus Teheran anmahnten.

 

Doch genau hier liegt die Crux der Debatte, denn, so eine ganze Reihe der Referenten: was nütze die in Deutschland breit angelegte Erinnerungskultur des Holocaust, wenn doch gerade die Deutschen mit ihrem Credo „Nie wieder Krieg“, genau die falsche Schlussfolgerung aus dem nationalsozialistischen Völkermord gezogen hätten. Nicht nur ließ sich dies nicht erst unter Rot-Grün in einen wohlfeilen Antiamerikanismus (und damit implizit auch in einen Antizionismus) verwandeln, sondern, so Matthias Küntzel, verzerrte sich zunehmend zu einem „Nie wieder Krieg gegen den Faschismus“. Und dass es sich beim Islamismus tendenziell um einen neuen Faschismus, ganz sicherlich aber um eine menschenverachtende Ideologie des Terrors handelte, darauf mochten sich alle einigen. Folgerichtig konzentrierte sich das Abschlusspanel pointiert auf einen neuen liberal westlich geprägten Antifaschismus im Sinne des Euston Manifesto. Dieser wohlgemeinte idealistische Ansatz kam aber an bestimmten Realitäten nicht vorbei. Der Vertreter der Grünen Partei Irans Kayvan Kaboli bedauerte z.B. die Appeasement-Haltung der deutschen Grünen, mochte aber ein Zweckbündnis mit durchaus undemokratischen Regimegegnern nicht unbedingt ausschließen.

 

Doch gerade beim Titel gebenden Thema Geschäft ergaben sich die konkretesten Vorschläge für eine politische Intervention zum Schutze Israels, der Welt, nicht zuletzt aber auch der iranischen Bevölkerung. Im Ernstfall mag die einzige Option eine militärische sein, doch es sei noch nicht zu spät. Ein Großteil der Referenten, v.a. Matthias Küntzel, verwies auf das aktuelle deutsche Handelsvolumen, mit dem Iran, welches mehr als genügend Potential besitze, um Iran diplomatisch in die Schranken zu weisen. Der Forderungskatalog war deutlich:

 

       Der deutsche Export im Hochtechnologiebereich, Energiesektor und Maschinenbau sollte eingestellt werden.

       Der deutsche Botschafter sollte, wie nach dem Mykonos-Prozess 1997, abgezogen werden.

       Die stillschweigende Duldung der iranischen Handlangerorganisation Hisbollah in Europa muss durch offiziellen Einschluss auf der europäischen Terrorliste beendet werden.

       Deutsche Firmen, die aktiv im Iran engagiert sind und gerade auch jene die, wie Siemens, schon einmal an einem Holocaust verdienten, sollten öffentlich angeprangert werden.

       Gegen den iranische Präsident Ahmadinejad sollte im Rahmen der verbindlichen Genozid-Konvention Strafantrag wegen Aufforderung zum Völkermord gestellt werden.

 

Ob Kalkül oder Ignoranz hinter der mangelnden Entschlossenheit der deutschen Regierung stecke, an dieser Stelle moralische Klarheit zu beweisen, mochte man nicht abschließend klären, musste man aber auch nicht. Der Streit zwischen Moral und Politik gilt nicht erst seit Kant. Doch gerade deswegen ermöglichen offene Gesellschaften die Anteilnahme einer moralisch ambitionierten Öffentlichkeit als Korrektiv für die Betriebsblindheiten der politischen Ebene. Sofern sich diese nicht im wohlfeilen Moralisieren erschöpft, sondern in der Lage ist, eine breite Koalition der Vernunft zu mobilisieren, um Wahn und Terror entgegenzutreten, besteht Hoffnung. Sollte die mit dieser Konferenz formierende Bewegung Moment gewinnen, dann wäre das nur zu begrüßen. Denn Israel braucht wirkliche Partner, jenseits aller Lippenbekenntnisse, so wie Europa Israel braucht, so wie die Welt einen sich liberalisierenden Nahen Osten braucht, und die Bevölkerung Irans eine offene Gesellschaft.