Machtkämpfe in der Hamas: Die wachsende Rolle der Gaza-Führung

Machtkämpfe in der Hamas: Die wachsende Rolle der Gaza-Führung

Jonathan D. Halevi

· Die jüngste offene Konfrontation zwischen Mahmoud al-Zahar, dem Hamas-Außenminister Gazas, und dem Chef des Hamas-Politbüros in Damaskus Khaled Mashaal verdeutlicht die sich unter der Oberfläche verschärfenden Spannungen zwischen den beiden Hamas-Führungen in Gaza und Syrien.

· Al-Zahar besteht darauf, dass der Gaza-Hamas mehr Einfluss bei der Entscheidungsfindung eingeräumt wird, während die Hamas im Ausland das Machtzentrum außerhalb Palästinas behalten möchte.

· Seit dem israelischen Abzug aus Gaza 2005, dem deutlichen Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen von 2006 und der militärischen Machtübernahme Gazas durch die Hamas im Juni 2007 konnte die Hamas-Regierung einen Zuwachs an politischer und ökonomischer Macht verzeichnen. Sie unterhält internationale Beziehungen und erhebt Importsteuern für Lieferungen aus Israel und Ägypten, was eine beträchtliche Einkommensquelle darstellt. Damit ist die Abhängigkeit von der Hamas-Führung im Ausland schwächer geworden.

· Zusätzlich hat die Festigung der Hamas-Regierung in Gaza, wo die wichtigsten Streitkräfte der Hamas – die al-Qassam-Brigaden – stationiert sind, das Machtgefüge innerhalb der Terrororganisation allmählich verschoben. Al-Zahar hat die Autorität Mashaals in der Führung der Bewegung damit herausgefordert, dass er sich für eine Verlagerung des Machtzentrums aus dem Ausland nach „Palästina“ aussprach. Einen ähnlichen Prozess machte die Fatah 1994 durch, als die Palästinensische Autonomiebehörde errichtet wurde, was dazu führte, dass schließlich ein Großteil der Führung in den Palästinensergebieten lebte.

· Mashaal hat bewusst darauf verzichtet, auf diese Herausforderung durch al-Zahar zu reagieren, vermutlich um den Eindruck zu vermeiden, jener sei ein ebenbürtiger Rivale im Machtkampf. Mashaals Hauptziel ist gegenwärtig, die Versöhnung mit der Fatah zu propagieren, um einen Beitritt der Hamas in die PLO vorzubereiten. Ziel ist, diese international einzig als repräsentativ für die Palästinenser geltende Organisation zu übernehmen.

Mahmoud al-Zahars fordert Khaled Mashaal heraus

Die Kontroverse innerhalb der Hamas-Führung wurde vor Kurzem offenbar in einer Reihe von Stellungnahmen des Hamas-Außenministers in Gaza und Politbüromitglieds Mahmoud al-Zahar, in denen er persönlich Hamas-Chef Khaled Mashaal herausforderte. Zwei Interviews mit al-Zahar provozierten Unruhe in den Reihen der Hamas, v.a. aber seine deutliche Kritik an Mashaals Rede, nachdem Vertreter von Fatah und Hamas am 4. Mai 2011 in Kairo ein Versöhnungsabkommen unterzeichnet hatten. Al-Zahar und andere interpretierten dies als Zeichen der Bereitschaft, der Palästinensischen Autonomiebehörde die Autorität zuzugestehen, Friedensverhandlungen mit Israel zu führen.

Als al-Zahar von der palästinensischen Tageszeitung al-Quds am 17. Mai nach seiner Reaktion auf Mashaals Rede gefragt wurde, antwortete er:

„Die Position der [Hamas-] Bewegung hat sich im Hinblick auf Verhandlungen und Widerstand nicht geändert. Wir bevorzugen den Weg des Widerstands. Der Verhandlungsweg widersprach bislang und widerspricht weiterhin dem Willen der Mehrheit des palästinensischen Volkes, das 2006 die Hamas in den allgemeinen Wahlen gewählt hat. Heute gibt es da einen, der meint, dass wir Abu Mazen [Mahmoud Abbas] die Option geben sollten, eine neue Verhandlungsrunde [mit Israel] einzugehen. Doch wir haben Verhandlungen nicht zugestimmt und wir haben ihn [Abbas] auch nicht zu Verhandlungen ermutigt. Im Gegenteil, wir haben ihn wegen der Verhandlungen Tag und Nacht in Verlegenheit gebracht. Deshalb ist das, was da am Tag der Unterzeichnung des Versöhnungsabkommens passiert ist, [innerhalb der Hamas] nicht abgestimmt worden. Wir erkennen es nicht an und ich glaube auch nicht, dass es die Position der Bewegung wiedergibt, deren Programm auf Widerstand und nicht auf Verhandlungen gründet …

Wir stimmen dieser Erklärungalso nicht zu und waren sehr überrascht, als wir davon hörten. Die Welt sollte wissen, dass es zu keinem Positionswechsel der Bewegung gekommen ist, was den Widerstand als einzigen Weg angeht. Wir können also nur über Fragen des Widerstands verhandeln.“[1]

Al-Zahar kritisierte auch Musa Abu Marzouq, den Zweiten im Hamas-Kommando, wegen dessen mangelnder Unterstützung Hamas-Premier Ismail Haniyehs, nachdem dieser die Tötung Osama Bin Ladens kritisiert hatte. Haniyeh hatte Bin Laden als „heiligen islamischen Gotteskrieger“ bezeichnet.[2] Abu Marzoug sagte daraufhin gegenüber al-Arabiya TV, dass Haniyeh damit nicht die offizielle Position der Hamas wiedergegeben hätte, sondern lediglich seine „persönlichen Gefühle“.[3]

In dem al-Quds-Interview stärkte al-Zahar Haniyeh den Rücken: „Wir betrachten jeden, der die Besatzung bekämpft als Gotteskrieger und v.a. als jemanden, der den islamischen Weg wählt,“ so al-Zahar. „Wir stimmen nicht mit dem Modus Operandi Bin Ladens überein, das Schlachtfeld nach Amerika und Europa zu tragen, doch wir werden die amerikanische Position nie akzeptieren.“[4]

Auch in einem anderen Interview mit der libanesischen Tageszeitung al-Akhbar wiederholte al-Zahar seine Kritik an Mashaal und beschrieb die Ursache des Konflikts zwischen ihm und der Hamas-Führung in Syrien wie folgt: „Wir hatten keine Kenntnis von Khaled Mashaals Haltung. Niemand hat uns darüber gefragt. Folglich ist diese Position unklar.

Wir haben der Fatah nie eine Option oder Autorisierung verliehen, in unserem Namen oder im Namen des palästinensischen Volkes zu verhandeln. Unser Programm spricht sich gegen Verhandlungen aus, denn sie sind eine Verschwendung von Zeit, das beweist die Erfahrung. Seit der Konferenz in Madrid vor 20 Jahren hören wir bis heute immer wieder: Verhandlungen, Verhandlungen, Verhandlungen – und von den Skandalen, in die das Verhandlungsteam von Saeb Erekat verwickelt ist. Das ist allgemein bekannt. Und jeder der behauptet, dass wir sie [die Autonomiebehörde] zu Verhandlungen autorisiert hätten oder autorisieren werden, gibt die Position der Bewegung nicht wieder.“

Im Hinblick auf Medienberichte, die später offiziell dementiert wurden, dass die Hamas plane, ihr Hauptquartier aus Damaskus abzuziehen, sagte al-Zahar: „Das wahre Zentrum der Hamas-Bewegung befindet sich im besetzten Land und dort liegt auch unser wahrer Schwerpunkt. Dort wurde Blut vergossen, die Führung ist dort und der Teil [der Führung], der uns ergänzt ist außerhalb [von Palästina]. Die Frage [eines Wegzugs der Hamas-Führung aus Damaskus] wird erwogen. Die Umstände haben die Führung der Bewegung auf verschiedene Orte verteilt und darüber muss nun diskutiert werden. Dies ist eine berechtigte Frage und daher ist von Zeit zu Zeit eine Evaluation der Vor- und Nachteile der Entwicklungen um uns herum von Nöten.“ Gefragt, ob er damit sagen wolle, dass Mashaal nach Gaza zurückkehren werde, antwortete al-Zahar: „Davon habe ich nicht gesprochen. Doch jeder, der nach Gaza zurückkehren möchte, ist willkommen. Gaza ist offen. Selbst Fatah-Angehörige, die nach 2007 keine Verbrechen begangen haben und zurückkehren wollten, sind zurückgekommen. Dafür gibt es viele Beispiele.“[5]

**Scharfe Reaktion der Hamas-Führung in Syrien **

Die Hamas-Führung in Syrien reagierte verärgert auf diese ausdrückliche Kritik al-Zahars. Das Politbüro der Hamas, das Forum der obersten Führung, tagte am 1. Juni und veröffentlichte folgende Erklärung:

„Das Politbüro der Islamischen Widerstandsbewegung (Hamas) hat am 1. Juni 2011 in Damaskus getagt, um einige wichtige politische Fragen zu besprechen, darunter v.a. die palästinensische Versöhnung und ihre gegenwärtige Umsetzung, die Koordination mit den Brüdern der Fatah-Bewegung und anderer palästinensischer Organisationen. Zusätzlich diskutierte das Politbüro die Angelegenheit des Medienechos auf die Stellungnahme Bruder Mashaals, dem Chef des Politbüros, nach der Versöhnungszeremonie in Kairo. Das Politbüro bekräftigt dabei Folgendes:

Erstens, die Äußerungen Bruder Khaled Mashaals, Leiter des Politbüros der Bewegung, sind repräsentativ für die Position der Bewegung und ihre Prinzipien. Jede andere Meinungsäußerung aus anderer Quelle, die dem widerspricht, spiegelt nicht die Bewegung und seine Institutionen wider.

Zweitens, die Äußerungen des Politbüroleiters und der Mitglieder des Politbüros sind repräsentativ für die Bewegung und ihre Position. Das Politbüro ist die einzige autorisierte Körperschaft, die – falls nötig – die Äußerungen ihres Leiters und ihrer Mitglieder interpretieren oder ergänzen darf.“[6]

Die Abwesenheit al-Zahars auf diesem Treffen des Politbüros in Damaskus, dessen vollständiges Mitglied er ist, spricht für sich selbst. In Interviews bemühte sich al-Zahar darum, sein Fehlen herunterzuspielen, und erklärte, dass dies nichts mit der internen Kontroverse zu tun hatte, sondern damit, dass er zu der Zeit Algerien besucht habe.[7]

Nach dem Treffen des Politbüros und der einstimmigen Unterstützung Mashaals änderte al-Zahar seinen Ton. Er sagte, dass das Meinungsverschiedenheiten Zeichen einer gesunden Bewegung seien und beschuldigte die Medien, die Angelegenheit aufgeblasen zu haben: „Meinungsverschiedenheiten existieren in allen Organisationen, doch was uns von anderen Organisationen unterscheidet, ist, dass die Entscheidungen von der Mehrheit abgestimmt werden und daran halten wir uns … Die kommenden Tage werden beweisen, dass wir diese Differenzen überwunden haben,“ sagte al-Zahar und fügte hinzu, dass die Kontroverse über die Mashaal-Rede „vorbei und ohne Bedeutung“ sei und dass „manche Leute versuchen, die Sache in den Medien wieder aufleben zu lassen.“[8]

Die offene Konfrontation zwischen al-Zahar und Mashaal verdeutlicht die sich unter der Oberfläche verschärfenden Spannungen zwischen den beiden Hamas-Führungen in Gaza und Syrien. Hochrangige Hamas-Mitglieder äußerten am 3. Juni gegenüber al-Hayat, dass die Teilnahme der Gaza-Vertreter Khalil al-Haya und Nizar Awdallah im jüngsten Politbürotreffen die Einheit der Hamas unterstreiche und damit Berichte einer Spaltung widerlegten, womit sie sagen wollten, dass al-Zahars Ansichten eine Ausnahme seien und keinerlei Macht hätten, eine Opposition zu bilden, welche die Autorität der gegenwärtigen Führung untergrabe.

Zudem hieß es, dass wichtige Hamas-Mitglieder in Gaza al-Zahars Plädoyer für einen Abzug des Hamas-Hauptquartiers aus Damaskus kritisiert und stattdessen Syriens besonderen Rolle für die Hamas unterstrichen hätten, aufgrund der langjährigen einzigartigen Unterstützung der Hamas durch Syrien, die weit größer sei, als die anderer arabischer Staaten.

Laut Quellen innerhalb der Hamas geriet al-Zahar auch in Konflikt mit Mashaal über eine diplomatische Mission nach Europa. Al-Zahar hatte eine Einladung von Jean-Daniel Ruch, dem Sondergesandten der Schweiz für den Nahen Osten, angenommen, die Schweiz wenige Tage nach dem Politbürotreffen in Damaskus zu besuchen. Al-Zahar, so diese Quellen weiter, habe angenommen, ohne Mashaal vorher um Erlaubnis zu fragen, und sei daher auch nicht in der Position gewesen, die Hamas zu vertreten. Doch al-Zahars erhielt kein Visum, vermutlich auf Drängen Mashaals, und so wurde das Treffen mit Ruch abgesagt.[9]

Khaled Mashaal hat bislang davon abgesehen, öffentlich auf die direkten Angriffe al-Zahars zu reagieren. Seine einzige indirekte Reaktion auf die Vorwürfe al-Zahars war ein Interview mit einer ägyptischen Fernsehstation, wenige Stunden nach der Unterzeichnung des Versöhnungsabkommens zwischen der Fatah und der Hamas. Mashaal erklärte darin, dass seine Rede bei der Zeremonie keine Zustimmung zu Verhandlungen mit Israel beinhaltet hätte, sondern auf dem Verständnis beruhte, dass beide Seiten sich über gemeinsame Entscheidungen verständigen. Laut dem Versöhnungsabkommen ist die Hamas bereit, der Fatah eine weitere Möglichkeit einzuräumen, von selbst zu erkennen, dass es keine Chance für den Friedensprozess gäbe, so dass ihr nichts anderes übrig bleibe, als sich am Ende der Hamas-Strategie anzuschließen, das regionale Machtgefüge so zu ändern, dass Israel gezwungen werde, die Rechte der Palästinenser anzuerkennen.[10]

Doch Hamas-Politiker in Damaskus und enge Vertraute Mashaals, gingen zum Gegenangriff auf al-Zahar über. Izzat al-Risheq, Mitglied des Hamas-Politbüros, verlautbarte in einer Presseerklärung, „die Äußerungen von Bruder Dr. Mahmoud al-Zahar waren ein Fehler und repräsentieren nicht die Positionen der Bewegung und seiner Institutionen. Dies war ein Abweichen von den Traditionen der Bewegung, zu denen gehört, dass niemand Erklärungen gegen die Spitze der Bewegung und seine Führer abgeben darf … [Al-Zahar] hat keinerlei Autorität, die Äußerungen des Führers zu interpretieren oder zu ergänzen. Nur das Politbüro ist dazu berechtigt, Klarstellungen und Ergänzungen für Stellungnahmen der Spitze zu liefern, sollte dazu Bedarf bestehen.“ Laut al-Risheq gibt es „keinerlei Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Hamas-Bewegung. Sie zeichnet sich durch äußerst verantwortliche Meinungsfindungsprozesse aus. Alle ihre Entscheidungen sind einheitlich.“[11]

Der Hamas-Beauftragte für internationale Beziehungen Osama Hamdan sagte, „al-Zahars Stellungnahme gibt nur seine persönliche Meinung wieder … Der Chef des Politbüros der Bewegung, ihre Führer und die Brüder der Leitungsebene sind jene, welche Positionen und Politik der Bewegung repräsentieren.“ Er bekräftigte, dass „die Äußerungen des Chef des Politbüros [Mashaal] … eine akkurate Wiedergabe dieser Positionen [waren], solange das Politbüro der Bewegung keine Ergänzung oder Klarstellung veröffentlicht hat, den nur das Politbüro ist die einzig autorisierte Körperschaft, die Klarstellungen zu Stellungnahmen und Positionen der Führer der Bewegung ausgeben darf. … Daher stellen die Äußerungen Bruder Dr. al-Zahars ein Abweichen von den Traditionen und Regeln der Hamas dar und widersprechen ihrer Politik.“

Hochrangige Hamas-Mitglieder äußerten am 25. Mai gegenüber der libanesischen Tageszeitung al-Akhbar, dass sie sich von al-Zahars Positionen distanzieren würden, und führten aus, dass seine Beziehungen zum Großteil der Hamas-Führung in Gaza und im Ausland problematisch seien, da er seine Rolle als Hamas-Außenminister in Gaza mit der eines „generellen Hamas-Außenministers“ verwechsle. Ihnen zufolge habe al-Zahar verlangt, dass der Gaza-Hamas mehr Gewicht in der Entscheidungsfindung zukommen solle, während die Führung in Damaskus darauf besteht, dass das Machtzentrum der Hamas im Ausland bleiben solle. Grund dafür sei die Belagerung Gazas und die Verfolgung von Hamas-Aktivisten durch die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland. In herablassenden Ton ergänzten sie, dass al-Zahar zudem nicht zu der Generation der Hamas-Gründer gehöre, da er der Hamas erst in den späten Achtzigern beigetreten sei.[12]

Salah Bardawil, ein hohes Parlamentsmitglied der Hamas in Gaza, versuchte den Eindruck einer schweren Kontroverse zwischen beiden Seiten abzuschwächen, indem er darauf hinwies, dass verschiedene Meinungen noch nicht Polarisierung bedeuten. In diesem Kontext sei die kontroverse Rede Mashaals so zu verstehen, dass Mashaal „dem Verhalten der israelischen Seite sowie der Palästinensischen Autonomiebehörde die Verantwortung für das Nichterreichen der palästinensischen Ziele [zuschiebe].“ Desweiteren stellte er fest, dass „wir davon [ausgehen], dass die kommenden Monate entscheidende sein werden. Mashaal hat gesagt: ‚Wir werden sehen, ob die kommenden Monate diese Ziele erreichen lassen und wir lassen ihr [der PA] da freie Hand.‘ Dies war eine Annahme und kein Ausdruck der Position der Hamas oder des Chef des Politbüros über den Nutzen von Verhandlungen. Und das ist, was al-Zahar hat sagen wollen.“[13]

In einer weiteren Presseerklärung betonte Bardawil, dass die Erklärungen von al-Zahar und al-Risheq „in den Rahmen der Meinungsvielfalt innerhalb einer Organisation [fallen]“ und bestritt damit eine Kontroverse innerhalb der Hamas, „die über eine vereinigte Führung inner- und außerhalb Palästinas unter Khaled Mashaal verfüge.“[14] Mahmoud al-Zahar sei immer noch Mitglied des Politbüros und der Streit sei beigelegt.[15]

Analyse und Einschätzung

Diese erstmalig öffentlich gewordene Kontroverse zwischen Mahmoud al-Zahar und Khaled Mashaal ist nur die Spitze des Eisbergs eines Machtkampfes innerhalb der Hamas. Seine Wurzeln liegen im israelischen Abzug aus Gaza 2005, dem deutlichen Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen von 2006 und der militärischen Machtübernahme Gazas durch die Hamas im Juni 2007. Seitdem konnte die Hamas-Regierung einen Zuwachs an politischer und ökonomischer Macht verzeichnen. Sie präsentiert sich als Kandidat für die Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde und als Pionier im Kampf gegen Israel. Die Hamas unterhält internationale Beziehungen und erhebt Importsteuern für Lieferungen aus Israel (über den Landweg) und Ägypten (über den Rafah-Übergang und die Tunnel), was eine beträchtliche Einkommensquelle darstellt. Zudem fließt ein Teil der internationalen Finanzhilfen für Gaza an die Hamas. Damit ist die Abhängigkeit von der Hamas-Führung im Ausland schwächer geworden.

Zusätzlich hat die Festigung der Hamas-Regierung in Gaza, wo die wichtigsten Streitkräfte der Hamas – die al-Qassam-Brigaden – stationiert sind, das Machtgefüge innerhalb der Terrororganisation allmählich verschoben. Al-Zahar hat also nicht nur eine Debatte mit Mashaal über die politischen Ziele der Bewegung begonnen, sondern die Autorität Mashaals in der Führung der Bewegung damit herausgefordert, dass er sich für eine Verlagerung des Machtzentrums aus dem Ausland nach „Palästina“ aussprach, das die Hauptlast im Kampf gegen Israel trage. Einen ähnlichen Prozess machte die Fatah 1994 durch als die Palästinensische Autonomiebehörde errichtet wurde, was dazu führte, dass schließlich ein Großteil der Führung in den Palästinensergebieten lebte.

Beispiele für al-Zahars herausfordernde Haltung finden sich in der Kontroverse darüber, wie sich die Hamas gegenüber Osama Bin-Laden positionieren solle, sowie in dem unabhängigen Schritt, sich mit einem Schweizer Diplomaten zu treffen, ohne Mashaal vorher um Erlaubnis zu fragen. Al-Zahar ist darin vermutlich nicht allein und es ist möglich, dass Ismail Haniyeh einige seiner Haltungen teilt, verliert er doch seine Rolle als Premier in Gaza, sollte die Einheitsregierung mit der Fatah zu Stande kommen.

Die Kontroverse offenbart auch neue Einsichten in Mashaals Status innerhalb in der Hamas. So ist er weitestgehend akzeptiert als Führer, einschließlich vom militärischen Flügel, doch ihm mangelt die Aura von Scheich Ahmed Yassin, dem Gründer der Hamas, der zugleich ihr spiritueller Führer war, oder das Charisma Abd al-Aziz al-Rantisi, dem Nachfolger Yassins.

Mashaal beendete diese Runde überlegen. Die Hamas-Führung unterstützte ihn und seine Position nach dem Treffen in Damaskus, an dem auch Vertreter Gazas teilnahmen, mit der einstimmigen Erklärung des Politbüros. Zur gleichen Zeit erhielt al-Zahar keine öffentliche Unterstützung durch seine Hamas-Brüder in Gaza und dem Westjordanland, so dass er zum Rückzug gezwungen war und die Meinungsverschiedenheiten herunterspielte.

Doch der Stein des Anstoßes bleibt bestehen. Al-Zahar dürfte sich künftig der Unterstützung anderer Hamas-Führer einschließlich jener der al-Qassam-Brigaden versichern, wenn er Gaza mehr Gewicht bei der Entscheidungsfindung zugewiesen sehen will.

Mashaal hat bewusst darauf verzichtet, auf diese Herausforderung durch al-Zahar zu reagieren, vermutlich um den Eindruck zu vermeiden, jener sei ein ebenbürtiger Rivale im Machtkampf. Mashaals Hauptziel ist gegenwärtig, die Versöhnung mit der Fatah zu propagieren, um einen Beitritt der Hamas in die PLO vorzubereiten. Ziel ist, diese international einzig als repräsentativ für die Palästinenser geltende Organisation zu übernehmen.

Abgesehen von diesem strategischen Ziel, könnten die kommenden Wahlen zum Palästinensischen Nationalrat (PNC) der PLO die Machtverteilung innerhalb der Hamas beeinflussen. In Übereinstimmung mit dem Versöhnungsabkommen mit der Fatah wird es im Westjordanland, Gaza und „außerhalb Palästinas“ zu Wahlen kommen. Die Abgeordneten von „außerhalb Palästinas“ sind dabei zu mindestens der Hälfte der Sitze im PNC berechtigt, während Gaza nur eine kleine Minderheit stellen wird, was Gazas Rolle in der Führung wiederspiegeln könnte.

Die Hamas-Führung im Ausland, welche die Fatah als Führungskraft der PLO und der Palästinenser ablösen möchte, unterscheidet sich von der Hamas-Regierung in Gaza, der nur die Rolle einer Geschäftsführung in Gaza zukommt. Dabei ist ihr wichtig, sich auch mit der Hamas-Führung im Westjordanland zu arrangieren, um al-Zahar und andere, die ihn unterstützen, im Zaum zu halten.

Ein weiterer Faktor ist der arabische Frühling. Mit der wachsenden Unruhe in Syrien, das lange Zeit das Rückgrat der Hamas darstellte, könnte die Hamas-Führung gezwungen sein, sich Alternativen zu ihrem Hauptquartier in Gaza zu suchen. In Ägypten hat die Muslimbruderschaft in Vorbereitung der kommenden Wahlen eine neue Partei gegründet. Ihre wachsende politische Macht könnte dazu führen, dass die Mutterbewegung der Hamas eine größere Rolle in der Politik der Hamas spielen wird. Traditionell standen die Muslimbrüder der Gaza-Hamas näher und in den vergangenen Jahren sind diese Beziehungen sogar stärker geworden, wie sich an der Überweisung von Finanzhilfe zum Kauf von Waffen ablesen lässt.

Verhandlungen über die Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit im Austausch für hunderte palästinensische Häftlinge dürfte durch diesen Hamas-internen Machtkampf erschwert werden. Hochrangige israelische Politiker haben bereits darauf verwiesen, dass der oberste Chef des al-Qassam-Brigaden Ahmad Jaabari an kompromisslosen Forderungen festhält und so den vorgeschlagenen Deal blockiert habe. Die Hamas-Führung dürfte es aus Angst vor einer Konfrontation mit den Hardlinern schwieriger finden, Zugeständnisse zu machen. Al-Zahars Schritt mag keine unmittelbare oder tatsächliche Wirkung gehabt haben, doch war er eine Absichtserklärung, die die Führung bei künftigen Entscheidungen wird berücksichtigen müssen, einschließlich der Frage der Freilassung Shalits.

Die Kontroverse innerhalb der Hamas dreht sich um Macht und nicht um politische Positionen. Die Hamas hält weiterhin an der Befreiung des historischen Palästinas und der Zerstörung Israels fest. Die einzige Beweglichkeit findet sich in der Bereitschaft der Hamas, einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 zu akzeptieren und dafür einen befristeten Waffenstillstand (Hudna) zu erklären. Doch die Bedingung dafür wäre, dass Israel seine Grenzen öffne und Millionen Palästinensern die Möglichkeit gebe, auf dem israelischen Gebiet zu siedeln, was das Ende Israels und seine Verwandlung in einen Palästinenserstaat bedeuten würde.


Oberstlt. a.D. Jonathan D. Halevi ist Senior Researcher für Nahost und radikalen Islam am Jerusalem Center for Public Affairs. Er ist Mitbegründer der Orient Research Group Ltd. und war Berater des politischen Planungsstabes des israelischen Außenministeriums.


[1] http://www.alquds.com/news/article/view/id/266596

[2] http://www.youtube.com/watch?v=nZAFBYVcWnQ

[3] http://www.youm7.com/News.asp?NewsID=406761&

[4] http://www.alquds.com/news/article/view/id/266596

[5] http://www.al-akhbar.com/node/13186

[6] http://palestine-info.info/Ar/default.aspx?xyz=U6Qq7k%2bcOd87MDI46m9rUxJEpMO%2bi1s7aiPh%2bRpJ0nlJyUgzQw4Gr1McT8zPXzKc9SLEdPKhB0NnPMnb4PMn5DINammtdot7%2faDjO8XwEqp9YOtbgKkspJJ95p%2bcPubEMEj7MDoDCl4%3d

[7]http://www.alriyadh.com/2011/06/08/article639547.html

[8] http://www.alriyadh.com/2011/06/08/article639547.html; http://www.felesteen.ps/details/20884/%D8%A7%D9%84%D8%B2%D9%87%D8%A7%D8%B1-%D9%82%D8%B1%D8%A7%D8%B1%D8%A7%D8%AA-%D8%AD%D9%85%D8%A7%D8%B3-%D8%AA%D8%A4%D8%AE%D8%B0-%D8%A8%D8%A7%D9%84%D8%A3%D8%BA%D9%84%D8%A8%D9%8A%D8%A9-%D9%88%D9%84%D8%A7-%D9%8A%D9%88%D8%AC%D8%AF-%D8%AE%D9%84%D8%A7%D9%81%D8%A7%D8%AA.htm

[9] http://international.daralhayat.com/internationalarticle/273732 http://aawsat.com/details.asp?section=4&issueno=11875&article=624852&feature=

[10] http://palestine-info.info/ar/default.aspx?xyz=U6Qq7k%2bcOd87MDI46m9rUxJEpMO%2bi1s72JSiGvTCh6h5Y%2f%2b8%2fvj3WuIuafkhLa0%2f4DxAZoIeLbtkHnWijorI7h95Dv5jIUA6LDUT8gec1kEU9iIADfHVF%2fd9eBct6KkiO9P8uE%2bmNHU%3d

[11] http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5iCxEOyybKqzJTmgNoAWMrqQJ3yrw?docId=CNG.b2631bdc806960053dcc74bad5fb0023.3e1

[12] http://www.al-akhbar.com/node/13250

[13] http://www.alriyadh.com/2011/05/19/article633816.html

[14] http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5iCxEOyybKqzJTmgNoAWMrqQJ3yrw?docId=CNG.b2631bdc806960053dcc74bad5fb0023.3e1

[15] http://www.alquds.co.uk/index.asp?fname=today%5C05qpt970.htm&arc=data%5C2011%5C06%5C06-05%5C05qpt970.htm