Libanon am Rande des Abgrunds
Botschafter Zvi Mazel
Die jüngsten Offenbarungen des Drusenführers Walid Dschumblatt verdeutlichten einmal mehr das unermüdlichen Agieren der Hisbollah, welche ihre Stellung weiter ausbaut und ihre Truppen für die Machtübernahme im Libanon sowie Krieg gegen Israel vorbereitet. In einer dramatischen Erklärung wies Dschumblatt darauf hin, dass die Organisation sich ein illegales unabhängiges Telefonnetz aufgebaut habe. Dieses Netzwerk verbindet die im Südlibanon stationierten Hisbollah-Truppen, die des Bekaa-Tals, das schiitische Dahia-Viertel Südbeiruts, in dem sich während des Zweiten Libanonkrieges das Hisbollah-Hauptquartier befand, sowie die christliche Region Kerswan, in welcher einer ihrer Führer, Michel Aoun, eng mit Hisbollah zusammenarbeitet. Zugleich sind diese Orte mit Syrien verbündet. Dschumblatt bezeugte zudem, dass die Hisbollah am Flughafen von Beirut ein Überwachungssystem eingerichtet habe, das die Bewegungen von VIPs und ausländischen Vertretern kontrolliere.
Der libanesische Kommunikationsminister Marwan Hamada beschuldigte eine Einrichtung namens „Iranische Dienststelle für den Wiederaufbau des Libanon“ für den Aufbau des Kommunikationsnetzes der Hisbollah. Die Sprecher der Hisbollah wiederum gaben in den ihnen üblichen Stellungnahmen kund, dass Dschumblatt im Dienste der USA und Israel stünde, verneinten allerdings nicht die Existenz eines solchen unabhängigen Netzes, welches, so ihre Erklärung, die Organisation benötige, um den Libanon vor Israel zu schützen. Eine Koalition von Parteien, welche die Parlamentsmehrheit stellen und die sich gegen die Machtübernahmeversuche der Hisbollah wehren, veröffentlichte eine Erklärung, welche Dschumblatts Stellungnahme bestätigte. Die Pläne der Hisbollah, einen Staat im Staate zu errichten, hätten eine kritische Phase erreicht, so die Erklärung. Weiterhin verwies sie auf die schwere Krise, welche die Hisbollah im Libanon ausgelöst habe und zählte das Vorgehen der Organisation auf:
A. die Übernahme Zentralbeiruts durch die Oppositionsgruppen (Hisbollah, Amal-Bewegung sowie die Partei des Christenführers Michel Aoun), welche seit Juni 2007 der libanesischen Wirtschaft eine tödliche Wunde zugefügt habe;
B. die Rücktritte der Hisbollah-Minister aus der Regierung, welcher diese paralysiert habe;
C. die Weigerung Nabieh Berris, Parlamentssprecher und Führer der Amal-Bewegung, das Parlament zur Wahl eines neuen Präsidenten zusammenzurufen;
D. die Säuberung ganzer Gebiete von legitimen libanesischen Sicherheitskräften (jene Gebiete, in denen Hisbollah ihre Waffen und Raketen konzentriert);
Auf diese Weise, so die Erklärung weiter, werde ein Hisbollah-Staat im Libanon errichtet und die Wahl des vorgesehenen neuen Präsidenten Michel Suleiman, Kommandeur der libanesischen Armee, blockiert. Die Erklärung bezieht sich ebenfalls auf die Aktivitäten des iranischen Botschafters im Libanon, Mohammad Reda Shibani, der als iranischer Hochkommissar bezeichnet wird, „welcher die Legitimität der libanesischen Regierung nicht anerkennt und dessen Aufgabe Hilfe für den Aufbau des Hisbollah-Staates unter Verwendung aller iranischen Ressourcen – Luftwege, Banken, Kommunikation und Propaganda – ist.“
Die Erklärung betont die Dringlichkeit, einen neuen Präsidenten zu wählen, für die Förderung des Dialoges zwischen den Konfliktparteien. Sie schließt mit einem verzweifelten Aufruf an die arabischen Länder, den Libanon zu unterstützen und die iranische Bedrohung aufzuhalten, und bittet die internationale Gemeinschaft, den Libanon zu unterstützen und die UN-Sicherheitsratsresolutionen, ignoriert von der Hisbollah, umzusetzen.
Diese Erklärung entbehrt tatsächlich nicht einer Dramatik, welche die Unfähigkeit der legitimierten Institutionen des Libanon verdeutlicht, sich vis-à-vis der Hisbollah durchzusetzen, die mit offener iranischer Unterstützung entschlossen daran arbeitet, ihre Stützpunkte aufzubauen und zu befestigen mit einem Ziel – Libanon in einen iranischen Satellitenstaat zu verwandeln, von dem aus mit Terror und Drohungen gegen Israel und andere Staaten der Region vorgegangen werden kann.
Man kann davon ausgehen, dass sich diese Situation durch den Generalstreik der Gewerkschaften gegen die Preissteigerungen verschärft hat. Angesichts des weltweiten Anstieges der Nahrungsmittelpreise wäre dies ein legitimer Protest, stünden die Gewerkschaften nicht der Opposition nahe und würde Hisbollah nicht die Fäden ziehen. Es scheint daher, dass die Hisbollah sich entschlossen hat, den Druck auf die Regierung mittels der Gewerkschaften zu erhöhen im Hinblick auf allgemeinen Anstieg der Instabilität und um die Bewegungsfreiheit der Regierung gegen die Hisbollah weiter zu beschneiden.
Die Lage im Libanon verschlechtert sich weiter. Vermittlungsversuche der arabischen Länder und der Arabischen Liga, die Wahl des Präsidenten zu bewerkstelligen haben sich als fruchtlos erwiesen. Der Kompromissvorschlag arabischer Außenminister wurde von der Hisbollah zurückgewiesen. Amru Moussa, Generalsekretär der Arabischen Liga zeigte sich der ertraglosen Reisen nach Beirut bereits überdrüssig. Auch der UN-Generalsekretär Ki-Moon hat bereits Kraft seines Amtes versucht zu intervenieren – ohne Erfolg. Die Vereinigten Staaten unterstützen die legitime Regierung unter Siniora und bezichtigten Syrien der Verantwortung für die gegenwärtige Libanonkrise, wenn auch bislang vergeblich.
Die Krise im Libanon stellt einen Test für die gemäßigten arabischen Staaten wie die internationale Gemeinschaft gleichermaßen dar. Die Frage ist, ob die dem Westen nahestehenden Staaten Ägypten und Saudi Arabien mit westlicher Hilfe in der Lage sein werden, die Subversionsversuche Irans mittels Syrien, Hisbollah und Hamas zu beenden. Es ist allgemein bekannt, dass Hisbollah im Libanon als verlängerter Arm des Iran operiert. Aus Teheran erhält die Hisbollah alle Ausrüstung und benötigten Waffen über Syrien, einem treuen Verbündeten des Iran. Doch auch Syrien hat eigene Interessen im Libanon. Es betrachtet ihn als Teil eines Großsyrien weigert und sich aus diesem Grund, die Grenze zwischen beiden Ländern zu markieren sowie es auch bis heute die Einrichtung von Botschaften in den Hauptstädten beider Länder verhindert hat. Selbst nachdem es gezwungen wurde, seine Truppen nach der Ermordung Premierminister Rafik al-Hariri auf Grund der UN-Sicherheitsratsresolution 1559 aus dem Libanon abzuziehen, setzte Syrien seine Einmischung in libanesische Angelegenheiten mittels seiner Sicherheitsdienste fort. Damaskus fürchtet, dass der internationale Gerichtshof, welcher von den Vereinten Nationen zur Untersuchung des Hariri-Mordes eingerichtet wurde, die Verwicklung höchster syrischer Kreise, einschließlich Präsident Bashar al-Assad, in der Ermordung libanesischer Politiker in den letzten Jahren aufdecken wird. Hisbollah versucht also, Syrien diese öffentliche Bloßstellung zu ersparen. Ihre Rolle besteht darin die libanesische Regierung daran zu hindern, die Einrichtung des Gerichtshofs zu gestatten und mit ihm zusammenzuarbeiten. Dies ist die Ursache der politischen Krise im Libanon, welche die Hisbollah zu verschärfen versucht, indem sie die Schaffung einer neuen Regierung und die Wahl eines Präsidenten verhindert.
Es bleibt zu fragen, wie lange die libanesische Regierung diesem Druck standhalten kann. Bislang wurde noch keine adäquate Reaktion auf die illegalen Aktivitäten der Hisbollah gefunden. Die jüngsten Offenbarungen verweisen auf die Schwere der Situation und die Erklärung der Koalitionsmehrheit signalisiert Panik. Die arabischen Staaten wie der Westen sind mit ihren diplomatischen Versuchen gescheitert und wirken hilflos. Es scheint allen bewusst zu sein, wie groß die Gefahr des Chaos im Libanon ist und wie hoch die Wahrscheinlichkeit, dass er in iranische Hände fallen könnte, doch eine passende Antwort ist nicht in Sicht.
Für Israel ist das ernsthafteste Problem die Frontstellung zur Hisbollah. Es wird davon ausgegangen, dass im Falle eines gewaltsamen Konfliktes mit der Organisation niemand ein Einschreiten der UNIFIL-Truppen erwarten sollte, deren Arbeit sich bislang als massive Enttäuschung herausgestellt hat. Ihre Soldaten fürchten sich aus Sorge um die eigene Sicherheit vor jeder Konfrontation mit Militanten der Hisbollah. Die Vereinten Nationen, die sie entsandt haben, scheint ernsthaft besorgt über die Krise im Libanon, tut allerdings nichts, um den Aufbau der Hisbollah zu verhindern.
Der Autor ist ehemaliger israelische Botschafter in Schweden und Ägypten und Experte für Politik im arabischen Raum.