Israels Krieg gegen die Hamas und ein altes Vorurteil des Westens

Israels Krieg gegen die Hamas und ein altes Vorurteil des Westens

Prof. Efraim Karsh

· Mit einer allzu bekannten Einmütigkeit haben Politiker, Medien, NGOs und Kirchenführer auf der ganzen Welt sich wie nach Stichwort gemeldet, um Israels legitimen Akt der Selbstverteidigung gegen eine der extremsten Terrorgruppen zu verurteilen. Dieser Chor der Missbilligung unterscheidet sich deutlich von der absoluten Gleichgültigkeit, mit der weit blutigeren Konflikten auf der Welt begegnet wird.

· Wieso solidarisieren sich Bürger demokratischer Staaten derart enthusiastisch mit einer radikal islamistischen Gruppe, die nicht nur die Zerstörung einer verbündeten Demokratie zum Ziel hat, sondern ganz offen die bestehende internationale Ordnung durch ein weltweites islamisches Kalifat ersetzen möchte?

· Jahrzehnte der Misshandlung der Palästinenser durch arabische Staaten werden praktisch ignoriert. Nur in der Auseinandersetzung mit Israel erlangen die Palästinenser die Aufmerksamkeit der Welt.

· Der Umstand, dass die internationale Berichterstattung des arabisch-israelischen Konfliktes stets ein Ausmaß an Intensität und emotionaler Teilnahme widerspiegelt, das über das von unparteiischen Beobachtern zu erwartende, normale Maß hinausgeht, scheint anzudeuten, dass es sich dabei um die Manifestation lang existierender Vorurteile handelt, die durch den Konflikt ans Licht gelangen.

· Die Palästinenser sind dabei nur der jüngste Blitzableiter gegen die Juden. Ihre angebliche Opferung bestätigt die Jahrtausende alte Dämonisierung der Juden sowie die mittelalterlichen Ritualmordlegenden – dass Juden sich am Blut anderer ergötzen.

Eine Welle internationaler Entrüstung

Kaum hatte Israel sich nach Jahren der Zurückhaltung entschlossen, die Angriffe der Hamas gegen seine Zivilbevölkerung zu stoppen, sah es sich einer Welle internationaler Entrüstung ausgesetzt. Mit einer allzu bekannten Einmütigkeit haben Politiker, Medien, NGOs und Kirchenführer auf der ganzen Welt sich wie nach Stichwort gemeldet, um den legitimen Akt der Selbstverteidigung einer souveränen Demokratie gegen eine der extremsten Terrorgruppen zu verurteilen, die sich offen zu Israels Vernichtung bekennt und jahrelang Tausende von Raketen und Mörsergranaten gegen zivile Gemeinden feuerte (von der langen Geschichte von Selbstmordattentaten ganz zu schweigen).

Dieser Chor der Missbilligung findet seinen Ausdruck in einer pauschalisierenden internationalen Berichterstattung über die israelische Antwort in Gaza, die kaum mörderische Ideologie und Taten der Hamas in den Blick nimmt, und unterscheidet sich damit deutlich von der absoluten Gleichgültigkeit, mit der weit blutigeren Konflikten auf der Welt begegnet wird – vom anhaltenden Völkermord in Darfur mit seinen 400 000 Tote und mindesten 2,5 Millionen Flüchtlingen, dem Krieg im Kongo mit über vier Millionen Toten und Vertriebenen bis nach Tschetschenien, wo geschätzt 150 000 – 200 000 gestorben sind und bis zu einem Drittel der Bevölkerung vom russischen Militär vertrieben wurde. Bei keiner dieser Tragödien sah man Demonstranten auf die Straßen von London, Paris, Berlin, Mailand, Oslo, Dublin, Kopenhagen, Stockholm, Washington oder Fort Lauderdale (um nur einige zu nennen) strömen, wie jetzt während der Gaza-Krise.

Arabische Misshandlung der Palästinenser wird ignoriert

Wie kann dies sein? Wieso solidarisieren sich Bürger demokratischer Staaten derart enthusiastisch mit einer radikal islamistischen Gruppe, die nicht nur die Zerstörung einer verbündeten Demokratie zum Ziel hat, sondern ganz offen die bestehende, auf Nationalstaaten basierende internationale Ordnung durch ein weltweites islamisches Kalifat (oder Ummah) ersetzen möchte? Nicht aus Mitgefühl mit den Palästinensern, deren Misere niemals echtes internationales Interesse auf gezogen hat, vor allem nicht das der arabischen Staaten (und ebenso der Palästinenserführung), deren jahrzehntelange Misshandlung der Palästinenser praktisch ignoriert wurde.

Zwischen 1949 und 1967 herrschten Ägypten sowie Jordanien über die Palästinenser des Gaza-Streifens bzw. des Westjordanlandes. Nicht nur versäumten sie der Bevölkerung den Weg zur Staatlichkeit zu ebnen, sie zeigten auch wenig Interesse, deren Menschenrechte zu schützen oder auch nur die Lebensqualität zu verbessern – einer der Gründe, wieso zwischen 1949 und 1967 120 000 Einwohner des Westjordanlandes auf die Ostseite des Jordan übersiedelten, während ungefähr 300 000 weitere auswanderten.

Niemand in der internationalen Gemeinschaft schenkte dem mehr Aufmerksamkeit als sie es in jüngster Zeit dem anhaltenden Missbrauch der Palästinenser in der ganzen arabischen Welt taten – von Saudi Arabien bis hin zum Libanon, einem Land, das im Juni 2006 in einem Amnesty International Bericht für seine „anhaltende Diskriminierung und den Missbrauch der fundamentalen ökonomischen und sozialen Rechte der palästinensischen Flüchtlinge“ verurteilt wurde.

Es gab auch keinen internationalen Aufschrei als arabische Länder Palästinenser in großer Zahl abschlachteten. Bei der Niederschlagung des palästinensischen Aufstands im „Schwarzen September“ 1970 ordnete König Hussein von Jordanien die rücksichtslose Bombardierung palästinensischer Flüchtlingslager an. Zwischen 3 000 und 5 000 palästinensische Flüchtlinge starben dabei. Die Tatsache, dass Hussein in einem Monat mehr Palästinenser tötete als Israel in Jahrzehnten, wurde ihm nie entgegengehalten und hat seine weit verbreitete Wahrnehmung als „Mann des Friedens“ nicht beschädigt. Wie es der mutmaßlich pro-palästinensische Journalist Robert Fisk in seinen jüngsten Memoiren ausdrückte, war es bei König Hussein „schwierig, etwas an ihm auszusetzen“.

Vor mehr als zwei Jahrzehnten bestätigte die Nummer Zwei der PLO, Abu Iyad, öffentlich, die Verbrechen der syrischen Regierung gegen die Palästinenser würden „jene des israelischen Feindes [übersteigen]“. In Folge der Befreiung Kuwaits 1991 bestraften die Kuwaiter die PLO nicht nur für ihre Unterstützung der brutalen Okkupation Saddam Husseins, indem sie die finanzielle Unterstützung für Arafats aufgeblähte und korrupte Organisation einstellten, sondern es gab auch weitverbreitete Ermordungen in Kuwait lebender Palästinenser.

Diese Rache gegen unschuldige palästinensische Arbeiter in dem Emirat erreichte solche Ausmaße, dass Arafat höchstpersönlich anerkennen musste: „Was Kuwait den Palästinenser antat, ist schlimmer als das, was Israel den Palästinensern in den besetzten Gebieten zufügt.“ Dennoch gab es dazu weder eine Berichterstattung in den Medien, noch wurden außerordentliche UN-Sitzungen anberaumt. Nur in Auseinandersetzung mit Israel erlangen die Palästinenser die Aufmerksamkeit der Welt.

Konflikt mit Israel erhält den Palästinensern die Aufmerksamkeit der Welt

Mit anderen Worten: Die außergewöhnliche internationale Aufmerksamkeit für die Palästinenser ist eine Begleiterscheinung des palästinensischen Konfliktes mit dem einzigen jüdischen Staat seit biblischer Zeit. Darin spiegelt sich eine endzeitliche Besessenheit mit den Juden sowohl in der christlichen wie auch in der islamischen Welt wider. Ginge es bei diesem Streit um einen zwischen Palästinensern und anderen Arabern, Moslems oder einem anderen Gegner, er hätte nur einen Bruchteil des gegenwärtigen Interesses gefunden.

Gelegentlich drückt sich diese Besessenheit – so v.a. unter strenggläubigen und/oder wiedergeborenen Evangelikalen Christen – in Bewunderung und Unterstützung für die nationale jüdische Auferstehung im Heiligen Land aus. In den meisten Fällen jedoch führten antijüdische Vorurteile und Feindseligkeiten, also Antisemitismus, zu einer Verschärfung des Misstrauens und Hasses gegen Israel. Die internationale Berichterstattung über den arabisch-israelischen Konflikt, Verleumdungen des Zionismus, wie in den verabscheuungswürdigen Gleichsetzungen Israels mit Nazideutschland und dem Südafrika der Apartheid, haben stets ein Ausmaß an Intensität und emotionaler Teilnahme widergespiegelt, das über das von unparteiischen Beobachtern zu erwartende, normale Maß hinausgeht. Dieser Umstand scheint anzudeuten, dass es sich dabei, anstelle einer Reaktion auf konkretes israelisches Handeln, um die Manifestation lang existierender Vorurteile handelt, die durch den wechselhaften Konflikt ans Licht gelangen.

Es gibt noch einen anderen Aspekt. Seit Jahrtausenden galt jüdisches Blut als billig, wenn nicht kostenlos in der christlichen und islamischen Welt, wo der Jude zum Sinnbild der Machtlosigkeit wurde, einem ewigen Prügelknaben und Sündenbock für alle Fehler der Gesellschaft. Es scheint also keinen Grund zu geben, wieso Israel sich nicht ebenso wie frühere Generationen verhalten sollte, vermeiden sollte, die arabischen Nachbarn zu verärgern und sich zurückzuhalten, wenn es angegriffen wird. Doch nein, statt zu wissen, was sich für ihn gehört, verwirft dieser unverschämte jüdische Staat seine historisch angestammte Rolle, in dem er jüdisches Blut nunmehr teuer verkauft und jene zurückschlägt, die ihn bislang ungestraft tyrannisieren konnten. Diese dramatische Umkehr der Geschichte kann nicht anders als unmoralisch und unakzeptabel sein. Daher die Empörung der Weltgemeinschaft und daher die unbegrenzten Anstrengungen der Weltpresse, jede Minute der „unverhältnismäßigen“ Antwort Israels abzudecken, nicht jedoch die Zerstörungen in israelischen Städten.

Anders formuliert, die Palästinenser sind dabei nur der jüngste Blitzableiter gegen die Juden. Ihre angebliche Opferung bestätigt die Jahrtausende alte Dämonisierung der Juden im Allgemeinen sowie die mittelalterliche Ritualmordlegenden – dass Juden sich am Blut anderer ergötzen – im Besonderen. Mit den Worten David Mamets: „Man sagte der Welt, dass die Juden das Blut zur Durchführung religiöser Zeremonien verwenden. Doch nun scheint es, dass sie es nicht mehr zum Backen ihrer Brote brauchen, sondern sich einfach daran erfreuen, die Erde damit zu tränken“.

Der Zionismus hat die „Judenfrage“ nicht gelöst

Hat der Zionismus die „Judenfrage“ nicht gelöst? Dies zu behaupten, würde zweifellos von vielen Gegnern Israels als „zionistische Propaganda“ abgetan. Doch es widerspricht nicht nur der unter vielen israelischen Akademikern und Intellektuellen vorherrschenden Position, für die derartige Argumente Anathema sind, sondern fordert auch die fundamentalsten Dogmen des Zionismus heraus – dass die Gründung eines jüdischen Staates, die jüdische Diaspora sammeln und normalisieren, die „Judenfrage“ lösen und das Phänomen des Antisemitismus, wenn nicht völlig auslöschen, so doch abmildern würde.

Was die Gründungsväter des Zionismus bei diesem Gedanken nicht bedacht hatten, war jedoch, dass die Vorurteile und die Besessenheit, welche bis dahin jüdischen Individuen und Gemeinden vorbehalten war, nun auf den jüdischen Staat übertragen werden würde. Ganz gleich, wie viel Mühe sich Israel dabei gibt, es kann dieser verstörenden Realität nicht entfliehen.

Ein zutiefst traurig machender Gedanke. Doch gibt es eine andere Erklärung dafür, dass Israel sechzig Jahre nach seiner Gründung in einem international anerkannten Akt der Selbstbestimmung der einzige Staat in der Welt bleibt, der sich einem ständigen Ausfluss an absurdesten Verschwörungstheorien und „Ritualmord“-Vorwürfen ausgesetzt sieht; dessen Politik und Handeln wie besessen von der internationalen Gemeinschaft verurteilt werden, und dessen Existenzrecht konstant in Frage gestellt und herausgefordert wird, nicht nur von seinen arabischen Feinden, sondern auch von Teilen der im Westen vorgebrachten Meinung?

Professor Efraim Karsh ist der Direktor der Mediterranean and Middle East Studies am King’s College der University of London und Mitglied des Internationalen Expertengremiums des Institute for Contemporary Affairs des Jerusalem Center for Public Affairs. Zu seinen jüngeren Veröffentlichungn zählt Islamic Imperialism: A History (Yale University Press, 2007).