Israel fordert sichere Grenzen

Die UN Sicherheitsratsresolution 242: Kein Rückzug auf die Waffenstillstandslinien von 1949
 
Der Kampf Israels, „sichere Grenzen” zu erzielen, stellt einen einzigartigen Kampf in der internationalen Diplomatie dar. Dieser Kampf ist auf die juristischen und strategischen Besonderheiten zurückzuführen, die sich im Jahre 1967, nach dem Sechs-Tage-Krieg, für Israel ergeben haben, als die israelische Armee Judäa und Samaria und weitere Gebiete eroberte, nachdem Israel in einen Selbstverteidigungskrieg gezogen worden war. In den Waffenstillstandsabkommen von 1949, gegen die die Jordanier 1967 verstoßen haben, wird festgelegt, das die Waffenstillstandslinien eine militärische Trennungslinie darstellen, – eine Waffenstillstandslinie und keine permanente Grenze. Die Eroberung des Westjordanlandes durch das jordanische Königreich war das Ergebnis seines unrechtmäßigen Eindringens in den Staat Israel im Jahre 1948; genau genommen haben nur Großbritannien und Pakistan die jordanische Hoheit über diese Gebiete jemals anerkannt. Auf diesem Hintergrund hat der UN Sicherheitsrat die Resolution 242 im November 1967 verabschiedet, in der klar dargelegt wird, dass Israel ein Anrecht auf „sichere und anerkannte Grenzen” geltend machen kann. Diese Grenzen werden – wie aus dem Wortlaut der Resolution hervorgeht – nicht mit den Waffenstillstandslinien von 1967 identisch sein. Die UN hat nicht festgelegt, dass der Status quo ante beibehalten werden muss. Ganz im Gegenteil – und genau dies ist aus einigen Erklärungen US amerikanischer Präsidenten, u.a. einer Erklärung von Präsident Bush vom 14. April 2004, zu entnehmen, der erklärte, Israel habe Anrecht auf „sichere, verteidigungsfähige” Grenzen.
 
Der Begriff „verteidigungsfähige, sichere Grenzen” basiert auf einer strategisch überzeugenden Logik. Israel befindet sich in einer abnormalen Situation: ein demokratischer Staat, der viele Kriege erlebt hat, der sich in seiner kurzen Geschichte immer wieder vor Angriffen der Armeen seiner Nachbarstaaten zu verteidigen hatte, deren klar ausgesprochenes Ziel darin bestand, den Staat Israel zu vernichten. Die israelische Verteidigungsarmee, Zahal, kann es sich nicht erlauben, auch nur den geringsten Fehler zu begehen oder Gefahren auf sich zu nehmen, wenn es darum geht, den einzigen jüdischen Staat der Welt zu verteidigen. Andere Nationen, wie etwa Frankreich oder Kuweit haben kapituliert oder wurden erobert – die eine Nation von Deutschland, die andere vom Irak, dennoch haben sie überlebt und sich nach ihrer wiedergefundenen Unabhängigkeit, wieder aufgebaut. Im Gegensatz dazu kann Israel sich nicht auf eine solche, zweite Chance einlassen. Eine Fehlkalkulation von Seiten Israels kann zu unwiderruflichen und fatalen Auswirkungen führen. Daher befindet sich der Staat Israel in einer einzigartigen, unvergleichbaren Situation.
 
Was rechtfertigt die Besorgnis, mit der Israel mögliche Verteidigungsoptionen verfolgt? Der Grund für Israels Besorgnis liegt seit der Staatsgründung in der großen zahlenmäßigen Vormachtstellung, die die potentiellen Koalitionen arabischer Staaten genießen. Darüber hinaus sind die arabischen Armeen hauptsächlich auf stehenden Divisionen aufgebaut, die ohne jegliche Vorwarnung kriegsbereit (und einsetzbar) sind, wobei Zahal hauptsächlich aus Reserveeinheiten zusammengesetzt ist. Dies bedeutet, dass Israel im Falle eines Überraschungsangriffs, von einer relativ kleinen Armee verteidigt werden muss, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Reserveeinheiten einberufen werden.
 
Unter Berücksichtigung der geographischen Gegebenheiten und der schmalen Ausmaße des Landes, wäre ein Angriff, der von den Waffenstillstandslinien von 1949 ausginge, auf die schmalste Stelle des Landes, die nur 15 km breit ist, auf ganz einfache Art und Weise in der Lage, das Land in zwei zu schneiden und das der Grenze zu nahegelegene strategische Hinterland zu bedrohen.
 
Über die Gefahr eines konventionellen Angriffs auf Israel hinaus, bildet auch der Terrorismus eine Bedrohung für das zivile Hinterland, das sich innerhalb der Reichweite der Katjuscha-Raketen in den Grenzen von 1949 befindet. Von strategischer, militärischer Sicht aus, heißt das Anrecht auf sichere Grenzen, dass Israel Sicherheitszonen jenseits der Linien von 1967 innehaben muss, um sich den künftigen Bedrohungen widersetzen zu können, auch wenn es mit den Nachbarstaaten zu Verträgen kommen sollte. Falls es zu neuen Angriffen kommen sollte, muss Israel die klare Möglichkeit besitzen, sich selbst aus eigenen Kräften verteidigen zu können und dies auf der Grundlage einer klaren Grenzziehung, die solche Aspekte berücksichtigt.
 
Wann wird eine Grenze als sicher und verteidigungsfähig angesehen?
Woran ist zu erkennen, ob eine Grenze verteidigungsfähig ist? Um diese Frage beantworten zu können, muss zuerst ein anderer Aspekt geklärt werden: Sollte Israel von einer konventionellen Armee angegriffen werden oder durch eine beliebige Verbindung von Bodenstreitkräften, ballistischen Raketen und Terror-gruppen, bieten in einem solchen Fall die Grenzen und das dahinterliegende Hinterland der israelischen Armee die Möglichkeit, seine Verteidigungsaufgabe mit größtmöglichen Erfolgschancen durchzuführen?
 
Die Antwort auf diese Frage muss auf rein militärischen Überlegungen basieren:
Sicher sind bei der Entscheidungsfällung bezüglich der zukünftigen Grenzen des Staates Israel auch andere Faktoren zu berücksichtigen, wie etwa die demographische Entwicklung, die Wirtschaft und die Wasserreserven. Diese nationalen Interessen gehören allerdings nicht zum Problemkreis der verteidigungsfähigen Grenzen. Ganz im Gegenteil, es ist nicht empfehlenswert anderen, wenn auch wichtigen Entscheidungsträgern, die Möglichkeit zu geben, diese entscheidende Frage zu „verwässern”: nämlich ob Israel sich von diesen zukünftigen Grenzen aus verteidigen und überleben kann, falls ein Krieg ausbrechen sollte.
 
Diese Frage kann gar nicht überschätzt werden, auch wenn sich letzten Endes erweisen sollte, dass die in einem Vertrag festgelegte Grenze nicht unbedingt die Grenze darstellt, die notwendig ist, um Israel verteidigen zu können – und sei es auch nur um genau dargestellt zu haben, welche Gefahren Israel bei einem Vertrag auf sich nimmt und um sich auf Situationen vorzubereiten, in denen diese Gefahren eventuell Wirklichkeit werden.
 
Ständige Notwendigkeit, sich gegen äußere Bedrohungen zu verteidigen
 
Die Diskussion um verteidigungs-fähige Grenzen ist nur dann von Bedeutung, wenn man davon ausgeht, dass Israel sich in Zukunft gegen einen äußeren Feind zu verteidigen haben wird. Wenn verbindlich versprochen werden kann, dass Israel sich in Zukunft nicht gegen irgendeinen äußeren Feind zu verteidigen haben wird, verliert auch die Forderung nach verteidigungsfähigen Grenzen und die Frage, ob Israel einem Angriff standhalten kann, ihre Bedeutung. Unter solchen Bedingungen wäre es möglich, die Armee aufzulösen und Grenzen nach anderen, nicht militärischen Überlegungen festzulegen, wie etwa demographischen und historischen Ansprüchen. Angesichts der heutzutage in Europa herrschenden Realität, ist Belgien z.B. nicht auf verteidigungsfähige Grenzen angewiesen, obwohl es noch vor 70 Jahren auf solche angewiesen war.
 
Daraus geht ganz klar hervor, das die Grundprämisse in dieser Überlegung folgende ist: in absehbarer Zeit wird sich Israel nicht in einer Situation befinden, die mit den herrschenden Gegebenheiten in Nordamerika oder Europa zu vergleichen wäre. Die Grundprämisse in diesem Artikel lautet, dass Israel in Zukunft sehr wohl einer äußeren Bedrohung ausgesetzt sein kann.
 
Grundsätzlich sind 3 Arten der Bedrohung zu berücksichtigen:
1.     Bedrohung eines konventionellen, klassischen Krieges mit Panzereinheiten, mobiler Artillerie und Angriffsfliegern, die in Zukunft alle mit ferngesteuerter und immer genauerer Munition ausgerüstet werden.
2.     Bedrohung durch Lang- und Kurzstreckenraketen, durch konventionelle und unkonventionelle Raketen.
3.     Terrordrohungen – durch Eindringen von Selbstmordattentätern in das Staatsgebiet oder durch Mörserraketen, Raketen und Boden-Boden Steilfeuerangriffsraketen.
 
Es ist unbestritten, dass Israel Bedrohungen durch Raketen und Terrorangriffe ausgesetzt ist. Es muss jedoch gefragt werden, ob die konventionelle, klassische Bedrohung noch immer über Israel schwebt. Ist es möglich, dass die Kriege zwischen den Arabern und Israel in den Jahren 1948, 1956, 1967 und 1973 sich irgendwie wiederholen können? Es kann behauptet werden, dass die Gegebenheiten sich grundsätzlich verändert haben: Israel hat mit Ägypten und Jordanien Friedensverträge abgeschlossen, die sich im Laufe der Zeit und der Ereignisse als standfest bewiesen haben; es sieht so aus, als ob nach 2003 auch die Bedrohung aus dem Irak aus der Welt geschaffen sei. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR erlebt Syrien große Schwierigkeiten, sein Waffenarsenal aufzubauen. Eine mögliche arabische Koalition ist also schwer vorstellbar. All diese Angaben sind zwar richtig, es handelt sich hierbei allerdings lediglich um eine oberflächliche, statistische Betrachtung der strategischen Situation Israels.
 
Langfristige, strategische Drohungen
 
Im Gegensatz zur tagtäglichen Staatsführung, die auf der Auslegung der gegenwärtigen Situation basiert, ist die Entscheidung über verteidigungsfähige Grenzen auf eine Gesamteinschätzung der Lage zu stützen, die auch langfristige, strategische Gefahren in Rechnung zieht. In diesem Zusammenhang müssen z.B. folgende Fragen berücksichtigt werden:
 
1.     Kann versprochen werden, dass der Irak nicht zu einem extremistischen Schiitenstaat wird, der vom Iran getragen wird und Israel feindlich gegenüber steht (trotz der Unterschiede zwischen den Schiiten im Irak und im Iran)? Aus Jordanien, das sehr empfindlich auf jede Entwicklung in seinen Nachbarstaaten reagiert. verlauten in diesem Zusammenhang besorgte Stimmen, die vor einer feindlichen schiitischen Achse warnen, die eventuell den Iran, den Irak und Syrien umspannen könnte.
2.     Kann man sich nicht vorstellen, dass in Judäa und Samarien ein palästinensischer Staat entsteht, der sich letzten Endes auf Jordanien ausdehnt, im Gegensatz zu den israelischen Interessen? An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass in Jordanien schon heute die Palästinenser die größte Bevölkerungsgruppe stellen. Wird Israel sich verteidigen können, wenn es von einem arabischen Staat, der sich vom Irak bis an den Stadtrand von Kfar Saba und Jerusalem erstreckt, angegriffen wird?
3.     Ist es nicht möglich, dass in Zukunft militante islamistische Gruppen die Herrschaft in Ägypten an sich reißen? Die starke ägyptische Armee unterläge dann einer weniger verantwortungsbewussten, einer extremistischeren Führung als es die jetzige Regierung Ägyptens darstellt.
 
Meiner Meinung nach darf man keines der obengenannten Szenarien außer Acht lassen. Jede einzelne, und in noch größerem Maße eine Verbindung von zwei dieser Möglichkeiten, verlangt eine genaue Überlegung, wie Israel sich gegen eine klassische militärische Bedrohung verteidigen kann – dabei handelt es sich bei diesen Fällen nicht um die dunkelsten möglichen Voraussagen für die Zukunft. Man darf nicht vergessen, dass in den 90er Jahren die Armeen des Nahen Ostens neue konventionelle Waffen erstanden haben und ihre Gelder nicht nur für Raketen oder ein nicht konventionelles Waffenarsenal ausgaben. Darüber hinaus besteht die Sowjetunion als großer Waffenlieferant nicht mehr. Man kann allerdings davon ausgehen, dass die Militärindustrie Russlands und Europas auch weiterhin ihre neuesten Waffensysteme an den ölreichen Nahen Osten verkaufen wird; parallel dazu werden auch die USA dabei helfen, die Armeen der arabischen Staaten zu modernisieren.
 
Nur wer mit absoluter Sicherheit versprechen kann, dass keines der obenge-nannten Szenarien sich verwirklicht, braucht folgende Frage nicht zu beantworten: Wie wird Israel sich vor einer konventionellen Armee an seinen Grenzen verteidigen können?
 
Angesichts der grundlegenden Veränderungen, die dem gesamten Nahen Osten bevorstehen, sobald der Iran den Status einer Atommacht erreicht – eine Entwicklung, die sich schon klar abzeichnet – werden all diese Theorien sehr viel wirklichkeitsnäher sein. Man darf nicht erwarten, dass eine solche Situation die traditionellen, konventionellen Bedrohungen aus der Welt schafft. Ein mit atomaren Sprengköpfen ausgerüsteter Iran verstärkt sie lediglich. Im Europa des „Kalten Krieges” fühlten sich die Staaten der NATO und des Warschauer Paktes gezwungen, ihre konventionell ausgerüsteten Armeen zu modernisieren, da sie sich unter dem gegenseitigen Abschreckungsmantel befanden und genau verstanden, dass unter solchen Umständen nur ein konventioneller Krieg in Frage kommt. Die Panzereinheiten beider Seiten waren und sind auch heute noch die Hauptdivisionen, die den Ausgang des Krieges bestimmen sollten. Die Raketen bildeten lediglich eine zusätzliche Möglichkeit im Waffenarsenal, zu dem auch die Langstreckenartillerie gehört. Sie sollten aber für diese Paktstaaten keineswegs die Bodenstreitkräfte ersetzen. Auch im Nahen Osten der Zukunft, in dem die nicht-konventionellen Abschreckungsfähigkeiten sich gegenseitig ausgleichen, ist zu erwarten, dass das konventionelle Gleichgewicht vor Ort wieder zur Hauptachse wird, die das allgemeine Gleichgewicht vorgibt.
 
In letzter Zeit zeichnet sich in einer Sachverständigengruppe, die die territorialen Bedürfnisse Israels betrachtet, die Tendenz ab, die Bedrohungen, denen der Staat Israel durch die klassischen konventionellen Armeen ausgesetzt ist, in Richtung auf die „moderne Technologie” abzuwenden. Dieser Betrachtungsweise nach werden wir, auch wenn wir in Zukunft einer konventionellen Bedrohung ausgesetzt sein sollten, Zahal die Möglichkeit geben, fortschrittliche technologische Mittel einzusetzen, u. a. genau gelenkte Raketen um dadurch jede territoriale Schwäche ausgleichen zu können.
 
Wer diese Erklärungen übernimmt, lässt die Tatsache außer Acht, dass auch die Feinde Israels technologisch fortschrittliche Waffen erstehen können. In diesem Fall verlöre Israel zumindest einen Teil seines Vorteils.
 
Die Topographie spielt eine große Rolle in den Kriegen, in denen gesteuerte Waffen den ausschlaggebenden Teil darstellen, besonders Waffengattungen, die mit Bodenlasermarkern ausgerüstet sind. Wenn in einem solchen Fall der Feind die Höhen des Westjordanlandes in seinem Besitz hat, kann dies den Ausschlag geben. Kurz gesagt, es ist falsch zu glauben, dass die moderne militärische Technologie die Bedeutung eines geographischen Vorsprungs aus der Welt schafft, ob es sich dabei um strategische Tiefe handelt oder eine besondere Topographie. Ganz im Gegenteil.
 
Der Bedarf nach strategischer Tiefe
 
Der Ausdruck „verteidigungsfähige Grenzen” kann sich nicht nur auf den tatsächlichen Grenzverlauf beziehen, sondern muss auch das Gebiet mit einbeziehen, das sich zwischen dem Grenzstreifen und der strategischen Breite des Landes befindet. Als die westlichen Staaten die Frage des Verlaufs der Verteidigungslinie in Europa zur Zeit des Kalten Krieges besprachen, verstanden ihre militärischen Planer, dass nicht der Grenzverlauf den Ausschlag geben wird, sondern die Verteidigungstiefe. Daher erfasste der „Verteidigungsraum” aus militärischer Sicht ganz Deutschland. Dieses Gebiet sollte einen Rückzug und einen Verteidigungskampf erlauben, damit die Eindämmungslinie am Rhein gebildet werden könnte.
 
Nachdem die Verteidigungslinien im Yom Kippur Krieg sowohl auf den Golanhöhen als auch am Suezkanal durchbrochen worden waren, sahen die israelischen Fachleute sehr schnell ein, dass die Eindämmungslinie oder die Stopplinie, wie sie von Zahal genannt wurde, nie die eigentliche Grenze darstellen darf. Um die Bedürfnisse Israels berücksichtigen zu können und als Grundlage für die amerikanische Verpflichtung, verteidigungsfähige Grenzen für Israel zu garantieren, muss geklärt werden, welche Gebiete notwendig sind, damit von dort aus, innerhalb dieser Gebiete, die Armee ihre Aktionen unternehmen und im Kriegsfalle ihre Aktionen starten kann. Die Grenzen von 1967 haben mit dieser notwendigen Beweglichkeit nichts gemeinsam. Aus rein technischer Sicht betrachtet, verliert Israel in den Grenzen von 1967 seine Fähigkeit sich selbst zu verteidigen.
 
Nach den Verteidigungsprinzipien, die verschiedene Armen der Welt für sich festgelegt haben, stehen drei Hauptaspekte im Zentrum jedes Verteidigungsplanes.
 
1.     Kampfbereich – (battlespace), mit genügender Tiefe, damit in diesem Bereich stufenweise Truppen eingesetzt werden können, die eine ausreichende Bewegungsfreiheit genießen können.
2.      Reservestreitkräfte in ausreichendem Aus-maß, um einen Gegenangriff zu lancieren und den „status quo ante”, vor dem feindlichen Angriff, wiederherzustellen.
3.      Ausreichende Entfernung vom strategischen Hinterland, die entsprechend der Einschätzung festgelegt wird, dass seine Eroberung oder ihm zugefügter schwerer Schaden die Standfestigkeit der Armee stark in Mitleidenschaft ziehen würde.
 
All diese Prinzipien basieren auf einer grundsätzlichen Annahme in Bezug auf die Kriegsführung: da kein Verteidigungsrahmen unverändert aus einem Angriff hervorgehen kann und keinerlei Garantie dafür besteht, dass die Verteidigungslinien nicht durchbrochen werden, bedarf es einer gewissen Tiefe. Ihre Aufgabe ist es, den Reserveeinheiten die Möglichkeit zu geben, sich aufzustellen und die notwendige Zeit zu gewinnen, um sie einzusetzen, bevor die feindlichen Kräfte das strategische Hinterland bedrohen können.
 
Da die Grenzen von 1967 es nicht erlauben, auch nur einen Aspekt eines angemessenen Verteidigungsplanes zu verwirklichen, herrscht kein Zweifel daran, dass es sich dabei nicht um „verteidigungsfähige” oder „sichere Grenzen” handelt.
 
Die Grenzen von 1967 weisen vielleicht aus nicht-militärischer Sicht gewisse Vorteile auf. Aus diesem Grund könnten manche Kreise vielleicht für diese Grenzen als Ausgangspunkt für die permanenten Grenzen des Staates Israel eintreten.
 
Aus rein militärisch-professioneller Sicht allerdings wäre das Vertrauen in die Grenzen von 1967 zur Verteidigung des Staates Israel im Kriegsfalle mit einem sehr großen Risiko für das Bestehen des Staates verbunden, da eine entlang dieser Grenze aufgebaute Armee, im Fall eines künftigen Krieges, die Verteidigung des Staates Israel nicht garantieren kann.
 
Wären ein Vorbeugungskrieg oder ein Präventivschlag tatsächlich eine Alternative zur strategischen Tiefe?
 
Die alternative Strategie zur strategischen Tiefe, deren Hauptziel es ist zu verhindern, dass Israel sich von den verletzlichen Grenzlinien des Jahres 1967 aus verteidigen muss, wäre es, den „Krieg ins Territorium des Feindes zu verlegen”. Diesem Ansatz nach würde Israel mit einem Präventivschlag eröffnen, den Krieg auf dem Territorium des Feindes führen und sich dadurch jene strategische Tiefe schaffen, die es zu seiner Verteidigung benötigt.
 
Folgt man diesem Ansatz, so hängt das Erlangen der Verteidigungsfähigkeit von einer schweren politischen Entscheidung ab: einen Krieg zu eröffnen und Gebiete jenseits der Staatsgrenzen zu besetzen, bevor der Gegner tatsächlich eine feindselige Handlung ausführt. Die Weltgeschichte sowie die Geschichte des Staates Israel haben gezeigt, dass es keine Garantie dafür gibt, dass eine zukünftige Regierung eine derartige Entscheidung trifft. In diesem Zusammenhang muss man sich auch in Erinnerung rufen, wie schwer es der damaligen Ministerpräsidentin Golda Meir 1973 fiel, allein die Entscheidung für einen begrenzten Luftangriff zu fällen und das sogar nachdem die Ägypter und die Syrer ihre Armeen nördlich und südlich von Israel bereits in Angriffsposition gebracht hatten. Wer kann also garantieren, dass eine zukünftige israelische Regierung rechtzeitig beschließen wird, einem feindlichen Angriff zuvorzukommen, vor allem dann, wenn es bereits Staatsverträge gibt? Das ist der Grund dafür, dass Israel beim Abschluss des Friedensvertrages mit Ägypten darauf bestand, entmilitarisierte Zonen einzurichten und in der Sinaiwüste nur begrenzte Truppenstationierungen zuließ. So behält es sich für den Fall eines zukünftigen Stimmungsumschwungs der Ägypter zumindest ein Sicherheitsnetz vor. 200 km Wüste ohne nennenswerte militärische Präsenz verleihen Israel im Nachbarstaat eine gewisse Tiefe sowie den Zeitvorsprung, den es braucht, um die Lage einzuschätzen und eine Entscheidung über seine Reaktion zu treffen. Dabei ist klar, dass es keine Möglichkeiten gibt, im Westjordanland – also an Israels Ostgrenze, die den lebenswichtigen Ressourcen seines strategischen Hinterlands so nahe ist – eine ähnliche Pufferzone einzurichten. Dort ist Israel gezwungen, seine Militärkräfte a priori zu stationieren und das vorhandene höher gelegene Gelände sowie weitere topographische Vorteile zu nützen, um für den Fall einer von Osten auftretenden Bedrohung die erforderlichen Abwehrmöglichkeiten zu besitzen. Sollte der Feind im Westjordanland selbst stehen, haben der Staat Israel und seine militärischen Kräfte keinerlei Möglichkeit, diesen abzuwehren. Die Gefahr eines solchen Angriffs aus dem Osten ist unverhältnismäßig größer als eine Bedrohung aus dem Süden, der weit von Israels Ballungszentren entfernt ist.
 
Nach einem Gutachten von US-Militärexperten muss Israel den Gebirgskamm des Westjordanlands beherrschen
 
Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass führende Experten der Vereinigten US-Generalstäbe 1967 zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kamen, als sie gebeten wurden, ein Gutachten darüber zu erstellen, welches über die Grenzen von 1967 hinausgehende Mindestterritorium Israel bräuchte, um sich effektiv gegen diverse Kollektivangriffe konventioneller Art sowie gegen terroristische Bedrohungen verteidigen zu können. In ihrem vom Generalstabschef der US-Armee Earle Wheeler unterzeichneten, dem damaligen Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten Robert McNamara am 29. Juni 1967 eingereichten Memorandum hieß es: „Vom rein militärischen Standpunkt aus muss Israel die Kontrolle über einen Teil der eroberten arabischen Gebiete beibehalten, um militärisch verteidigungsfähige Grenzen zu besitzen”. Nach Aussage der Generäle basierte ihre Entscheidung über die von Israel beizubehaltenden Territorien auf „allgemein anerkannten taktischen Prinzipien wie der Kontrolle über dominante Gebiete, der Nutzung natürlicher Hindernisse, der Beseitigung vom Feind kontrollierter Enklaven sowie dem Erhalt der Möglichkeit zur Tiefenverteidigung wichtiger Einrichtungen und Institutionen”.
 
Die wichtigste Schlussfolgerung der Chefs der Vereinigten US-Generalstäbe hinsichtlich des Westjordanlands war, dass Israel „jenes höher gelegene, augenfällige Territorium kontrollieren muss, das sich von Norden nach Süden erstreckt”. Die von ihnen empfohlene Grenzlinie markierten sie „östlich der Hauptverbindungsstraße zwischen Jenin und Nablus sowie zwischen El-Bire und Jerusalem, von Nord nach Süd verlaufend”. Weiter erklärten sie: „Die Verteidigungslinie, die wir sehen, verläuft unmittelbar östlich von Jerusalem”. Von dort sollte sich diese in Richtung Südosten fortsetzen „zum Dargot-Fluss am Toten Meer”. Auch zu den Golanhöhen nahmen die Generäle Stellung: sie empfahlen, dass Israel die Kontrolle über jene Linie beibehalten solle, die östlich der Grenze von 1967 verlief, damit es: „jenes Gebiet beherrscht, das Syrien bislang so erfolgreich für Grenzscharmützel ausgenützt hat”.
 
Heute, nahezu 40 Jahre nachdem die Chefs der Vereinigten US-Generalstäbe der Johnson-Regierung ihr besagtes Memorandum vorlegten, stellt sich die Frage, inwiefern ihre sachkundigen Schlussfolgerungen auch für unsere Tage Gültigkeit besitzen. Dass sich weder die Geographie noch die Topographie verändert haben, wird niemand bestreiten. Tatsächlich haben sich die Dimensionen der bewaffneten Kräfte in Israels arabischen Nachbarstaaten sowohl qualitativ als auch strukturell bedeutend weiterentwickelt, wodurch die Analyse der amerikanischen Generäle heute noch mehr zutrifft als damals.
 
1.     1967 bestand der Großteil der Armeen im Nahen Osten aus verhältnismäßig langsamen Infanterietruppen. Heute bestehen diese Streitkräfte aus höchst beweglichen gepanzerten und mechanisierten Regimentern, die imstande sind, auch langfristig und kontinuierlich zu kämpfen und ausgedehnte Gebiete schneller unter ihre Kontrolle zu bringen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Diese Veränderungen bestärken die Schlussfolgerungen der amerikanischen Militärexperten von 1967 hinsichtlich der Unentbehrlichkeit von „verteidigungsfähigen” Grenzen für Israel.
2.      Durch die Entwicklung neuer militärischer Technologien hat sich auch die Reichweite des Eröffnungsfeuers vergrößert. Das gilt sowohl für Verteidigungswaffen wie Panzerabwehrraketen als auch für Angriffswaffen, darunter Luft-Boden-Raketen und Mörsergranaten. Diese Veränderungen bestärken die Argumentation der Amerikaner hinsichtlich der territorialen Abwehrbedürfnisse Israels nur noch mehr. Das ist auch der Grund dafür, dass die von den US-Militärs für ihre eigenen Divisionen definierte, strategisch erforderliche minimale Verteidigungstiefe in den letzten Jahren fast verdoppelt wurde.
3.     Zielgenau gesteuerte Waffensysteme werden auf dem Schlachtfeld der Zukunft für beide Parteien die entscheidende Rolle spielen. Das gilt umso mehr, als diese zunehmend differenzierter werden und Hindernisse, wie ungünstige Wetterverhältnisse und Dunkelheit, überwinden können. Solange sich diese Systeme nur in israelischer Hand befinden, genießt es einen deutlichen militärtechnologischen Vorsprung, der es seinen Verteidigungskräften ermöglicht, mit nachteiligen Bedingungen, wie ungünstigen Geländeverhältnissen oder dem Fehlen der erforderlichen Tiefe, fertig zu werden. Indem jedoch auch Israels Feinde solche zielgenauen Waffensysteme in ihren Besitz bekommen oder ihre Abwehrsysteme gegen solche verbessern können, werden die „verteidigungsfähigen” Grenzen zu einem absoluten MUSS, für das es keine Alternative gibt. Es besteht kein Zweifel daran, dass auch die arabischen Armeen in naher Zukunft über solche hochtechnologischen Systeme verfügen werden.
 
Folgendes ist daher klar: sollte Israel die von den amerikanischen Strategen empfohlene Grenzlinie nicht unter seiner Kontrolle haben, wird seine Armee im Fall eines Krieges einen sehr teuren Preis bezahlen müssen. Israel wird sich nicht verteidigen können. Seine gesamte Bevölkerung sowie seine sämtlichen militärisch-strategischen Infrastrukturen, einschließlich seiner Streitkräfte, wären dann der Armee des Feindes preisgegeben, welche die Vorteile der dominanten Gebiete des Westjordanlands genießt. Israels Möglichkeiten, Verteidigungsvorrichtungen aufzustellen, wären stark begrenzt, unter anderem deshalb, weil sich seine Verteidigungskräfte unter solchen Umständen in eine verlockende Ansammlung von Zielscheiben für die treffgenauen Waffen des Feindes verwandeln würden.
 
Angesichts all dieser Überlegungen ist klar, warum die amerikanischen Militärexperten – übrigens ebenso wie der verstorbene Ministerpräsident Yitzchak Rabin – davon überzeugt sind, dass Israel, selbst wenn es territoriale Zugeständnisse machen sollte, dennoch die Kontrolle über das „dominante Territorium” des Westjordanlands beibehalten muss. Rabin pflegte stets an Israels Bedürfnis nach „Sicherheitsgrenzen” zu erinnern. Aber ganz egal, mit welchem Begriff man diese umschreibt, kommen alle, die im Lauf ihrer Laufbahn führende Kommandopositionen bekleidet haben, zu dem gleichen Schluss: dass es im Fall eines Krieges keinerlei Möglichkeit gibt, Israel von den Grenzen des Jahres 1967 aus zu verteidigen, und ganz gewiss nicht gegenüber einer modernen, mit zielgenauen Waffen ausgerüsteten Armee. Kein verantwortungsbewusster Spitzenpolitiker kann versprechen, dass Israel nicht eines Tages mit einer solchen Bedrohung konfrontiert wird.
 
In jüngster Zeit werden in Reihen israelischer und amerikanischer Fachleute zunehmend mehr Stimmen laut, die dafür plädieren, in den für das Überleben des Staates Israel wichtigen Gebieten anstelle der israelischen Armee Militärkräfte eines Drittstaates zu stationieren. Dieser Vorschlag birgt zwei Schwachstellen, die seine Verwirklichung von Israels Standpunkt aus unmöglich machen:
 
A.    Die historische Erfahrung (vom Vorabend des Sechs-Tages-Krieges sowie aus der langen Zeit, in der UN-Truppen im Südlibanon stationiert waren) hat bewiesen, dass solche Kräfte im Ernstfall entweder scheitern oder verschwinden.
B.    Sollten tatsächlich UN-Kräfte an den Grenzen zwischen Israel und den arabischen Staaten stationiert werden, wäre nicht nur das Leben der Soldaten in Gefahr, es besteht vielmehr auch die Möglichkeit, dass diese die israelischen Verteidigungskräfte behindern. In beiden Fällen wäre Israel hin- und her gerissen zwischen seinen eigenen Sicherheitsbedürfnissen und dem Wunsch, seine guten Beziehungen zu den Herkunftsländern dieser in der Region stationierten Truppen aufrechtzuerhalten.
 
Eine Schwächung der Abschreckungskraft steigert die Wahrscheinlichkeit eines Krieges
 
Letztlich muss man bei der Erörterung eines klassischen konventionellen Krieges eine weitere Folgeerscheinung eines israelischen Rückzugs auf die Grenzlinien von 1967 in Betracht ziehen: dass nämlich die Wahrscheinlichkeit eines Krieges nach einem solchen Rückzug nur anstiege, da Israels Abschreckungskraft dadurch geschwächt würde. Israel wäre in diesem Fall ein äußerst verführerisches Ziel – als schmaler Staat ohne jede strategische Tiefe, ein Staat, dessen Bevölkerungszentren und strategischen Infrastrukturen sich nun innerhalb der taktischen Reichweite militärischer Kräfte befänden, die entlang der dominanten Gebiete des Westjordanlands stationiert sind. Israel in den Grenzen von 1967 gälte als leichte Beute. Wer davon ausgeht, dass ein Krieg unmöglich wäre, muss diese Überlegung nicht berücksichtigen; wer einen solchen jedoch durchaus für möglich hält – selbst, wenn er im Augenblick unwahrscheinlich erscheinen mag – muss verstehen, dass Israel durch einen Rückzug auf die Grenzen von 1967 die Realisierungschancen eines derartigen Szenarios vergrößern würde. Ein Israel innerhalb der Grenzen von 1967 würde zu einer nachhaltigen Destabilisierung des Nahen Ostens führen.
 
Gerade im Raketenzeitalter nimmt die Bedeutung des Territoriums zu
 
So mancher argumentiert, dass die Frage verteidigungsfähiger Grenzen mit dem Erscheinen ballistischer Waffen irrelevant geworden sei. Es scheint, als schaffe das Raketenzeitalter eine völlig neue strategische Situation, weil solche Raketen in ihrer Flugbahn nicht an Staatsgrenzen aufgehalten werden können. Die professionelle Wahrheit jedoch ist, dass die Streuung der infrastrukturellen Einrichtungen, der Waffensysteme sowie der Kontroll- und Kommandoorgane gerade angesichts einer Bedrohung dieser Art von lebenswichtiger Bedeutung ist. Eine großflächige Ausbreitung und Streuung würde die Chancen dieser Einrichtungen, einen Raketenangriff zu überstehen, entschieden vergrößern. Aktive Raketenabwehrwaffen wie die Chetz-Rakete sind zwar notwendig und können den Schlag eines ballistischen Angriffs dämpfen, man kann sich jedoch nicht darauf verlassen, dass diese absolut hermetischen Schutz bieten, vor allem nicht dann, wenn es sich um eine länger dauernde Großoffensive handelt. Mehr als das: im Fall einer Bedrohung durch nukleare Raketen wird die Abschreckungskraft eines Staates nach der Überlebensfähigkeit seiner Zweitschlagkapazität bemessen, und nicht nur auf Basis seiner faktischen Stärke. Nur ein ausgedehntes Gelände, das die Möglichkeit bietet, diese Zweitschlagsysteme zu verstreuen und zu tarnen, bietet jenes Maß an Kapazitätsüberhang, das Israel braucht, um einen Raketenangriff zu überstehen – nach diesem Kriterium wird jeder Feind und jeder Gegner Israels Abschreckungskraft bewerten.
 
Daraus folgt: je größer das Territorium, das einem Staat zur Streuung und Tarnung seiner Mittel zur Verfügung steht, desto größer wird auch die Chance, einen Krieg zu vermeiden. Und analog dazu: je früher der Feind erkennt, dass eine reelle Chance besteht, Israels Reaktionsfähigkeit durch einen Erstschlag auszuschalten, desto größer wird auch die Wahrscheinlichkeit, dass er eine solche Offensive startet. Dieses Phänomen hat hier fast dieselbe Gültigkeit wie auf der Ebene einer klassischen konventionellen Kriegsführung: je höher die Gegenseite ihre eigenen Chancen einschätzt, desto wahrscheinlicher ist, dass sie das Risiko eingeht und angreift. Daher gilt: selbst wenn die Grenzlinie als solche im Raketenzeitalter nicht länger von Bedeutung ist, bestimmen die Dimensionen des hinter diesen Grenzlinien liegenden Territoriums die Fähigkeit eines Staates, seine Kräfte und Infrastrukturen so zu verteilen, dass er deren Verletzlichkeit einschränkt und verhindert, dass diese Schaden erleiden. Aus diesem Grund verhält es sich tatsächlich so, dass die Bedeutung von Territorium und strategischer Tiefe gerade im Raketenzeitalter zunimmt.
 
Auf Israel bezogen gibt es dabei einen zusätzlichen Sicherheitsfaktor, der von der Anfälligkeit der nationalen Infrastrukturen für Raketenangriffe beeinflusst wird. Wie bereits eingangs erwähnt, besteht der Großteil von Israels Infanterieeinheiten aus Reserveregimentern. Die israelische Verteidigungsarmee kann ihre volle Kraft erst dann entfalten, wenn alle Reservisten auf dem Kriegsschauplatz eingetroffen sind – ein Vorgang, der bis zu 48 Stunden dauert. Aus diesem Grund ist es von ungeheurer Bedeutung, dass die Reservisten, ohne die Israel nicht stark genug ist, um den Staat langfristig zu verteidigen, reibungslos mobilisiert werden. Daher gilt ohne jeden Zweifel: je weiter die Stützpunkte der Reservekräfte voneinander sowie von der Grenze selbst entfernt sind, desto größer werden die Chancen, dass diese Regimenter vor ihrem Einsatz auf dem Kriegsschauplatz erfolgreich mobilisiert und ausgerüstet werden können – selbst im Fall eines Raketenangriffs.
 
Da der Großteil von Israels Bevölkerung westlich des Westjordanlands lebt, ist das auch der Ort, wo sich die Sammelstellen der mobilisierten Reserveeinheiten befinden müssen. Diese können zum Beispiel nicht in den Süden, also in die Negev-Wüste, verlegt werden. Aus diesem Grund ist es für Israels Fähigkeit, seine Reservekräfte zu mobilisieren, zu bewaffnen und sicherzustellen, dass diese als organisiertes Militär auf dem Kriegsschauplatz eintreffen, so unerlässlich, dass die an der Längsseite des Westjordanlands verlaufende Grenze in sicherer Entfernung dieser Rekrutierungs- und Rüstungsstellen liegt.
 
In diesem Zusammenhang sticht die Bedeutung des hohen Bergkamms, der das größte Ballungszentrum des Staates Israel überblickt, ganz besonders ins Auge. Die Nutzung dieses Territoriums zum Einsatz von Laserpointern für konventionelle Artillerie oder für laserpunktgesteuerte Präzisionsraketen könnte in Zukunft zum entscheidenden Faktor werden und bestimmen, inwiefern Israel fähig sein wird, den Kriegsschauplatz in die Arena des Feindes zu verlegen.
 
Aber nicht nur das: falls sich die Mobilisierung der Reservekräfte wegen eines ballistischen Raketenangriffs auf die eine oder andere Art verzögern sollte, ist klar, dass die topographischen Ausgangsverhältnisse, mit welchen die kleine, zahlenmäßig unterlegene reguläre Armee vor allem im Grenzgebiet konfrontiert wird, für die erfolgreiche Abwehr eines Erstangriffs geradezu lebensentscheidend sind; vor allem, wenn sie über einen längeren Zeitraum hinweg kämpfen muss, ohne Verstärkung zu bekommen. Wenn sie in einer derartigen Situation nicht schon a priori Stützpunkte östlich der Linien von 1967 besitzt, hat die israelische Armee keine Chance, einem solchen Angriff standzuhalten. Die regulären Streitkräfte müssen auf eine Weise über den Raum verteilt sein, die ihnen bei der Manövrierung von Rückzug und Gegenoffensive maximale Flexibilität ermöglicht.
 
Die Verteidigung vor der Bedrohung durch Terrorismus
 
Als man in der Vergangenheit über Israels endgültige Grenzlinien debattierte, wurde der terroristischen Bedrohung als ernst-zunehmender Faktor noch nicht Rechnung getragen. In jüngster Zeit gibt es so manche, die das gegenteilige Argument anführen. Ihrer Ansicht nach hat man heutzutage weniger mit konventionellen Kriegen der klassischen Art zu rechnen, sondern vielmehr mit so genannten „Kriegen von geringer Intensität” (low-intensity wars), die vor allem aus Guerilla- und Terrorangriffen bestehen. Der Terrorismus kann sowohl durch den Beschuss israelischer Ballungszentren, durch Steilfeuerartillerie wie Mörsergranaten und Raketen zum Ausdruck kommen, als auch durch Terroristen, die Explosivmaterial einschmuggeln oder durch Selbstmordattentäter, die sich unter Zivilisten in die Luft sprengen. Der Terrorismus kann sich konventioneller Waffen bedienen, aber auch chemischer, biologischer und sogar nuklearer Mittel.
 
Was nun die Art von Terrorismus anbelangt, die aus Steilfeuerartillerie auf Bevölkerungszentren besteht, so ist klar, dass der Entfernung dieser Zentren von den Grenzlinien eine entscheidende Bedeutung zukommt. Allein durch die unterschiedliche Entfernung kann erklärt werden, warum die von der Hamas-Bewegung aus dem Gazastreifen abgeschossenen Kassam-Raketen nur bis nach Sderot kommen und nicht bis zur Küstenstadt Ashkelon – in diesem Fall spielen zwei Kilometer eine entscheidende Rolle. Falls es in naher Zukunft zu einem Krieg mit der Hisbollah kommen sollte, so kann diese mit ihren Raketen zwar Haifa beschießen, aber nicht Tel-Aviv, das weiter von der libanesischen Grenze entfernt liegt. Sollte Israels östliche Landesgrenze wieder an der Linie vom Juni 1967 liegen, können die Terroristen die Vorstädte Tel-Avivs beschießen, und das auch ohne Katjuscha-Raketen; und sollten diese Katjuscha-Raketen im Westjordanland stationiert sein, dann ist keine israelische Stadt mehr vor ihnen sicher. Da Israel keinerlei Möglichkeit hat, Steilfeuerartillerieangriffe aus einem Territorium aufzuhalten, das sich nicht unter seiner militärischen Kontrolle befindet, ist die Position der künftigen Grenzlinien für den Schutz seiner Bevölkerungszentren der ausschlaggebende Faktor (siehe Karte 4).
 
Zum Thema Infiltration durch Terroristen soviel: für diese ist die auf dem Gelände abgesteckte Grenzlinie – egal, ob es sich um einen Sicherheitszaun oder irgendein anderes Hindernis handelt – nur ein Teilelement einer effektiven Verteidigung. Nicht weniger wichtig ist der Raum, der diesseits und jenseits dieser Grenzlinie liegt. Wenn es einem Terroristen gelingt, durch den Sicherheitszaun einzudringen, wächst die Chance, dass er rechtzeitig gestoppt werden kann, im umgekehrten Verhältnis zu der Entfernung, die er vor seinem Anschlag zurücklegen muss. Aber auch die Chance, eine Überwindung des Sicherheitszauns überhaupt zu verhindern, wächst, wenn die israelische Armee das angrenzende Gebiet jenseits des Sicherheitszauns auf eine Weise kontrolliert, die ihr Spielraum, Zeit und die Möglichkeit bietet, gegen jeden vorzugehen, der sich dem Zaun nähert.
 
Mehr als das: ein Rückzug Israels aus den palästinensischen Bevölkerungszentren bedeutete eine starke Einschränkung seiner Fähigkeit, den Terrorismus an seinem Entstehungsort selbst sowie in den Häusern seiner Aktivisten zu bekämpfen. Dieses System hat sich im Westjordanland bestens bewährt, als Israel das Territorium noch vollständig unter seiner Kontrolle hatte. Nach dem Rückzug wird es für die israelische Armee schwierig, sich weiterhin dieser Taktik zu bedienen. Ihre Fähigkeit, Terroranschläge zu vereiteln, wird zunehmend von der Einrichtung eines Sicherheitsterritoriums diesseits und jenseits des Zauns abhängig sein.
 
Dass das Eindringen von Selbstmordattentätern in den letzten Jahren mit Hilfe des Sicherheitszauns um den Gazastreifen erfolgreich verhindert werden konnte, ist unter anderem der Tatsache zu verdanken, dass es jenseits dieses Zauns eine Sicherheitszone gab, in der die Terroristen noch im Gazastreifen selbst aufgehalten werden konnten – bevor sie den Zaun erreichten. Auch die Bewegungsfreiheit, die das israelische Militär bei der Vereitelung von Angriffen, die vom Gazastreifen aus gestartet werden sollten, besaß, trug zum Erfolg des Sicherheitszauns rings um diesen bei. Sollte sich erweisen, dass die palästinensischen Sicherheitsdienste nun, nach dem Rückzug, weder stark, noch entschlossen genug sind, um Angriffe aus dem Gazastreifen zu verhindern, muss man zunächst einmal abwarten und sehen, ob der Zaun die feindlichen Infiltrationen ebenso effektiv stoppen kann, wie er dies in der Vergangenheit tat. Mit Sicherheit wird die Aufgabe, ein Überschreiten des Zauns zu verhindern, nun wesentlich komplizierter sein.
 
Kurz gesagt sind Sicherheitszonen und die Einrichtung eines taktischen Raumes zur Bekämpfung terroristischer Infiltrationen auch da unerlässlich, wo es einen Zaun gibt; daher bleiben territoriale Überlegungen auch im Umgang mit Terroristen ein integraler Bestandteil.
 
Dabei muss man im Kampf gegen den Terrorismus einen weiteren Faktor berücksichtigen, der unmittelbar mit dem Thema verteidigungsfähiger Grenzen verbunden ist. Die Fähigkeit der Terrororganisationen, Israel anzugreifen, hängt weitgehend von der Qualität der ihnen zur Verfügung stehenden Waffen ab. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Israels größte Erfolge im Krieg gegen den Terror in den letzten Jahre darauf zurückzuführen sind, dass es ihm gelungen ist, das Westjordanland zu isolieren und zu verhindern, dass die Palästinenser von Jordanien aus mit Waffen versorgt werden. Im Vergleich dazu waren seine Bemühungen, den Waffenschmuggel aus Ägypten in den Gazastreifen zu verhindern, nicht immer von Erfolg gekrönt. Das zeigte sich in der Fähigkeit der Palästinenser, gerade im Gazastreifen Kassam-Raketen herzustellen. Es zeigte sich auch in der Qualität der Waffen, die diese dort besitzen. Eine Verlegung der israelischen Verteidigungskräfte an die Grenzlinien von 1967 würde die Situation im Westjordanland von Grund auf verändern. Sollte Israels Ostgrenze vom Jordanfluss an die Linie von 1967 zurückverlegt werden, dann könnten die Terroristen auf den Anhöhen des Westjordanlands jede gewünschte Waffe in ihren Besitz bringen und würden für Israel eine unverhältnismäßig größere Bedrohung darstellen. Katjuscha-Raketen gerieten unbehindert ins palästinensische Territorium – ihr Einfluss wäre sofort zu spüren. So genügte schon die Landung einer einzigen Mörsergranate pro Woche in der Nähe von Israels internationalem Flughafen Ben-Gurion, um den zivilen Luftverkehr des Landes vollständig lahm zu legen. Ohne eine israelische Kontrolle über die ausschlaggebenden Gebiete östlich der Grenzen von 1967 kann das israelische Militär einen solchen Artilleriebeschuss nicht verhindern. Die Stationierung von Anti-Aircraft-Schulterraketen auf den Hügeln, die das Gelände des Flughafens überblicken, würde das strategische Gleichgewicht von Grund auf erschüttern (Karte 5). Eine solche Entwicklung würde auch den Einsatz von Kampfhubschraubern im besagten Territorium erheblich erschweren und dadurch die Reaktionsfähigkeit des israelischen Militärs dramatisch verringern.
 
Zusammenfassung
 
Betrachtet man Israels Grenzen von einem rein militärisch-professionellen Standpunkt, so geht hervor, dass ein Rückzug auf die Linien von 1967 Israel aus folgenden Gründen in eine schwierige Lage brächte:
 
• Israel wäre nicht länger imstande, sich gegen eine zukünftige konventionelle militärische Bedrohung zu verteidigen. Angesichts der aktuellen Lage im Nahen Osten kann niemand garantieren, dass sich eine solche Bedrohung nicht in Realität verwandelt.
• Israels Fähigkeit, im Fall eines Raketenangriffs die Zerstörung seiner nationalen Infrastrukturen zu verhindern, würde erheblich geschwächt und auch seine Zweitschlagkapazität würde sich beträchtlich verringern.
• Auf Grund dieser beiden Schwächen wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Israels Feinde beschließen, ihre Möglichkeiten zu verwirklichen, und auf eine der beiden Arten oder in Kombination dieser beiden anzugreifen.
• Was den Terrorismus anbelangt: bei einer Konfrontation mit Steilfeuerartillerie – von Mörsergranaten bis zu Raketenfeuer – ist es unerlässlich, dass die Entfernung zwischen Israels künftigen Grenzen und seinen zentralen Infrastrukturen groß genug ist. Nur dann können solche Angriffe scheitern. Darüber hinaus ist eine jenseits des Zauns gelegene Sicherheitszone für jeden Sicherheitszaun ein notwendiges Element, wenn dieser wirksam vor Infiltrationen schützen soll.
 
Die Bedeutung der geographischen Aspekte „verteidigungsfähiger Grenzen” wurde von führenden internationalen Persönlichkeiten aus den unterschiedlichsten politischen Lagern angesprochen. In einem Gespräch mit dem ehemaligen amerikanischen Außenminister Henry Kissinger, das stattfand, als die Regierung Ehud Baraks einen vollständigen Rückzug (unter geringfügigen Grenzkorrekturen) auf die Linien von 1967 erwog, erklärte ich diesem, die israelische Regierung hoffe darauf, sich im Hinblick auf die Zukunft des Landes auf die Unterstützung der westlichen Welt, auf internationale Garantien und Rückendeckung durch die Vereinigten Staaten verlassen zu können. Kissinger reagierte erbost und erklärte, er betone und wiederhole bei jeder Gelegenheit, dass Israel verteidigungsfähige Grenzen brauche und auch nicht dahingehend unter Druck gesetzt werden dürfe, sich auf die Linien von 1967 zurückzuziehen – und siehe da, nun zöge Israel selbst einen solchen Rückzug in Betracht und wolle sich auf Garantien verlassen, die in der Stunde der Wahrheit völlig wertlos seien! Weiter führte er an, Südvietnam habe die Garantien von zwanzig Staaten besessen; nach dem Einfall der Nordvietnamesen sei jedoch kein einziger Staat bereit gewesen, seine Telefonanrufe entgegenzunehmen. Der Wink war klar: Israel darf sich keinesfalls auf internationale Garantien verlassen und einen Rückzug auf die Grenzen von 1967 riskieren. Wenn die Staaten der Welt die USA in der Stunde der Not trotz aller Versprechungen allein gelassen haben, kann man ganz gewiss nicht darauf bauen, dass sie Israel in einer ähnlichen Situation unterstützen würden.
 
Ähnliche Folgerungen waren in Israel auch von Anderen zu hören. So erklärte Shimon Peres im Juni 1967 in der Tageszeitung Maariv: „Man muss sicherstellen, dass Israel nicht nur Länge besitzt, sondern auch Breite. Wir dürfen uns nicht von allen möglichen Beratern und Journalisten verführen lassen, zu einem Staat zurückzukehren, dessen Taille ganze 14 km breit ist”.
 
Der verstorbene ehemalige IDF-Generalstabschef Mordechai (Motta) Gur erklärte im Mai 1978 in einem Interview mit dem Newsweek-Journal, als Stratege hege er keinen Zweifel daran, dass es für Israels Verteidigung nötig sei, die dominanten Hügel des Westjordanlands beizubehalten – von Hebron bis Nablus. Weiter erklärte er, dass Israel auch im Jordantal stationiert bleiben müsse. Der verstorbene Moshe Dayan, auch er ein ehemaliger Generalstabschef, Verteidigungs- und Außenminister, vertrat in dieser Angelegenheit einen kompromisslosen Standpunkt: „Welche Einigung auch immer mit den Palästinensern und den Jordaniern erreicht werden mag, die Schlüsselpositionen, die Israels Verteidigung sichern, müssen ausschließlich der unbehinderten Benutzung durch die israelische Armee vorbehalten bleiben. Diese Positionen sind das Jordantal und die Hügel”.
 
Und zum Abschluss die klaren Worte Yitzchak Rabins bei seinem letzten Knesset-Auftritt einen Monat vor seiner Ermordung: „Wir werden uns nicht auf die Linien des 4. Juni 1967 zurückziehen – die Sicherheitsgrenze zur Verteidigung des Staates Israel wird im Jordantal im weitesten Sinne des Wortes – verlaufen”. Kein Wunder, dass dies Rabins sicherheitspolitisches Erbe war; hatte er doch schon 1980 fest auf seiner Meinung beharrt: „Sollten wir das Westjordanland räumen, so bedeutete das die größte Bedrohung, der wir jemals gegenüberstehen werden”.