Iran und die Atomverhandlungen: Die Hintergedanken Teherans

Iran und die Atomverhandlungen: Die Hintergedanken Teherans

Oberstlt. a.D. Michael Segal

Ist Irans „break-out capability“ noch zu verhindern?

Seit der Amtseinführung von Präsident Hassan Rouhani ist Bewegung in die Bemühungen zur Lösung der iranischen Atomfrage gekommen. Am 24. November 2013 wurde verkündet, dass ein Interimsabkommen zwischen den P5+1-Staaten und dem Iran beschlossen wurde. Es scheint so, dass die internationale Gemeinschaft und v.a. die Vereinigten Staaten die Atomverhandlungen mit dem Iran auf einer Ebene führen wollen, auf der sich die seit der Islamischen Revolution anhaltenden Spannungen endlich lösen.

Ebenso hat es den Anschein, als ob die Vereinigten Staaten nur darauf gewartet hätten, dass Ahmadinejad – das ungeschminkte Gesicht des Islamischen Regimes, dem diplomatische Regeln gleich waren – endlich sein Amt abgibt, so dass die Akte zum iranischen Atomprogramm endlich geschlossen werden könnte. Mit Ahmadinejad zu verhandeln, hätte die US-Administration in Verlegenheit gebracht. Doch Präsident Rouhanis Charme-Offensive und die diplomatische Netzwerkarbeit seines Außenminister Zarif[1] kombiniert mit informellen Verhandlungsebenen (Oman, Stellvertretender Außenminister William Burns, The Asia Society) machten es den USA mit Sicherheit leichter.[2]

Das Interimsabkommen gewährt dem Iran ausreichend finanzielle Mittel, um sein militärisches Atomprogramm voranzutreiben – sei es hinsichtlich der Urananreicherung (mit Hilfe der fortschrittlichen IR-M2-Zentrifugen), sei es mit Hilfe von Plutonium –, sollte er sich an irgendeiner Stelle auf Grund einer Krise im Verhandlungsprozess dazu entscheiden, die Schwelle zur Bombe zu überschreiten. Gleiches gilt für eine Verletzung des Abkommens, für die geheime Fortsetzung des Baus der Bombe oder den Moment, in dem der Iran einen geostrategischen Wandel in dem an dramatischen Veränderungen nicht armen Nahen Osten wahrnimmt.

Deshalb muss der Westen sicher stellen, dass am Ende des sechsmonatigen Verhandlungsprozesses, der alles andere als frei von möglichen Hindernissen und potentieller iranischer Blockaden ist, der Iran über keinerlei „break-out“-Fähigkeiten verfügt. Die Länder, die vom Iran bedroht werden, müssen den Westen, falls er darin zögert, dazu drängen. Zusätzlich muss der Iran sich an die strengen Vorgaben halten, die ihm von der Internationalen Atomenergiekontrollbehörde (IAEA) im Rahmen des Zusatzprotokolls auferlegt wurden – eine Angelegenheit, die im iranischen Parlament erhitzt debattiert wird. Auf diese Weise wäre es möglich, dass das iranische Atomprogramm einschließlich seiner immer noch geheimen Elemente umfassend überwacht wird. Nur auf diese Weise wäre sicher zu stellen, dass der Iran Uran nicht weiter anreichert und die militärischen Aspekte seine Atomprogramms nicht an verborgenen Orten vorantreibt, während er gleichzeitig verhandelt. Denn genau dies war, was der Iran 2003 nach dem damaligen Abkommen machte, das von niemandem anderen als Rouhani selbst ausgehandelt worden war.

Gleichzeitig muss der Westen effektive Sanktionen „aufrechterhalten“. Der Iran hat bereits zu Beginn der Verhandlungen gezeigt, dass er sich darum bemüht, die Angelegenheit aus dem Kontext der P5+1-Gespräche heraus in den UN-Sicherheitsrat zu verlegen, um sie dort durch einen internationalen Beschluss erlassen zu bekommen. Ebenso gilt es, dass der Westen eine glaubwürdige militärische Drohkulisse aufrecht erhält, die in der Vergangenheit ihre Wirkung bewiesen hat, einschließlich des Zeitraums, als Rouhani das iranische Verhandlungsteam führte. Damals sorgte die militärische Option dafür, dass der Iran sein Urananreicherungsprogramm einstellte, aus Sorge, er könne nach der amerikanischen Invasion des Irak das nächste Ziel werden.

Der Westen wiederum muss sich darum bemühen, die Lektionen aus den letzten zehn Jahren Verhandlungen mit dem Iran zu lernen. Bereits heute verfügt der Iran über alle Bestandteile für den Bau einer Bombe, sollte er sich dazu entschließen. Am 3. November 2013, dem Vorabend des Jahrestages der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran äußerte der Oberste Führer des Iran Ayatollah Ali Khamenei am Rande eines Treffens mit Studenten: „Die heutige Situation des Iran unterscheidet sich von der, als wir bereit waren, die Anreicherung einzustellen. Damals [2003] hatten wir gerade ein oder zwei Zentrifugen am Laufen, heute haben wir Tausende in Betrieb.“

Der Iran ist von den westlichen Sanktionen tatsächlich schwer getroffen worden, v.a. sein Ölsektor, und verliert auf diese Weise um die 5 Milliarden Dollar pro Monat. Im Unterschied zu anderen Ländern in der Region hat der Iran dagegen Stabilität aufzuweisen und die Wahlen gingen im Frühjahr ruhig über die Bühne. Der Sieger Rouhani widmet sich erneut in dem Atomstreit und hofft, auf diese Weise die iranische Wirtschaft zu „retten“ und das Land in die Völkergemeinschaft zurückzuführen, während es gleichzeitig die Schwelle zu ersten schiitischen Atombombe überschreitet.

Die iranische Regionalpolitik

Gegenwärtig wird das Atomprogramm ohne jeglichen Bezug zu anderen regionalen Prozessen, in die der Iran involviert ist, diskutiert. Zu jenen gehören die fortgesetzte syrische Krise und die Beteiligung der Hisbollah, die Rolle dieser Partei im Libanon und deren dortige, vom Iran gestützte Arbeit gegen einen Frieden mit Israel, die subversiven Aktivitäten des Iran in den Golfstaaten (v.a. Bahrain und Saudi-Arabien), sowie die Einflussnahme im Irak und Afghanistan und ähnliches. Die Menschenrechtsfrage im Iran wurde bereits seit geraumer Zeit an den Rand gedrängt. So hat sich die Zahl der Hinrichtungen unter Rouhani drastisch erhöht. Der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi zufolge haben sie sich verdoppelt und die Behauptung der Regierung, man würde politische Gefangene freilassen, sei „Täuschung“.[3]

Die Vereinigten Staaten haben sich jedoch dazu entschlossen, die vielen problematischen Elemente des iranischen Verhaltens im Nahen Osten wie auch in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu ignorieren, was ernsthafte Konsequenzen haben könnte, v.a. wenn der Iran die Schwelle zur Atombombe überschreitet. Die Vereinigten Staaten machen unter der Präsidentschaft Barack Obamas, der in seiner ersten Amtszeit Offenheit und eine der islamischen Welt ausgestreckte Hand befürwortete, einen generationellen Wandel durch im Hinblick auf ihre Eigenwahrnehmung und ihre Rolle in der Region, wozu traditionell Allianzen mit den „gemäßigten“ Staaten (v.a. die Golfstaaten und Ägypten) gehörte. Dies mag z.T. darin begründet liegen, dass die Vereinigten Staaten sich auf „Energieunabhängigkeit“ hin bewegen oder darin, dass die zunehmend unstabile, unübersichtliche und undankbare Natur des Nahen Ostens Amerika ermüdet haben auf der Suche nach neuen strategischen Richtungen.

Die Operation „Iraqi Freedom“ und der Tod Saddam Husseins, die dem Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ vorweggingen und ihm vermutlich den Weg bereiteten, versetzten dem Bemühen um eine panarabische Einheit und dem Streben arabischen Führer nach einer charismatischen Rolle, die die „Arabische Straße“ gegen den westlichen Imperialismus und die von ihm gezogenen Grenzen vereinigen könnte, den Todesstoß. Stattdessen hat der „Arabische Frühling“, vom Iran als „Islamisches Erwachen“ bezeichnet, die Auflösung nationaler arabischer Strukturen (wie Syrien, Libanon, Libyen oder Ägypten) nur beschleunigt. Die islamistische Alternative hat sich dabei noch nicht vollständig durchsetzen können und der Kampf um die Ausrichtung von Regierung und Grenzen ist noch lange nicht entschieden, aber mörderisch. Der Iran ist jener stabile Akteur in der Region, der das entstandene politische und ideologische Vakuum füllen und mit deutlich islamistischen Tönen färben möchte.

Die Sorgen Saudi Arabiens

Die Mischung aus Zögerlichkeit und gelegentlicher Hektik, die die Vereinigten Staaten in den letzten Runden der Genfer Gespräche an den Tag legte und die zu einer Unterzeichnung des Interimsabkommens führte, sowie der sich immer weiter werfenden Schatten iranischen Einflusses in der Region, wird von den iranischen Nachbarn, allen voran Saudi Arabien mit Sorge betrachtet. Die Nachbarstaaten müssen die Elemente ihrer nationalen Verteidigungsstrategien nun gründlich überdenken. Die Politik Obamas den amerikanischen Alliierten in der Region gegenüber – exemplarisch in der Bereitschaft Mubarak zu opfern, einen der stärksten und loyalsten Verbündeten Amerikas, und in der kalten Schulter, die Washington dem säkularen Ägypten nach der Entmachtung Mursis zeigte, weshalb sich al-Sisi nun Moskau annähert – ist ihnen allzu deutlich bewusst.

Jüngste Äußerungen des ehemaligen saudischen Geheimdienstchefs und ehemaligen Botschafters in den Vereinigten Staaten Turki al-Faisal auf der jährlichen arabisch-amerikanischen Konferenz spiegeln die saudische Sorge über die wahrgenommenen Veränderungen in der amerikanischen Nahostpolitik wider und deren Auswirkungen auf das iranische Verhalten in der Region. Faisal erwähnte dabei die den Regionalstaaten in Folge dessen zur Verfügung stehenden Optionen einschließlich der nuklearen. Unter anderem diskutierte er dabei:

· Nukleare Abschreckung. „Ich habe den Mitgliedern des Golfkooperationsrats (GCC) geraten, alle Optionen sorgsam abzuwägen, einschließlich des Erwerbs von Atomwaffen, sollte die iranische Führung sich erfolgreich welche beschaffen.“

· Iranische Revolutionsabsichten. „Der Iran präsentiert sich nicht nur als Führer der schiitischen Minderheiten, sondern als der aller islamischen Revolutionäre, die dem Westen die Stirn bieten wollen.“

· Iranische Einmischung in der Region. „Ein weiterer Grund zur Sorge, den wir für das nächste Jahrzehnt ansprechen müssen, ist die iranische Einmischungs- und Destabilisierungspolitik in Ländern mit schiitischen Mehrheiten, wie dem Irak oder Bahrain und den Ländern mit einer großen schiitischen Minderheiten wie Kuwait, Libanon oder dem Jemen, sowie dem Fakt, dass der Iran immer noch drei emiratische Inseln im Golf besetzt hält und Verhandlungen darüber verweigert. Die iranische Invasion in Syrien ist im vollen Gang und nimmt zu […] Ein guter Teil des irakische Potentials wird durch die iranische Einmischung zerstört.“

· Hisbollah im Bahrain. „Die, welche behaupten, dass die jüngsten Unruhen [im Bahrain] nicht vom Iran verursacht wurden, vergessen, dass Khomeinis Geschöpf Hisbollah im Bahrain immer noch existiert und der Strom in den Bahrain ausgestrahlter iranischer Propaganda ungebrochen ist. Iranische Politiker sprechen immer wieder davon, dass das Land eine iranische Provinz wäre […] Das Königreich von Saudi Arabien wird den Anspruch einer iranischen Machtübernahme im Bahrain nie akzeptieren.“[4]

Die iranische Führung und ihre Medien reagierten auf diese Aussagen Faisals und ähnliche, indem sie Saudi Arabien als mit Israel, den Golfstaaten und Frankreich verbündete Kraft porträtierten, die das Atomabkommen aus selbstsüchtigen ökonomischen Gründen zu sabotieren suchen. Zur selben Zeit versucht der Iran als Teil seiner „Charmeoffensive“ sein Bemühen um normale Beziehungen mit seinen Nachbarn zu unterstreichen, „jenseits der böswilligen Einflussnahme durch die Vereinigten Staaten.“ Der iranischen Außenminister Mohammad Javad Zarif, der die Atomverhandlungen mit dem Westen führt, sprach das Thema in einem weitreichenden Interview im iranischen Fernsehen an. Zarif behauptete, dass das Verhandlungsteam den Rückhalt Khameneis hätte und adressierte die Golfstaaten direkt mit den Worten:

„Wir haben keine Ahnung, wieso einige der Staaten am Persischen Golf sich voller Angst zeigen. Wir möchten euch zurufen, habt keine Angst, Beziehungen mit unseren Nachbarstaaten sind eine der höchsten Prioritäten der iranischen Außenpolitik. […] Die Interessen unserer Freunde [die Golfstaaten] sind denen des Zionistischen Regimes entgegengesetzt und sie brauchen gute und produktive Beziehungen mit ihrem großen Nachbarn [gemeint ist der Iran] […] Wir wollen die Beziehungen zu ihnen im Rahmen unserer gemeinsamen Interessen pflegen.“

Zarif betonte desweiteren, dass er vorhabe, einige der regionalen Staaten zu besuchen, „um ihre Ängste zu besänftigen.“[5] Und ein von ihm verfasster Leitartikel in der einflussreichen arabischen Tageszeitung Al-Sharq al-Awsat trug den Titel: „Unsere Nachbarn sind unsere Priorität.“[6]

Gleichzeitig bezog sich die iranische Nachrichtenagentur Fars auf Berichte, das Saudi Arabien beabsichtige, Pakistan eine Atombombe abzukaufen. Mehreren Berichten zufolge halfen die Saudis Pakistan in der Vergangenheit, Atomwaffenstaat zu werden.[7]

Die Teheraner Perspektive

Gegenwärtig erhält die iranische Verhandlungsdelegation die Unterstützung Khameneis, Rouhanis und der iranischen Presse, einschließlich der konservativen. Die Zeitung Kayhan, die dem Obersten Führer nahesteht, pries die Delegation für ihre hartnäckige Haltung gegen die vom Westen präsentierten Bedingungen, „welche Teil des Spiels guter Polizist (USA), böser Polizist (Frankreich)“ wären.[8] Fars kritisierte dabei das Verhalten der Franzosen:

„In den Gesprächen glich Frankreich einem Frosch, der eine Pistole zieht und sich einbildet, eine wichtige Rolle zu spielen. Die westliche Seite wusste sehr wohl, dass der Iran die Gespräche ernsthaft und mit einem nationalen Konsens führte im Rahmen einer vom Obersten Führer definierten Strategie. Sollten sie sich entscheiden, nicht das Beste aus der Situation zu machen, und stattdessen die Sanktionen aufrecht erhalten, dann wird ihnen ähnlich begegnet werden.“[9]

Nach der ersten Verhandlungsrunde hielt Rouhani eine Rede vor dem iranischen Parlament mit dem Titel „Der Iran verhandelt nicht wegen der Sanktionen.“ Darin betonte er, dass die Unterstützung des Obersten Führers für die „Söhne der Revolution“ (d.h. das Verhandlungsteam), welche dem Westen die Stirn geboten hätten, unter den Feinden des Iran Angst ausgelöst hätte, denn alle Kriegshetzer fürchteten den Pfad des Friedens. Er unterstrich, dass das vom Iran präsentierte mehrstufige Programm akzeptiert worden sei, und dass das Land seinen Gesprächspartnern gesagt hätte, dass „Drohungen, Sanktionen, Demütigungen und Diskriminierungen nichts ausrichten werden. Der Iran kapituliert nicht und wird gegenüber Drohungen gleich welcher Seite nicht kapitulieren.“

Rouhani fügte hinzu:

„Rote Linien mögen nicht überschritten werden. Unsere Roten Linien sind die atomaren Rechte des iranischen Volkes. Unsere nationalen Interessen sind unsere Roten Linien. Eines dieser Rechte ist das Recht auf einen Atomreaktor im Rahmen der internationalen Richtlinien, wozu das Recht auf Uranreicherung auf iranischem Boden gehört […] Wie alle anderen Staaten verdient der Iran seine legitimen Rechte.“

Und in Hinblick auf Sanktionen bemerkte Rouhani:

„Die Sanktionen bringen keiner Seite etwas. […] Sie sind illegal und stellen auch keine effektive Lösung dar. […] Wir haben uns nicht als Konsequenz der Sanktionen, die uns auferlegt wurden, an den Verhandlungstisch gesetzt. […] Wir setzten uns auch 2001 und 2003 an den Tisch, obwohl uns damals keine Sanktionen auferlegt waren, und wir haben weiter verhandelt, nachdem sie auferlegt wurden.“

Hinsichtlich einer Beziehung zwischen einer Fortsetzung der Gespräche und verschiedenen regionalen Fragen betonte Rouhani zur Bekräftigung der festen Haltung und regionalen Rolle des Iran:

„Der Erfolg der Atomgespräche bedeutet Frieden und Stabilität für die Region und die Welt. […]. Die Bedeutung des Erfolgs für den Iran ist, dass wir in der Lage sein werden, unsere Rolle in der Welt und der Region besser zu erfüllen. Um die regionalen und internationalen Probleme zu lösen, muss die Welt den Umstand anerkennen, dass ohne die iranische Präsenz und Teilhabe die Probleme in der Region entweder ungelöst bleiben oder nur zu einem hohen Preis gelöst werden. Es besteht kein Zweifel, dass die iranische Beteiligung an den internationalen Fragen konstruktiv und effektiv sein wird. Der Grund, wieso wir uns mit den anderen Mächten an den Verhandlungstisch gesetzt haben, ist, dass sie davon überzeugt sind, dass die Sanktionen keine Lösung darstellen.“

Rouhani fasste dies zusammen, indem er äußerte, dass der Iran seinen Teil in den Verhandlungen spielen würde und im mindesten, wie der Oberste Führer gesagt hätte, dabei nicht verlieren könne. Seine regionale Rolle und Bedeutung würden dadurch unterstrichen, die Gesellschaft würde in ihrer Widerstandskraft gestärkt und die Welt werde so verstehen, dass der Iran logisch handle und Massenvernichtungswaffen ablehne.[10]

Khamenei über die Gespräche „Kein Optimismus“

Auf seinem Treffen mit den Studenten vom 3. November bemerkte der Oberste Führer Ayatollah Khamenei:

„Der Iran hat im Rahmen der Verhandlungen nichts zu verlieren. Natürlich habe ich schon erwähnt, dass ich nicht optimistisch bin. Ich glaube nicht, dass die Verhandlungen das Ergebnis haben werden, das sich das iranische Volk erhofft. So ein Resultat wird anscheinend nicht erzielt werden. Doch es ist ein Versuch und eine wichtige Lektion, die den Iran stärken und voranbringen wird. Es gibt hier kein Scheitern, das sollte das Volk wissen. Wir unterstützen die Verhandlungen an der diplomatischen Front.“[11]

Khamenei warnte vor falschen Versprechungen, die von Propaganda verbreitet werde, dass ein iranisches Nachgeben in der Atomfrage alle Probleme lösen würde. Einmal mehr behauptete er, dass der Westen die Atomfrage nur als Vorwand missbrauche, um den Iran zu verwunden und zu schwächen wie seit Beginn der Islamischen Revolution. „Wäre die Atomfrage gelöst, dann fänden sie ein Dutzend andere Gründe. […] Warum hat der Iran Raketen, wieso ist er dem Zionistischen Regime nicht wohl gesonnen, wieso erkennt er das Zionistische Regime nicht an, wieso unterstützt er Widerstandsorganisationen im Nahen Osten und so weiter und so fort.“

Khamenei unterstrich den Niedergang der amerikanischen Macht und des amerikanischen Einflusses (selbst unter Amerikas Freunden) und die ökonomischen Probleme der Vereinigten Staaten und kontrastierte es mit der wachsenden Macht des Iran. Auch wenn er nichts gegen die Verhandlungen hätte, warnte er: „Vertraut nicht dem Feind, der euch anlächelt, das ist der Rat, der unseren Vertretern, unseren Kindern (die uns in Verhandlungen vertreten) gegeben wurde. […] Sie sind also vorsichtig, nicht vom Lächeln des Verführers getäuscht zu werden.“

Khamenei sprach auch lang über den Einfluss der „zionistischen Kreise“ in Amerika und den europäischen Staaten und betonte mit antisemitischem Nachdruck:

„Die Klauen der zionistischen Mächte und ökonomischen Verbündeten halten Amerikas Regierung im Griff, seine Politiker, seinen Kongress – sie alle müssen zionistische Interessen erfüllen. […] Wir sehen uns jedoch nicht daran gebunden und werden das Zionistische Regime weiterhin als illegitim und einen Bastard betrachten […] ein Regime, das durch ein Verschwörung zustande kam und nur dank Verschwörung und Verschwörungspolitik überlebt.“

Sein Hass auf das „Zionistische Regime“ war ebenfalls Gegenstand einer Rede vom 20. November 2013 vor den Kommandeuren der Bassidschi, dem freiwilligen Arm der Iranischen Revolutionsgarden unmittelbar vor der Verhandlungsrunde, die zum Interimsabkommen führte. Er nannte Israel ein „aufoktroyiertes Regime, das mit Gewalt gegründet wurde“, „schwache Wurzeln“ hätte und zur „Vergessenheit verdammt“ wäre und fügte hinzu:

„Unglücklicherweise ducken sich einige EU-Länder [Khamenei hatte hier Frankreich im Blick] vor dieser Kreatur [Israel], die menschlich genannt zu werden, nicht wert ist, vor diesen Führern des Zionistischen Regimes, die wie Tiere aussehen und nicht wie Menschen. […] Wenn wir also verkünden, dass wir [mit den Verhandlungen] vorankommen wollen, heißt dies, dass das Islamische System [der Iran] ein Kriegshetzer sei, der beabsichtige alle Nationen und Länder herauszufordern? […] Manchmal wird dies von den Feinden der iranischen Nation behauptet, einschließlich von jenem ominösen, schmutzigen Maul des tollwütigen Hundes der Region, dem Zionistischen Regime.“[12]

Von dem mit ihm verbundenen Twitter-Konto twitterte er: „Das israelische Regime, jener niederträchtige, schmutzige, tollwütige Hund in der Region, behauptet, der Iran sei eine Bedrohung für die Welt. Nein! Israel selbst ist die Bedrohung.“[13]

Der Iran besitzt bereits alle Komponenten, die zum Bau einer Atombombe gebraucht werden. Eine Lockerung der Sanktionen betrachtet er – selbst wenn er dafür einige Elemente seines offenen Atomprogramms aufgeben muss – als Erfolg und als Grundlage für die weitere Erosion des Sanktionsregimes. Auf der innenpolitischen Ebene wird Rouhani von Khameneis wie der öffentlichen Unterstützung nur ermutigt werden. Schon vor Ablauf der sechsmonatigen Übergangszeit ist es dem iranischen Regime gelungen, die Heimatfront mit Hilfe der Verhandlungen zu stabilisieren – primär das Recht auf Urananreicherungen und die Abschwächung der Sanktionen.

Khameneis zu verschiedenen Gelegenheiten geäußerten Stellungsnahmen, die von hochrangigen iranischen Politikern nachgeahmt werden, vermitteln, dass der Iran die Verhandlungen nicht wirklich braucht und sie vielmehr als innenpolitisches Instrument genutzt werden und als Teil eines umfassenden regionalen Konkurrenzkampfes um Einfluss im Nahen Osten. Die jüngsten Äußerungen setzen die Dehumanisierung Israels als Teil der Regionalstrategie fort, was aber von der internationalen Gemeinschaft zugunsten des „historischen Interimsabkommens“ ignoriert wird.

Aus Khameneis Perspektive stärken die Verhandlungen, auch wenn sie zum Scheitern verurteilt sein mögen, die iranische Position in der Konfrontation mit den Vereinigten Staaten. Verglichen mit seinem Gegenüber ist der Iran in einer völlig anderen Situation, die aus westlicher Perspektive schwer zu verstehen ist. Der Iran kommt nicht aus Schwäche an den Verhandlungstisch, sondern tatsächlich aus einer Position der Stärke. Anstelle irgendetwas bei den Verhandlungen zu verlieren zu haben, kann er nur gewinnen. Der Iran ist sich einer weiteren regionalen und internationalen Perspektive sehr wohl bewusst und seine Entscheidung, sich auf Verhandlungen einzulassen, hat nicht ausschließlich mit der Atomfrage zu tun. Sie spiegelt vielmehr ein ganzes Bündel von regionalen und internationalen Interessen wider, die auf die iranische Einschätzung eines amerikanischen Machtverlustes in der Region treffen und den eigenen ausgreifenden Anspruch. Das Interimsabkommen und die nächsten sechs Verhandlungsmonate werden Assad in Syrien ermutigen und andere Elemente des „Widerstandslagers“ (Hisbollah und Hamas) stärken sowie die Palästinenser in ihren Verhandlungen mit Israel.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Iran zwei mögliche Szenarien vorbereitet. Das eine betrifft fortgesetzte Verhandlungen, bei denen der Iran zu gewissen Konzessionen bereit ist, die ihnen aus seiner Sicht nicht von der geheimen Überholspur auf dem Weg zur Bombe abhalten werden, dafür aber eine Aufhebung einiger Sanktionen und eine allgemeine Schwächung des Sanktionsregimes bedeuten. Im zweiten Szenario bleibt der Iran standhaft gegenüber den Sanktionen, verbessert seinen regionalen Status und schreitet beim Bau der Bombe fort und akzeptiert derweil das (von ihm als eher gering geschätzte) Risiko eines Angriffs auf seine Nuklearanlagen. In jedem Fall bereitet der Oberste Führer die öffentliche Meinung im Iran auf diese Möglichkeit vor.

* * *


[1]“Iran’s Message: There Is a Way Forward,” https://www.youtube.com/watch?v=Ao2WH6GDWz4.

[2] http://online.wsj.com/news/articles/SB10001424052702303309504579181710805094376#printMode; http://backchannel.al-monitor.com/index.php/2013/11/7115/exclusive-burns-led-secret-us-back-channel-to-iran/

[3] http://www.manoto1.com/news/news11795/news11803; http://www.iranhrdc.org/persian/permalink/1000000332.html#.UnLJQPkvlV0Nasrin

[4] http://ncusar.org/programs/13-audio/2013-10-22-hrh-prince-turki.mp3

[5] http://tinyurl.com/Zarif-PGCC-123

[6] http://beta.aawsat.com/home/article/10372 ; https://twitter.com/JZarif/status/403349098503225344

[7] http://www.farsnews.com/plarg.php?nn=616545&st=1080371

[8] http://www.kayhan.ir/920820/2.htm#N201

[9] http://www.farsnews.com/newstext.php?nn=13920819000413

[10] http://www.farsnews.com/newstext.php?nn=13920818001361

[11] http://www.leader.ir/langs/fa/index.php?p=bayanat&id=11230

[12] http://www.leader.ir/langs/fa/index.php?p=contentShow&id=11295

[13] https://www.facebook.com/photo.php?fbid=568866203186318&set=a.415551031851170.95270.415541435185463&type=1