Iran und die Atomfrage im aktuellen Kontext

Iran und die Atomfrage im aktuellen Kontext

Dore Gold

In den letzten zehn Jahren hat sich international der Verdacht durchgesetzt, dass der Iran nicht nur ein ziviles Atomprogramm betreibt, sondern versucht, Nuklearwaffen zu erwerben. Während der Atomwaffensperrvertrag den Unterzeichnerstaaten, zu denen der Iran gehört, das Recht zubilligt, Atomenergie friedlich zu nutzen, gestattet er nicht das Recht auf Anreicherung von Uran zur Produktion spaltbaren Materials, das für Kernwaffen genutzt werden könnte.

Die meisten Staaten, die die Atomkraft nutzen, erhalten ihren Kernbrennstoff aus dem Ausland.[1] Selbst das 2010 von Vereinigten Staaten genutzte Uran war zu 92 Prozent importiert.[2] Im Gegensatz dazu, entschloss sich der Iran zum Aufbau einer eigenen Urananreicherungsanlage in Natanz und hielt diese streng geheim bis sie 2002 von der Opposition enttarnt wurde. Eine weitere tief in einen Berg gegrabene geheime Anlage Nähe Qom wurde 2009 offenbar.

Aufgrund der iranischen Geheimniskrämerei wuchs der Verdacht der internationalen Gemeinschaft. Die offizielle Behauptung, diese atomare Infrastruktur diene der Erzeugung von Elektrizität, verlor angesichts der enormen Öl- und Gasreserven des Landes an Glaubwürdigkeit.

Selbst Russland vermochte nicht mehr die iranischen Aktionen als „rein ziviler Natur“ zu decken.[3] Der Nationale Geheimdienstdirekter der Obama-Administration James R. Clapper berichtete am 12. März 2013 vor dem Senat, dass die technischen Fortschritte des Iran „unsere Einschätzung untermauern, dass der Iran die wissenschaftlichen, technischen und industriellen Fähigkeiten hat, um Nuklearwaffen herzustellen.“ Damit war es für Washington nicht mehr nur eine Frage, ob der Iran Atomwaffen wollte, sondern nur noch, wann er sich entschließen würde, eine zu bauen.

Die israelische Perspektive

In einer Reihe von öffentlichen Auftritten im September 2012 präsentierte Premierminister Benjamin Netanyahu den mutmaßlichen Zeitplan des Iran zum Überschreiten der nuklearen Schwelle und dem Erwerb der Atombombe. In einem Interview vom 16. September sagte er gegenüber CNN, dass die Iraner in der letzten Phase angelangt und extrem nah an ihrem Ziel seien. Er spezifizierte, dass innerhalb von 6 Monaten die Iraner ausreichend Mengen Uran zu 90 Prozent der für Atomwaffen nötigen Anreicherungsebene angesammelt haben würden.

Die gleiche Botschaft verkündete er auf seiner Rede vor der UN-Vollversammlung vom 27. September. Nach Überschreiten dieser 90 Prozent-Marke würde es in der letzten Phase nur noch einige Monate, oder gar Wochen dauern. Mit Blick auf die Entwicklung warnte er davor, dass es zu spät sein könnte und forderte aus diesen Gründen, dass eine klare rote Linie gezogen werden sollte, bevor das iranische Programm diese letzte Phase erreiche.

Um die Phasen zu verstehen, ist es wichtig sich an die Erkenntnisse der Atomwissenschaftler zu erinnern. Uran verfügt über verschiedene Isotope: U-235 ist spaltbar und setzt dabei die Explosionsenergie frei, die bei Atombomben zur Anwendung kommt. U-238 eignet sich hingegen nicht dafür. Das natürlich vorkommende Uran enthält nur 0,7 Prozent U-235 und 99,3 Prozent U-238. Um Uran anzureichern gilt es die Anzahl der U-235 Isotope zu erhöhen. Dies geschieht in der Regel durch tausende Zentrifugen, in denen unter Verwendung von Urangas U-235 durch hohe Drehzahlen vom U-238 getrennt wird.

Wird Uran auf 3,5 Prozent angereichert, spricht man von schwach angereichertem Uran. Dieses ist im Wesentlichen als Kernbrennstoff für einen zivilen Atomreaktor nutzbar. Angesichts der geringen Ausgangsmenge von U-235 in natürlichem Uran ist das Ausmaß an Energie, die benötigt wird, um jene schwache Anreicherung zu erzeugen, bereits 70 Prozent der gesamten Energie, die aufgewendet werden muss, um waffenfähiges Uran zu erhalten.

Wesentlich alarmierender wird es jedoch, wenn das zweite Anreicherungslevel von 20 Prozent erreicht wird. Damit sind bereits besagte 90 Prozent des Weges zum waffenfähigen Uran zurückgelegt. Ein Vorrat von 20 Prozent angereichertem Uran reicht also aus für das, was Sicherheitsexperten einen „nuklearen Durchbruch“ nennen – ein Staat kann von dieser Stelle schnell von einer als zivil erklärten Atomindustrie zu einer Atomwaffe gelangen unter Bruch seiner Verpflichtungen gegenüber der internationalen Gemeinschaft.

In seiner Rede vor der UN forderte Netanyahu, dass die internationale Gemeinschaft den Iran davor warnen müsse, dass ihm die Produktion von genügend auf 20 Prozent angereichertem Uran nicht gestattet würde. Wie in seinem Interview auf CNN sagte er, dass der Iran die Schwelle im nächsten Frühjahr, spätestens aber im Sommer überschreiten würde, machte dies aber von den aktuellen Anreicherungsraten abhängig.

Wenn der Iran seine Anreicherungsanlagen mit großen Stückzahlen fortschrittlicher Zentrifugen wie der IR-2M ausstatten würde, die mit der vier- bis sechsfachen Geschwindigkeit der gegenwärtigen IR-1-Modelle operieren, dann könnte sich die Anreicherung dramatisch beschleunigen. Der Iran ließ die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) am 23. Januar 2013 formell wissen, dass er IR-2M-Zentrifugen installieren würde. Auch wenn der Iran die Zahl seiner IR-1 erhöhen würde, könnte der Prozess beschleunigt werden.

Das Scheitern des internationalen Drucks auf Teheran

Die internationale Gemeinschaft hätte nicht in diese Situation geraten müssen. Seitdem 2002 das geheime Atomprogramm des Iran von der iranischen Opposition enttarnt wurde, war ihre allgemeine diplomatische Haltung gewesen, dass eine Mischung aus internationalen Sanktionen und Verhandlungen den Iran schließlich dazu zwingen würden, sein militärisches Atomprogramm aufzugeben. Schließlich sollte auch die Androhung von Gewalt den Iran zum Einlenken bewegen.

Die Verheimlichung seiner Atomaktivitäten, v.a. aber die Arbeit an Uranumwandlung und -anreicherung und Plutoniumtrennung stellen klare Verstöße gegen die internationalen Verpflichtungen des 1974 unterzeichneten Schutzklauselabkommens dar, das im Rahmen des 1968 unterzeichneten Atomwaffensperrvertrages geschlossen wurde. Dabei geriet v.a. die große Urananreicherungsanlage von Natanz ins Visier.[4]

Die iranischen Verstöße waren schwerwiegend. In Konsequenz wurde diplomatischer Druck erzeugt, der eindrücklich schien. Seit 2006 wurden sechs Resolutionen des UN-Sicherheitsrates verabschiedet, die den Iran dazu aufforderten, seine Urananreicherung einzustellen. Dabei handelte es sich ebenso wie bei den gegen Saddam Husseins Irak während der neunziger Jahre erlassenen Resolutionen um Kapitel-VII-Resolutionen, die damit zu verbindlichem Völkerrecht werden.

Und dennoch sind diese Maßnahmen sichtlich gescheitert und hatten keinerlei Einfluss auf die iranische Entscheidungsfindung. Nachdem Ende 2006 mit Resolution 1737 UN-Sanktionen gegen den Iran verhängt wurden, begann das Land im Februar 2007 seine Anreicherung zu steigern. Zu dieser Zeit begann das Regime auch trotz des Drucks eine geheime zweite Anreicherungslage aufzubauen, die man in Fordow in der Nähe von Qom tief in einen Berg grub.

2009 waren die Vorräte des Iran an schwach angereichertem Uran erstmals über 1500 kg – die Mindestmenge, die gebraucht wird, um das für eine einzige Atombombe nötige Uran zu produzieren. Kaum ein Jahr später produzierte der Iran im Februar 2010 erstmalig auf 20 Prozent angereichertes Uran. Im Dezember 2011 begannen die Iraner auch in der Anlage Fordow Uran auf 20 Prozent anzureichern.

Der Iran nutzte diese Jahre ebenso, um einseitig die Regeln für die Zusammenarbeit mit der IAEA zu ändern, um einige der wichtigsten Beschränkungen zu unterlaufen. So wäre die Iran beispielsweise verpflichtet, die IAEA darüber zu informieren, dass er sich zum Bau einer neuen Atomanlage entschieden habe.[5]

Doch im März 2007 erklärte der Iran plötzlich, dass er diese Verpflichtung aufhebe und stattdessen auf eine ältere Regelung zurückgehe, die von Teheran lediglich verlange, dass sie eine neue Atomanlage nur dann ankündige, wenn sie sechs Monate vor der Verwendung spaltbaren Materials stünde. Dies ist keine bloße Technikalie. Durch diese Lockerung der Verpflichtungen konnten die Iraner behaupten, dass ihre 2009 offenbarte ehemals geheime Anreicherungsanlage in Fordow den IAEA-Forderungen nicht widersprach. Ganz offensichtlich verpufften so die 2006 und 2007 vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Maßnahmen.

Als nächstes präsentierte der Iran plötzlich eine Ausrede, dass er 20-prozentiges Uran benötigen würde, um medizinisch nutzbare Isotope in seinem Forschungsreaktor zu erzeugen. Nur überstieg die bereits zugegebene produzierte Menge schon längst das für einheimische Zwecke nötige Maß. Die jüngste durchschaubare Ausrede Teherans zur Urananreicherung lautet, dass sie vielleicht bis zu 90 Prozent anreichern müssten, um zukünftige Atom-U-Boote auszurüsten.

Doch der Iran plant nicht nur angereichertes Uran für den Bau von Atomwaffen zu nutzen. Seit der Enthüllung seines Atomprogramms 2002 ist auch bekannt, dass der Iran in Arak einen Schwerwasserreaktor baut. Der Iran könnte die Plutoniumbrennstäbe aus dem Reaktor entfernen, und zur Herstellung von waffenfähigem Plutonium wiederverwenden. Mit Hilfe von Uran gelangt der Iran aber schneller an die Bombe, denn der Arak-Reaktor soll nach eigenen Angaben gegenüber der IAEA erst im ersten Quartal von 2014 in Betrieb genommen werden.[6]

Countdown zur iranischen Bombe

Wenn also die Gegenmaßnahmen der internationalen Gemeinschaft den Iran nicht dazu bringen können, seine Anreicherung einzustellen, wann wird er dann die ausreichenden Mengen an angereichertem Uran haben, die ihm gestatten, schnell auf die Waffenebene zu gelangen und seine erste Atombombe zu bauen? Nach einem IAEA-Bericht vom August 2012 hatte der Iran zu diesem Zeitpunkt bereits 189,4 Kilogramm 20-prozentiges Uran produziert seit dem Beginn der Anreicherung auf 20 Prozent im Februar 2010.

Um seine erste Atombombe aus 20-prozentigem Uran herzustellen, würde der Iran, so das Institute for Science and International Security (ISIS), 225 Kilogramm benötigen, welche durch weitere Anreicherung 25 Kilogramm waffenfähigen Urans für eine Atomsprengkopf ergeben.[7] Unter Experten wird diese Menge als „signifikant“ bezeichnet. Bei gleichbleibender Produktionsmenge in Natanz und Fordow sollte der Iran diese Menge Ende Oktober 2012 erzielt haben erreicht haben. Die Iraner hätten also die Rote Linie vor der Premier Netanyahu warnte bereits im letzten Oktober überschritten.

Zwischen Dezember 2011 und August 2012 zweigte der Iran jedoch 96,3 Kilogramm von seinem 20-Prozent-Vorrat ab, um es für Uran-Produkte zu verwenden, z.B. Uranoxidpulver für Kernplatten. Daher sank die Nettomenge auf 91,4 Kilogramm, womit sich die Zeitleiste veränderte. Dem jüngsten IAEA-Bericht vom Februar 2013 zufolge bleibt der Iran auf seinem zweigleisigen Kurs: Uran wird auf 20 Prozent angereichert und gleichzeitig wird etwas für andere Zwecke verwendet, die nicht unmittelbar zur Herstellung waffenfähigen Urans dienen. ISIS schlussfolgerte auf Grund des Berichts, dass der Iran inzwischen ca. 280 Kilogramm an 20-prozentigem Uran hergestellt hat, davon aber 112,6 Kilogramm abgezogen hätte. Sollte der Iran auf diesem Kurs mit dem Tempo von ca. 14,8 Kilogramm pro Monat bleiben, dann würde die von Israel deklarierte rote Linie im Sommer überschritten. Bei erhöhtem Tempo, z.B. durch Einsatz der bereits installierten, aber noch nicht verwendeten Zentrifugen, könnte es schon eher geschehen.[8] So hat der Iran allein zwischen Mai und August 2012 1076 neue Zentrifugen in Fordow installiert, was die dortige Zahl auf 2140 erhöht. Von jenen sind aber gerade nur 646 im Einsatz. Der Iran könnte seine Geschwindigkeit verdoppeln, wenn er all diese neuen Zentrifugen anwerfen würde.

Er könnte aber auch das abgezweigte Uranoxidpulver zurück in Gas verwandeln und weiter anreichen. Hinzu kommt die hohe Menge an 3,5-prozentigem Uran, von dem der Iran noch 5974 Kilogramm besitzt, wenn man das auf 20 Prozent angereicherte abzieht. Allein dieser Vorrat sollte genug Uran für mindestens 3 bis 4 Atombomben liefern, wenn sofern weiter angereichert. Nur dass vom 20-Prozent-Level aus am schnellsten der Durchbruch und somit vollendete Tatsachen geschaffen werden können.

Doch der Iran muss zum Erwerb einer Atombombe noch einiges mehr leisten, sobald er genügend 20-prozentiges Uran für eine erste Bombe bereit gestellt und weiter auf Waffenfähigkeit angereichert hat. Den meisten Einschätzungen zufolge dauert dieser Schritt zwischen zwei und vier Monaten. Anreicherung erfordert Uran in Gasform: dieses wird mit hohen Geschwindigkeiten in Zentrifugen rotiert, so dass sich das schwerere U-238 vom leichteren U-235, das für Kernspaltungsbomben benötigt wird, trennen kann. Sobald der Iran über das Gas verfügt, muss er es in Metall verwandeln, um so einen Atomsprengkopf herzustellen.

Das Problem der genauen Bestimmung des Zeitplans wird durch die unbekannte Waffengröße erschwert, die der Iran letztlich anstrebt. Wie bereits erwähnt geht die IAEA davon aus, dass eine fortgesetzte Anreicherung des Materials 25 Kilogramm an waffenfähigem Uran für eine Waffe ergeben muss. Kritiker betonen dagegen, dass diese Zahl zu hoch angesetzt ist. Schon 15 Kilogramm wären ausreichend für eine Bombe. Historisch haben die Vereinigten Staaten 1951 sogar eine Bombe mit nur sechs Kilogramm hoch angereichertem Urans getestet.[9] Der iranische Zeitplan wird also davon beeinflusst, ob sie wirklich 25 Kilogramm an waffenfähigem Uran anstreben oder sich für eine erste Bombe mit weniger begnügen. Der Unterschied würde bedeuten, dass der Iran im letzten Fall die rote Linie schneller überschreitet.

Sprengkopf-Design

Zudem gibt es insgesamt drei Dimensionen in jedem Atomwaffenprogramm: Urananreicherung, ballistische Raketen und Atomsprengköpfe. Letzter beschäftigen die IAEA ebenfalls, seitdem Olli Heinonen, damals ihr stellvertretender Vorsitzender, im Februar 2008 einen streng vertraulichen Vortrag vor Vertretern von über 100 Staaten hielt. Einer Beschreibung des Treffens in der New York Times zufolge präsentierte Heinonen iranische Originaldokumente, die verschiedene IAEA-Mitgliedsstaaten, und nicht nur die Vereinigten Staaten, eingereicht hatten.[10] Im Juni 2010 berichtete das deutsche Magazin Der Spiegel, dass das Material in einer gemeinsamen Operation von deutschen und amerikanischen Geheimdiensten beschafft worden war. Die IAEA hat somit internationale Rückendeckung, um die amerikanischen Geheimdienstberichte für jene zu belegen, die daran zweifelten. Durch die Bestätigung der IAEA waren mehr Staaten bereit, sie zu akzeptieren.

Aus den iranischen Dokumenten ging hervor, wie ein Sprengkopf für die Shahab-3-Raketen, die der Iran seit 2003 einsatzbereit hat, auszusehen hätte. Auch wenn die Dokumente nicht explizit auf einen atomaren Sprengkopf verwiesen, zeigten sie die Flugbahn der Rakete mit einer Detonation in der Höhe von 600 Metern. Eine konventionelle Explosion in dieser Höhe, so die IAEA-Experten, hätte keinerlei Auswirkung auf den darunter liegenden Boden. Doch für eine Atomexplosion über einer Stadt ist dies die ideale Höhe. Tatsächlich wurde die Bombe über Hiroshima in dieser Höhe gezündet. Trotz dieses substanziellen Materials ging Heinonen nicht soweit, den Iran der Produktion von Atomwaffen zu beschuldigen, sondern hinterließ seinem Publikum mehr Fragen als Antworten.

Im Mai 2011 wurde die IAEA jedoch weit deutlicher als Heinonen 2008. Ihr Bericht wies mit Sorge auf die „mögliche Existenz“ von sieben Gebieten militärischer Forschung im iranischen Atomprogramm hin, von denen die letzte am alarmierendsten war: „die Entfernung konventioneller hochexplosiver Sprengladungen aus den Sprengköpfen der Shahab-3 und ihr Ersetzen durch eine kugelförmige atomare Sprengladung.“

Doch die IAEA ging nicht so weit Schlussfolgerungen zu ziehen. Ihr ging es nur um die „Klärung“ von Verdachtsmomenten.

Der wichtigste Iran-Bericht der IAEA wurde im November 2011 veröffentlicht und erwies sich in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Zum einen zeigte er, dass die IAEA nicht länger nur „Verdachtsmomente“ gegenüber dem iranischen Waffenprogramm hegte, sondern, wie sie es nannte, über „glaubwürdige“ Beweise verfügte. Im Anhang des Berichts war ein ganzer Abschnitt allein der „Glaubwürdigkeit“ gewidmet. Dabei ging es nicht allein um einen iranischen Laptop, wie bei der Heinonen-Präsentation 2008, sondern um umfangreiches Material von über 1000 Seiten, die insgesamt von mehr als 10 Mitgliedsstaaten geliefert worden waren.

Desweiteren zeigte das von der IAEA präsentierte Material mit Deutlichkeit, dass der Iran eine abschussfähige Atomwaffe entwickeln wollte. Die Iraner hatten sich um Uran für ein geheimes Anreicherungsprogramm bemüht, das von der IAEA nicht überwacht werden konnte. Das dort angereicherte Uran würde weiter verarbeitet werden, um das Uran-Metall für einen Atomsprengkopf zu produzieren. Das Design des Sprengkopfs war auch dahingehend überprüft worden, ob es sich für eine Wiedereintrittsrakete eignen und die Kräfte des Raketenstarts und der ballistischen Bahn hin zum Ziel aushalten würde. Die IAEA schlussfolgerte, dass der Iran „an der Entwicklung eines eigenständigen Atomwaffendesigns“ arbeite und die Komponenten teste.

Irans Festhalten am Atomkurs

Die iranische Hartnäckigkeit im Bruch der internationalen Verpflichtungen hat viele im Westen überrascht. Die iranische Regierung war bereit, einen hohen ökonomischen Preis in Form von Sanktionen zu bezahlen, hält aber trotzdem an seinem Streben nach Atomwaffen fest. Man kann die iranische Entschlossenheit in dieser Hinsicht nicht von seinen Ambitionen, Hegemonialmacht im Nahen Osten zu werden, trennen.

Der Iran ist keine Status-Quo-Macht. Nur wenige Jahre nachdem er die Stellung als Oberster Führer des Iran eingenommen hatte, stellte Ayatollah Ali Khamenei in einem Interview mit der iranischen Tageszeitung Ressalat die rhetorische Frage: „Sorgen wir uns darum, die Integrität unseres Landes zu bewahren oder wollen wir expandieren?“[11], die er sogleich selbst beantwortete: „Natürlich streben wir nach Expansion.“ Im Wesentlichen gab er nur das wieder, was sich in der Verfassung der Islamischen Republik finden lässt, die zu einer „Fortsetzung der Revolution daheim wie im Ausland“ aufruft.[12] Khamenei ist der Oberste Kommandierende der iranischen Streitkräfte, seiner Definition der iranischen nationalen Strategie ist entsprechend zwingend zu folgen.

Von diesem Weltbild hat der Iran bis heute nicht abgelassen. Khameneis hochrangigster Berater in militärischen Angelegenheiten Generalmajor Yahya Rahim Safavi, zuvor Kommandeur der Revolutionsgarden, bezeichnete den Iran 2013 als die „regionale Supermacht“ des Nahen Ostens.[13] Er bekräftigte, dass in der islamischen Welt eine neue globale Macht heranwüchse, was Washington zu verhindern suche.

In den letzten fünf Jahren haben iranische Repräsentanten, die Khamenei nahe stehen, die expansionistische Ziele der Islamischen Republik artikuliert, den Bahrain zur iranischen Provinz erklärt und die anderen arabischen Golfstaaten daran erinnert, dass sie Teil des iranischen Gebietes seien. Unter Führung von Generalmajor Qassam Suleimani kommen die Al-Quds-Truppen der Revolutionsgarden im ganzen Nahen Osten mit dem Auftrag des Revolutionsexports zum Einsatz.

Vor zwei Jahren berichtete der Guardian, dass ein hochrangiger irakischer Politiker General David Petraeus eine Textbotschaft von Suleimani zukommen ließ, in der es hieß: „General Petraeus, Sie sollten wissen, dass ich, Qassam Suleimani, die iranische Politik im Irak, Libanon, Gaza und Afghanistan gestalte.“[14] Dies bekräftigte sich dieses Jahr im Januar, als die iranische Nachrichtenagentur ISNA von einer Rede Suleimanis berichtete, in der es hieß, dass der Libanon und der Irak auf die eine oder andere Art vom Iran kontrolliert würden.[15] Zur gleichen Zeit gestand der Iran öffentlich, dass die Quds-Truppen sowohl im Libanon wie auch in Syrien im Einsatz seien.

Im Hinblick auf das iranische Atomprogramm bedeutet dies, dass die von Khamenei getroffene Unterscheidung zwischen Verteidigung der Integrität und offensiver Expansionsdoktrin, bei der er letztere bevorzugte, heißt, dass die atomare Bewaffnung nicht allein der Abschreckung dienen würden, wie dies bei anderen Regimen der Fall ist, sondern ein Mittel zum Erreichen regionaler Hegemonie, Verbesserung der Machtposition gegenüber den arabischen Nachbarstaaten und den USA. Ali Laridschani, der als Nationaler Sicherheitsberater des Iran und Chef-Unterhändler in Atomfragen diente, unterstrich dies, als er sagte, dass einen atomaren Iran niemand mehr herausfordern würde aus Angst vor dem dann zu bezahlenden Preis.[16]

Laridschanis Bemerkung ist auch in anderer Hinsicht bedeutsam. Die jüngste Geschichte zeigt, dass mit dem ersten Atomtest von Staaten wie Nordkorea die Vereinigten Staaten und ihre westlichen Alliierten den Willen verloren, diesen neuen Atomstatus herauszufordern. Im Gegensatz dazu gab Libyen sein Atomwaffenprogramm auf und die NATO konnte ungehindert in den Aufstand gegen das Regime Gaddafis eingreifen. Die Fortschritte im iranischen Atomprogramm würden es dem Iran also ermöglichen, die Amerikaner von militärischen Maßnahmen gegen seine Nuklearanlagen abzuschrecken.

Der Iran muss einige Etappenziele erreichen, um zur Atommacht aufzusteigen. Zunächst bedarf er eines Minimums von 20-prozentigem Uran, um jenes in atomwaffenfähiges Uran zu verwandeln. Zweitens muss er dieses in Uranmetall für einen Sprengkopf verwandeln und schließlich jenen auf eine ballistische Rakete wie die Shahab-3 montieren, die Israel, Saudi Arabien oder die Türkei bzw. dort stationierte westliche Kräfte zu treffen vermag. Der IAEA-Bericht vom November 2011 kam zu dem Schluss, dass der Iran an einem Sprengkopf arbeite und ein hochrangiger israelischer Experte bestätigte, dass der Iran sich bereits an der Integration des Sprengkopfs in eine Shahab-3-Rakete versuche.[17]

Die letzten Schritte im iranischen Atomprogramm

Je weiter der Iran in seinem Atomprogramm voranschreitet, umso größer ist sein Abschreckungsvermögen schon vor dem Besitz einer vollständig einsatzfähigen Waffe. Das Beispiel dafür bietet Nordkorea. 2002 entfernte es die Überwachungsinstallationen der IAEA, wies deren Inspektoren aus und informierte die Vereinigten Staaten im April 2003, dass es über Atomwaffen verfüge. Die Nordkoreaner führten ihren ersten Test 2006 durch. Damit hatte Nordkorea den Westen wegen ihres bevorstehenden Atommachtstatus bereits lange vor dem ersten Test in Sorge versetzt. Schon in den späten neunziger Jahren begann sich die amerikanische Militärplanung darauf vorzubereiten, dass Nordkorea zur Herstellung von Atombomben fähig wäre. Schurkenstaaten vermögen also, einen strategischen Vorteil schon aus den Entwicklungsstadien ihres Atomprogramms zu ziehen.[18]

Wie verhielte es sich im Falle des Iran? Angesichts der sich mehrenden Anzeichen, dass der Iran seine letzten Vorbereitungen trifft, die nukleare Schwelle zu überschreiten, dürfte sich die westliche Debatte über den Einsatz militärischer Gewalt zuspitzen. Doch diese Debatte wird von der Frage getrübt werden, ob der Iran bereits über Atomwaffen verfügt. Jene, die davon ausgehen, werden behaupten, dass das Risiko für einen Militärschlag bereits zu hoch sei. Das größte Problem besteht darin, dass zu diesem Zeitpunkt die Nachrichtendienste weitestgehend im Dunkeln tappen.

Am 11.April 2011 unterstrich der damalige Verteidigungsminister Robert Gates in einem Interview mit NBCs „Meet the Press“: „Sollte ihre Politik darin bestehen bis zur Schwelle zu gehen, die Waffe aber nicht zusammen zu bauen – woher weiß man dann, dass sie sie noch nicht zusammen gesetzt haben? Dies ist dann eine Frage der Verifikation und ich wüsste nicht, wie man das verifizieren könnte.“ Angesichts der Tatsache, dass Gates in den neunziger Jahren CIA-Chef war, ist diese Einschätzung von besonderer Relevanz, zeigt sie doch von einem besseren Verständnis der echten Grenzen westlicher Geheimdienste bei der Erkennung von Massenvernichtungswaffenprogrammen.

Dadurch wird auch das enorme Risiko deutlich, dass darin bestünde, das iranische Atomprogramm bis in seine letzten Stadien gelangen zu lassen, wenn westliche Erkenntnisse über den Fortschritt nur noch vage werden. Genau dies war auch das Argument Premierminister Netanyahus in seiner UN-Rede. Die iranischen Anreicherungsanlagen seien mit ihren tausenden Zentrifugen „enorm große Industriekraftwerke“, was so viel heißen sollte, wie dass sie sichtbar und verletzlich wären. Doch sobald der Iran im nächsten Stadium angelangt sei, in welchem er nur noch einen Atomsprengkopf herstellen müsse, sei er nicht mehr auf diese großen Anlagen angewiesen, sondern nur noch auf eine Werkstatt von der Größe eines Klassenzimmers. In der allerletzte Phase wären die iranischen Aktivitäten kaum noch zu beobachten und daher weit weniger anfällig. Aus diesem Grunde hatte Israel eine Rote Linie in der Anreicherungsphase und nicht erst mit der Waffenproduktion zu ziehen, in der es zu spät wäre.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass es schwierig ist, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, an dem der Iran genügend 20-prozentiges Uran besitzen wird, dass zu Waffenzwecken weiter angereichert werden kann. Deutlich ist nur, dass sich dieser Zeitpunkt mit hoher Geschwindigkeit nähert und der Iran vorher gestoppt werden muss. Dem jüngsten IAEA-Bericht zufolge hat der Iran die Zahl seiner Zentrifugen substantiell erhöht und um fortschrittlichere Zentrifugen erweitert. Auch mit dem Schwerwasserreaktor zur Produktion von Plutonium macht er seine Fortschritte.[19]

In den aktuellen Verhandlungen mit dem Iran wird der Westen sich der israelischen Sorge über die Anreicherung auf 20 Prozent sowie der von Netanyahu gezogenen Roten Linien bewusst sein müssen. Bislang war der Iran vorsichtig genug, jene Grenze nicht zu überschreiten, was ihn nicht davon abhielt, in anderen Bereichen Fortschritte zu machen. Nach den jüngsten Gesprächen in Kazachstan erklärte der Iran, er würde 3000 fortschrittliche Zentrifugen bauen und in Natanz installieren. Möchte man also Vorschläge unterbreiten, wie die internationale Gemeinschaft als Ganze vor der Bedrohung durch iranische Atomwaffen geschützt werden kann, so müssen all jene hier diskutierten Aspekte des Programms einbezogen werden, die in der kommenden Zeit vollständig einsatzfähig werden könnten: das Plutoniumprogramm, der Bau von Sprengköpfen und Trägersystemen sowie die Aufrüstung des Zentrifugensystems. Wenn Verhandlungen bei nur einem Aspekt der iranischen Anstrengungen stehen bleiben, während die anderen Teile des Atomprogramms voranschreiten, dann mag man zwar eine Krise unmittelbar abwenden, doch der Iran wird dann zukünftig die Welt immer wieder herausfordern.


[1] Therese Delpech, Iran and the Bomb: The Abdication of International Responsibility (New York: Columbia University Press, 2007).

[2] U.S. Energy Information Administration, “Today in Energy,” 11. Juli 2011.

[3] “Russia to Iran: Explain Military Components of Your Program,” Reuters, 15. Juli 2010.

[4] International Atomic Energy Agency, “Implementation of the NPT Safeguards Agreement in the Islamic Republic of Iran,” Report by the Director General, 15. November 2004.

[5] James M. Acton, “Iran Violated International Obligations on Qom Facility,” Proliferation Analysis, Carnegie Endowment for International Peace, 25. September 2009.

[6] James Kirkup, David Blair, Holly Watt and Claire Newell, “Iran’s ‘Plan B’ for a Nuclear Bomb,” Telegraph, 26. Februar 2013; http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/middleeast/iran/9896389/Irans-Plan-B-for-a-nuclear-bomb.html.

[7] David Albright and Christina Walrond, “Iranian Production of 19.75 Percent Enriched Uranium: Beyond its Realistic Needs,” Institute for Science and International Security, 15 Juni 2012.

[8] David Albright, Christina Walrond, Andrea Stricker, and Robert Avagyan, “ISIS Analysis of IAEA Safeguards Report,” Institute for Science and International Security, 30. August 2012.

[9] Thomas B. Cochran and Christopher E. Paine, “The Amount of Plutonium and Highly-Enriched Uranium Needed for Pure Fission Nuclear Weapons,” Natural Resources Defense Council, Washington, D.C., revised April 13, 1995. Für eine Vergleich des Zeitplans für 15 oder 25 Kilogramm hoch angereicherten Urans siehe: Maseh Zarif, “The Iranian Nuclear Program: Timelines, Data, and Estimates,” American Enterprise Institute, September 2012.

[10] David Sanger, The Inheritance: The World Obama Confronts and the Challenges to American Power (New York: Harmony Books, 2009), pp. 86-94.

[11] Manoucher Ganji, Defying the Iranian Revolution: From a Minister to the Shah to a Leader of the Resistance (Westport, Conn: Praeger, 2002), pp. 82-83.

[12] “Iran Constitution,” http://www.princeton.edu/lisd/projects/PORDIR/research/Iran%20Constitution.pdf

[13] “Iran is Superpower of the Region;” New Axis of Power in Islamic World is Now Being Formed,” Iran Daily Brief, 7. Februar 2013, http://www.irandailybrief.com/2013/02/07/iran-is-superpower-of-the-region-new-axis-of-power-in-islamic-world-is-now-being-formed/

[14] Martin Chulov, “Qassem Suleimani: The Iranian General ‘Secretly Running’ Iraq,’ The Guardian, 28. Juli 2011, http://www.guardian.co.uk/world/2011/jul/28/qassem-suleimani-iran-iraq-influence

[15] Saud Al-Zahid, “Chief of Iran’s Quds Force Claims Iraq, South Lebanon Under His Control,” Al Arabiya News, October 11, 2012, http://www.alarabiya.net/articles/2012/01/20/189447.html

[16] Ray Takyeh, “Introduction: What Do We Know?” in Robert D. Blackwill (ed.), Iran: The Nuclear Challenge (New York: Council on Foreign Relations, 2012), p. 10.

[17] Herb Keinon, “Israel’s Nuclear Chief: Jerusalem Can Defend Itself,” Jerusalem Post, 19. September 2012, http://www.jpost.com/IranianThreat/News/Article.aspx?id=285579

[18] Michael Makovsky and Blaise Misztal, “Hot Debate Over Red Lines,” Weekly Standard, 14. September 2012.

[19] Olli Heinonen and Simon Henderson,”Iran’s Nuclear Clock and World Diplomacy,” Policy Watch 2046, Washington Institute for Near East Policy, March 15, 2013. http://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/view/irans-nuclear-clock-and-world-diplomacy