Die Krise des Assad-Regimes bedroht die Hisbollah

Die Krise des Assad-Regimes bedroht die Hisbollah
 
Shimon Shapira
 
 
·          Fünf Jahre nach dem Zweiten Libanonkrieg, dessen Ausgang von ihrem Führer Hassan Nasrallah zum „göttlichen Sieg“ erklärt wurde, sieht sich die Hisbollah an einem Tiefpunkt angelangt. Grund sind die Unsicherheit über das Überleben des Assad-Regimes in Syrien wie auch die Forderung des Sondertribunals für den Libanon, die vier zur Hisbollah gehörenden, mutmaßlichen Mörder des ehemaligen libanesischen Premiers Rafiq Hariri auszuliefern.
 
·          Über Damaskus empfängt die Hisbollah militärische und alle andere Unterstützung aus Teheran, zusätzlich zur direkten Lieferung von Raketen aus den Beständen der syrischen Armee an ihre Kampfgruppen.
 
·          Die Hisbollah hat sich klar zum Assad-Regime bekannt, was dazu geführt hat, dass auf syrischen Straßen Hisbollah-Fahnen zusammen mit dem Porträt Nasrallahs verbrannt werden. Ohne syrische Unterstützung dürfte es der Hisbollah schwer fallen, dem Libanon ihre Politik aufzuoktroyieren.
 
·          Zu den jüngsten Zeichen einer Schwächung der Hisbollah gehören die Enttarnung eines CIA-Spionagenetzwerks in wichtigen Positionen innerhalb der Bewegung, der offene Verkauf alkoholischer Getränke in Nabatäa, der Hisbollah-Hauptstadt im Südlibanon, und der Versuch der libanesischen Regierung, entgegen dem Wunsch der Hisbollah den Sicherheitschef für den internationalen Flughafen Beiruts aus dem Maronitenlager zu rekrutieren.
 
·          Angesichts dieser Entwicklungen sucht Nasrallah nach einem Vorwand, Israel zu konfrontieren, dieses Mal mit Blick auf die Gasvorkommen, die Israel vor seiner Küste zu erschließen sucht. Nasrallah glaubt, dass seine Drohungen von der Schwäche der Hisbollah und den internationalen Vorwürfen gegen ihn ablenken werden.
 
 
Am 26. Juli 2011 hielt der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah eine Rede zum Gedenken des fünften Jahrestags des Zweiten Libanonkrieges. Er gab die Errungenschaften des Krieges aus seiner Perspektive wieder und zählte zu jenen die massive militärische Aufrüstung der Hisbollah und ihr Vermögen, Israel abzuschrecken, das verzweifelt versuche, sein ziviles Hinterland zu schützen. Aus diesen Gründen hätte auch Israel den Südlibanon in Ruhe gelassen. Nasrallah betonte, dass die israelischen Warnungen vor „Überraschungen“, welche die Hisbollah im Falle einer erneuten militärischen Konfrontation erwarten würden, nichts weiter seien als psychologische Kriegsführung, die scheitern müsse. Im Hinblick auf die Forderung des Sondertribunals für den Libanon in Den Haag, die des Mordes am ehemaligen libanesischen Premier Hariri beschuldigten Hisbollah-Mitglieder auszuliefern, bekräftigte Nasrallah, dass die Beschuldigten Teil des „ehrenhaften Widerstands“ seien und nicht preisgegeben werden würden.[1]
 
Nasrallah ließ die Chance nicht ungenutzt, sich zum Verteidiger der libanesischen Sicherheit zu erklären, der daher auch die natürlichen Rohstoffe des libanesischen Staates schützen werde. „Der Libanon hat nun die reale Chance, ein reicher Staat zu werden, da Schätze von Erdgas und -öl direkt vor seiner Küste liegen. […] Diese Bodenschätze gehören keiner Religion oder Partei, sondern stellen die nationalen Ressourcen des libanesischen Staates im Wert von Milliarden Dollar dar. Zudem sind sie eine Gelegenheit, die Lebensbedingungen im Libanon zu verbessern und die Schulden des Staates zu bezahlen. Dies ist eine einmalige Chance, die wir verantwortungsbewusst wahrnehmen müssen.“ Doch es sei Israel, das 850 Quadratkilometer Küstengewässer beanspruche, in dem sich die libanesischen Gas- und Ölvorkommen befänden, auf die Israel kein Anrecht hätte.
 
Nasrallah rief die libanesische Regierung dazu auf, unverzüglich zu handeln, die Seegrenzen des Libanons zu ziehen und mit der Förderung zum gegebenen Zeitpunkt zu beginnen. Der Hisbollah-Führer betonte, dass dies die oberste Priorität der Regierung sei. Seinem Aufruf folgten Drohungen: „Ich kann mit aller Gewissheit sagen, dass der Libanon dazu in der Lage ist, seine Öl- und Gasförderanlagen zu verteidigen. Wir werden jeden Angriff auf diese Anlagen rächen. Und wir warnen Israel davor, auch nur irgendwelche Schritte dahingehend zu unternehmen, die natürlichen Schätze aus unseren natürlichen Gewässern zu stehlen.“[2]
 
Fünf Jahre nach dem Zweiten Libanonkrieg, dessen Ausgang von ihrem Führer Hassan Nasrallah zu einem seiner Partei von Gott geschenkten „wahres Wunder“ und „göttlicher Sieg“ erklärt wurde, sieht sich die Hisbollah an einem Tiefpunkt angelangt. Nasrallah ist mit einer genuinen Krise konfrontiert, die die Position der Hisbollah im Libanon ernsthaft in Frage stellt.
 
Die beiden wichtigsten Gründe dieser strategischen Kehrtwende sind:
 
·          die Unsicherheit über das Überleben des Assad-Regimes in Syrien
 
·          die Forderung des Sondertribunals für den Libanon, die vier zur Hisbollah gehörenden mutmaßlichen Mörder des ehemaligen libanesischen Premiers Rafiq Hariri auszuliefern. Führer dieser Gruppe ist Mustafa Badr al-Din, der Imad Mughniyeh als Chef des militärischen Sicherheitsflügels der Hisbollah folgte und Teil ihrer Führungsriege ist.
 
Die Bedrohung des Assad-Regimes hat seine direkten Konsequenzen für die strategische Position der Hisbollah, sowohl auf der Ebene der libanesischen Innenpolitik als auch in ihrer Konfrontation mit Israel. Tatsächlich hat der Iran die Hisbollah während der Herrschaft von Hafez Assad in Syrien als kleine Miliz ins Leben gerufen, doch es war unter der Regierung von Bashar Assad, dass sie gedeihen konnte und die sozialen, ökonomischen wie militärischen Dimensionen eines Staates erreichte, der die bloße Existenz des Libanon bedroht. Syrien ist sowohl der Schoß, aus dem die Hisbollah kroch, wie auch ihre Adoptivmutter, die ihr zusammen mit dem Iran seit ihrer Gründung Milch gibt und sie aufzieht.
 
Über Damaskus erhält die Hisbollah militärische und alle andere Unterstützung aus Teheran, zusätzlich zur direkten Lieferung von Raketen aus den Beständen der syrischen Armee an ihre Kampfgruppen. Die Hisbollah hat sich klar zur Unterstützung des Assad-Regimes bekannt, was dazu geführt hat, dass auf syrischen Straßen Hisbollah-Fahnen zusammen mit dem Porträt Nasrallahs verbrannt werden. Die Bilder Saladins und Gamal Ab del-Nasser, einst zusammen mit dem Nasrallahs zur Schau gestellt, wurden durch  Schmähparolen gegen den Schiitenführer ersetzt, der den Alawitenführer Assad bei seinen Massenmorden in Syrien unterstützt. Es dürfte inzwischen deutlich sein, dass es ohne syrische Unterstützung der Hisbollah schwer fallen dürfte, dem Libanon ihre Politik aufzuoktroyieren. Die kürzliche Evakuierung von Hisbollah-Raketen von syrischen Gebieten ins Bekaa-Tal ist vielleicht eines der deutlichen Anzeichen dafür, dass die Hisbollah in tiefe Sorge über die Zukunft des Assad-Regimes geraten ist.
 
Zur gleichen Zeit sieht sich die Hisbollah genötigt, sich mit den Forderungen des Sondertribunals in Den Haag auseinanderzusetzen, das die Auslieferung der Mörder von Premier Hariri verlangt und darin von der internationalen Gemeinschaft unterstützt wird. Nasrallahs brüske Weigerung, diese „patriotischen Mudschahedin … weder in dreißig Tagen noch in dreißig Jahren“  preiszugeben, trägt bereits die Gefahr eines internen libanesischen Flächenbrands in sich. Mächtige Parteien im Libanon ersehnen nichts anderes, als dass die Hisbollah durch den Sturz des Assad-Regimes in Syrien geschwächt wird und dass ein verstärkter internationaler Druck auf Nasrallah die politische Position und in Folge auch die militärische Macht der Hisbollah untergräbt.
 
In jüngster Zeit haben sich die Anzeichen vermehrt, dass die Hisbollah bereits geschwächt ist:
 
·          Auf internen Treffen mit Hisbollah-Aktivisten hat Nasrallah offen die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Hisbollah diskutiert, welche die gravierendsten seit den neunziger Jahren sind. Zu den Hauptproblemen gehört die Enttarnung eines CIA-Spionagenetzwerks in wichtigen Positionen innerhalb der Bewegung, einschließlich Mahmoud al-Hajs („Abu Turab“), verantwortlich für die Ausbildung der Streitkräfte der Hisbollah, und Mohammed Atwes, verantwortlich für Überwachung und Inspektion der Truppen. Dazu gehört auch eine Person, von der nur die Initialen A.B. veröffentlicht wurden, und hinter der sich niemand anderes als Ahmed Badr al-Din verbirgt, der zwar keinen offiziellen Hisbollah-Posten innehat, aber mit Mustafa Badr al-Din verwandt ist und für die Hisbollah Geld wäscht.[3]
 
·          In Nabatäa, der Hisbollah-Hauptstadt im Südlibanon, ist das von der Hisbollah durchgesetzte Totalverbot des Verkaufs alkoholischer Getränke verletzt worden, so dass man nun Alkohol kaufen kann. Beeilte sich die Hisbollah zuvor, jedes Geschäft, das die Prohibition unterlief, mit Gewalt zu schließen, so zögert sie gegenwärtig. Sie machte stattdessen ihrem Ärger im südlibanesischen Dorf Houla Luft, wo Hisbollah-Aktivisten einen Laden angriffen, der Alkohol verkaufte. Doch zum ersten Mal traf sie dabei auf Widerstand, als eine linke Opposition und Mitglieder der kommunistischen Partei den Verkauf von Alkohol verteidigten – ein Umstand, der ein absolutes Novum in der Geschichte seit Anfang der Achtziger darstellt.[4]
 
·          Einen weiteren Schatten auf die Zukunft der Hisbollah wirft der Versuch der libanesischen Regierung, entgegen dem Wunsch der Bewegung den Sicherheitschef des internationalen Flughafen Beiruts im Rang eines Brigadegenerals aus dem christlichen Maronitenlager zu rekrutieren. Man muss sich daran erinnern, dass die Hisbollah 2008 für schwere Unruhen in Beirut gesorgt und ganze neue Regionen eroberte hatte, nachdem die Regierung versucht hatte, einen Hisbollah-loyalen schiitischen Offizier aus eben dieser Position zu entfernen.[5]
 
Angesichts dieser Entwicklungen scheint es, als suche Nasrallah nach einem Vorwand, Israel zu konfrontieren, um den Raison d’Être der Bewegung – den Dschihad – sowie ihr Selbstverständnis als Speerspitze im Kampf gegen Israel lebendig zu halten. Dieses Mal gilt der Vorwand den Gasvorkommen, die Israel vor seiner Küste zu erschließen sucht. Nasrallah droht mit einem erneuten Flächenbrand und glaubt, dass seine Drohungen vom Niedergang der Hisbollah und den internationalen Vorwürfen gegen ihn ablenken werden. Doch Nasrallah hatte in der Vergangenheit bereits zugeben müssen, dass er, hätte er die israelische Reaktion geahnt, von der Entführung der israelischen Soldaten 2006 abgesehen hätte – ein Ereignis, das den Zweiten Libanonkrieg auslöste. Man kann nur hoffen, dass, fünf Jahre später, Nasrallah sich an diesen schweren Fehler erinnert.
 
 
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Brig.-Gen. a.D. Dr. Shimon Shapira ist Senior Research Associate des Jerusalem Center for Public Affairs.



[1] Moqawama.org, 26. Juli 2011.
[2] Ebd.
[3] Majalat Aleman, July 16, 2011; al-Shiraa, 15. Juli 2011.
[4] Hanin Ghaddar, "Hizbollah Is Bleeding Alone," Now Lebanon, 25. Juli 2011.
[5] Naharnet.com, 25. Juli 2011.