Die israelische Blockade des Gaza-Streifens: Rechtliche Grundlagen
Die israelische Blockade des Gaza-Streifens: Rechtliche Grundlagen
Ruth Lapidoth
· Die Beziehungen zwischen Israel und der Hamas sind ihrem Wesen nach ein bewaffneter Konflikt. Da heutzutage dafür keine formale Kriegserklärung von Nöten ist, sind die Regeln bewaffneter Konflikte anwendbar. Diese geben Israel das Recht, den Schiffsverkehr nach Gaza zu kontrollieren, selbst wenn die Schiffe sich noch auf Hoher See befinden.
· Die Regeln des Seekrieges wurden nicht vollständig in internationalen Verträgen kodifiziert und folgen in ihrem Wesen dem verbindlichen Gewohnheitsrecht. Sie sind in den entsprechenden Handbüchern westlicher Armeen (insbesondere in denen der USA und Großbritannien) festgehalten sowie im San-Remo-Handbuch, das von einer Expertengruppe erstellt wurde.
· Um rechtmäßig zu sein, muss eine Blockade erklärt worden, in Kraft getreten und nicht-diskriminierend sein sowie die Zufuhr von humanitärer Hilfe an die Zivilbevölkerung gestatten. Das San-Remo-Handbuch von 1994 verlangt dafür jedoch zwei Bedingungen: Erstens darf der die Blockade durchsetzende Staat entscheiden, wo und durch welchen Hafen Hilfe die Küste erreichen darf. Und zweitens kann dieser Staat verlangen, dass eine neutrale Organisation an der Küste bestätigt, wer der Empfänger der Hilfsgüter ist, z.B. ob – wie im Fall von Gaza – die Güter Zivilisten oder der Hamas zu Gute kommen.
· Ein Schiff, das eindeutig beabsichtigt, die Blockade zu brechen, darf bereits auf Hoher See aufgebracht werden. Die Gaza-Flotille auf Hoher See 100 km vor Gaza aufzubringen war nicht illegal, da im Fall eines bewaffneten Konfliktes, Schiffe, die die Absicht haben, eine Blockade zu brechen, auch auf dem offenen Meer durchsucht werden dürfen.
· Israel hat rechtmäßig und in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht gehandelt, da es die erwähnten Bedingungen für eine rechtmäßige Blockade erfüllt hat. So hat Israel z.B. im Januar 2009 alle relevanten Behörden darüber informiert, dass es die Küste Gazas mit einer Blockade belegt.
Auf welcher rechtlichen Grundlage bewegt sich die israelische Seeblockade Gazas? Die Beziehungen zwischen Israel und der Hamas, die den Gazastreifen seit 2007 beherrscht, sind ihrem Wesen nach ein bewaffneter Konflikt, d.h. die Regeln bewaffneter Konflikte sind anwendbar. Diese geben Israel das Recht, den Schiffsverkehr nach Gaza zu kontrollieren, selbst wenn die Schiffe sich noch auf Hoher See befinden. Israel darf dies nicht im Territorialgewässer eines Drittstaates, wie z.B. Zypern, doch im Falle eines bewaffneten Konfliktes auf der offenen See, wenn die Schiffe Gaza ansteuern.
Eine Seeblockade bedeutet, die Passage aller Schiffe zu oder von den Häfen und Küsten des Gegners zu verhindern, unabhängig von dem transportierten Material. Dazu müssen die territorialen Grenzen der Blockade klar definiert werden. Eine Blockade muss von anderen Einrichtungen eines Seekrieges, wie z.B. Sperr- und Sicherheitszonen unterschieden werden.
Völkerrechtliche Quellen zur Blockade
Auf welche völkerrechtlichen Quellen stützen sich Blockademaßnahmen? Das Blockaderecht basiert auf dem gewohnheitsmäßigen Völkerrecht, da es keine umfassenden internationalen Verträge zu dieser Frage gibt. Das Gewohnheitsrecht gilt als verbindliches Völkerrecht. Nach Artikel 38 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs gelten als Quellen des Völkerrechts: a) internationale Abkommen, b) internationales Gewohnheitsrecht und c) „von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze“. Ein bindendes Gewohnheitsrecht wird dann geschaffen, wenn Staaten sich lange Zeit auf eine bestimmte Weise verhalten haben und dies aus dem Grund, weil sie sich dazu verpflichtet fühlen.
Blockaden gibt es seit Jahrhunderten. Ausdrücklich erwähnt wurden sie in der Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 nach dem Krimkrieg. Ein umfassenderer Text folgte 1909 mit der Londoner Seerechtsdeklaration. Diese Erklärung versuchte, die Regeln des Seekrieges zu verrechtlichen, doch die teilnehmenden Staaten ratifizierten die Erklärung nie. Dennoch wurden die in der Deklaration festgelegten Regeln von Staaten befolgt, so dass ihre Vorkehrungen zu verbindlichem Gewohnheitsrecht wurden. Das Gewohnheitsrecht für eine Blockade kann in den Kriegshandbüchern bestimmter westlicher Staaten, wie den Vereinigten Staaten oder Großbritannien gefunden werden. Zusätzlich gibt es ein von einer Expertengruppe 1994 erstelltes Handbuch genannt San-Remo-Handbuch.[1] Zusätzlich lassen sich die allgemeinen Prinzipien für bewaffnete Konflikte auch für den Seekrieg anwenden.
Wann ist eine Blockade rechtmäßig?
Für die Rechtmäßigkeit einer Blockade müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein. Die erste davon wäre, dass die Verhängung einer Blockade weitreichend verkündet wird, so dass sicher gestellt ist, dass ein aufgebrachtes Schiff über die Blockade informiert gewesen ist. Heutzutage ist es dank verbesserter Kommunikationswege wesentlich einfacher, die Weltöffentlichkeit von der Verhängung einer Blockade zu informieren, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Eine weitere Bedingung für die Rechtmäßigkeit einer Blockade ist ihre Effektivität. Es reicht nicht einfach, eine Blockade zu erklären, sie muss auch durchgesetzt werden, andernfalls gilt sie nicht als legal.
Eine andere Bedingung verlangt, dass einem unbeteiligten Drittstaat der Zugang zum Meer durch die Blockade nicht abgeschnitten werden darf.
Zudem muss eine Blockade nach dem Prinzip der Gleichheit vorgehen. Natürlich gibt es die Möglichkeit, dass die blockierende Partei Sondergenehmigungen für die Passage bestimmter neutraler Schiffe erlässt, doch diese stellen eine Ausnahme dar.
Die Blockade hat humanitäre Hilfe, falls nötig, zuzulassen. Das San-Remo-Handbuch verzeichnet dafür jedoch in Artikel 103 zwei weitere Bedingungen: Erstens darf der die Blockade durchsetzende Staat entscheiden, wo und durch welchen Hafen die Hilfe die Küste erreichen darf. Und zweitens kann dieser Staat verlangen, dass eine neutrale Organisation an der Küste kontrolliert, wer der Empfänger der Hilfsgüter ist, z.B. ob – wie im Fall von Gaza – die Güter Zivilisten oder der Hamas zu Gute kommen.
Schließlich gibt es die im Artikel 102 des San-Remo-Handbuchs formulierte Bedingung, dass ein Staat die Zivilbevölkerung nicht aushungern darf. Auch diese Bedingung deckt sich mit den allgemeinen Prinzipien eines bewaffneten Konflikts.
Zuwiderhandlung einer Blockade
Welche Maßnahmen dürfen ergriffen werden, wenn ein Schiff einer Blockade zuwiderhandelt? Hier muss die Unterscheidung zwischen Kriegs- und Handelsschiffen getroffen werden. Ein Handelsschiff darf betreten, durchsucht oder festgesetzt, sowie im Falle von Gegenwehr auch angegriffen werden. Bei neutralen Kriegsschiffen ist die Situation weniger klar. Auch sie können durchsucht und aufgebracht werden, doch die Meinung ist darüber geteilt, ob sie auch anzugreifen sind. In jedem Fall ist ein Angriff im Selbstverteidigungsfall gestattet.
Ein Schiff, das eindeutig beabsichtigt, die Blockade zu brechen, darf bereits auf Hoher See aufgebracht werden. Die Gaza-Flotille auf Hoher See 100 km vor Gaza aufzubringen war nicht illegal, da im Fall eines bewaffneten Konfliktes, Schiffe, die die Absicht haben, eine Blockade zu brechen auch auf dem offenen Meer durchsucht werden dürfen.
Präzedenzfälle
Es gibt zahlreiche Präzedenzfälle für eine Blockade. Während des Koreakrieges wurde von 1950 bis 1953 eine Blockade verhängt. Als Bangladesch sich 1971 von Pakistan zu lösen suchte, verhängte Indien eine Blockade. Während des Iran-Irak-Krieges gab es von 1980 bis 1988 eine Blockade Schatt al-Arabs. Und während des Krieges mit der Hisbollah 2006 verhängte Israel für einige Monate eine Blockade gegen den Libanon, gestattete aber sichere Passage für humanitäre Hilfsgüter über Zypern.
In seinem Vorgehen gegen die Gaza-Flotille hat Israel rechtmäßig und in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht gehandelt, da es die erwähnten Bedingungen für eine rechtmäßige Blockade erfüllt hat. Im Januar 2009 hatte Israel alle relevanten Behörden darüber informiert, dass es die Küste Gazas mit einer Blockade belegt – als legales Mittel eines Seekriegs. Der bewaffnete Konflikt zwischen Hamas und Israel ist gut bekannt und verlangte nach keiner entsprechenden Erklärung.
Gaza ist kein Staat
Kann Gaza als Gegner definiert werden, obwohl es kein Staat ist? Aus Sicht des Völkerrechts ist dies möglich. Gemäß verschiedener Entscheidungen des Obersten Gerichts Israels handelt es sich bei der Auseinandersetzung mit Gaza um einen internationalen Konflikt und nicht um eine innere Angelegenheit, da Gaza kein Teil Israels ist. Weder Gaza noch das Westjordanland wurden von Israel annektiert. Israels „Gesetz, Jurisdiktion und Verwaltung“ erstrecken sich zudem nicht auf diese Gebiete wie es aber mit Ostjerusalem seit 1967 und den Golanhöhen seit 1981 der Fall ist.
Um welchen Status handelt es sich im Falle Gazas? Das Territorium befand sich von 1517 bis 1917 unter osmanischer Herrschaft und wurde danach Teil des Britischen Palästinamandats. Großbritannien hat 1948 Gaza verlassen, worauf das Gebiet von den Ägyptern besetzt, wenn auch nie annektiert wurde. 1967 besetzte Israel das Gebiet, annektierte es aber ebenfalls nicht. 2005 zog sich Israel aus Gaza zurück und 2007 wurde der Streifen vollständig von der Hamas übernommen. Nach Meinungen einiger handelt es sich bei Gaza um ein Territorium sui generis, mit anderen Worte, einen Sonderfall, während andere es für ein selbstverwaltetes Territorium mit einigen, wenn auch nicht allen staatlichen Gewalten halten.
Sowohl die israelisch-palästinensische Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung von 1993 als auch das israelisch-palästinensische Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen von 1995 haben festgelegt, dass nach Ablauf einer bestimmten Zeit Verhandlungen über den endgültigen Status von Gaza und dem Westjordanland stattfinden sollen. Bislang sind diese Verhandlungen gescheitert. Die Roadmap, auf die sich beide Seiten 2003 geeinigt haben, sieht eine Zweistaatenlösung vor sowie, dass ein Palästinenserstaat in Übereinkunft mit Israel etabliert werden soll.
Gilt Israel noch als Besatzungsmacht?
Eine immer wiederkehrende Frage ist, ob Gaza noch besetzt ist oder nicht. Nach Meinungen einiger gilt Israel noch als Besatzer, da es den Luftraum über und die Küstengewässer von Gaza nach wie vor kontrolliert. Einer anderen Meinung zufolge verlangt eine Besatzung gemäß der Haager Landkriegsordnung eine vollständige Kontrolle des Gebietes.[2] Da Israel nicht über diese volle Kontrolle Gazas verfügt, kann es auch nicht dafür verantwortlich gemacht werden, was dort passiert.
Meiner Meinung zufolge kann Israel nicht als Besatzer betrachtet werden, da Israel Gaza nicht kontrolliert. Israels Verantwortung gilt nur für die Bereiche, die immer noch von Israel kontrolliert werden – also die See vor und den Luftraum über Gaza. Es muss zwischen einer vollen Kontrolle des Territoriums und der Kontrolle von See- und Luftraum unterschieden werden.
Prof. Ruth Lapidoth ist eine weithin anerkannte Autorität in Fragen des Völkerrechts. Sie ist Trägerin des Israelpreises für Rechtsforschung von 2006 und des Prominent Women in International Law Award, der ihr 2000 von der American Society of International Law verliehen wurde. Prof. Lapidoth war Mitglied der israelischen UN-Delegation von 1976 und wurde 1979 zur Rechtsberaterin des israelischen Außenministers ernannt. Sie hat neun Bücher und mehr als hundert Artikel zu Fragen des Völkerrechts, Menschenrechte, den arabisch-israelischen Konflikt und Jerusalem verfasst. Sie ist emiritierte Professorin für Völkerrecht an der Hebrew Universität Jerusalem.
[1] Obwohl mitunter als San Remo Abkommen bezeichnet, handelt es sich dabei nicht um eine offizielle Vereinbarung, sondern nur um ein Handbuch.
[2] Artikel 42: „Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der Gewalt des feindlichen
Heeres befindet. Die Besetzung erstreckt sich nur auf die Gebiete, wo diese Gewalt hergestellt ist und
ausgeübt werden kann.“ http://www.admin.ch/ch/d/sr/i5/0.515.112.de.pdf.