Die iranische Bedrohung: Was Israel von den irakischen Raketenangriffen 1991 gelernt hat

Die iranische Bedrohung: Was Israel von den irakischen Raketenangriffen 1991 gelernt hat
 
Moshe Arens
 
 
·          Die Iraner konnten eine Menge aus der Zerstörung des irakischen Osirak-Reaktors durch die israelische Luftwaffe 1981 lernen. Osirak war das Kernelement des irakischen Atomprogramms: ein einziges Ziel, durch dessen Zerstörung dieses Programm wesentlich zurückgeworfen wurde. Aus diesem Grund haben die Iraner ihr Atomprogramm verteilt. Ein großer Teil davon befindet sich unter der Erde. Es gibt auch kein einziges Ziel, das vergleichbar zerstört werden könnte, um das iranische Programm zurückzuwerfen.
 
·          Als ich 1982 als israelischer Botschafter nach Washington kam, stieß ich auf eine feindselige Atmosphäre. Es wurde sogar davon gesprochen, Sanktionen gegen Israel zu verhängen – wegen der unilateralen Aktion gegen den Osirak-Reaktor. Doch nach wenigen Jahren veränderte sich die Wahrnehmung Washingtons vollständig. Man kann sich die amerikanische Operation „Desert Storm“ im Golfkrieg gegen den Irak 1991 kaum vorstellen, hätte sich das irakische Atomprogramm über 1981 hinaus entwickeln können, ohne von der israelischen Aktion entscheidend gebremst zu werden.
 
·          Manche meinen, dass die Israel bedrohenden Raketen vergleichsweise billig sind, während Israel ein sehr teures Abfangsystem dagegen aufstellt, was auf dem ersten Blick sich nicht wirklich zu lohnen scheint. Man darf jedoch nicht vergessen, dass der von einer Rakete verursachte Schaden die Kosten eines Raketenabwehrsystem weit übersteigen könnte.
 
·          Das Raketenabwehrsystem stellt für alle jene ein Dilemma dar, die Israel mit Raketen angreifen wollen, v.a. wenn jene einen nuklearen Sprengkopf tragen. Denn eine solche Rakete könnte sehr wohl abgefangen werden, und damit einen Atomangriff aufdecken und die entsprechende Antwort nach sich ziehen, selbst wenn die Rakete das Ziel nicht erreicht.
 
·          Zu Beginn des Golfkrieges 1991 rechneten die Amerikaner damit, dass die US-Air Force innerhalb von 48 Stunden das irakische Raketenfeuer eliminieren würde. Wenn es ihnen nicht gelingen würde, hätte Israel die Freiheit, dem eigenen Ermessen nach zu reagieren. Trotz der intensiven Luftangriffe auf Scud-Abschussrampen wurde keine einzige von ihnen getroffen oder ausgeschaltet. Die amerikanischen Patriot-Abwehrraketen in Israel schafften es auch nicht, eine einzige Scud-Rakete abzufangen.
 
 
Sowohl in den Vereinigten Staaten wie auch in der westlichen Welt wächst heute, 2010, das Bewusstsein für die ausgehenden Gefahren des nuklearen Bestreben des Iran, welches deutlich auf militärische Fähigkeiten ausgerichtet ist – nicht nur für Israel, sondern für die ganze Welt.
 
Manche sind zwar der Meinung, dass Israel aufgrund der in der Region vorhandenen umfangreichen muslimischen Bevölkerung sich nicht sorgen müsse – der Iran würde es nicht wagen, eine massive Zerstörung anzurichten, wenn so viele Muslime dabei verletzt oder getötet werden könnten. Doch wie Prof. Bernard Lewis verschiedentlich bemerkt hat, ist diese Art von Immunität rein imaginär, denn radikale Islamisten sind davon überzeugt, dass Gott den Unterschied zwischen Juden und Muslimen erkennen würde.
 
Iranische Lektionen aus Osirak
 
Die Iraner konnten eine Menge aus der Zerstörung des irakischen Osirak-Reaktors durch die israelische Luftwaffe 1981 lernen, wodurch Saddam Husseins Atomprogram nachhaltig zurückgeworfen wurde. Zur Zeit des Golfkrieges 1991 schätzte Israel zurecht, dass die Iraker über keinerlei nukleare Fähigkeiten verfügten, dass die Zerstörung Osiraks also ein derartiger Rückschlag für Hussein gewesen war, dass Israel nicht mit irakischen Atomwaffen bedroht werden konnte. Osirak war das Kernelement des irakischen Atomprogramms: ein einziges Ziel, durch dessen Zerstörung dieses Programm wesentlich zurückgeworfen wurde.
 
Der Iran hat sich dies gemerkt und daher sein Atomprogramm gut verteilt. Es gibt kein einziges Ziel, das vergleichbar zerstört werden könnte, um das iranische Programm zurückzuwerfen. Ein großer Teil davon befindet sich unter der Erde. Damit haben die Iraner ihr Bestes getan, um sich gegen eine mögliche Luftschlag wie jenen gegen den irakischen Reaktor zu immunisieren, womit jeder Militärschlag – egal wer ihn erwägt – massiv erschwert wird.
 
Wandel der amerikanischen Perspektive auf Osirak
 
Als ich 1982 als israelischer Botschafter nach Washington kam, ungefähr ein Jahr nach der Zerstörung Osiraks, stieß ich auf eine feindselige Atmosphäre, Wut und Antagonismus – wohlgemerkt unter der Reagan-Administration, einer zu Recht als sehr israelfreundlich einzuschätzenden Regierung. Doch diese Regierung war der Meinung, dass die israelische Aktion ziemlich schlecht durchdacht gewesen sei, ein Fehler, der nur weitere Probleme verursachen würde, anstatt welche zu lösen. Es wurde sogar davon gesprochen, Sanktionen gegen Israel zu verhängen – wegen der unilateralen Aktion gegen den Osirak-Reaktor.
 
Doch nach wenigen Jahren veränderte sich die Wahrnehmung Washingtons vollständig. Man kann sich die amerikanische Operation „Desert Storm“ im Golfkrieg gegen den Irak 1991 kaum vorstellen, hätte Osirak 1991 noch existiert und sich das irakische Atomprogramm über 1981 hinaus entwickeln können, ohne von der israelischen Aktion entscheidend gebremst zu werden.
 
General David Ivri, Kommandeur der israelischen Luftwaffe zur Zeit der Osirak-Operation erhielt später von Dick Cheney, dem amerikanischen Verteidigungsminister während des 1991er Golfkrieges ein Foto des zerstörten Reaktors mit Glückwünschen. Damit deutete sich die Art Wertschätzung an, die heute von den meisten, wenn nicht gar allen den bedeutsamen wie positiven Aspekten jener Operation entgegengebracht wird. Menschen ändern ihre Ansichten mit der Zeit und der anfängliche starke Widerspruch wurde zu starker Wertschätzung einer Aktion, die zu Gunsten aller, ganz sicher aber für die westliche Welt und Israel unternommen wurde.
 
Israel unter Langstreckenbeschuss
 
Während des Golfkriegs von 1991 hatte Israel mit den sowjetisch-produzierten irakischen Scud-Raketen massive Angriffe aus einem entfernten islamischen Land zu erdulden. Wir glaubten damals nicht daran, dass die Iraker 1991 über atomare Fähigkeiten verfügten und sorgten uns nicht darüber, mit Atomwaffen angegriffen zu werden. Doch wir wussten von ihren konventionellen Sprengköpfen wie auch den chemischen.
 
Die damals zunächst auftauchende Frage war, ob die Iraker auf irgendeine Art und Weise davon abgehalten werden könnten, Raketen auf Israel zu schießen. Dazu traf ich mich unmittelbar vor dem Golfkrieg mit dem ägyptischen Präsidenten Mubarak, welcher der Meinung war, dass der Irak es nicht wagen würde, Israel mit Raketen zu beschießen. Es stellte sich heraus, dass er ebenso irrte wie die vielen anderen Menschen, die geglaubt hatten, dass Israel Saddam Hussein davon abschrecken könnte Raketen auf Israel zu schießen.
 
Insgesamt schoss Hussein während des Golfkrieges 39 Raketen auf Israel, von denen glücklicherweise nur sechs in Wohngebieten einschlugen, eine davon unweit von meinem Haus. Es gab erheblichen Schaden dabei, doch nur ein Zivilist kam  ums Leben. Die meisten Israelis legten damals während dieser fünf Wochen Gasmasken an und suchten Zuflucht in versiegelten Räumen oder Luftschutzbunkern, während nahezu jeden Tag Raketen einschlugen.
 
Die Iraker setzten damals keine chemischen Sprengköpfe ein. Wir können nur mutmaßen – denn sie verfügten über jene zu diesem Zeitpunkt – dass sie von einer möglichen israelischen, oder noch wahrscheinlicher, amerikanischen Antwort abgeschreckt wurden. Irak wusste um die enge Koordination und Zusammenarbeit zwischen den USA und Israel und fürchtete vermutlich die amerikanische Reaktion.
 
Als sich der amerikanische Angriff auf die Iraker in Kuwait und Irak abzeichnete, verkündete der irakische Außenminister Tariq Aziz ganz offen, dass der Irak Israel beschießen würde. An den damaligen amerikanischen Außenminister Jim Baker gewandt sagte er in Genf, kurz vor der amerikanischen Militäroperation: „Falls wir angegriffen werden, schießen wir Raketen auf Israel.“
 
Die von Israel eingeleiteten Vorsichtsmaßnahmen – luftdichte Räume, Verteilung von Gasmasken – waren alles andere als angenehm. Während des Krieges mussten israelische Kinder kleinen braunen Kisten mit Gasmasken an ihrer Seite führen, um sie sofort aufzusetzen, sobald der Alarm ertönte, was fast jeden Tag passierte. Menschen rannten dann in die Luftschutzbunker und setzten ihre Gasmasken auf.
 
Scud-Raketen waren so etwas wie verbesserte Versionen der deutschen V2-Raketen während des Zweiten Weltkriegs. Gegen Ende des Krieges hatten die Deutschen jene auf Großbritannien geschossen und dabei erheblichen Schaden angerichtet. Es gab damals noch keine Möglichkeit, ballistische Raketen abzufangen, die mit Überschallgeschwindigkeit geflogen kamen.
 
Die Entwicklung von Abfangsystemen
 
Während des Golfkrieges 1991 war Israel bereits dabei, eine Rakete zu entwickeln, die Scud-Raketen hätte abfangen können. Möglich gemacht hatten dies technische Fortschritte, v.a. in der Computer- und Radartechnologie. Die Entwicklung hatte bereits einige Jahre vor dem Golfkrieg eingesetzt, z.T. gesponsert von den Vereinigten Staaten als Teil der von Reagan so genannten „Star Wars“-Initiative, einem umfangreichen Raketenabwehrprogramm. Heute verfügt Israel über das Arrow-System, mit dem Raketen aus dem Iran abgefangen werden können.
 
Manche meinen, dass die Israel bedrohenden Raketen vergleichsweise billig sind, während Israel ein sehr teures Abfangsystem dagegen aufstellt, was auf dem ersten Blick sich nicht wirklich zu lohnen scheint. Man darf jedoch nicht vergessen, dass der von einer Rakete verursachte Schaden die Kosten eines Raketenabwehrsystems weit übersteigen könnte.
 
Israels Raketenabwehrsystem stellt für all jene ein Dilemma dar, die Israel mit Raketen angreifen wollen, v.a. wenn jene einen nuklearen Sprengkopf tragen. Denn eine solche Rakete könnte sehr wohl abgefangen werden, damit einen Atomangriff aufdecken und die entsprechende Antwort nach sich ziehen, selbst wenn die Rakete das Ziel nicht erreicht. Berücksichtigt man diesen Umstand, dann könnte man sehr gut zu der Einsicht kommen, dass das Risiko für einen Angriff zu hoch sei.
 
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, Abfangraketen zu täuschen, z.B. durch Täuschkörper und Waffensteuerungssysteme. Doch jede dieser Maßnahmen trifft ihrerseits auf Gegenmaßnahmen, was bei der Entwicklung des Arrow-Systems berücksichtigt wurde.
 
Israel ist auch nahe dran, den „Iron Dome“-Raketen-Schutzschirm in Betrieb zu nähmen, ein Abwehrsystem gegen Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von ein paar dutzend Kilometern. Je geringer die Reichweite, umso schwieriger wird es, die Raketen abzufangen, aufgrund unzureichender Reaktionszeit.
 
Israelisch-amerikanische Beziehungen während des Golfkrieges
 
Die israelisch-amerikanische Kommunikation war während des ersten Golfkrieges ziemlich intensiv. Ich sprach mit dem damaligen Verteidigungsminister Cheney mindestens einmal am Tag, manchmal zwei oder auch dreimal.
 
Die Amerikaner waren sehr in Sorge darüber, dass Israel einen Präventivschlag vor dem Beginn der Militäroperation führen würde. Es war ihnen wichtig, dass Israel sich nicht hineinziehen ließ, da sie eine Koalition arabischer Länder – Ägypten, Syrien, Saudi Arabien – geschmiedet hatten und von Saudi Arabien aus operierten und befürchteten, dass diese Koalition zerbrechen könnte, wenn Israel offen in den Konflikt einträte.
 
Die Amerikaner baten uns daher, auf eine präventive Aktion zu verzichten, so dass sie die Situation klären könnten. Sie rechneten damit, dass die US-Air Force innerhalb von 48 Stunden das irakische Raketenfeuer eliminieren würde. Wenn es ihnen nicht gelingen würde, hätte Israel die Freiheit, dem eigenen Ermessen nach zu reagieren.
Die Operation Desert Storm ging als von diesen Grundannahmen aus und Israel verzichtete daher auf Präventivmaßnahmen. Als die ersten Scud-Raketen einschlugen, erwarteten wir, dass die Amerikaner sich darum kümmern würden. Doch es stellte sich heraus, dass die mobile Abschussrampen der Iraker ein weit schwierigeres Ziel waren, als die Amerikaner sich vorgestellt hatten. Trotz der intensiven Luftangriffe auf Scud-Abschussrampen wurde keine einzige getroffen oder ausgeschaltet. Bewegliche Ziele, die nur für eine kurze Zeit erscheinen und dann wieder verschwinden zu treffen, ist äußerst schwierig – bis heute.
 
Doch selbst zu diesem Zeitpunkt lag den Vereinigten Staaten viel daran, dass Israel nicht eingreift. Trotz also der vorherigen Versicherung, dass Israel nach eigenem Ermessen handeln könne, wenn man die Raketenbedrohung nicht binnen 48 Stunden ausgeschaltet hätte, rief Präsident Bush den israelischen Premier Yitzhak Shamir an und Jim Baker dann mich und beide bestanden darauf, dass wir uns zurückhielten, um die laufende Operation nicht zu „gefährden.“
 
Die Amerikaner schickten uns daraufhin ihre Patriot-Raketen. Jene waren zu dem damaligen Zeitpunkt die fortschrittlichsten Flugabwehrraketen und wurde damit beworben, auch Raketen abwehren zu können. Mit Ausbruch des Golfkrieges bestanden die Amerikaner darauf, dass die Patriot, die in Saudi Arabien zum Einsatz kamen, effektiv waren, um Scud-Raketen zu zerstören. Die Vereinigten Staaten drangen uns, die Patriot-Raketen zu akzeptieren und schickten sie mit amerikanischen Teams nach Israel, da wir nicht die entsprechende Ausbildung hatten.
 
Wie sich herausstellte, schafften es die amerikanischen Patriot-Abwehrraketen in Israel nicht, eine einzige Scud-Rakete abzufangen. Die heutige Version der Patriot ist fortschrittlicher und soll eine begrenzte Fähigkeit haben, ballistische Raketen abzuwehren.
 
Israels Angriffspläne gegen irakische Abschussrampen
 
In diesen fünf Wochen reiste ich nach Washington, um Präsident Bush mitzuteilen, dass wir uns nicht mit dieser Situation abfinden könnten, in der Raketen in Israel einschlugen, ohne dass wir reagieren durften.
 
Doch wie hätte man reagieren können? Anfänglich gab es die Überlegung, die israelische Luftwaffe einzusetzen, doch das erschien unter diesen Bedingungen nicht wirklich sinnvoll, da die Amerikaner und Briten eine Armada von Flugzeugen im Einsatz hatten, die Tag und Nacht von Saudi Arabien und Flugzeugträgern am Persischen Golf aus den Irak angriffen. Zudem waren die Vereinigten Staaten nicht daran interessiert, dass Israel sich an den Kämpfen beteiligte.
 
Es wurde relativ schnell klar, dass nur Bodentruppen in Frage kamen, um die Scud-Raketen auszuschalten. Bodentruppen mussten die Orte entdecken, an denen die Abschussrampen versteckt waren und sie vor Ort neutralisieren. Keine einfache Aufgabe, denn Bagdad ist tausend Kilometer von Israel entfernt und die Truppen hätten in den westlichen Irak gebracht werden müssen.
 
Trotzdem bereiteten wir eine solche Operation vor. General Nehemia Tamari wurde damit beauftragt, sie zu führen. Wir sagten den Amerikanern, dass wir keine Wahl hätten und so handeln müssten. Die Amerikaner waren darüber nicht erfreut, doch sie akzeptierten es schließlich. Bevor wir die Operation jedoch in Gang setzen konnten, wurde ein Waffenstillstand erklärt und der Krieg war vorbei.
 
Ich befürwortete damals eine israelische Reaktion und gab die Anweisung, eine Militäroperation im Westirak vorzubereiten. So gefährlich und schwierig diese auch gewesen wäre, dachte ich doch, dass es falsch sei, dass Israel zum ersten Mal in seiner Geschichte angegriffen wird, ohne sich zu verteidigen. Meiner Meinung nach wäre dies eine falsche Botschaft für unsere Feinde gewesen.
 
Seitdem sind wir mehrfach militärisch gegen Terroristen im Westjordanland, dem Libanon und Gaza vorgegangen, so dass ich glaube, dass unsere ausbleibende Antwort im Golfkrieg 1991 Israels Abschreckungsfähigkeit nicht dauerhaft beschädigt hat.
 
 
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Prof. Moshe Arens war israelischer Verteidigungsminister während des  Golfkrieges 1991. Er diente als Verteidigungsminister in drei verschiedenen Regierung, als Außenminister, Vorsitzender des Komitees für Auswertige Beziehungen und Verteidigung, sowie als israelischer Botschafter in den Vereinigten Staaten. Dieser Text basiert auf einer Präsentation im Institute for Contemporary Affairs, Jerusalem Center for Public Affairs, in Jerusalem vom 28. Januar 2010.