Die Initiative zur Anerkennung der Hamas – Eine Analyse ihrer diplomatischen Logik
Die Initiative zur Anerkennung der Hamas – Eine Analyse ihrer diplomatischen Logik
Jonathan Dahoah-Halevi
Eine Reihe hochrangiger Diplomaten verschiedener Länder – unter ihnen der ehemalige israelische Außenminister Shlomo Ben Ami – haben am 26. Februar 2009 in der Londoner Times einen Offenen Brief platziert, dessen Hauptbotschaft war, dass Frieden nur im Dialog mit der Hamas erzielt werden könne. Die Logik der in dem Brief präsentierten Argumente verdient eine tiefere Analyse. Ich werde sie im Folgenden in einer Reihe von Punkten präsentieren, analysieren, kommentieren und kritisieren.
Argument Nr. 1 „Die letzte blutige Konfrontation zwischen Israel und der Hamas hat uns gelehrt, dass eine Politik der Isolation gegen die Hamas keine Stabilität hervorbringt … aus diesem Grund muss man die Hamas in einen diplomatischen Prozess einbinden.“
Die Unterzeichner des Briefes haben deutliche Schlüsse gezogen: die Operation „Gegossenes Blei“ sei völlig gescheitert und habe bewiesen, dass Israel keine militärische Option gegen die Hamas besäße und dass auch alle anderen Formen des Drucks zum Scheitern verurteilt seien. Mit anderen Worten – die durch einen blutigen Putsch gegen die Palästinensische Autonomiebehörde in Gaza an die Macht gekommene Terrororganisation Hamas ist nach ihrer Auffassung immun gegen jede Form von Sanktionen und hat die Schlüsselposition für regionale Stabilität inne. Der historische Marsch, der die Hamas an die Macht führte, sei – so diese Position – unumkehrbar. Noch interessanter ist ihre Schlussfolgerung. Da es keinerlei Chance gäbe, die Hamas zu sanktionieren, müsse man diesen palästinensischen Arm der Muslimbruderschaft in einen diplomatischen Prozess einbinden, d.h. ihnen den „Preis“ der diplomatischen Anerkennung verleihen.
Dies führt zu einer nicht minder faszinierenden Frage, die von den Verfassern dieser Erklärung allerdings nicht angesprochen wird. Wie sollten sich Israel und die EU verhalten, wenn die Hamas ihre Terrorpolitik (Angriffe mit Raketen und Schusswaffen u.ä.) fortsetzt, nachdem die von den Unterzeichnern geforderte Anerkennung der Hamas durch die EU umgesetzt und die Organisation in einen diplomatischen Prozess eingebunden wurde? Denn auch in diesem Szenario würde sich nichts an ihrer Basisannahme ändern, dass jede Form von Druck auf die Hamas die regionale Sicherheit gefährden würde. Glauben sie tatsächlich, dass die freie Welt, die die Werte von Demokratie, Bürgerrechten und Liberalismus predigt, dazu verdammt ist, von einer palästinensischen Terrororganisation geknebelt zu werden?
Zudem lautet die so vermittelte Botschaft, dass der Westen die Hamas allein durch positive Anreize („Zuckerbrot“) beeinflussen könne, während ihm effektive Sanktionsmittel („Peitsche“) fehlen. Ein derartiges Konzept kann von der Hamas nur als letzter Beweis gedeutet werden, dass sich der Pfad des Terrors lohnt, und verdoppelt den Anreiz zur Umsetzung ihres Plans, die Übernahme der Palästinensischen Autonomiebehörde nun auch im Westjordanland zu vollenden und so zum einzigen und ausschließlichen Repräsentanten des palästinensischen Volkes zu werden. Das Ergebnis wäre eine Anerkennung der Hamas, ohne etwas für dieses Zugeständnis zu erhalten, die weitere Schwächung von Mahmoud Abbas und die Ebnung des Weges zur Errichtung eines islamischen Emirates im gesamten palästinensischen Gebiet. Die außenpolitischen Eckpfeiler dieses Emirates würden der Dschihad, die Unterdrückung der Menschenrechte und die globale Verbreitung des Islam sein.
Argument Nr. 2 „Ohne die Hamas ist ein israelisch-palästinensisches Friedensabkommen unmöglich. Ein Friedensprozess hat kein Gewicht, wenn die Vertreter von nur einer palästinensischen Seite beteiligt werden, während man versucht, die andere Seite zu zerstören.“
Die hinter diesem Argument befindliche Logik ist mehr als dubios zu nennen. Es ist die Hamas, die den diplomatischen Prozess ablehnt und deren Führer ständig wiederholen, dass das Regime von Mahmoud Abbas über keinerlei Legitimität verfüge und sie Israel niemals anerkennen werden. Wenn dies die Umstände sind – welche Bedeutung kann an einen Friedensprozess geknüpft werden, an dem die Hamas beteiligt ist, die eben jenen Prozess von Grund auf ablehnt, ihn zerstören möchte und jeden palästinensischen Partner für Verhandlungen als „Verräter“ betrachtet, der die Todesstrafe verdient.
Argument Nr. 3 „Die wichtigste Maßnahme der Hamas wäre die Einstellung von Gewalt als Vorbedingung für ihre Einbindung in den Prozess.“
Dieser Ansatz steht dem des Osloer Abkommens diametral gegenüber. Jenes beruhte auf der unveränderlichen Bedingung der „gegenseitigen Anerkennung“, auf die Israel vor der Eröffnung der offiziellen diplomatischen Verhandlungen bestand. Die Unterzeichner der Erklärung, die auf ihre Erfahrung bei Friedensverhandlungen in Konflikten auf der ganzen Welt so stolz sind, sind bereit, die minimalste und grundlegendste Forderung an die Hamas – Israels Existenzrecht anzuerkennen – aufzugeben und wollen dafür die Hamas anerkennen und in einen diplomatischen Prozess einbinden. Und das alles für eine schlichte Feuerpause? Sprechen wir von einer befristeten Waffenruhe oder einer dauerhaften? Gilt sie an allen Fronten? Richtet sie sich nach der umfassenderen israelischen Definition oder nur nach der der Hamas – geltend nur für Gaza, Beibehaltung des Rechts auf „Vergeltung“ für jegliche Einschränkung palästinensischer Rechte, vollständiges Recht auf Widerstand zu allen Zeiten? Sie haben sich damit nicht nur für eine äußerst nebulöse Haltung in einer derart heiklen Frage entschieden, sondern nicht einmal erklärt, wie sich die Mitgliedstaaten der EU verhalten sollten, wenn die Hamas den Waffenstillstand bricht.
Argument Nr. 4 „Ein Ende der Isolation [der Hamas] wird einen Geist der Versöhnung innerhalb der palästinensischen Nationalbewegung fördern. Dies ist eine wesentliche Vorbedingung für sinnvolle Verhandlungen mit Israel.“
Die diesem Argument innewohnende Annahme ist geradezu aberwitzig. Die Hamas verhehlt an keiner Stelle ihre Absichten, die Palästinensische Autonomiebehörde unter Mahmoud Abbas zu stürzen und in ihr die totale Kontrolle zu errichten. Sie hatte dies bereits für den Januar 2009 geplant, wurde aber durch die Operation „Gegossenes Blei“ daran gehindert. Dieses Ziel wurde nun auf Januar 2010 verschoben, dem Termin, an dem die Amtszeit von sowohl PA-Parlament als auch Präsidentschaft (sogar nach der Rechtsauffassung der PA) zu Ende gehen. Eine Anerkennung der Hamas durch die Europäische Union kann sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als Gnadenstoß für die Herrschaft von Abbas herausstellen. Glauben die Unterzeichner tatsächlich, dass die islamistische Alternative in Form der Hamas für den Westen vorteilhafter wäre als Mahmoud Abbas?
Argument Nr. 5 „Isolation bestärkt nur die Extremisten und ihre kompromisslose Politik. Einbindung stärkt hingegen die gemäßigten Kräfte und ihre Fähigkeit, dem für einen Frieden notwendigen schwierigen Kompromiss zuzustimmen.“
Unseren Experten für Verhandlungen und Diplomatie zufolge würde eine Einbindung der Hamas in den diplomatischen Prozess die „gemäßigten Kräfte“ stärken. Aus irgendwelchen Gründen haben sie aber davon abgesehen, präziser zu definieren, wen sie mit dem Begriff „gemäßigt“ meinen. Angenommen sie gehen davon aus, dass die Fatah und die Palästinensische Autonomiebehörde unter Mahmoud Abbas als „gemäßigt“ gelten, dann sollte man denken, sie beziehen sich hier auf „gemäßigte Kräfte“ in den Rängen der Hamas und dem Islamischen Dschihad. Wenn dem so ist, wieso zögern sie dann, jene „Gemäßigten“ beim Namen zu nennen? Gibt es denn tatsächlich „gemäßigte Kräfte“ in diesen Gruppen, die der ideologischen, islamistischen, dogmatischen und extremistischen Plattform entgegenstehen und bereit sind, der Hamas-Führung entgegenzutreten und öffentlich die Anerkennung Israels sowie der geschlossenen Friedensverträge zu fordern?
Die Behauptung, eine Anerkennung der Hamas („Extremisten“) würde die palästinensische Seite zu „schwierigen Kompromissen“ ermutigen, entbehrt der Logik. Ebenso könnte man die Vereinigten Staaten ermahnen, Al-Qaida anzuerkennen und Osama bin Laden am afghanischen Regime teilhaben zu lassen, damit die „gemäßigten Kräfte“ gestärkt würden und Al-Qaida fortan dem Pfad der Kompromissfähigkeit beschreitet.
Kurz gefasst: das in der Erklärung gebotene Konzept scheitert an den Realitäten des Nahen Ostens. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben uns dagegen gelehrt, dass es genau eine Mischung aus „Zuckerbrot und Peitsche“ ist – ein diplomatischer Horizont verknüpft mit sicherheitspolitischer Strenge – der die palästinensische Seite dazu bringt, eine Politik (befristeter) Aussöhnung mit dem Status Quo zu akzeptieren und dadurch taktische Flexibilität für ihre Positionen zu gewinnen. Eine Politik der Vergabe diplomatischer „Geschenke“ ohne substantielle Gegenleistung führt nachweislich – wie der Abzug aus Gaza 2005 gezeigt hat – zu einer Verstärkung der radikalen Tendenzen im palästinensischen Lager. Die Unterzeichner der Erklärung schlagen einen diplomatischen Gewaltmarsch mit weitreichenden Konsequenzen vor, der auf Grundlagen beruht, die eher im Bereich religiöser Annahmen oder eines Würfelspiels liegen, nicht jedoch einen Mindestmaß an Nachweis liefern, dass dieser politisch machbar ist.