Die Bedeutung des IAEA-Berichts über das iranische Atomprogramm

Die Bedeutung des IAEA-Berichts über das iranische Atomprogramm

Dore Gold

· Für viele Beobachter stellt sich die Frage, wieso der Iran mit seinen riesigen Öl- und Gasreserven es für nötig hält, Atomstrom zu produzieren. Und weshalb sah er sich gezwungen, eine gewaltige Infrastruktur in Natanz aufzubauen, nur um Uran anzureichern für Atomreaktoren, die er gar nicht besitzt? Und warum bemüht er sich, diese Aktivitäten zu verbergen, wenn es sich doch nur um zivile Anwendung handeln soll?

· Im Februar 2008 präsentierte der stellvertretende Generaldirektor der IAEA Olli Heinonen in einer vertraulichen Sitzung iranische Dokumente, die detailliert beschrieben, wie der Sprengkopf einer Shahab-3-Langstreckenrakete für eine Zündung in 600 Meter Höhe auszusehen habe. Eine konventionelle Explosion in dieser Höhe hätte keinen Effekt auf das Gelände darunter. 600 Meter sind aber die ideale Höhe für eine Atomexplosion über einer Stadt – so wie in Hiroshima 1945.

· Der jüngste Bericht der IAEA vom November 2011 zeigt, dass die Behörde nicht mehr länger nur einen „Verdacht“ hat, der Iran könnte Atomwaffen entwickeln, sondern eindeutige Informationen, gesammelt von mehr als zehn Mitgliedsstaaten. Darunter befindet sich eine Dokumentation auf Farsi, in der die Sicherheitsvorkehrungen für die Durchführung eines Atomtests beschrieben werden. Auch haben die Iraner versucht, Uran für ein geheimes Anreicherungsprogramm außerhalb von IAEA-Kontrolle zu erstellen.

· Der Iran verfügt bereits über genügend Uran für mindestens vier oder fünf Atombomben, sollte er sich entscheiden, seine schwach angereicherten Uranreserven weiter anzureichern. Der IAEA-Bericht bestätigt, was die Behörde lange vermutet hat – der Iran ist entschlossen, sich Atomwaffen zu verschaffen sowie die ballistischen Mittel, sie an ihr Ziel zu bringen.

Wieso benötigt der ölreiche Iran Atomkraft?

Der alarmierende Bericht der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA vom November 2011 kommt nach Jahren der Vermutung zu dem Schluss, dass der Iran tatsächlich Atomwaffen produziert, ohne dies der Weltöffentlichkeit bekannt zu geben. Seit der Enthüllung des iranischen Atomprogramms in 2002 hatten sich die Verdachtsmomente eines militärischen Zweckes erhärtet, auch wenn niemand den abschließenden Beweis erbringen konnte.

Für viele Beobachter stellt sich die Frage, wieso der Iran mit seinen riesigen Öl- und Gasreserven es für nötig hält, Atomstrom zu produzieren. Der Iran hätte seine finanziellen Ressourcen weit effizienter einsetzen können, hätte er sie in seine Ölindustrie investiert. Und weshalb sah er sich gezwungen, eine gewaltige Infrastruktur in Natanz aufzubauen, nur um Uran anzureichern für Atomreaktoren, die er gar nicht besitzt? Schließlich hatte ihm Russland doch zugesichert, das benötigte Uran für den einzigen Atomreaktor in Bushehr, der tatsächlich der Stromgewinnung dient, zu liefern.

Schließlich importieren viele Länder mit Atomkraftwerken – wie Finnland, Südkorea, Spanien oder Schweden – angereichertes Uran. Wozu benötigt der Iran also unbedingt eine eigene, enorm kostspielige Urananreicherungsanlage? Die geringe Menge Uran in den iranischen Minen wäre in jedem Fall zu wenig, um den iranischen Strombedarf zu decken. An irgendeinem Punkt hätte der Iran sowieso auf Uranimporte zurückgreifen müssen. Und schließlich, warum bemüht er sich, diese Aktivitäten zu verbergen, wenn es sich doch nur um zivile Anwendung handeln soll? Der Iran hatte gezwungen werden müssen, der Welt seine Urananreicherungsanlagen sowie seinen Schwerwasserreaktor in Arak zu enthüllen, nachdem andere die Welt 2002 und 2009 darauf aufmerksam gemacht hatten.

Obschon Frankreich den Iran bereits 2006 beschuldigt hatte, ein Atomwaffenprogramm zu unterhalten, behauptete der Iran fortwährend, seine atomare Forschung diene lediglich zivilen Zwecken. Der russische Außenminister Sergej Lawrow konnte daher seine Kollegen im UN-Sicherheitsrat immer wieder auffordern, ihm Beweise zu liefern, dass der Iran über ein militärisches Atomprogramm verfüge.

Die Glaubwürdigkeit der IAEA

Die Vereinigten Staaten entdeckten Anzeichen für das iranische Atomprogramm bereits 2004. Der damalige amerikanische UN-Botschafter John Bolton beschreibt in seinen Erinnerungen wie US-Außenminister Colin Powell sich entschied offenzulegen, dass die amerikanischen Geheimdienste die iranischen Anstrengungen, atomare Sprengköpfe herzustellen, belegen konnten. Doch in den Folgejahren litt die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten, die Welt von den atomaren Plänen des Iran zu überzeugen, da die Bush-Administration von den Massenvernichtungswaffen des Irak gesprochen hatte, ohne dass die Inspektoren nach der amerikanischen Invasion des Irak und dem Sturz Saddam Husseins welche gefunden hätten.

Durch die negative internationale Wahrnehmung der amerikanischen Einschätzungen nach dem Irak-Krieg stieg die Bedeutung der IAEA-Berichte. Im Fall des Irak hatte die IAEA bis 2003 immer wieder betont, dass Saddam über keine Massenvernichtungswaffen verfüge. Da die IAEA im Fall des Irak „dovish“, also beschwichtigend argumentiert hatte, sollte eine proaktive „hawk“-Haltung der IAEA in ihrer Einschätzung des Iran die Welt nun aufhorchen lassen.

Eine vertrauliche IAEA-Präsentation

Ein kritischer Wendepunkt in der Haltung der IAEA gegenüber dem Iran ergab sich im Februar 2008, bei einer vertraulichen Präsentation des stellvertretenden Generaldirektors der IAEA Olli Heinonen vor Vertretern von mehr als hundert Staaten. Einem *New York Times-*Bericht David Sangers zufolge, legte Heinonen original iranische Dokumente vor, die verschiedene Mitgliedstaaten der IAEA besorgt hatten – nicht nur die Vereinigten Staaten. Der Spiegel berichtete im Juni 2010 davon, dass das Material in einer gemeinsamen Aktion deutscher und amerikanischer Geheimdienste beschafft wurde, die Zugang zum Laptop eines iranischen Ingenieurs hatten.

Die IAEA verfügte über das internationale Renommee, damit die amerikanischen Geheimdienstberichte für jene zu bestätigen, die sonst deren Glaubwürdigkeit angezweifelt hätten. Sagte die IAEA, diese Berichte seien wahr, dann würden dies mehr Staaten akzeptieren. Nach Sangers Meinung hatte Heinonen gehofft, dass die vertrauliche Präsentation nach außen dränge – wie es dann auch geschah.

Die iranischen Dokumente beschrieben detailliert die Konstruktion eines Sprengkopfes für die Shahab-3-Langstreckenrakete, die über eine Reichweite von 1 300 Kilometern verfügt und seit 2003 bei der iranischen Armee im Einsatz ist. Zwar enthielten die iranischen Unterlagen keinen direkten Verweis auf einen atomaren Sprengkopf, doch sie zeigten die Flugbahn der Rakete und wie es auszusehen habe, wenn der Sprengkopf in 600 Meter Höhe gezündet wird. Für die Experten der IAEA war klar, dass eine konventionelle Explosion in dieser Höhe keinen Effekt auf das Gelände darunter hätte. 600 Meter sind aber die ideale Höhe für eine Atomexplosion über einer Stadt. Tatsächlich waren 600 Meter, wie Sanger in seinem Buch The Inheritance feststellt, die ungefähre Höhe, in der die erste Atombombe 1945 über Hiroshima gezündet wurde. Heinonen behauptete damals noch nicht, dass die Iraner tatsächlich Atombomben bauen würden, doch er hinterließ bei seinem Publikum in Wien jede Menge Fragen, die zuvor nicht gestellt worden waren.

In ihrem Bericht vom Mai 2011 ging die IAEA bereits viel weiter, als Heinonen 2008. So wurden Bedenken über die „mögliche Existenz“ von sieben militärischen Bereichen des iranischen Atomprogramms laut. Besonders das letzte schien alarmierend: „die Entfernung einer hochexplosiven konventionellen Sprengladung aus dem Sprengkopf einer Shahab-3 und ihre Ersetzung durch eine kugelförmige atomare Sprengladung.“ Man muss bedenken, dass die Shahab-3 über die Reichweite verfügt, Israel vom iranischen Territorium aus zu treffen. Damals im Mai sah sich die IAEA jedoch noch nicht bereit, Schlüsse zu ziehen. Es ging nur um die „Klärung“ von Verdachtsmomenten.

Der jüngste Bericht

Der jüngste Bericht der IAEA vom November 2011 ist aus mehreren Gründen von Bedeutung. Zum einen zeigt er, dass die Behörde nicht mehr länger nur „Verdachtsmomente“ hat, der Iran könnte Atomwaffen entwickeln, sondern das, was „glaubwürdige Informationen“ genannt wird. Es handelte sich dabei nicht mehr nur um das Material, das auf einem iranischen Laptop gefunden wurde, wie es noch bei Heinonens Präsentation 2008 der Fall war, sondern um eine weit größere Zahl von Belegen. Laut IAEA-Bericht verfügt die Behörde über tausend Seiten an Material für seine Behauptungen. Fall der Verdacht aufkommen sollte, dass dieses Material allein von amerikanischen Nachrichtendienste stamme, bekräftigt der Anhang, dass die Quellen

von „mehr als zehn Mitgliedsstaaten“ gesammelt wurden.

Zweitens zeigt das Material, dass der Iran eindeutig eine einsatzfähige Atomwaffe entwickeln will. So befindet sich darunter eine Dokumentation auf Farsi, in der die Sicherheitsvorkehrungen für die Durchführung eines Atomtests beschrieben wurden.

Ebenso hatten die Iraner versucht, Uran für ein geheimes Anreicherungsprogramm außerhalb von IAEA-Kontrolle zu erwerben. Dieses aus einem geheimen Programm stammende Uran sollte weiterverarbeitet werden, um jenen Uranmantel zu produzieren, der für einen Atomsprengkopf benötigt wird. Das geplante Sprengkopfdesign unterlief zudem Untersuchungen darüber, wie es im Falle eines Wiedereintritts einer Rakete funktionieren könnte, wenn es den enormen Kräften beim Abschuss und der Einnahme einer ballistischen Flugbahn zum Ziel ausgesetzt ist. Die IAEA schlussfolgerte daher, dass der Iran „die Arbeit an einem eigenständigen Atomwaffendesign samt Tests der Teilkomponenten“ durchgeführt hatte. Das „eigenständige Design“ verlangte jedoch ausländische Hilfe. Der IAEA-Bericht offenbart Teile des „iranischen Designkonzepts,“ die vom Ausland kamen, vermutlich einem Atomwaffenstaat.

Zum dritten bietet der Bericht weitere Beweise darüber, dass die iranischen Reserven an angereichertem Uran beständig wüchsen, trotz der Schäden an den iranischen Zentrifugen. Es wurde in jüngerer Zeit darauf hingewiesen, dass die Zentrifugen wenig effizient arbeiten. Verfügte der Iran laut IAEA-Bericht vom Juni 2009 über 839 Kilogramm schwach angereicherten Urans, so waren es im IAEA-Bericht von 2010 bereits 2 427 Kilogramm. Im September 2011 berichtete die Behörde, dass der Iran mittlerweile 4 543 Kilogramm angereichert habe. Der Novemberbericht erhöhte die Zahl auf 4 922 Kilogramm. Wenn alles, was der Iran zur Verwandlung von schwach angereichertem Uran in atomwaffenfähiges Uran einer Bombe braucht, ca. 900 Kilogramm sind, dann verfügt er bereits über genügend Uran für mindestens vier oder fünf Atombomben, sollte er sich entscheiden, seine schwach angereicherten Uranreserven weiter anzureichern. Auch die Reserven von zwanzigprozentig angereichertem Uran wachsen, wenn auch in geringerem Maße.

Schließlich ist es wichtig bei der Analyse dieser Informationen auf die Schlussfolgerungen des amerikanischen „Nationalen Geheimdienstberichts“ (NIE) von 2007 zu verweisen. Jener Bericht hatte mit „hoher Überzeugung“ behauptet, dass der Iran sein Atomwaffenprogramm 2003 eingestellt hatte, was einen enormen diplomatischen Schaden auslöste und die Möglichkeiten eines internationalen Druckes auf den Iran nachhaltig schädigte.

Der IAEA-Bericht vom November macht deutlich, wie falsch der NIE-Bericht von 2007 lag. Aus dem jüngsten Bericht geht eindeutig hervor, dass „einige Aktivitäten zur Entwicklung einer Atombombe nach 2003 fortgeführt wurden und einige davon nach wie vor fortgeführt werden.“ Ebenso erwähnt der Bericht Modellstudien, die der Iran zwischen 2008 und 2009 durchgeführt haben soll, um zu überprüfen, wie eine Atomwaffe mit hoch angereichertem Uran auf Schockkompression reagieren würde. Untersucht wurde auch die „nukleare Sprengkraft“ dieser Waffen.

Der IAEA-Bericht bestätigt also, was die Behörde lange vermutet hatte – der Iran ist entschlossen, sich Atomwaffen zu verschaffen sowie die ballistischen Mittel, sie an ihr Ziel zu bringen. Zusammengefasst kommt der Bericht zu dem Schluss: „Alle Information deuten darauf hin, dass der Iran alle Aktivitäten unternommen hat, die der Entwicklung einer nuklearen Waffe dienlich sind.“

Es ist fünf Jahre her, seitdem der UN-Sicherheitsrat begonnen hat, sich mit dem Problem eines atomaren Iran zu beschäftigen und die erste Resolution erließ, die den Iran zum Stopp aufforderte. Der neue IAEA-Bericht sollte dazu dienen, die internationalen Sanktionen gegen den Iran nachhaltig zu verschärfen. Leider bleibt es zweifelhaft, dass es trotz dieser neuen Informationen zum nötigen Konsens im Sicherheitsrat kommt, den es braucht, um die entscheidenden Maßnahmen einzuleiten, die den Iran von seinem Kurs abbringen.