Die Ausschaltung des iranischen Chefstrategen Qasem Soleimani in Bagdad

Am 3. Januar 2020 schaltete ein amerikanischer Drohnenangriff den Kommandeur der Al-Quds-Truppen der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC-QF) des Iran, General Qasem Soleimani aus. Soleimani war mit einem Linienflug von Damaskus nach Bagdad gekommen, nachdem er zwei Tage zuvor Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah in Beirut besucht hatte. Zusammen mit ihm sind hochrangige Offiziere seiner Delegation und Führer der Schiitenmilizen, den PMF (Volksmobilisierungtruppen, Hashd al-Shaabi) getötet worden, unter ihnen Jamal Mahmad Jaafar al-Tamimi (alias Abu Mahdi al-Muhandis), stellvertretender Kommandeur der PMF sowie der Kommandeur der Kataa’b-Hizbullah-Brigaden im Irak (KH). Letztgenannte Schiitenmiliz war für das Raketenfeuer vom 27. Dezember 2019 auf die US-Basis Kirkuk verantwortlich, bei dem ein amerikanischer Militärdienstleister getötet wurde.

Unmittelbar vor der Tötung Soleimanis hatten die Vereinigten Staaten am 29. Dezember eine KH-Basis an der syrisch-irakischen Grenze angegriffen, was zum Tod von mindestens 25 Terroristen führte, wenn man den Schätzungen der Beerdigungsprozession in Bagdad glauben darf. Zwei Tage später griffen schiitische Milizen auf iranische Anweisung das Gelände der amerikanischen Botschaft in der “Grünen Zone” Bagdads an. Mit diesem Vorstoß beabsichtigte Soleimani nachrichtendienstlichen Analysen zufolge, die amerikanische Präsenz im Irak herauszufordern. Als Vorbild diente die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran 1979. Diese Informationen führten zur amerikanischen Entscheidung, Soleimani und seine irakischen Partner zu eliminieren. Im Anschluss an die Tötung Soleimanis griffen die Vereinigten Staaten schiitische Milizen im Irak an und töteten dabei Shibel al-Zaydi, Kommandeur der Imam-Ali-Miliz.

Rote Fahne über der “Messianischen” Moschee in Jamkaran

Als Reaktion auf die Tötung Soleimanis hat die Führung des Iran, einschließlich des Obersten Führers Ali Khamenei (2) und Präsidents Hassan Rouhani, sich dem Chor der Stimmen der iranischen Armee und Revolutionsgarden angeschlossen, die vor “schmerzhafter Rache” warnen.

Der Kommandeur der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) Hussein Salami nannte Qasem Soleimani den “Architekten des Sieges über die Amerikaner und der Verhinderung der amerikanischen Pläne gegen die islamische Welt”. Soleimani werde als Märtyrer nur noch gefährlicher für die Vereinigten Staaten als zu Lebzeiten. Mit Blick auf Israel warnte Salami: “Unser Wille ist stark und wir werden jene Orte niederbrennen, die Amerika liebt und schützt. Es weiß, was wir hier meinen […] Durch dieses Verbrechen haben sie alles vernichtet, woraus sie in dieser Region noch hätten Kapital schlagen können […] Heute beginnt das Zeitalter des gemeinsamen Kampfes gegen Amerika […] Soleimanis Märtyrertod ist der Beginn eines schnellen Endes der amerikanischen Präsenz in der Region.” (3) Salami verkündete, dass der Iran derart umfassend reagieren würde, dass Amerika aus der Region vertrieben werde. Mohsen Rezaee, Sekretär des Dringlichkeitsrates und ehemaliger Kommandeur der Revolutionsgarden warnte, “sollten die Vereinigten Staaten auf die iranische Rache reagieren, dann werden wir Tel Aviv, Haifa und die wesentlichen Militärbasen ausradieren.”

Ali Shamkhani, Sekretär der Obersten Nationalen Sicherheitsrat (SNSC), äußerte dazu: “Gegenwärtig wurden 13 mögliche Racheszenarien entworfen […] Selbst wenn es einen Konsens über das vorsichtigste Szenario gibt, könnte sich dies in einen historischen Alptraum für die Amerikaner verwandeln.” (4) Ali Akbar Velayati, einer der außenpolitischen Berater Khameneis, hat die Vereinigten Staaten gewarnt, dass sie “ein weiteres Vietnam erleben, sollten sie den Nahen Osten nicht verlassen […] Die Erfahrung lehrt uns, dass sie immer wieder von den iranischen Plänen und der Widerstandsfront besiegt worden sind.”

Khamenei sprach der Familie Soleimanis telefonisch sein Beileid aus. Soleimani wurde in einem Trauermarsch von Bagdad über die heiligen irakischen Städte Najaf und Karbala nach Teheran, Mashad und Qom transportiert und schließlich an seinem Geburtsort Kerman bestattet. Kurz nach seinem Tod ernannte der Oberste Führer Soleimanis Stellvertreter Esmail Ghaani zum Kommandeur der IRGC-QC. Parlamentssprecher Ali Larijani gab bekannt, dass “der Oberste Führer die Erlaubnis erteilt” habe, 200 Mio. Euro aus dem Staatsfond für die Ausweitung der außenpolitischen Einsätze der IRGC-QF bereitgestellt habe. “Die Gelder sollen für die Unterstützung der IRGC-QF verwendet werden, denen die Verantwortung für den Widerstand in der ganzen Region obliegt.”

Der Stellvertreter des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah Naim Qassem bekundete sein Beleid und erklärte, dass nach dem Tod Soleimanis die Hisbollah nun eine weit größere Verantwortung trage, da Soleimani eine weit größere Rolle gespielt habe als nur eine iranische. Er sei wichtig für “alle Widerstandsgruppen” im Kampf gegen Israel und die Vereinigten Staaten gewesen. (5)

In den iranischen Propagandaorganen wird Soleimani als schiitische Version eines Heiligen porträtiert, dessen Märtyrertum religiöse Verehrung verdient, da er sich in Reihe der Shahids (Märtyrer) der schiitischen Geschichte einreihe. (6) Zum ersten Mal in der iranischen Geschichte wurde die symbolische rote Fahne der Rache über der Jamkaran Moschee in Qom gehisst, wo sich der Brunnen befindet, in dem sich nach schiitischen Glauben der messianische Mahdi versteckt. Der Schia zufolge ist die Wiederkehr des Mahdi ein Symbol für die Erwartung von Vergeltung. (7)

Größeres Bild: das Hissen der Roten Fahne in Qom.

Einschub: Soleimani wird von einem himmlischen Imam umarmt

Der Vollstrecker der iranischen Strategie im Nahen Osten

Soleimani (62) war seit 1998 Chef der Quds -Truppen. Zögling des Obersten Führers Khamenei war nur dieser ihm weisungsbefugt. Soleimani überführte die Islamisch-Revolutionäre Philosophie des Iran in die Praxis und mit ihr die Politik, schiitische Bevölkerungszentren in der ganzen arabischen Welt sowie global zu stärken.

Qasem Soleimani verstand es, die verschiedenen militärischen, terroristischen und politischen Strategien des Iran zu verknüpfen. Er trainierte, bewaffnete und finanzierte Terrororganisationen im ganzen Nahen Osten. Hamas und Palästinensischer Islamischer Dschihad erhielten von ihm Raketen, Panzerabwehrgeschosse und Scharfschützen-Gewehre. Er bildete all jene Gruppen, die als “Widerstandsfront” bekannt wurden, indem er die instabilen Verhältnisse des Arabischen Frühlings, des Zweiten Golfkrieges und des Kriegs gegen den IS auszunutzen verstand.

Soleimani, der starke Beziehungen zu Hassan Nasrallah und Imad Mughniyeh von der Hisbollah schmiedete, verwandelte die libanesische Gruppe in das Vorbild, das der Iran versucht, überall zu implementieren – mit Hilfe der Quds-Truppen, der Revolutionsgarden und der Hisbollah-Ausbilder -, wo immer sich Konflikte ergeben, in deren Kontext der Iran ein Interesse hat, seine religiösen, militärischen und politischen Ziele zu verfolgen.

Eine Strategie der Geduld und langfristigen Planung ist zentraler Bestandteil der iranischen Sicherheitspolitik, der es darum geht, die Frontlinien möglichst weit von der iranischen Staatsgrenze zu etablieren, indem der Kampf gegen die Feinde fern vom Heimatland geführt wird. Begleitend dazu strebt der Iran danach, die Front des Dschihad so nah es geht an die israelische Grenze auf dem Golan, im Libanon und in Gaza sowie in die Nähe seines saudischen Rivalen zu legen (durch Hilfe für die Houthis im Jemen oder Schiiten in sunnitisch beherrschten Gegenden wie Bahrain.)

Ein Raketenlager im Libanon

Während des Zweiten Libanonkrieges (2006) managte Soleimani den Kriegsplan zusammen mit Mughniyeh und Nasrallah. Sie hielten sich rund um die Uhr im Einsatzraum der Hisbollah in Dahya-Viertel von Beirut auf. Als die israelischen Bomben zu nah kamen, nahmen Soleimani und Mughniyeh das religiöse und zivile Gesicht der Hisbollah – Nasrallah – aus dem Versteck und suchten mit ihm zwischen den Gebäuden nach Schutzmöglichkeiten. Schließlich kehrten sie in den Einsatzraum zurück.

Von Ende dieses Krieges an arbeitete Soleimani beflissen daran, das Raketenarsenal der Hisbollah wiederaufzubauen, um es zu einer Streitmacht zu machen, die Israel davon abhalten würde, die iranischen Atomanlagen anzugreifen. Soleimani investierte hohe Summen dafür. In den vergangenen Jahren konzentrierte er sich größtenteils darauf, eine große Zahl von Hisbollah-Raketen in Präzisionsraketen zu verwandeln. Zu diesem Zweck baute er eine operationelle, technologische Infrastruktur in Syrien auf, über die Raketen in Konvois in den Libanon transportiert wurden. Als diese Transportrouten enttarnt wurden, entschied sich der Quds-Kommandeur Präzisionszielsysteme im Libanon fabrizieren zu lassen. Zunächst befanden sich diese geheimen Anlagen in der Gegend von Beirut, doch als Israel diese entdeckte, wurden sie in die Region von Baalbek gebracht. Soleimanis Vision war es, den Libanon in ein gewaltiges Waffenlager der Hisbollah zu verwandeln.

Opportunitätsstruktur in Syrien

Im Fall Syriens wusste Soleimani genau, welche Vorteile er aus dem gewaltsamen Aufstand gegen Bashar Assad während des Arabischen Frühlings ziehen konnte, um die strategischen Interessen des Iran voranzutreiben und Syrien in einen iranischen Vasallenstaat zu verwandeln. Aufgrund innenpolitischer Erwägungen des Iran brachte Soleimani keine iranischen Soldaten zum Einsatz, um das Assad-Regime zu retten, sondern entwarf den Plan, eine “schiitische Fremdenlegion” zu schaffen, die aus mehr als 100,000 afghanischen, pakistanischen, irakischen und libanesischen Hisbollah-Kämpfern bestehen sollte. Soleimani nutzte dafür in zynischer Weise das Elend der afghanischen Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus im Iran und versprach ihnen Bürgerrecht für sie und ihre Familien, wenn sie sich der Fremdenlegion anschlössen. Auf diese Weise gelang es ihm, Tausende afghanischer und pakistanischer Kämpfer für die Milizen, die Fatemiyoun Afghan Brigade und die Zaynabiyon Pakistani Brigade zu gewinnen

Um die Chancen eines Erhalts des Assad-Regimes in Syrien zu steigern verlangte Soleimani Hisbollah-Kämpfer von Hassan Nasrallah. Tausende Hisbollah-Kämpfer nahmen so auf dem syrischen Kriegsschauplatz teil und waren tatsächlich in einigen Fällen kampfentscheidend. Der Preis, den die Hisbollah für den iranischen Erfolg in Syrien zahlte, erwies sich jedoch als hoch. Mehr als 2,000 Hisbollah-Kämpfer fielen, 8,000 wurden verwundet. Der lange Dienst der Hisbollah in Syrien, der erst vor kurzem endete, führte zu Kritik und Wut unter libanesischen Schiiten, die Soleimani vorwarfen, er hätte die Hisbollah als Kanonenfutter missbraucht.

Diese Unzufriedenheit erreichte einen Höhepunkt im Mai 2016, als es zum offenen Streit zwischen Soleimani und Mustafa Badreddine, Kommandeur der Hisbollah-Truppen in Syrien, kam, der sich gegen die Auslaugung der Hisbollah-Kämpfer in syrischen Kämpfen unter iranischer Führung aussprach. Der israelische Stabschef Generalleutnant Gadi Eizenkot enthüllte, dass der Streit dazu führte, dass Soleimani Badreddine persönlich in der Nähe des Flughafens von Damaskus ermordete. Betont werden muss, dass diese persönliche Verwicklung Soleimanis umstritten ist. (8)

Das Hisbollah-Modell für den Irak

Nach dem Zweiten Golfkrieg von 2003 fürchtete der Iran, dass die Vereinigten Staaten sich nun ihm zuwenden würden. Die Quds-Truppen der Revolutionsgarden begannen daher, den gewaltsamen Widerstand von Schiitengruppen im Irak zu organisieren, die bald in bewaffnete Milizen verwandelt wurden. Soleimani verlangte von Nasrallah, dass Ausbilder in den Irak geschickt würden, um die Sprachbarriere zu überbrücken, da die iranischen Ausbilder kein Arabisch sprachen.

Imad Mughniyeh schickte 120 Ausbilder unter Führung von Ali Mussa Daqduq, dem Vertreter Mugniyehs im Irak, um lokale Milizen in Taktiken zu unterrichten, die die Hisbollah gegen IDF-Truppen im Südlibanon genutzt hatte, v.a. EFP (explosively formed projectile) Sprengfallen für die Straße.

Ali Mussa Daqduq

An der Spitze einer der von Daqduq trainierten Einheiten stand 2006 Qais al-Khazal, heute Chef der irakischen Miliz Asaib Ahl al-Haq. Daqduq war einer von al-Khazalis persönlichen Beratern. Seine Miliz schoss 2006 und 2007 mehrfach amerikanische und britische Hubschrauber ab. 2007 überfielen sie eine US-Basis in Karbala, töteten dabei einen Soldaten und richteten vier dort gefangene Soldaten hin. Al-Khazali wurde später gefangen und den irakischen Behörden übergeben, doch 2011 kämpfte seine Miliz mit der Hisbollah gegen die syrischen Rebellen.

Dies soll nur als Beispiel für die langfristige Strategie dienen, die Soleimani verfolgte: Investitionen in lokalen Milizen, um das allgemeine Interesse des Iran zu fördern – ein Kampf gegen die amerikanische Präsenz im Irak, damals wie heute.

Doppelte Außenpolitik

Mit dem Segen Khameneis durfte Soleimani eine parallele Außenpolitik zum iranischen Außenministerium betreiben, v.a. wenn es um nahöstliche Belange ging, mitunter auch unter Umgehung der Kommandokette des IRGC. 2015 besuchte er Russland, um eine Strategie zur Rettung Bashar Assads zu koordinieren; er führte den Krieg gegen den IS im Syrien und im Irak; mischte sich in irakische Politik ein, um die militärischen und politischen Interessen des Iran zu fördern; stattete mit Hilfe der Hisbollah die Palästinenser mit Raketen aus und baute die militärischen Fähigkeiten der Houthis im Jemen so weit auf, dass sie die geschworenen Feinde des Iran, die Saudis, und ihre Ölfelder angreifen konnten.

Sein Handeln und seine Kämpfe gegen den IS im Irak und Syrien brachten ihn stärker ins Rampenlicht, nachdem er viele Jahre sorgfältig vermieden hatte. Photogene Aufnahmen von ihm (mitunter in der Kopfbedeckung seiner Fremdenlegion), machten ihn zu einer Ikone, die in Computerspielen, Trickfilmen und Lobeshymnen ihren Auftritt hatte. Seine Fähigkeit, diplomatische, ethnische und religiöse Klüfte zu überbrücken (sogar eine Zusammenarbeit mit amerikanischen Truppen im Kampf gegen die Taliban), dienten den langfristigen strategischen Zielen des Iran.

Zugleich brachten ihm sein Status und Einfluss die Kritik von Oppositionsgruppen in Syrien ein, die gegen Assad kämpften. Mitunter wurde sein Bild während der Proteste im Irak und Iran verbrannt. Nach seinem Tod verteilten Menschen in einigen Gegenden Syriens und Iraks Süßigkeiten zur Feier. Auch die Golfstaaten konnten ihre Freude kaum verbergen.

Tod zur Unzeit

Der Tod des al-Quds-Truppen-Kommandeurs fällt in eine für den Iran hochproblematische Zeit.

Irak: Der iranische Einfluss auf die irakische Regierung ist durch die Amtsenthebung von Premier Adil Abdul-Mahdi geringer geworden. Wachsende Proteste richten sich gegen die destruktiven Aktionen des Iran, der lokale Schiitenmilizen nutzt, um seine Interessen im Land durchzusetzen und den Irak in eine logistische Ausgangsbasis für Waffendepots und Transfer militärischer Güter nach Syrien und Libanon nutzt.

Die Entscheidung, den Irak in eine logistische Basis zu transformieren, fiel, nachdem die operationelle Infrastruktur des Iran in Syrien mehrfach angegriffen wurde. Verschiedenste Kräfte im Irak, einschließlich hochrangiger Mitglieder der irakischen Schiiten wie Muqtada al-Sadr, haben mehrfach auf den hohen Blutzoll verwiesen, den Iraker für iranische Aktionen zahlen müssen.

Libanon: Die schlechte ökonomische Situation des Landes hat zu wachsender Kritik an der Hisbollah geführt, der vorgeworfen wird, Irans Interessen im Libanon zu vertreten. Die Libanesen müssen zudem den Preis bezahlen, dass die Regierungsbeteiligung der Hisbollah, die von vielen westlichen Staaten als “Terrororganisation” eingestuft wird, sie von wirtschaftlicher Unterstützung durch den Westen ausschließt.

Iran: Trotz der großen Wertschätzung, mit der Soleimani in der iranischen Bevölkerung bedacht wird, und der Massen bei der öffentlichen Trauerfeier, gibt es doch einige, die ihn als Verschwender gewaltiger Summen betrachten, die besser den Iranern zu Gute gekommen wären als auf abenteuerlichen und kostspieligen Missionen in Syrien, im Libanon, im Irak und Jemen sowie bei den Palästinenser vergeudet zu werden. In Konsequenz fanden sich nach den jüngsten Protesten im Iran gegen steigende Spritpreise in den sozialen Netzwerken Videos, auf denen Soleimanis Bild verbrannt wurde. Dass Soleimani vom “großen Satan” getötet wurde, könnte den Demonstranten sogar Motivation beschert haben.

Das iranische Dilemma

Die gesamte religiöse, politische und militärische Führung des Iran hat “schmerzhafte Rache” für den Tod Qasem Soleimanis angekündigt. Der Iran kann mit einer ganzen Reihe von Waffensystemen gegen verschiedene amerikanische Ziel in der Region vorgehen – Armeebasen, die amerikanische Botschaft im Irak, die Ölinfrastruktur (z.B. von Exxon), amerikanische Alliierte in der Region und deren Ölanlagen und Wasserversorgung. Ebenso können die vielen Iran-hörigen Organisationen wie die Hisbollah im Libanon Teil des iranischen Racheplans werden.

In einer trotzigen Rede behauptete Nasrallah am 5. Januar, dass Israel es nicht geschafft habe, Soleimani in Syrien zu erwischen, daher habe es sich an die Vereinigten Staaten gewandt, um ihn zu töten. Israel müsse daher bestraft werden. Nasrallah offenbarte, dass er Soleimani nur wenige Wochen vorher getroffen habe und er ihn gewarnt habe, da sein Gesicht in amerikanischen Zeitungen erschienen und er als “unersetzlicher General” dargestellt worden sei. Nasrallah habe daraus geschlussfolgert, dass die Amerikaner seine Tötung planten. “Wenn die Särge mit amerikanischen Offizieren und Soldaten in die Vereinigten Staaten zurückkehren,” so Nasrallah weiter, “werden Trump und seine Regierung verstehen, dass sie die Region verloren haben und Trump die Wahlen verlieren wird.”

Nasrallah listete eine Reihe möglicher Angriffsziele auf: “Amerikanische Militärbasen, amerikanische Schiffe und alle Soldaten und Offiziere in der Region werden ihren Preis bezahlen.” Nasrallah verspottete Trump als “dumm” und nannte dessen Berater “Idioten”, welche keine Ahnung hätten, wovon sie sprächen. Die nahe Zukunft würde es ihnen schon zeigen.

In einem Kommentar dieser Rede verkündete der Redakteur der Nasrallah nahestehenden libanesischen Zeitung Al Akhbar, Ibrahim Al Amin, dass der große Krieg gegen die amerikanische Präsenz in der Region begonnen habe. “Der Märtyrer Soleimani ist ebenso ein Märtyrer des Irak, Syriens, des Libanons, des Jemens, Palästinas und Afghanistans wie er ein Märtyrer des Iran ist. […] Es handelt sich hier nicht nur um Rache, sondern um Gerechtigkeit, die die Befreiung Jerusalems beschleunigen wird.”

Neben einem Bild, dass das am 23. Oktober 1983 in Beirut zerstörte American-Marines-Quartier zeigte, das ein vom Imad Mughniyeh angeleiteter Selbstmordattentäter der Hisbollah in die Luft sprengte, verkündet die Überschrift “Eine neue Ära”. Nasrallah gibt dafür den Weg vor: “Wir müssen die amerikanische Präsenz an jedem Ort in der Region bekämpfen. Wir müssen die amerikanische Präsenz in unserem Land beseitigen in jeglicher Form – Berater, Techniker, Diplomaten, Menschenrechtler, Finanzmanager, zivile Firmen und alle anderen.” (9)

Al-Amine zufolge habe Nasrallah “uns eingeladen, uns diesem großen Befreiungskrieg anzuschließen und die Amerikaner zu vertreiben. […] Es gibt keinen Grund dafür, wieso sie hier sind, und keinen für die, die sie hier dulden.” Der Kommentar endet mit den Worten: “Dies hier heißt Krieg”

Die nukleare Front

Am 5. Januar 2020 erklärte der Iran, offenbar ohne Bezug zum Tode Soleimanis, seine “fünfte Stufe” der Zurücknahme seiner Verpflichtungen im Atomabkommen von 2015. “Die Islamische Republik des Iran wird die finalen operationellen Beschränkungen des JCPOA aussetzen, was die Beschränkung der Zentrifugenzahl angeht. Auf diese Weise wird die Islamische Republik des Iran durch keinerlei Beschränkungen mehr in der Lage sein, sein Atomprogramm im operationellen Feld (wozu Anreicherungskapazität, Anreicherungshöhe, Menge des angereicherten Materials sowie Forschung und Entwicklung gehören) fortzuführen. Das iranische Atomprogramm wird von nun an gemäß der technischen Bedürfnisse vorangehen.”

Der Iran stellte dazu fest, dass er weiterhin vorhabe, mit der Internationalen Atomenergiekontrollorganisation zu kooperieren, und dass, sollten die Sanktionen aufgehoben werden und der Iran davon profitieren, die Islamische Republik Iran bereit wäre, zu ihren Verpflichtungen zurückzukehren. Diese harte Ankündigung scheint jedoch nicht Teil der Reaktion auf Soleimanis Tod gewesen sein und so bleibt wohl eine Tür für Dialog offen.

Iranische Fehleinschätzung

Der Angriff auf Soleimani kam für die Iraner überraschend, hatten sie doch in ihren Plänen die amerikanischen Reaktion und Toleranz gegenüber den andauernden iranischen Provokationen falsch eingeschätzt – den Abschuss einer amerikanischen Drohne über internationalen Gewässern; Angriffe auf Öltanker; Raketenangriffe auf saudische Ölanlagen (mutmaßlich aus dem Iran heraus, auch wenn die Houthis sich dazu bekannten); den Beschuss von US-Basen und zivilen Partnern; und schließlich das ultimative Symbol – die Anweisung an die Milizen, das amerikanische Botschaftsgelände in Bagdad anzugreifen. Diese Arroganz unterschätzte das amerikanische Trauma vom Angriff auf die amerikanische Botschaft in Benghazi und der Ermordung von vier Amerikanern dort sowie der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran 1979 durch sogenannte “Studenten”. Wie prägend dieses Trauma bis heute wirkt, zeigte die Drohung Trumps, die Vereinigten Staaten hätten 52 Ziele im Visier, sollte der Iran sich zu einer Vergeltung entscheiden. Die Zahl der amerikanischen Geiseln in der Botschaft hatte damals 52 betragen.

Das iranische Regime ist damit in einem ernsthaften Dilemma angesichts der amerikanischen Drohungen. Nach dem Abschuss der amerikanischen Drohne machten sich die iranischen Medien über die Vereinigten Staaten und v.a. über Präsident Trump lustig und die Iraner machten weiter wie bisher. Die Tötung Soleimanis zwingt sie nun dazu, alle Aspekte ihres Vorgehens im Iran, Irak und Syrien sowie der ganzen Region im Allgemeinen neu zu betrachten sowie ihre Reaktion vorsichtig abzuwägen.

Den Iranern ist inzwischen klar, dass die Vereinigten Staaten, die bislang eine überraschende für ihre regionalen Alliierten verstörende Zurückhaltung an den Tag gelegt hatten, sich entscheiden könnten, zentrale Einrichtungen des Regimes und das Regime selbst zum Ziel zu erklären. Daher dürften sie nicht eilfertig auf eine Weise reagieren, die die präzedenzlose Zerstörung ihrer Infrastruktur sowie ihres Regimes nach sich ziehen könnte.

Am Vorabend der Tötung Soleimanis wurden Vermittlungsgespräche zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran über verschiedene Kanäle geführt – Oman, Japan, die Schweiz (die Schweiz vertritt amerikanische Interessen in Teheran). Möglich ist, dass diese Vermittlungen hinter den Kulissen weitergehen, um Spannungen zu minimieren.

Andererseits würde das Ausbleiben einer Reaktion oder eine allzu schwache das Image des Regimes ankratzen, das es sich in den letzten 40 Jahren seit der Revolution aufgebaut hat – die einzige Kraft zu sein, die der amerikanischen und israelischen Hegemonie in der Region etwas entgegensetzen könnte. Dieses Image wurde mächtiger nach dem Sturz Saddam Husseins und dem Arabischen Frühling.

Es steht zu erwarten, dass der Iran damit weitermachen wird, seine regionalen Ziele zu verfolgen und seine Position in Syrien auszubauen. Das Regime wird seine Beziehungen zu Organisationen der “Widerstandsfront” fortsetzen, da sie ein zentrales Element seiner nationalen Sicherheitsstrategie sind. Möglicherweise wird der Iran es vorziehen, zum eher verdeckten Operieren hinter den Kulissen, wie es der Fall war, bevor Soleimani allzu sehr ins Rampenlicht geriet.

Die Front bröckelt

In den vergangenen Jahren wurde Soleimani zu einem lebenden Mythos aufgebaut, dessen Persönlichkeit die verschiedenen Lager der Widerstandsfront wenigstens ideologisch einte. Kurzfristig dürfte seine Ausschaltung Risse in der Koalition offenbaren und es den Mitgliederorganisationen erschweren, in organisierter und koordinierter Form zusammen zu arbeiten. Gleichzeitig dürften die Quds-Truppen ihre ununterbrochene Unterstützung für die palästinensischen Gruppen, insbesondere in Form von Raketen, aufrechterhalten, um auch ohne Soleimani den Kampf gegen Israel fortzusetzen.

Die Führungsriege von Hamas und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad waren auf Soleimanis Begräbnis anwesend. Ismail Haniyeh von der Hamas hielt eine Trauerrede, in der er den Quds-Kommandeur, “Märtyrer von al-Quds (Jerusalem)” nannte. Hamas und PIJ hatten sich mit Soleimani getroffen, verdanken ihm eine gute Zahl ihrer Waffen und priesen ihn auf Gedenkveranstaltungen in Gaza für die iranische Militär- und Finanzhilfe.

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1 https://www.reuters.com/article/us-iraq-security-soleimani-insight/inside-the-plot-by-irans-soleimani-to-attack-u-s-forces-in-iraq-idUSKBN1Z301Z

2 https://twitter.com/Khamenei_fa/status/1213777749275492354

3 https://tinyurl.com/SalamiBurn07-12020

4 https://tinyurl.com/AliShamkhani1307012020

5 https://twitter.com/jjtvn_ir/status/1213765879093235714

6 https://twitter.com/MWZAvHvaWvUpJuh/status/1213202999117529088

7 https://twitter.com/MirPAK5/status/1213552105178296320

8 https://www.fdd.org/analysis/2017/04/05/was-a-hezbollah-commander-really-killed-by-his-own-organization/

9 https://www.al-akhbar.com/World/282036/%D8%A7%D9%84%D8%AD%D8%B1%D8%A8-%D8%A7%D9%84%D9%88%D8%B7%D9%86%D9%8A%D8%A9-%D8%A7%D9%84%D9%83%D8%A8%D8%B1