Der iranische Verhandlungsstil: Taktiken und Hintergründe

Der iranische Verhandlungsstil: Taktiken und Hintergründe
 
Harold Rhode
 
 
Schlüsselzeichen iranischer Kultur
 
Seit dem Beginn der Islamischen Revolution 1979 hat das iranische Regime jedes ihm zur Verfügung stehende Mittel angewandt, um Unfrieden in der Welt zu stiften. Die westlichen Regierungen haben Verschiedenes versucht, um dem iranischen Regime zu begegnen – sei es durch Beschwichtigung, Verhandlungen oder Sanktionen – doch die iranische Regierung konnte dadurch weder davon abgebracht werden, Terrorismus zu finanzieren, noch hat sie ihr illegales Atomprogramm gestoppt. Im Gegenteil, das iranische Regime wurde in den vergangenen 31 Jahren von der Unfähigkeit des Westens, der Agenda seiner Islamischen Revolution etwas entgegenzusetzen, nur ermutigt.
 
Die Zeit wird knapp für die internationale Gemeinschaft, den Iran am Erwerb atomarer Waffen zu hindern, die er zweifellos dazu verwenden wird, seine regionalen Nachbarn wie auch den Westen unter Druck zu setzen, wenn er sie nicht gar einsetzt. Wenn die internationale Gemeinschaft dies verhindern möchte, dann bedarf sie einer schnellen und gründlichen Neuausrichtung ihrer politischen Strategien. Dazu gehört eine Evaluation und Analyse des diplomatischen Scheiterns der letzten dreißig Jahre und die Einführung alternativer Strategien.
 
In dieser Analyse soll es nicht um eine klare Handlungsanleitung für den Umgang mit der atomaren Bedrohung durch den Iran gehen. Stattdessen bemüht sie sich darum, bestimmte Handlungsmuster des iranischen Regimes und auch der iranischen Kultur noch weit vor der Revolution aufzudecken. Sie möchte bestimmte kritische Aspekte dieser Kultur identifizieren, die von politischen Entscheidungsträgern des Westens jahrzehntelang ignoriert wurden. Ein Verständnis dieser Schlüsselzeichen sollte die politischen Strategien im Hinblick auf das iranische Regime leiten.
 
Viele dieser kulturellen Elemente passen sich nicht ein in das Wertesystem westlicher Diplomatie. Gelingt es jedoch nicht, die iranische Kultur besser zu verstehen, so wird sich der Westen bald übervorteilt und von einem Regime, das unter einem nuklearen Schutzschirm operiert, in die Enge gedrängt sehen.
 
Iraner haben einen ausgeprägten Sinn für Patriotismus, sowie ihre eigenständige kulturelle wie auch politische Identität. Im Gegensatz zu den meisten anderen islamischen Ländern der arabischen Welt kann der Iran auf eine kulturelle wie auch politische Existenz zurück blicken, die 2 500 Jahre umspannt – also älter ist als der Islam. Viele der kulturellen Konzepte des Iran, die in der klassischen islamischen Epoche bereits festgestellt wurden, finden sich bis zum heutigen Tag im Iran.
 
Im Folgenden findet sich eine Reihe dieser wichtigen Prinzipien und Aspekte der iranischen Kultur, die es zu verstehen gilt, möchte man sich mit dem gegenwärtigen Iran auseinandersetzen.
 
1. Respekt vor Autorität, Verehrung von Helden
 
Iraner erwarten von Herrschern, dass sie Entschlossenheit und Stärke demonstrieren und dass sie alles unternehmen werden, um an der Macht zu bleiben. Das westliche Konzept, dass sich ein politischer Führer einem moralischen Code zu unterwerfen hat, findet im Iran wenig Anklang. Iranern zu sagen, dass ihre Herrscher grausam sind, dürfte die iranische Öffentlichkeit nicht davon überzeugen, dass sie eine neue Führung brauchen. Im Gegenteil, es wird sie davon überzeugen, dass ihre Herrscher stark sind. Nur wenn die iranische Bevölkerung davon überzeugt wird, dass ihre Führer die Entschlossenheit missen lassen, die Macht um jeden Preis zu verteidigen oder dass eine stärkere Macht sie gegen ihre gegenwärtig tyrannischen Herrscher stützt, wird sie versuchen, diese zu stürzen.
 
Jahrhundertlang erschien es der islamischen Welt so, dass die nichtislamische Welt sie erobert und aufgeteilt hätte. Der Westen schien den Islam gedemütigt zu haben. Aus islamischer Perspektive bestand der Ruhm Ayatollah Khomeinis darin, dass er dem Westen die Stirn bot, die USA demütigte und so die Ehre des Islam in der Welt wiederherstellte, als sich Amerika den Forderungen Khomeinis in der 444-tägigen Krise um die Geiseln in der US-Botschaft in Teheran beugen musste.
 
Obwohl der Westen und Amerika die Möglichkeiten hatten, ihre Ehre und ihren Respekt wiederherzustellen, ergriffen sie die Chancen nicht. Die westliche Schwäche ermutigte Khomeini, die Situation weiter zuzuspitzen, um Amerika weiter zu demütigen. Aus diesem Grund findet sich Khomeinis Bild überall in der islamischen Welt. Der Iran folgt diesem Vorbild Khomeinis, indem er unablässig nach nuklearen Waffen strebt. Das iranische Regime sieht sich durch die Schwäche der westlichen Reaktion darin bestärkt.
 
Während der Zeit der Revolution erschien der Schah als schwach, da es ihm nicht gelang, die Unruhen niederzuschlagen und diesen Ayatollah namens Khomeini daran zu hindern, immer wieder öffentlich zu bekunden, was er zu tun gedenke, wenn der Schah vertrieben wäre. Die iranischen Studenten spürten, dass sich etwas veränderte, und glaubten, es sei zu ihrem eigenen Selbstschutz besser, sich Khomeini anzuschließen. Vieles von dem, was die Studenten damals auf den Demonstrationen riefen, hatte keine wirklich emotionale Bedeutung für sie. Was wirklich zählte, war dass sie nicht auf der Verliererseite landen würden.
 
Während es den Anschein hatte, dass das ganze Land hinter Khomeini stünde, wussten damals die wenigsten, wer er überhaupt war. Bei der islamischen Revolution 1978/79 spürten Iraner v.a., dass sich das Machtgefüge zu Gunsten Khomeinis verschob, auch wenn sie ihn nicht wirklich kannten.
 
2. Respekt vor der iranischen Geschichte
 
Die Iraner sind stolz auf ihre 2 500-jährige Geschichte und wünschen sich, dass die nationale Ehre wieder hergestellt wird. Sie spüren die Demütigung durch die Dämonisierung ihres Landes in der Welt und ein großer Teil weiß, dass es das Regime ist,  weswegen das Land als Pariah gesehen wird. Sie würden gern frei in der Welt reisen, als Bürger eines anerkannten Landes, sowie sie es unter dem Schah konnten.
 
Doch unter dem gegenwärtigen Regime ist diese Rückkehr zur Normalität unwahrscheinlich. Ein positiver Wandel dürfte erst dann eintreten, wenn das Land über eine Regierung verfügt, der es um die Freiheit des iranischen Volkes geht, seine Unterstützung des internationalen Terrorismus beendet und eine inklusive Gesellschaft schafft, in der jeder Iraner die Chance auf Erfolg hat.
 
Solange die gegenwärtige Führung jedoch als stärkste Macht im Land gesehen wird, werden die Iraner sich nicht gegen sie erheben. Und ohne Unterstützung von außen – sowohl offen als auch verdeckt – dürfte sich das interne Machtgefüge nicht wirklich verändern.
 
3. Kompromiss und Guter Wille als Zeichen von Schwäche
 
Im Iran wird ein Kompromiss als Zeichen von Unterwerfung und Schwäche betrachtet. In der iranischen Wahrnehmung bringt Kompromiss Schande über diejenigen, die nachgeben – und ihre Familien. Derjenige, der wiederum andere zum Kompromiss zwingt, wächst dagegen an Ehre und Stellung und wird wahrscheinlich auch in Zukunft andere unterwerfen können. Aus einer Position der Stärke heraus werden Zugeständnisse nur dann gemacht, wenn absolut gewährleistet ist, dass sie die eigene Macht tatsächlich zu festigen und zu stärken vermögen. Wer glaubt, dass der Gegner durch ein Entgegenkommen auch nur den kleinsten Vorteil erzielen könnte, wird nicht nachgeben.
 
Die Schwäche des Gegners wird ebenfalls nicht als Grund für die Suche nach einem Kompromiss gesehen, sondern als Gelegenheit, ihn zu zerstören. Aus diesem Grund sollte man Gesten Guten Willens und vertrauensbildende Maßnahmen um jeden Preis vermeiden.
 
Gegen Ende 2006 kam es zu Gesprächen zwischen dem amerikanischen Botschafter im Irak, dem amerikanischen Kommandeur der internationalen Streitkräfte im Irak und dem iranischen Botschafter im Irak. Aus iranischer Perspektive war die Bereitschaft der USA, mit dem Iran zu verhandeln, ein Beweis für die Schwäche der Vereinigten Staaten und dafür, dass jene nach einem Ausweg aus dem Irak suchten. Die Iraner antworteten mit einer Verschärfung der Angriffe auf US-Truppen im Irak. Erst als die Iraner sahen, dass die Vereinigten Staaten mit militärischer Macht zurückschlugen, ließen sie nach.
 
Als später die Obama-Administration signalisierte, dass sie bereit wäre, mit den Iranern zu handeln, zementierte das iranische Regime ihre Position zur Atomfrage. Wer vor dem Sieg redet zeugt von Schwäche und so interpretierte die iranische Führung Obamas Gesprächsangebot als Zeichen von Schwäche.
 
Als iranische Terroristen 1979 die Diplomaten in der amerikanischen Botschaft in Teheran als Geiseln nahmen, gingen sie ursprünglich davon aus, dass sie nur einige wenige Tage aushalten könnten, in der Hoffnung, damit das iranisch-amerikanische Treffen in Algier sabotieren zu können. Als der amerikanische Präsident Carter und seine Berater damals Verhandlungen „zur Beendigung der Krise“ forderten, interpretierten die Iraner das als Schwäche und dehnten die Geiselkrise auf 444 Tage aus. Moslems in der ganzen Welt bewunderten die „Studenten“-Terroristen für ihre Demütigung Amerikas.
 
Der Iran ließ die amerikanischen Diplomaten weniger eine Stunde vor dem Amtsantritt Ronald Reagans frei. Die iranischen Geiselnehmer glaubten, dass Reagan Teheran bombardieren würde. Während der Geiselkrise hatte eine weitere Gruppe auch die sowjetische Botschaft besetzt, sie aber schnell wieder verlassen, nachdem Moskau Teheran mitteilen ließ, dass sie die Stadt bombardieren würden.
 
4. Ketman/Taqiyah: Das Verbergen von Absichten
 
Der Iran ist eine von oben-nach-unten aufgebaute Gesellschaft. Der Informationsfluss kommt von oben. Die Führung lässt die Bevölkerung wissen, was man von ihnen erwartet und die Bevölkerung folgt dem. Diese Befehlskette wird nicht umgekehrt. Nur wenn ihre Führung schwach erscheint, erhebt sich das iranische Volk und sagt den Herrschern die Wahrheit.
 
Was die iranischen Menschen wirklich glauben, behalten sie in der Regel für sich. Stattdessen werden sie denjenigen an der Macht sagen, was sie glauben, was jene hören wollen. Dieses Konzept nennt man Ketman (auf arabisch Taqiyah) – Verstellung. Es wird nicht als Lügen betrachtet.
 
Ketman macht es außerordentlich schwierig, die öffentliche Meinung zu erfassen, da die grundlegende Motivation der befragten Leute ist, ob und wie die Befragung ihnen schaden könnte. Entsprechend werden Iraner nur das sagen, von dem sie glauben, dass es ihnen keine Nachteile einbringt.
 
5. Umgang mit Ketman
 
Das kulturelle Verständnis des Westens und seine Forderung von Ehrlichkeit macht es leicht, Iraner misszuverstehen. Sie haben gelernt mit schwierigen Situationen durch Warmherzigkeit, Dankbarkeit, Höflichkeit und Unterwürfigkeit zu umgehen. Westler, v.a. Amerikaner, die einen hohen Wert auf Aufrichtigkeit, Gradlinigkeit und Ehrlichkeit legen, werden häufig von jenen Iranern hinter das Licht geführt, die genau wissen, das Westler von übermäßig freundlichem und großzügigem Verhalten eingenommen werden.
 
Es liegt an Ketman, dass Iraner Worten z.T. wenig Bedeutung beimessen und mehr Wert auf Handeln legen. Entsprechend sollte der Westen den Iran primär bei seinem Handeln messen und weniger an seinen Verlautbarungen.
 
6. Vertrauen und Loyalität
 
Als das Regime des Schahs zu wanken begann haben viele Menschen, die jahrelang dem Schah loyal waren, über Nacht auf die Seite der Islamischen Revolution übergewechselt, um sich, ihre Familien und ihren Besitz zu schützen.
 
Es ist daher sehr schwierig zu wissen, wem genau gegenüber Iraner loyal eingestellt sind. Für die meisten Iraner zählt das Überleben. Iraner werden zum Selbstschutz Bündnisse eingehen, nicht, um sich mit Gleichgesinnten zu assoziieren. In der Regel sind sie nicht bereit, viel für eine Idee oder einen Führer zu opfern, auch nicht ihr Leben, und wenn sie es tun, dann nur als Teil einer größeren Gruppe. Meinungen und Überzeugungen sind eher zweitrangig. Die meisten Iraner sind bereit, ihre Meinungen innerhalb kürzester Zeit diametral zu wechseln, wenn dies in ihrem Interesse erscheint.
 
7. Freunde in allen Lagern: Sich alle Möglichkeiten offen halten
 
Herrscher vermögen in kürzester Zeit ihre Meinung zu ändern und Staatsstreiche können über Nacht passieren. Aus diesem Grund erweist es sich von Vorteil, wenn man gute Beziehungen verfügt – und v.a. Verwandte – zu allen um die Macht ringenden Gruppen.
 
Es ist nicht selten, dass verschiedene Söhne einer einzigen Familie sich mit verschiedenen Gruppen assoziieren. Der eine Sohn mag ein religiöses Seminar besuchen, andere diverse oppositionelle Gruppen und wieder andere die Geschäftswelt des Bazar. Was auf der Oberfläche aussieht, als hätten diese Söhne Ansichten, die einander diametral entgegengesetzt wären, sehen Iraner als Risikoabsicherung. Egal wer an die Macht kommt, die Familieninteressen sind so geschützt.
 
8. Die Kunst des Verhandelns
 
Verhandlungen sind Gelegenheiten, um andere zu übervorteilen, Macht zu demonstrieren und sicherzustellen, dass Gegner die eigene Autorität anerkennen. In der Politik verhandeln Iraner nur, nachdem sie Gegner besiegt haben. Während dieser Verhandlungen diktiert der Sieger dem Besiegten, wie die Dinge zukünftig geregelt werden. Die Bereitschaft zum Reden vor dem Sieg zu signalisieren, erscheint in iranischen Augen als Zeichen von Schwäche und mangelndem Siegeswillen.
 
Iraner werden entsprechend immer versuchen, wahrgenommene Schwäche auszunutzen. Beim Umgang mit dem Iran ist es daher wichtig zu verstehen, dass das Angebot, an den Verhandlungstisch zu kommen, die Gewalt eher verschärft und weitere Forderungen nach Zugeständnissen nach sich zieht.
 
9. Geduld
 
Iraner haben gelernt, zu warten und sich stetig darauf vorzubereiten, ihr Ziel zu erreichen. Im Gegensatz dazu verlangt die westliche Gesellschaft unmittelbare Resultate. Aus iranischer Sicht gewinnt gewöhnlich der, der seinen Gegner auszusitzen vermag.
 
10. Schachzüge
 
Vor vielen Jahrhunderten haben die Iraner entweder das Schachspiel erfunden oder zu ihrem nationalen Spiel gemacht. In diesem Spiel müssen Spieler wenigstens zwei oder drei Züge im Voraus denken und entsprechend die Züge ihres Gegners kalkulieren.
 
Iraner sind daher exzellente Planer und haben einen scharfen Sinn dafür, Gedanken aufzuteilen. In einem Konflikt denken sie einige Züge im Voraus und bedenken sorgsam die Reaktionen ihrer Gegner, wobei sie ihr Bestes geben, so wenig als möglich dem Zufall zu überlassen.
 
11. Der Zweck von Treffen
 
Treffen bergen einen enormen symbolischen Wert für Iraner. Der Umstand, dass ein Treffen stattfindet wiegt schwerer als das, was auf solch einem Treffen gesagt wird. Treffen vermitteln Legitimität und Prestige. Wenn Westler ein Treffen mit einem bestimmten Iraner wünschen, dann wird dies als Anerkennung von Legitimität und Macht gesehen, die ansonsten nicht vorhanden wären.
 
12. Zusammenarbeit
 
Auch wenn sie häufig ihre Loyalität zu Angelegenheiten und Menschen betonen, vertrauen Iraner einander im Grunde kaum und auch keinen Außenstehenden. Aus diesem Grund stoßen Iraner auf große Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit. Diese ist einer der wesentlichen Gründen, weshalb es so schwierig ist, eine einheitliche iranische Oppositionsbewegung zu schaffen.
 
Würde man den Iranern zeigen, dass die Amerikaner und ihre Alliierten als stärkste Mächte des Westens einen bestimmten Führer oder eine bestimmte Gruppe unterstützen, dann würden sich die Iraner, wie die Geschichte immer wieder zeigt, mit hoher Wahrscheinlichkeit dem anschließen.
 
13. Westliche Stärke
 
Wenn es dem Westen gelingt, sich als stärkste Macht zu erweisen, und er Entschlossenheit demonstriert, dann wird er die Iraner, die nicht auf der Verliererseite sein wollen, dazu bewegen können, sich auf seine Seite zu stellen. Für einen Regimewechsel muss der Westen jene Kräfte innerhalb des Iran stärken, die durch ihr Handeln zeigen, dass sie westliche Werte und Freiheiten unterstützen. Es ist auch wahrscheinlich, dass der Westen zu diesem Zeitpunkt Iraner im Ausland findet, die dabei helfen, die finanzielle, technische und politische Unterstützung zu bieten, die für einen Regimewechsel von Nöten ist.
 
Sollte ein militärisches Eingreifen schließlich nötig werden, dann wäre ein Angriff auf nationale Symbole oder Festungen der politischen Führung vielleicht ausreichend, um deutlich zu machen, dass sich das Machtgefüge im Iran drastisch ändert. Auf diese Weise muss der Westen vielleicht nicht einmal die Atomanlagen des Iran bombardieren oder eine großangelegte Invasion des Iran initiieren, um die iranischen Herrscher zu Fall zu bringen und das Atomprogramm zu stoppen.
 
14. Wachsende Verachtung für den Islam
 
Die religiösen Akteure des Iran sind heute gezwungen, eine Generation junger Iraner zu sehen, die einen unislamischen Lebensstil pflegt. Unter iranischen Teenagern ist es angesagt, auf Partys zu gehen, die Schleier abzulegen und ein aufreizendes Outfit zu tragen, sowie sich dann alles andere als islamisch zu verhalten. Fragt man sie nach dem Islam, so antworten viele dieser jungen Menschen, die über die neuesten Trends außerhalb des Iran äußerst gut informiert sind, mit Lachen, und erklären, wenn sie sich sicher fühlen, dass ihnen der Islam egal sei, oder sie ihn, im heftigsten Fall, sogar verachten. Es gibt viele Iraner, die gegen die Mullahs gerichtete Witze erzählen und im Islam ein arabisches Diktat über die iranische Kultur sehen.
 
15. Die Atomfrage
 
Die iranische Regierung behauptet, dass sie die Atomkraft für ihren Energieverbrauch benötige. Diese Behauptung ist merkwürdig, verfügt doch der Iran nachweislich über die zweitgrößten Energiereserven im ölreichen Golf und exportiert er doch seine Energien in den Irak und nach Afghanistan. Ginge es dem Iran um Energie, so könnte er diese Ressourcen für sich verwenden.
 
Für den Iran spielt die Atomfrage eine doppelte Rolle. Erwirbt das Regime Atomwaffen, so erhält es die politische Unabhängigkeit, die es braucht, um den Nahen Osten zu dominieren und seine Form des Shia-Islam in der ganzen islamischen Welt zu propagieren.
 
Die iranische Führung ist geschickt in dieser Hinsicht. Sie weiß, dass Iraner, egal wo sie leben, sich persönlich angegriffen fühlen, wenn der Westen dem Iran sagt, er dürfe keine Atomwaffen haben. Denn die Iraner müssen sich nur in ihrer Nachbarschaft umsehen und darauf verweisen, dass Russland, Israel, Pakistan, Indien und China alle die Bombe hätten. Dass ausgerechnet der Iran keinen Anspruch darauf hätte, gilt als Angriff auf den iranischen Patriotismus.
 
Mit etwas Feinfühligkeit könnte der Westen an dieser Stelle einen Keil zwischen die iranische Regierung und die iranische Bevölkerung treiben. So sollten wir klar machen, dass wir nicht per se dagegen sind, dass der Iran Atomwaffen hat, sondern nur dagegen, dass das gegenwärtige Regime ein Atomarsenal hat, da es der weltweit größte Sponsor von Terrorismus ist. Würde der Iran über eine Regierung verfügen, der das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung mehr am Herz läge, würde jene vermutlich nicht daran denken, diese Waffen einzusetzen, selbst wenn sie sie hätte.
 
Wir müssen die Iraner daran erinnern, dass, wenn die gegenwärtige Führung in den Besitz von Atomwaffen gelangt, es durchaus sein könnte, dass sie sie einsetzt und damit die Welt dazu bringt, gegen den Iran vorzugehen, was zum Tod zahlloser Iraner führen würde.
 
Der gegenwärtige Präsident Ahmadinejad war in der islamischen Welt praktisch unbekannt, bevor die Revolutionären Garden seine Wahl zum Präsidenten in die Wege leiteten. Während die meisten Iraner ihre Pläne normalerweise möglichst konfliktscheu durch beschwichtigende Rhetorik verfolgen, hat Ahmadinejad sich überraschend untypisch verhalten, indem er die sogenannten Feinde der Islamischen Republik laut und direkt angriff.
 
Ahmadinejad hat den Holocaust geleugnet, die Vernichtung Israels gefordert und das Streben nach Atomwaffen maßgeblich vorangetrieben – in klarer Verletzung von UN-Resolutionen. Die passive Haltung der internationalen Gemeinschaft gegenüber Ahmadinejads Worten und Taten haben den islamischen Massen gezeigt, dass deren eigene Führungen Verräter sind, da sie dem Westen in dieser Art weder die Stirn zeigen – und damit die islamische Ehre wiederherstellen – konnten oder wollten.
 
Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass sich Ahmadinejads Bild in der ganzen islamischen Welt findet, selbst dort, wo es relativ wenige Schiiten gibt, wie in Malaysia und Indonesien. Dies erklärt auch, wie er zu einer Art Volksheld in der islamischen Welt werden konnte.
 
Schlussfolgerung
 
Ganz offensichtlich unterscheidet sich die alte iranische Kultur in vielerlei Hinsicht von der des Westens. Es sollte uns daher nicht überraschen, dass wir von iranischen Aktionen ziemlich häufig vor den Kopf gestoßen werden. Leider haben wir häufig versucht, den Iran so zu verstehen, wie wir uns selbst verstehen. Das hat dem Regime die Möglichkeit gegeben, uns immer wieder hinters Licht zu führen.
 
Mit Hilfe der oben genannten Ideen, sollten westlichen Politikern erwägen, sich öffentlich mit Oppositionsführern zu treffen, Iraner zu unterstützen, die ihre Land von der Tyrannei befreien wollen, sowie zahlreiche andere Maßnahmen zu ergreifen, die die Macht des gegenwärtigen Regimes einschränken und eventuell in die Knie zwingen. Wenn der Westen sich für einen Moment überlegt, wie er die iranische Kultur am besten verstehen und benutzen kann, um seine Ziele zu erreichen, dann besteht eine gute Chance, dass daraus Strategien erwachsen, die dem Westen, dem iranischen Volk und schließlich der ganzen Welt zu gute kommen.
 
Dieser Text stellt eine Zusammenfassung der längeren Studie „The Sources of Iranian Negotiating Behavior“ von Dr. Harold Rhode dar, die vom JCPA in der Reihe Strategic Perspectives veröffentlicht wurde und hier heruntergeladen werden kann.
 
Dr. Harold Rhode studierte 1978 in den frühen Phasen der Islamischen Revolution an der Ferdowsi Universität in Mashad, Iran. 1979 promovierte er an der Columbia University in Islamischer Geschichte. 1982 wurde er Berater zu Türkei, Irak und Iran des amerikanischen Verteidigungsministers und war seitdem bis zu seinem Ruhestand auch als Berater zu Angelegenheiten des Islam im Planungsstab des Pentagon tätig. Gegenwärtig ist er Senior Advisor des Hudson Institute, New York.