Das offizielle Israel schweigt und B’Tselem erzählt – die eigene Version

Jonathan Dahoah Halevi
 
In den letzten Jahren hat die israelische Sicherheitspolitik den Kampf um Herzen und Köpfe zum Teil des israelisch-palästinensischen Konfliktes gemacht. Die IDF hat mehrfach die Bedeutung hervorgehoben, die der Präsentation eines israelischen Sicht der Dinge neben militärischen Operationen zukommt. Sie hat sogar ein eigenes Institut dafür eingerichtet. Im Januar 2007 versprach der Armeesprecher eine Revolutionierung des israelischen Images mittels der offiziellen Webseite der israelischen Armee. Man würde sich mit der „missverstandenen“ Botschaft in den Medien auseinandersetzen und Informationen in verschiedenen Formaten bieten, welche verschiedene Zielgruppen erreichen sollten. Ein Jahr später startete das israelische Außenministerium im Januar 2008 eine neue nationale Kampagne, genannt „Israelischer Weichensteller.“ Es gehe dabei, so ein Sprecher des Ministeriums, um einen wirtschaftlichen wie werbewirksamen Prozess, welcher helfen solle, die Lücke zwischen dem Verständnis der Israelis auf der Straße von sich und ihrem Land und dem israelischen Image im Rest der Welt zu schließen. Es sollte die „wahren“ Aspekte des israelischen Lebens offenbaren, Tourismus, Investitionen, Kultur und das Bild Israels im Ausland fördern sowie für politische Unterstützung werben.
 
Trotz der geplante Programme, der Rhetorik und der Bekundung guter Absichten, haben jene, welche für Israels Bild in den Medien verantwortlich sind, einschließlich dem Büro des Premierministers, des Außenministeriums, des Verteidigungsministeriums und der IDF, praktisch nichts getan, um effektiv die Kampagne der Gegner Israels zu konfrontieren. Jene kontrollieren besser die Botschaften und Daten, welche die Medien erreichen und ihre Wahrnehmung der „historischen Wahrheit“ für ihre Zielgruppen prägen. Das offizielle Israel hat den Kampf aufgegeben, seine Geschichte der Welt zu erzählen und das Feld seinen Feinden und Kritikern überlassen, welche dankbar ihre Version des Konfliktes aufzeichnen, ohne angemessene israelische Reaktion – bzw. bar jeglicher Reaktion.
 
Eines der deutlichsten Beispiele ist die Zahl der von israelischen Sicherheitskräften getöteten Palästinenser. Die IDF und andere Sicherheitsquellen veröffentlichen selten Daten wie und wie viele Palästinenser getötet werden. Es finden sich auch keine entsprechenden Daten auf offiziellen israelischen Webseiten. Wird der Tod von Palästinensern erwähnt, dann sind die Informationen allgemein gehalten, ungenau und ohne eine Bestätigung der Fakten. Der Chef des israelischen Sicherheitsdienstes Yuval Diskin gab auf einem Regierungstreffen am 13. Januar dieses Jahres bekannt, dass 2007 tausend Terroristen im Gaza-Streifen getötet worden seien. Nur eine Zahl, keine Angabe, woher er sie hatte und worauf sie basierte. Am 13. März dieses Jahres sagte der Generalstabschef Gabi Ashkenazi, dass 90 Prozent der Todesfälle, während einer Militäroperation im Gaza verzeichnet wurden, welche vom 28. Februar bis zum 3. März dauerte: erneut, keine Quellenangaben.
 
Der von den israelischen Behörden derart nachlässig zur Seite geworfene Fehdehandschuh wurde von B’Tselem – das „Israelische Zentrum für Menschenrechte in den Besetzten Gebieten“ – bereitwillig aufgegriffen. Die Organisation richtete eine eindrucksvolle Datenbank ein mit den Namen aller Individuen, welche in der letzten Intifada getötet wurden, und bringt sie pflichtgemäß regelmäßig auf den neuesten Stand. Jeder getötete Palästinenser wird darin festgehalten, mit Namen, Datum und Umständen seines Todes. Am 21. Oktober verzeichnete die Liste 4 757 Tote. Auf Basis dieser Informationen bestimmt die Organisation die Zahl der von den israelischen Sicherheitskräften getöteten Zivilisten. Die Datenbank von B’Tselem gilt in der internationalen Gemeinschaft als weithin anerkannt und ihre Daten werden häufig von verschiedenen Teilen des Vereinten Nationen, internationalen Organisationen und den Medien als „Fakten“ zitiert.
 
Macht jedoch der Umstand, dass sie derart umfangreich ist, die Datenbank notwendigerweise zuverlässig? Nicht wirklich, doch mangels offizieller israelischer Daten wird sie glaubwürdig. Wenn das offizielle Israel es nicht übernimmt, sich selbst zu verteidigen, dann ebnet es den Weg für die Akzepanz einer anderen Version „historischer Wahrheit“, selbst wenn diese falsch oder von Vorurteilen verzerrt sein sollte.
 
B’Tselems jährlicher Bericht von 2007 fasste die Statistiken der in diesem Jahr getöteten Palästinenser zusammen und in wenig mehr als einem Monat hoffen sie, einen weiteren Bericht für 2008 vorlegen zu können. Dem Bericht vom 30. Dezember 2007 zufolge „[töteten] israelische Sicherheitskräfte [zwischen  dem 1. Januar 2007 und dem 29. Dezember 2007] 373 Palästinenser, darunter 53 Minderjährige; 290 im Gaza-Streifen und die restlichen 83 im Westjordanland. Mindestens 131, d.h. 35 Prozent waren zum Zeitpunkt des Todes nicht kämpfende Zivilisten.“
 
Eine Untersuchung der dem Bericht angefügten Datenbank offenbart jedoch eine Reihe von Fehlern bei der Erhebung der Daten, die Löschung sachdienlicher Fakten und die Auslassung relevanter Informationen, sowie Verzerrungen und Fehler, welche das aus dem Bericht Hervorgehende nachhaltig beeinflussen.“
 
Diese Untersuchung basiert auf einer Liste, welche am 1. Januar 2008 von der B’Tselem Webseite runtergeladen wurde. Eine Nachzählung der Namen ergab 380, nicht 373 getötete Palästinenser, wie von der Organisation angegeben. Jene wurden von B‘Tselem in drei Kategorien eingeteilt: 1. „Beteiligt im Gefecht“ (195), 2. „Nicht beteiligt im Gefecht“ (119), sowie 3. sonstige Tode (66).
 
Die von B’Tselem benutzt Definition „Beteiligt am Gefecht“ ist extrem eng gefasst und bezieht sich nur auf die Palästinenser , welche zum Zeitpunkt ihres Todes dabei waren, aktiv zu schießen, Raketen zu zünden, Molotov-Cocktails zu werfen, gefechtsdienliche Daten zu sammeln etc. Nicht erfasst werden Aktivisten von Terrororganisationen, welche nicht an der Frontlinie waren oder sich auf dem Weg von einem Angriff zum nächsten befanden, an Terrorismus unterstützenden Aktionen wie dem Schmuggel von Munition oder der Schaffung von Terrorzellen beteiligt waren, Funktionen in der Hamas-Regierung übernahmen sowie gleichzeitig in den Izz al-Din al-Qassam-Brigaden Terroranschläge planten oder ausführten. So werden z.B. sechs Terroristen der Armee des Islam (dem Al-Qaida-Ableger in Gaza), welche bei einer „gezielten Tötung“ starben von B’Tselem als „Einwohner des Gazastreifens“ geführt, welche „beim Fahren eines Fahrzeugs in Gaza-Stadt [getötet wurden].“
 
B’Tselems Liste getöteter Palästinenser lässt nahezu unerwähnt, ob sie Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung waren und welche Rollen sie darin übernahmen. Das gleiche gilt für die Berichte der Organisation in den vergangenen Jahren, so z.B. für die Erwähnung von Hamas-Führer Ahmed Yassin, seinen Nachfolger Abd Aziz Rantisi oder Salah Shehade, Kopf der Izz al-Din al-Qassam-Brigaden. Alle drei waren verantwortlich für Terroranschläge in Israel und schuldig am Tod von hunderten Israelis. Dennoch werden sie in der Liste geführt als „Einwohner Gazas“, „Ziel eines Mordanschlages“, getötet „beim Verlassen einer Moschee“, „im Auto“ oder „im Schlaf.“
 
Eine Analyse der 2007 getöteten Palästinenser in den von B’Tselem angegebenen Kategorien ergibt folgendes:
 
1.     195 Palästinenser waren „Beteiligt im Gefecht“. Von jenen waren 189 Mitglieder palästinensischer Terrororganisationen und nur sechs ohne Mitgliedschaft.
 
2.     Von den 119 „Nicht beteiligt am Gefecht“ waren 56 bewaffnete Kämpfer (55 von Terrororganisationen und einer des palästinensischen Nationalen Sicherheitsdienstes), 60 Zivilisten, welche nicht in die Gefechte verwickelt waren bzw. bei welchen sich keine Verwicklung mit einer Terrororganisation zeigen ließe, sowie drei, welche nicht von Israel getötet wurden, sondern fälschlicherweise erfasst wurden.
 
3.     Von den 66 getöteten Palästinensern, die in keine der beiden Kategorien passen, gehörten 60 palästinensischen Terrororganisationen an und nur sechs waren Zivilisten, welche an Gefechten entweder nicht beteiligt waren oder bei denen sich keine Verbindung zu einer Terrororganisation finden lässt.
 
Eine Analyse der getöteten Palästinenser (Gesamtzahl 377, ohne die drei fälschlicherweise addierten) aufgeteilt in „bewaffnete Aktivisten“ und „Zivilisten“ ergibt dann folgendes Bild.
 
1.     311, also 82,5 Prozent, waren „militante Aktivisten“.
 
2.     66, also 17,5 Prozent, waren Zivilisten.
 
Diese Statistiken beziehen sich auf die Zahlenangaben im offiziellen Bericht von B’Tselem. Eine nähere Überprüfung ergab, dass die Organisation 19 palästinensische Terroristen nicht mitgezählt hatte, welche 2007 getötet wurden, und von welchen sieben zum Palästinensischen Islamischen Dschihad gehörten, sieben zu den Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden der Fatah, drei zur Hamas, einer zu den Mudschahedin-Brigaden und einer zur Volksfront zur Befreiung Palästinas.
 
Im Ganzen wurden also im Jahr 2007 396 Palästinenser von israelischen Sicherheitskräften getötet, von welchen 330 (83,3 Prozent) „bewaffnete Kämpfer“ waren und 67 (16,7 Prozent) Zivilisten.
 
Die Todesumstände der Zivilisten waren folgende:
 
1.     18 (4,6 Prozent) waren an zweideutigen Aktivitäten beteiligt (Infiltration, Überwachung von Gefechtssituationen, Vogeljagd nahe der Grenze, Tragen von Spielzeuggewehren, nicht Folge leisten bei der Aufforderung durch Soldaten, anzuhalten etc.)
 
2.     16 (4 Prozent) befanden sich auf einem Kampfschauplatz.
 
3.     24 (6,1 Prozent) befanden sich in der Nähe von Terroristen oder Raketenabschussrampen.
 
4.     6 (1,5 Prozent) wurden bei der Auflösung von Unruhen getötet.
 
5.     2 (0,5 Prozent) griffen Soldaten an.
 
Für die Untersuchung der Todesumstände sowie der Zugehörigkeit zu Terrororganisationen wurden folgende Quellen genutzt:
 
palästinensische Presse; palästinensische und arabische Nachrichtenseiten; offizielle Webseiten palästinensischer Terrororganisationen und ihrer Anhänger; wesentliche Internetforen; Webseiten von Menschenrechtsgruppen; die offiziellen Seiten der israelischen Regierung und der israelischen Medien; Archivmaterial; Webseiten palästinensischer Familien; Webseiten, welche palästinensische Todesfälle dokumentieren; die offiziellen Seiten der Palästinensischen Autonomiebehörde und palästinensischer Stadt- und Gemeinderäten, etc.
 
B’Tselem führt in ihrer Liste nicht:
 
Palästinenser, die Opfer von gezielten Tötungen wurden (wie z.B. bei Autobomben), für die sich niemand verantwortlich erklärte; palästinensische Gefangene, die in israelischen Gefängnissen starben; sowie Palästinenser die von israelischen Zivilisten getötet wurden (Mord, Autounfälle etc.)