Der Druck auf Europa wächst – Iran demontiert Verpfichtungen des Atomvertrags

Am 7. Juli 2019 lief ein vom Iran den bestehenden Unterzeichnerstaaten des Atomabkommens (JCPOA) gestelltes Ultimatum aus. Die iranische Führung verkündete weitere Schritte im offiziellen Bruch mit dem Abkommen. Die Schwelle von 300 Kilogramm schwach angereicherten Urans (3,67 Prozent) war bereits Tage zuvor, wie angedroht, durchbrochen worden. Am 8. Mai 2019, genau ein Jahr nachdem sich die Vereinigten Staaten aus dem Abkommen zurückgezogen hatten, war von Seiten des Irans das Ultimatum an die anderen Unterzeichnerstaaten gestellt worden, dem Iran die wirtschaftlichen Vorteile des Abkommens binnen von 60 Tagen zu garantieren.

Noch am selben Tag verkündete der Sprecher der iranischen Atomenergie-Organisation (AEOI), dass der Iran von nun an Uran in höherem Maße anreichern werde als nur auf 3,67 Prozent. Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEA) bestätigte dies. Der Iran hatte zuvor wissen lassen, dass er eine fünfprozentige Anreicherung für das Atomkraftwerk in Bushehr benötige sowie 20 Prozent für den Forschungsreaktor in Teheran.

Neue Herzlichkeit zwischen Iran und Hamas

Am 15. Juni 2007 ergriff die Hamas Macht und Kontrolle im Gazastreifen und vertrieb in Folge Fatah und Palästinensische Autonomiebehörde. Heute, inmitten von Dauerkrise, Führungswechsel in und außerhalb Gazas und schwindenden finanziellen und politischen Rückhalt, auch in der Bevölkerung, ist die Gruppe bestrebt, die Beziehung zum Iran wieder aufzuwärmen.

IS-Anschläge in Teheran: Schlag für Rouhani, Chance für die Revolutionsgarden

Der Islamische Staat (IS) hat die Verantwortung für die gleichzeitig koordinierten Terrorangriffe vom 7. Juni 2017 auf das iranische Parlamentsgebäude Madschlis und das Grabmahl des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Khomeini übernommen. Die Organisation veröffentlichte dazu eine Erklärung durch ihre Medienabteilung sowie ein kurzes Video, das von einem der Angreifer auf das Parlament aufgenommen wurde. Dies geschah, noch bevor der Angriff auf die Madschlis beendet war. Insgesamt wurden 13 Menschen ermordet und mehr als 40 verwundet. Sunnitische Organisationen die den Iran in der südöstlichen Grenzregion zu Pakistan und Afghanistan bekämpfen – Gruppen, die bereits vom IS inspiriert wurden – dürften sich von dem doppelten Angriff in Teheran ermutigt fühlen und ihrerseits ihre Bemühungen verstärken. Separatistische Bewegungen und andere ethnische Gruppen sind unter den Arabern des Iran sehr aktiv, v.a. in Khuzestan, wo Angriffe aus Öl- und Gaseinrichtungen eskalieren können. (10) Je mehr der IS also an Territorium verliert, desto mehr dürfte Teheran mit der Gruppe an seinen und innerhalb seiner Grenzen konfrontiert werden, was die iranischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und den Golfmonarchien – allen voran Saudi Arabien – verschärfen dürfte.

Iranisch-Saudische Beziehungen vor dem Abgrund

Die Hinrichtung eines der wichtigsten Schiitenführer Saudi Arabiens Scheich Nimr Baqir al-Nimr, der die schiitische Protestwelle während des Arabischen Frühlings anführte, treibt die historischen Spannungen zwischen Teheran und Riad auf einen neuen Höhepunkt. In seinen Predigten hatte er das saudische Königshaus scharf kritisiert ("Befreit Palästina und nicht Bahrain") und seine Unterstützung für den Iran bekundet.(1) Diese Reden wurden zur Grundlage für das 2014 ausgesprochene Todesurteil, das zusammen mit 46 anderen, auf Terrorismusanschuldigungen beruhenden (vier davon galten Schiiten) Anfang Januar vollstreckt wurde. Die Hinrichtung führte zu Unruhen im Gouvernement Qatif im Osten des Königreichs.

Der Oberste Führer des Iran Khamenei verlor keine Zeit damit, die Drohung auszusprechen, dass diese Hinrichtung nicht ohne Konsequenzen bleiben werde. Der Iran hatte bereits zuvor einige Male vor der Vollstreckung gewarnt. Khamenei erklärte: "Zweifelsohne wird das Blut dieses unschuldigen Märtyrers seine Spuren hinterlassen. Saudische Politiker werden die Rache des Himmels spüren." (2) Die Worte Khameneis, der das Schweigen des Westen und der Menschenrechtsorganisationen anklagte, verbreiteten sich in sozialen Netzwerken in verschiedenen Sprachen. (3)

Khamenei attackierte die saudische Politik gegenüber den Schiiten Bahrains und des Jemen, zog eine Verbindung zwischen den Israel zugeschriebenen gezielten Tötungen Kuntars (Hisbollah) und Scheich Yassins (Hamas) mit der Hinrichtung al-Nimrs und beschwor, dass Erweckungs- und Widerstandsbewegungen nie durch Anschläge unterdrückt werden könnten. (4) Die iranischen Medien beeilten sich, Verurteilungen schiitischer Geistlicher und anderer aus der ganzen Welt zu veröffentlichen – aus dem Irak, aus Pakistan, aus dem Jemen (Ansar Allah), von der Hisbollah und der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP).

Ganz unmittelbar auf die Hinrichtung und die scharfe Verurteilung durch Khamenei stürmte ein iranischer Mob die saudische Botschaft in Teheran, zündete sie an, riss die Fahne des Königsreich herab und schändete sie. Saudi Arabien wiederum verkündete umgehend, dass es den diplomatischen Kontakt zum Iran abbrechen werde. Bahrain, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate und der Sudan folgten sofort dem Beispiel Riads. Der Iran benannte ebenso schnell die Straße, in der sich die saudische Botschaft befindet, in Nimr Baqir al-Nimr Straße um.

Rouhani folgt den Roten Linien Khameneis

Zu einem Zeitpunkt, an dem Vorwürfe laut wurden, Israel habe die Atomverhandlungen in Europa abgehört und kurz vor dem Abschluss des Abkommens wandte sich der iranische Präsident Rouhani am zweiten Jahrestages seines Wahlsiegs mit einer Rede an iranische und ausländische Journalisten, die in den iranischen Medien ausgestrahlt wurde.
Rouhani konzentrierte sich dabei auf das vom Iran in der Atomfrage Erreichte und den erfolgreichen Kampf gegen das Sanktionsregime. Immer wieder hielt er sich dabei an die vom Obersten Führer des Iran Khamenei geforderten roten Linien für die Atomverhandlungen und bekräftigte, dass es den Inspektoren nicht gestattet werden würde, Militäranlagen zu betreten. Rouhani dankte Khamenei dafür, "den Weg festgelegt zu haben, hinter dem Verhandlungsteam zu stehen und die nationale Einheit des Iran aufrecht zu erhalten." Geheimdienstminister Mahmud Alavi bestätigte, dass das Verhandlungsteam die roten Linien nie überschritten hätte.

Ein schlechtes Iran-Abkommen führt zu Instabilität in Nahost

Die wesentlichen Akteure im Nahen Osten beobachten genau den Fortschritt der Atomverhanldungen zwischen dem Iran und den Weltmächten, allen voran den USA. Das Ergebnis der Gespräche, v.a. aber ein schlechtes Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, das Letzteren zum Staat an der Schwelle zur Atommacht macht, dürfte einen entscheidenden Einfluss auf die dramatischen und richtungsentscheidenden Prozesse haben, die gegenwärtig den Nahen Osten durchziehen und schließlich sowohl die amerikanische wie auch die europäische Sicherheit gefährden.
Der Kampf um die Neuausrichtung der Region ist noch nicht entschieden. Er wird ausgefochten zwischen Kräften des radikalen Wandels wie dem IS, Al-Qaida, der Muslimbruderschaft und dem Iran einerseits und Vertretern der alten Ordnung – den "moderaten" arabischen Staaten wie Ägypten, Saudi Arabien, den Golfstaaten, Tunesien – zusammen mit Israel andererseits. Ein Atomabkommen dürfte in aller Wahrscheinlichkeit dem Iran Auftrieb geben und über kurz oder lang den Nahen Osten in ein atomares Wettrüsten stürzen, die iranische Subversionspolitik verschärfen sowie seinen Terrorismus unter einer atomaren "Eisernen Kuppel".

Die iranische Rolle im jüngsten Hamas-Krieg gegen Israel

Seitdem es im Anschluss an die Operation Wolkensäule Ende 2012 weitgehend ruhig im Gazastreifen geblieben ist, hat der Iran alles daran gesetzt, das Raketenarsenal der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihads quantitativ wie qualitativ aufzustocken. Die Öffnung der Landgrenze zwischen Gaza und dem Sinai während der einjährigen Herrschaft Mohammed Mursis in Ägypten (2012-2013) machte es dem Iran relativ einfach, die Terrororganisationen in Gaza über den Sudan und Sinai und mit Hilfe des weit verzweigten Tunnelsystems mit hochentwickelten Waffen zu versorgen. Eine dieser Lieferungen – zu der auch die in Syrien produzierten M-302 gehören, die während der Operation Schutzwall auf Hadera und Haifa gefeuert wurden – wurde von der israelischen Marine letzten März auf dem Klos-C-Schiff aufgebracht. Auch die Victoria, die am 15. März 2011 abgefangen wurde, transportierte solche Waffen, u.a. Seezielflugkörper und hochentwickelte Kornet-Panzerabwehrraketen. (1)

Obwohl die syrische Krise Spannungen zwischen dem Iran und der Hamas begünstigt hat, riss der vielfältige Kontakt zwischen beiden Seiten nicht ab. Aus iranischer Perspektive kommt dem Kampf gegen Israel eine höherer Stellenwert zu als laufende Scherereien mit Palästinenserorganisationen. Unmittelbar nach der Operation Wolkensäule 2012 schrieben sich die Türkei und Ägypten die wesentliche Rolle bei der Unterstützung der Palästinenser zu – zum Ärger des Iran. Teheran blieb entschlossen, die Palästinenser auf eigene Weise zu unterstützen – militärisch. Ziel war es, die Bindung der Hamas an den Iran auch in Krisenzeiten zu bewahren.

Der Iran hat einen entscheidenden Beitrag zum technischen Know-How der Hamas geleistet, in dem er für sie verschiedene Raketen unterschiedlicher Reichweite und Sprengkraft produziert hat. (2) Zudem half er beim Wiederaufbau der von den Operationen Gegossenes Blei (2008) und Wolkensäule (2012) zerstörten Infrastruktur und wird dies nach dem Ende der Operation Schutzwall aller Voraussicht nach wieder tun. Im Unterschied zur Vergangenheit versuchte der Iran während der Operation Wolkensäule nicht mehr zu vertuschen, wie sehr er der Hamas und dem Islamischen Dschihad bei der Entwicklung und dem Aufbau ihres Raketenarsenals und ihre Abschussfähigkeiten behilflich war. Der Sprecher des Islamischen Dschihad äußerte unverholen: „Die ganze Welt weiß, dass der Iran die Hauptquelle für die Waffen des Widerstands ist.“

Iranische Strategie und westliche Schwäche

Für Mitte Mai ist eine weitere Runde der Atomgespräche zwischen Iran und dem Westen angesetzt. Eine Sprecherin des iranischen Außenministeriums gab bekannt, dass der Iran und die P5+1-Staaten in Wien damit beginnen werden, ein endgültiges Atomabkommen auszuarbeiten, dessen Rahmenbedingungen bereits festgelegt seien. In den vergangenen Wochen ist das Thema aufgrund der aktuellen Krise in der Ukraine zwischen dem Westen und Russland (ein wesentliches Mitglied der Atomverhandlungen) an den Rand gedrängt worden – was dem Iran sicherlich nicht ungelegen kam. Gleichzeitig bleiben viele Fragen offen, die die iranischen Verpflichtungen des Genfer Abkommens betreffen und das Ausmaß, mit dem sie erfüllt wurden.

Atomgespräche als Machtmittel: Wie der Iran die Verhandlungen regional ausnutzt

• Der Iran bemüht sich um eine symmetrische Beziehung zu den Vereinigten Staaten. Er will der Welt zu zeigen, dass sich seine Macht – ähnlich der amerikanischen – weit über die eigenen Grenzen erstreckt.

• Die einzige amerikanische Politik, die bislang erfolgreich war – eine Verschärfung des Sanktionsregimes – ist nunmehr am zerfallen. Die internationale Legitimation des Iran ist im Aufwind, während die Israels zunehmend entwertet wird. Aus iranischer Perspektive schaffen die Atomgespräche eine Atmosphäre, in der der wirtschaftliche Druck nachlässt, während der Iran Zeit bekommt, die fehlenden Teile seines Atomprogramms zu beschaffen.

• Dabei gewinnt die iranische Außenpolitik an Fahrt. Sie möchte die Golfstaaten dazu bringen, sich mit Teheran zu verbünden und unter den iranischen Schutzschirm zu rutschen, solange dies noch friedlich möglich ist. Der Iran hofft darauf, über den gesamten islamischen „Ereignishorizont“ in der Zeit nach dem „Arabischen Frühling“ bzw. – wie der Iran ihn nennt – dem „Islamischen Erwachen“ Macht auszuüben.

• Die Atomgespräche gestatten dem Iran, jene Teile seines Atomprogramms zu entwickeln – im Wesentlichen seine militärischen Elemente – über die er noch nicht abschließend verfügt, hingegen Konzessionen auf jenen Gebieten wie dem der Urananreicherung einzugehen, wo er seine Stärke bereits bewiesen hat. Der Iran schreitet strategisch also voran.

• Zur gleichen Zeit gestattet der Mangel direkter Gegner auf der geostrategischen Ebene dem Iran, die Atomgespräche im entspannten Tempo zu führen. Dieser Ansatz wurde durch die offensichtliche und anhaltende Schwäche der Vereinigten Staaten und des Westens bei der Lösung der syrischen Krise weiter ermutigt. Folglich sieht der Iran keine wesentliche Gefahr auf dem Weg zu seinem strategischen Ziel.

Iran und die Atomverhandlungen: Die Hintergedanken Teherans

Der Iran besitzt bereits alle Komponenten, die zum Bau einer Atombombe gebraucht werden. Eine Lockerung der Sanktionen betrachtet er – selbst wenn er dafür einige Elemente seines offenen Atomprogramms aufgeben muss – als Erfolg und als Grundlage für die weitere Erosion des Sanktionsregimes. Auf der innenpolitischen Ebene wird Rouhani von Khameneis wie der öffentlichen Unterstützung nur ermutigt werden. Schon vor Ablauf der sechsmonatigen Übergangszeit ist es dem iranischen Regime gelungen, die Heimatfront mit Hilfe der Verhandlungen zu stabilisieren – primär das Recht auf Urananreicherungen und die Abschwächung der Sanktionen.

Khameneis zu verschiedenen Gelegenheiten geäußerten Stellungsnahmen, die von hochrangigen iranischen Politikern nachgeahmt werden, vermitteln, dass der Iran die Verhandlungen nicht wirklich braucht und sie vielmehr als innenpolitisches Instrument genutzt werden und als Teil eines umfassenden regionalen Konkurrenzkampfes um Einfluss im Nahen Osten. Die jüngsten Äußerungen setzen die Dehumanisierung Israels als Teil der Regionalstrategie fort, was aber von der internationalen Gemeinschaft zugunsten des „historischen Interimsabkommens“ ignoriert wird.

Aus Khameneis Perspektive stärken die Verhandlungen, auch wenn sie zum Scheitern verurteilt sein mögen, die iranische Position in der Konfrontation mit den Vereinigten Staaten. Verglichen mit seinem Gegenüber ist der Iran in einer völlig anderen Situation, die aus westlicher Perspektive schwer zu verstehen ist. Der Iran kommt nicht aus Schwäche an den Verhandlungstisch, sondern tatsächlich aus einer Position der Stärke. Anstelle irgendetwas bei den Verhandlungen zu verlieren zu haben, kann er nur gewinnen. Der Iran ist sich einer weiteren regionalen und internationalen Perspektive sehr wohl bewusst und seine Entscheidung, sich auf Verhandlungen einzulassen, hat nicht ausschließlich mit der Atomfrage zu tun. Sie spiegelt vielmehr ein ganzes Bündel von regionalen und internationalen Interessen wider, die auf die iranische Einschätzung eines amerikanischen Machtverlustes in der Region treffen und den eigenen ausgreifenden Anspruch.